Ein „Vielflieger“ in der Pionierzeit der Luftfahrt

Alfons Paquet (re.) neben einem Junkers-Passagierflugzeug auf dem Flugplatz Frankfurt-Rebstock, Mitte/Ende der 1920er Jahre.

Quelle: http://www.alfonspaquet.de/galerie/g20_Flugplatz.html
(Hinweis zum Urheberrecht am Ende der Seite)

Der erste Frankfurter Flugplatz auf dem Rebstöcker Feld südlich von Rödelheim und Bockenheim. Die Stadt Frankfurt hatte das Gelände gepachtet. Der Gutshof Rebstock war zur Abfertigungshalle umgewidmet worden. Man startete und landete auf der halbwegs naturbelassenen grünen Wiese.

Der Journalist und Schriftsteller Alfons Paquet (1881-1944) hätte – für die Zeit von 1926 bis 1935) – tatsächlich den Status eines Vielfliegers haben können.
Natürlich gab es noch keine Bonuspunkte, aber die Lufthansa und andere Gesellschaften kamen Paquet sicher kostenmäßig gerne entgegen, wenn er für seine Reisen durch Europa in der Frankfurter Zeitung was Nettes zu berichten hatte.
Das tat er auch gerne … und veröffentlichte 1935 sogar einen Sammelband über seine Erfahrungen über und unter den Wolken …

Man mußte dringend Vertrauen in die Passagierluftfahrt gewinnen, denn selbst eine Kapazität von 12 Passagieren pro Flug war in der Pionierzeit selten ausgebucht. Und die Flüge waren noch unglaublich kostspielig. Der Lufthansa-Flug von Berlin nach London-Croydon kostet 170 Reichsmark pro Person. Ein Facharbeiter verdiente etwa 200 Reichsmark brutto im Monat. (Mein Großvater war zur Zeit der Wirtschaftskrise – um 1931 – arbeitslos und in einer „Notstandsmaßnahme“ beim Bau des Baldeney-Stausees im Essener Süden beschäftigt. Er erhielt 2 Reichsmark und ein warmes Mittagessen pro Tag.)

Und das Publikum wußte anfangs so wenig über die private Luftfahrt. Paquet sitzt abends in der Kneipe und neben ihm erzählt jemand voller Ehrfurcht, diese Flieger hätten angeblich jetzt geschlossene Kabinen und, wer mitfliegt, sei also nicht mehr der Witterung direkt ausgesetzt. Kann Paquet bestätigen – er war frühmorgens mit der Gesellschaft „Transeurope Union“ von Frankfurt nach Nürnberg geflogen, war Gast bei einer Hochzeit und ist nachmittags nach Frankfurt zurückgeflogen. War wahrscheinlich ein tagesaktueller illustrierter Bericht über eine Prominentenfeier fällig …
(Siehe Paquets Buch „Städte, Landschaften und ewige Bewegung“, 1927)

Waren ja noch sehr klein, die ersten Passagierkabinen …

Heute legt der gewöhnliche Tourist locker mehr Meilen zurück als Paquet in seiner ganzen Lebenszeit – obwohl es damals in Deutschland sicher kaum jemand länger in den Wolken ausgehalten hat als er. (Ich habe keine Ahnung, wie viele internationale Flugplätze ich bisher genutzt habe – und die Strecke Düsseldorf-Athen-Düsseldorf habe ich in 35 Jahren so oft zurückgelegt, daß mir schon schwindelig wird bei dem Gedanken, es noch einmal und noch einmal wiederholen zu müssen …)

Übrigens gab es auch damals einen (spärlichen) Passagierverkehr Richtung Athen. Eine
englische Gesellschaft nutzte ein Flugfeld in Athen als Zwischenlandung auf dem Weg nach Kairo und Bagdad.

Ist es nicht rührend, wie hier eine Maschine aufgetankt und technisch geprüft wird? Termindruck gab es auch. Das Hinweisschild am Flieger weist daraufhin, daß um 15:00 Uhr Richtung Mannheim und Karlsruhe gestartet wird.
Hier versammeln sich die würdigen Herren, die von Stettin aus in die Welt hinaus wollen, vor ihrem Flieger. Man beachte den voluminösen Gepäckwagen … 🙂 …

