Adel verpflichtet: Die Sultana in Piräus


Mutig oder nachlässig? Auf dem Titel der Jubiläums-Festschrift der Firma Floros wird das Markenprodukt weder erwähnt oder gezeigt.

Ein Blick zurück in die Zeit, als der Tourismus noch nicht die Haupteinnahmequelle Griechenlands war. Als die Überschüsse aus der Landwirtschaft noch eine größere Menge Devisen ins Land brachten. Daran erinnert auch der 100-Drachmen-Schein von 1935.

In der reich illustrierten Festschrift geht es nicht nur um die (doch recht banale) Produktion von Rosinen, sondern auch um die Zeitgeschichte – die Folgen des Bevölkerungsaustauschs / der Vertreibung nach dem Kriege von 1921/1922.

Die Firma wurde im Jahre 1852 von Athanasios Floros in Vourla (am Golf von Smyrna/Izmir) gegründet. Schwerpunktmäßig handelte man mit Rosinen (Sultanas und Elemes). 1889 trat sein Sohn, Georges Ath. Floros, in die Firma ein. Vater und Sohn waren in der griechischen Gemeinde und in der Lokalpolitik aktiv.
„Die Firma A. Floros & Fils war um die Jahrhundertwende im europäischen Kontinent als
erstklassiges Abladungshaus in Rosinen bekannt, vor allem in Mitteleuropa (Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Holland), wo sie das weitaus größte Geschäft machte.“
Im Jahre 1913 setzte sich die Bevölkerung im Bezirk Vourla noch so zusammen: 37.000 Griechen, 5.000 Türken, 1.600 Juden. Es wurden jährlich bis zu 15.000 Tonnen Trauben produziert. Das reichte für 4.000 Tonnen Rosinen.
Ab 1920 brach der Export nach Europa ein, durch die Wirtschaftskrise und Inflation fehlte die Kaufkraft.
„Im Jahre 1922 (…) trat die Katastrophe von Smyrna ein. Sie endete mit der gewaltsamen Vertreibung der ganzen übriggebliebenen griechischen Bevölkerung Kleinasiens und somit auch Vourlas durch die Türken. Nur weniger als die Hälfte der Vourlaer Griechen konnte dem Verhängnis und dem Verderben entfliehen und rettete sich nach Griechenland hinüber.“
Die Weinbauern und –händler siedelten sich auf dem Peloponnes und auf Kreta an. Die Anbauflächen wurden erweitert, die traditionellen Smyrna-Rebsorten wurden etabliert – die Sultana waren bis dahin in Griechenland kaum bekannt. Das Geschäft blühte besonders darum, weil im Gebiet von Smyrna nun das Fachwissen fehlte und so der Ernte-Ertrag und die Qualität sank.
„Der Preisstand (für griechische Sultaninen) hob sich gleichzeitig weit über das höchste Smyrnapreisniveau hinaus.“
Die Veredelung der griechischen Sultanas schreitet voran. Jetzt werden die Beeren sorgfältig verlesen und mit einer Lösung aus Wasser und Kaliumcarbonat (Pottasche) und Olivenöl besprüht. Das beschleunigt den Trockenprozess, konserviert die Farbe und verhindert das Verkleben der Früchte.
„Vor dem Jahre 1922 wurden die Peloponnes-Sultanas, einfach in Fässern oder Zentnerkisten gepackt, nicht einmal gereinigt und entstielt, nach England, wenig nach dem europäischen Kontinent verladen, und oft zu sehr niedrigen Preisen verkauft.“
In Säcken gelangen die Rosinen zur endgültigen Verarbeitung in die Fabrik. Hier werden sie noch einmal gewaschen und und nach Qualität und Größe sortiert – die Top-Sorte FANCY „wird durch Arbeiterinnen Beere für Beere verlesen“.
Von Piräus aus gehen die Rosinen zu den Kunden in aller Welt – im Jahre 1927 bereits 17.000 Tonnen. Die teuren Top-Qualitäten müssen auch die Konkurrenz aus Kalifornien nicht fürchten – bei den mittleren Qualitäten führt die Konkurrenz allerdings zu Preiskämpfen, nicht immer zu Gunsten der Griechen.

Die Firma Floros hat eine weitere nützliche Marketing-Strategie entwickelt: Jeder Packung werden Rezepte beigelegt, und es wird den Verbrauchern empfohlen, Nüsse und Sultaninen als nahrhaften und vitaminreichen Mix anzubieten. Die Kundenreaktionen sind positiv. Die Firma erweitert jedes Jahr ihre Produktions- und Lageranlagen, sie ist 1928 fast wieder so groß wie in Vourla vor 1922.


