Verharren im Diesseits – Staglieno 4

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Staglieno Kreuzgang
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Der Aufbau des Friedhofs von Staglieno entspricht ja der Idee des Städtebaus in Genua: Die Straßen dort bilden lange, enge Schläuche, sind eher Gassen (die meisten in der Altstadt sind für den Autoverkehr nicht geeignet).
Wenn man zeigen will, oder zeigen muß, was man hat, gestaltet man aufwendig das Portal seines Hauses. Auch der Friedhof zeigt unendliche Reihen von Grabmälern, und diese sind schmal und hoch. Die mystische Idee der „Tür zum Himmel“, durch die die Seele flieht, erinnert an das Portalprinzip der Stadthausfronten.
Die Bilder der Verstorbenen oder der Trauernden stehen bei den Grabmälern oft „vor der Tür“. Viele der verschlossenen „Tore“ auf den Gängen führen aber ins Nichts, oder sind in der Grab-Architektur auch nur als Idee angedeutet.
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Staglieno Tor
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Staglieno Tor und Seele
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Die ligurischen Kaufleute, Banker und Seefahrer waren ja zwischen Sparsamkeit und Repräsentationspflicht hin und her gerissen. (Nicht erst im 19. Jahrhundert. Auch Cristoforo Colombo war für seinen Geiz bekannt.)
Der Familien-Clan brauchte eine repräsentative Residenz, denn gesellschaftliche Verpflichtungen dienten meistens der Geschäftsanbahnung. Aber man hatte kaum was übrig für kulturelle Veranstaltungen. Die Küche war bodenständig, und das wichtigste Buch war das Sparbuch. Die einzelne Person wollte in der Öffentlichkeit keinesfalls auffallen. Man durfte also ungesellig sein, aber das Ansehen des Familien-Clans sollte was hermachen …
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Staglieno Pseudo-Tor
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Die folgenden Zitate zum Thema sind von einem „insider“, der in Santa Margherita Ligure geboren wurde. Es ist der Schriftsteller, Journalist (Corriere della Sera), Hochsee-Kapitän und Weltreisende Vittorio Giovanni Rossi (1898-1978):
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„ … kein Ligurer erfreut sich an Dingen, die ihm nichts einbringen, die nichts Greifbares abwerfen.“
„ … bei uns sucht der Geldmächtige wenn nicht geradezu arm, so höchstens ein klein wenig wohlhabend zu erscheinen; er kleidet sich bescheiden, vergnügt sich wenig, tut alles, um ja nicht aufzufallen. Er scheut es, sich von anderen abzuheben …“
„Bücher, Musik und andere Dinge der Kunst sind für uns Ligurer wirkliche Geldverschwendung …“
„ … stets galten Literaten und Künstler als verächtliche Leute, die auf Kosten der anderen, der ernsthaft Arbeitenden leben wollten.“
„Wahrscheinlich hinterlassen diese Leute im Sterben einen Teil ihres Vermögens frommen Stiftungen, gemeinnützigen Unternehmungen, Asylen und Krankenhäusern, bestimmen es für Witwen, Waisen, Findelkinder, verwahrloste Mädchen; denn so angewandtes Geld wird sichtbare, meßbare Frucht tragen. Aber eine Bilbliothek gründen, eine Gemäldegalerie, ein Museum – wozu das? Man wirft kein Geld ins Meer der Eitelkeiten.“
„Geld und Essen sind die wichtigsten geistigen Interessen der Ligurer. Der Ligurer ist zwar im allgemeinen kein großer Esser; doch verschafft ihm Essen mehr künstlerische Emotionen als Malerei, Musik oder Dichtung.“
(aus: Merian 2/XII, 1959 „Italienische Riviera“)
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Nachsatz: 1925 unterschrieb Rossi angeblich das Manifest der faschistischen Intellektuellen (Manifesto degli intellettuali fascisti). Naja, mit 27 sind die meisten Leute noch nicht erwachsen. Ansonsten dazu besser kein Kommentar
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Staglieno Celesia Grab
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Ein „heroisches Konzept“ zeigt sich im Grab des Carlo Celesia (von 1899). Es geht schon über den gewohnten bürgerlichen Realismus hinaus. Unterhalb vom Abbild des Verstorbenen steht links eine allegorische Gestalt, die das Schaffen und die Lebensarbeit symbolisiert, und rechts sitzt das jugendliche Symbol von Lernen, Geist und Wissenschaft.