Paquet schreibt dazu (Abflug vom ‚Landesflughafen‘ Stuttgart-Böblingen): „Die Sitze auf der linken Seite sind mit Koffern beschwert, sie werden mit Segeltuch überzogen. Rechts sinken die Fluggäste in ihre Sessel, jeder hat ein Fensterchen.“
Sonst war es nicht immer so gemütlich. Mal öffnet der Pilot unterwegs das Fenster neben sich (!), und es zieht ein eiskalter Luftzug durch die offene Tür in den Passierraum. Und das Motorengeräusch ist so laut, daß in der gleichen Reihe sitzende Passagiere sich nicht unterhalten können. Man schreibt Fragen und Antworten auf den Rand einer Zeitung und reicht das Blatt nach nebenan …

FLUGGAST ÜBER EUROPA
– Ein Roman der langen Strecken
Alfons Paquet
1935, Verlag Knorr & Hirth, München – 288 Seiten


Wo war Paquet nicht überall auf dem Luftweg: In Paris, in Barcelona (ab Stuttgart-Böblingen, mit Zwischenhalt in Genf und Marseille), in London, Wien, Amsterdam, in Warschau, in Rom, in Stockholm und Kopenhagen, in Oslo (mit dem Flugboot) usw. usw.
Er hat die ersten „Shuttlebusse“ benutzt und auch in den ersten „Flughafenhotels“ übernachtet (die Flugplätze lagen ja weit außerhalb der Städte).
 
Aber Europa scheint er im Flieger nicht verlassen zu haben. Mit Bahn und Schiff war er allerdings in Sibirien, in der Mongolei, in China, Japan und Palästina unterwegs.

In Amsterdam erfährt er, daß er einen Fernflug nach Indonesien (Batavia) buchen könnte. Er muß den Flieger nicht wechseln, aber ständig irgendwo übernachten. Pilot und Funker werden nicht abgelöst, sie sind hin und zurück drei Wochen (!) unterwegs! Sechs bis acht Stunden fliegen sie täglich, dann folgt eine Zwangsübernachtung.
Der Fernflug mit „Imperial Airways“ von London-Croydon nach Indien dauert sechs Tage. Diese britische Luftlinie mit ihren internationalen Verbindungen ist der Konkurrenz in Komfort und Service soweit voraus, da kann Paquet nur staunen.
So können sich nur führende Politiker und Geschäftsleute bewegen. Paquet sieht seine eigene Rolle eher nüchtern: „Ich bin nur ein Fluggast, bin einer der Anonymen, die man mitnimmt. Aber ohne diese Anonymen geht es nicht.“

Schon die vielen Zwischenlandungen an obskuren Plätzen bei Kurzstrecken in Europa sind
irritierend: Paquet fliegt von Frankfurt aus nach Amsterdam, mit Zwischenlandungen in Köln, Düsseldorf und Essen! Das ist ja wie heute beim Flixbus … 🙂 …

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Aus den vielen Reisereportagen, die Paquet verfasst hat, möchte ich nur ein paar Zitate aus einem typischen Bericht hervorheben: Es geht von Frankfurt über Saarbrücken nach Paris.

Paquet sitzt, wie gewöhnlich, vorne links, wo er hinausschauen und gleichzeitig dem Piloten und dem Funker auf die Instrumente schauen kann.
Start in Frankfurt-Rebstock. Paquet: „Ein Matrosenjunge zieht von dem schwarzen dicken Gummireifen der Räder die Bremsklötze weg. Das Rad beginnt zu laufen, es mäht förmlich den Löwenzahn auf der Wiese. (…) Der Moment ist da, wo die Räder sich vom Boden lösen. Sie wirbeln wild, aber ohne Widerstand, noch feucht vom zermalmten Grün und Gelb der Wiese.“
„Es wogen die sanft gerundeten Kuppen der Pfalz. (…) Ein Hirtenfeuer auf einer einsamen Kuppe mit der abziehenden Rauchwolke zeigt, daß wir kräftigen Seitenwind haben. Das ganze Flugzeug vibriert.“
(…)
Man überfliegt Kaiserslautern und Homburg, bereitet sich zur Landung in Saarbrücken vor. Am Rande des Flugfeldes stehen Paquets Schwester und Schwager.
Paquet: „Wir trinken auf der Terrasse ein Mineralwasser. Die Schwester kramt belegte Brötchen aus der Ledertasche.
‚Nett von dir, aber ich fahre ja nicht mit der Bahn.‘
‚Heute abend wirst du Hunger haben.‘
‚Heute abend esse ich pariserisch. Ich bin doch in zwei Stunden am Ziel.‘
‚Bitte einsteigen, Paris‘, ruft jemand.
Wie die Frauen sind, die Brötchen müssen in die Tasche.“
(…)
„Wir fliegen gar nicht hoch, wir sehen ein Auto fahren. Radfahrer arbeiten sich vorwärts. Über einem Dorf fliegen wir hin, wir lesen vom Kirchturm die Zeit ab. Ein Schwarm weißer Tauben flattert von den Dächern.“
(…)
„Wir sichten eine zementgraue Fläche, ein Kreidekreis erscheint. Ohne Zögern läßt sich das Flugzeug nieder. Die kleine Gruppe der Reisenden ist kaum ausgestiegen, so weist man sie in das Haus, läßt sie halbdunkle Büros durchschreiten. Im Sälchen erscheinen die Zollbeamten. Das Gepäck wird hereingebracht, geöffnet, wieder geschlossen. Unser Flugzeug wird schon hinweggerollt.“

Ein Bus bringt die Reisenden ins Büro der Luftfahrtgesellschaft im Zentrum. Mit dem Taxi geht es zum Hotel. Nur eine Viertelstunde nach dem Einchecken ist Paquet wieder unterwegs. „Ich hätte Lust, an einer belebten Straße zu sitzen, an einem der kleinen Marmortische unter der Markise.“
Früher Abend, aber einige Cafés schließen schon. Aber Paquet liebt das Kino, und Paris ist voll von Lichtspielhäusern. Um Mitternacht hat er zwei Filme samt Wochenschau hinter sich, muß aber nun erfahren, daß alle Restaurants geschlossen sind.
Um ein Uhr nachts ist er wieder in seinem Zimmer: „Und ich habe nicht pariserisch gegessen. Auf dem Kamin liegen die Brötchen aus Saarbrücken, bei der Ankunft ausgepackt. Her damit! Manchmal haben die Frauen doch recht.“

Am nächsten Tag zieht er um in ein Hotel in der Nähe des Flugplatzes. Le Bourget hat sich zu einem Vorort entwickelt, der alles bietet, was man braucht. Von den Tagesereignissen berichtet Paquet nur ausführlich von einem weltstädtisch eingerichteten Reisebüro, das ihn durch seine umfassenden Leistungen begeistert: „Ist es eine Entdeckung, daß die Touristik im heutigen Europa eine ganz große Industrie geworden ist? Ein Dach, unter dem eine Menge von kleinen Industrien Stütze und Zuflucht findet?“
Früh am nächsten Morgen steigt er in die Maschine der Lufthansa, D-AFER, Richtung Berlin, über Saarbrücken und Frankfurt. Neben sich eine Dame aus Südamerika, der er über ihre Flugangst hinweghilft. Ihr Gesicht hat eine leichte Grünfärbung und sie eröffnet unterwegs das ‚Gespräch‘ mit einer schriftlichen Bemerkung auf dem Rand einer Zeitschrift: ‚Ich habe nichts gegessen aus Angst, krank zu werden.‘

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Paquets Texte über das Fliegen und eine überraschend neue Weltsicht gehen weit über die herzige „Reiseerzählung“ hinaus. Fast nie nennt er den Grund für eine Reise. Er läßt uns an seinen Gedanken teilhaben – und er hat so viel von dem vorweggenommen, was noch heute diskutiert wird und nicht annähernd gelöst ist.

Nach der Ankunft in der „Drehscheibe“ Berlin notiert er eine Menge über das (immer wichtige) Flugwetter und die unten sichtbaren Strukturen auf dem Land. Man flog ja gewöhnlich nicht höher als 800 Meter, hielt gewöhnlich Augenkontakt zum Boden.
(Als der Flieger zwischen dem Ärmelkanal und London-Croydon längere Zeit in dichten Nebel gerät und gar nichts mehr zu sehen ist, nichts oben, nichts unten, nichts links und rechts, muß selbst Vielflieger Paquet eine leichte Panik unterdrücken.)

Paquet hält es grundsätzlich für einen Fehler, daß für die Fortbewegung von ein paar Kilogramm Mensch tonnenweise Material bewegt wird und dabei Energie verschwendet wird. (Seite 150)
Und hat da einer „Nachhaltigkeit“ gesagt? Paquet (nochmal Seite 150): „Die allermeisten Großstadtbauten verlieren schon in einer Generation ihren eigentlichen Wert. Die Mauern sind das einzige, was nicht nach einem Menschenalter erneuert werden muß. Keine Straße hält länger als fünfundzwanzig Jahre. Brücken, Leitungen, Beleuchtungen sind in zwei Jahrzehnten abgenutzt. Die Großstadt erneuert sich in jeder Generation.“

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Der Lufthansa-Fluggast erhält eine Broschüre zum Flugweg. Paquet: „Das schmale, gelbe Streckenheftchen enthält nur Stichworte über die in Abschnitte eingeteilte Strecke, und das gedruckte Kärtchen ist jedesmal nur ein kleiner Ausschnitt der Landkarte an einem Strich
entlang.“

Diese Streckenheftchen sind fast völlig verschollen und heute im Antiquariat praktisch nicht mehr erhältlich.
Beispiel für die Streckenführung auf der kleinen Karte (Ausschnitt)
Beispiel für den Begleittext, der die oben gezeigte Karte erläutert (Ausschnitt).