Unterhalb der Statuengruppe findet man noch ein Bandmaß, einen Zirkel und ein Winkeldreieck. Signor Celesia war wohl im Baugewerbe tätig.
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Staglieno Kaufmann
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Um auf den Realismus zurückzukommen: Hier betet der brave Kaufmann.
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Staglieno Drachenheld
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Andere Auftraggeber hatten es lieber dramatisch: Hier der Kreuzfahrer, der Drachentöter, der sich auf Genuas Wappenschild stützt.
Schade, daß es damals noch keine LED-Lichtbänder gab … würden sich gut machen über der Stirn unseres Drachenhelden!
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Staglieno Greis
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Wofür der müde Greis steht, bleibt offen. (Ist nicht das Grabmal der Familie Sailer aus Darmstadt … 🙂 …)
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Aber das Bild des Greises zeigt deutlich, wie das edle Marmor-Material aus Carrara unter den Umwelteinflüssen altert. Die Reiseführer zur Zeit des Aufbaus des Friedhofs setzten sich mit dem Gewinn, der Bearbeitung und dem Transport des Materials auseinander – aber von Feinstaub und Ruß steht da noch nichts.
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Baedeker Ober-Italien (7.A., 1874) schreibt:
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“Carrara (Locanda Nazionale, ganz gut; vor dem Uebernachten ist jedoch der zahllosen Zanzären (Mücken) wegen dringend zu warnen.) Der Besuch der weltberühmten Marmorgruben ist höchst interessant, er erfordert bei beschränkter Zeit 3 Stunden; Führer fordern 5 l., gehen auch wohl, doch nicht immer auf 2 l. hinunter, können indess, wenn es nur auf eine flüchtige Anschauung ankommt, entbehrt werden.“
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(…) „Wir gehen gerade aus, an zahlreichen Marmorsägereien und –schleifereien vorüber; hinter dem Dorfe Torano (…) liegen die ersten Gruben, dicht neben einander. Eine breite Schicht von Geröll bezeichnet dieselben. Die Blöcke werden losgehauen, hinabgewälzt und dann durch Ochsen herausgezogen. Man unterscheidet feinen Marmor (marmo statuario) und gröberen (ordinario). Gegen 400 Gruben mit 6000 Arbeitern sollen gegenwärtig in Thätigkeit sein. Es wird von 5 U.M. (morgens) bis 2 oder 3 U.N. (nachmittags) gearbeitet.“
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(…) „Die Hornsignale dienen zur Warnung, wenn eine Mine angezündet wird. Die Gruben des Monte Crestola und M. Sagro liefern die besten und grössten Blöcke. In den Gruben von Fantiscritti, 1 St. von Carrara, brachen schon die Römer.
In der Stadt Carrara sind die zahlreichen Werkstätten der Bildhauer (namentlich Lazzerini, Franchi, Pelliccia, Bonanni) sehenswert.“
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Und über die Küstenstrecke der Eisenbahn steht im gleichen Band: „Die Eisenbahn von Sestri Levante nach La Spezia sieht ihrer Vollendung entgegen. Von Genua 3 mal wöchentlich Dampfschiff nach La Spezia.“
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Vor dem Eisenbahnbau war es natürlich nicht so einfach, die Marmorblöcke ohne Schaden ans Ziel zu bringen:
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“Carrara; whose quarries produce Marble, for the purposes of Sculpture, nearly equal in excellence with that of Mount Pentelicus; though from want of proper care in transporting the blocks,they are frequently split and broken. Carrara is built of marble taken from the adjacent Quarries; which are worth seeing.”
Mariana Starke “Travels in Europe – for the use of travellers on the continent”,
John Murray/London, 9.A., 1837
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