Die Idee ist nicht neu. Für die Reise mit der Bahn gab seit Jahren illustrierte Bahnreiseweg-Beschreibungen.
Allein der Hendschel-Verlag (der das deutsche Kursbuch veröffentlichte) hatte davon circa 50 Hefte in den Umlauf gebracht.
Hier Heft 1 der Serie „Hendschels Luginsland“ aus dem Jahr 1910.

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Nebenbei: Mancher findet es vielleicht fragwürdig, daß es ein Journalist bis 1944 in Deutschland ausgehalten hat. Paquet hält offenbar Distanz zum Regime. Die liberale Frankfurter Zeitung mit ihren berühmten Autoren hat große Schwierigkeiten, läßt sich aber nicht völlig gleichschalten, wird aber trotzdem im August 1943 verboten.

Auf den 288 Seiten seines 1935 erschienenen Buches erwähnt Paquet einmal einen mitfliegenden „Hitlerjungen“ und einmal das Hakenkreuz auf einem geparkten Flieger („eine silberglänzende Maschine mit dem Hakenkreuz am grellrotbemalten Steuer“). Sonst gibt es ganz selten Bezüge zum Nazi-Regime. Daß die Deutsche Liesel Bach 1934 in Paris einen Damen(!)kunstflugwettbewerb gewinnt, vor 200.000 Zuschauern, und dort vom Luftfahrtminister Hermann Göring vor ihrer Maschine (mit Nazisymbol) demonstrativ beglückwünscht wird, kann auch Paquet nicht unerwähnt lassen. Es hieß, diese Wettbewerbe „würden die Freundschaft zwischen den Völkern knüpfen“.

Paquet starb übrigens bei einem Bombenangriff auf das Frankfurter Zentrum Anfang 1944 an einem Herzinfarkt.

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Nachbemerkung 1:
Die Rechtsnachfolger von Alfons Paquet (http://www.alfonspaquet.de/impressum.html) geben sich sehr empfindlich, was das copyright angeht. Das Foto von Alfons Paquet vor einer Lufthansa-Maschine auf dem Frankfurter Flugplatz finden Sie auf einer von Jean Paquet verantworteten website. Es ist inzwischen fast ein Jahrhundert alt:
http://www.alfonspaquet.de/galerie/g20_Flugplatz.html
.Nebenbei: Da Paquet vor mehr als 75 Jahren verstorben ist (1944), glaube ich, daß das Urheberrecht an seinen Bildern erloschen ist. Auch das des Fotografen. Und daß es nicht durch eine Aufnahme ins Internet (im Jahr 2004) wieder erneuert wurde.

Nachbemerkung 2 und 3:
„Nach dem Ersten Weltkrieg begann ab 1924 vom Flughafen Frankfurt-Rebstock aus ein planmäßiger Luftverkehrsdienst. Im Jahre 1925 starteten und landeten 2.357 Flugzeuge; insgesamt wurden rund 5.500 Passagiere befördert.“
Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurt-Rebstock#R%C3%B6merhof
.
Ab 1926 starteten auf dem Gelände des Hofguts Rebstock u.a. diese Flugzeugtypen: Junkers F13 und Junkers G24.
Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Lufthansa.

One comment

  1. War 1927 schon was los auf der Flughafenwiese in Frankfurt. In Woerls Reisehandbuch “Der Rhein von Mainz bis Düsseldorf” steht in diesem Jahr:
    “Auch der neuere Verkehr durch Flugzeuge ist nicht an Frankfurt vorübergegangen, da die Stadt heute von zwölf fahrplanmäßig verkehrenden europäischen Luftverkehrsverbindungen angesteuert wird.”
    43 Städte konnten ab Frankfurt erreicht werden. Und weiter:
    Zubringerauto fährt ab Kaiserstr. 14 (Hapag-Bureau), 45 Minuten, ab Kaiserstraße 76 (Norddeutscher Lloyd), 35 Minuten vor Abflug.”
    35 Minuten vor Abflug …! Das waren noch Zeiten ohne Schlangestehen am Check-In-Schalter und der Sicherheitskontrolle! 🙂

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