Georges Ath. Floros, der αφεντικό, der Firmen-Chef …


… und ganz wichtig, seine Mitarbeiter im Außenhandel. Die haben die Kunden in Deutschland vielleicht schon einmal persönlich kennengelernt. (Das Team wurden beim Fototermin ein wenig zusammengerückt, so Ellenbogen an Ellenbogen kann ja niemand arbeiten!)


So, wie kam die Sultanine in den Einzelhandel, in die Küche, für das Weihnachtsgebäck oder ins Müsli? Floros illustriert das schrittweise. Zuerst ein Blick in das Anbaugebiet der Firma Floros – hier bei Ano Vrachati, westlich von Korinth:


Die Weinlese – es sieht ein bißchen chaotischer aus als heute an den militärisch ausgerichteten Rebstöcken im nördlichen Europa:


Die Ernte wird vor Ort zum ersten Mal verlesen und grob gereinigt:


Anschließend wird sie in der Sonne ausgebreitet zum ersten Trocknen. Jetzt hofft man auf ein paar Tage ohne Regen. Aber in Griechenland wird ja noch im Spätsommer geerntet:


Die Einkäufer sind auch schon da. (Das sind die beiden dunkelgekleideten Herren vorne rechts, die sicher schon überlegen, wie man die Preise drücken kann …)


Was gekauft wird, wird nach Piräus befördert zur weiteren Bearbeitung in der Fabrik der Firma Floros:


Zunächst werden die Sultana-Beeren noch einmal gründlich gewaschen. (Sehen Sie die Katze links unten? Unvorstellbar in einem heutigen Lebensmittelbetrieb. Aber sie wird damals schon ihre Aufgaben gehabt haben …)


Die Beeren sind jetzt nach Größe und Qualität sortiert. Die teuren Sorten – zum Beispiel die „Hellasperle“ – werden mit spitzen Fingern noch einmal durchgekämmt. (Hier sind die Arbeiterinnen wieder zum Foto zusammengerückt, wie die Herren im Auslandsbüro.)


Vorletzter Schritt – alle Sorten müssen kurz in die speziellen Trockenöfen. Hier wird der richtige Konservierungsgrad erreicht:


Letzter Schritt – das maschinelle Verpacken. Die Kisten für den Export sind noch viele Kilo schwer. In Piräus werden noch keine haushaltsgerechten Portionsbeutel gefertigt. Dazu füllt der „Kolonialwarenhändler“ im fernen Nordeuropa Papiertüten:


Die Festschrift wurde aufwendig gedruckt, und richtete sich an die deutschsprachigen Kunden. Die lithografierten Fotos wurden – wie bei einem teuren Bildband – mit hauchdünnen, fettabweisenden Pergaminblättern geschützt.
Die Fotos stammen möglicherweise von der griechischen Fotografin Nelly (Έλλη Σουγιουλτζόγλου-Σεραϊδάρη), die in Deutschland studiert hatte. Sie hatte ab 1924 ein Studio in Athen, nahm u.a. auch Aufträge der Tourismusbehörde an.
Hier ihr Meisterwerk von 1939 – die russische Tänzerin Nikolskaja vor dem Parthenon:


Nur hinter dem letzten Bild in der Floros-Festschrift steht das Copyright „Nelly“. Nicht klar, ob das nur für dieses Foto oder für den gesamten Inhalt gilt.

VOURLA (bzw. Wurla oder Vurla – heute Urla) war den Reiseführern früher nur einen Nebensatz wert. Das naheliegende Smyrna oder Ephesus bedeuteten dem Bildungsreisenden natürlich mehr. In Vourla wurde 1900 Giorgos Seferis (1963 Literatur-Nobelpreis) geboren.


Meyers Reisebücher ‚Griechenland und Kleinasien‘, 1906: „Die im Golf liegenden Inselchen (wie) Clazomenai (Quarantänestation) und der Ankerplatz für das landeinwärts gelegene Vurla (großer Rosinenhandel) bleiben rechts.“

Baedeker ‚Konstantinopel und Kleinasien‘, 1905: „Hinter Klazomenä öffnet sich die kleine fruchtbare Ebene von Wurlá (4475 Einw.) mit Feigenbäumen, Olivenpflanzungen und berühmtem Weinbau.“

Anton Prokesch von Osten ‚Mitteilungen aus Kleinasien‘, 1825, laut wikipedia: „Die nächsten Umgebungen von Vurla sind überaus blühend. Großer Handel wird da mit getrockneten Feigen und Rosinen getrieben; Tschesme, Vurla und Smyrna liefern die Menge dieser Früchte, womit ganz Europa versehen wird.“


Rosinen sind getrocknete Weinbeeren. Von der Feuchtigkeit der reifen Beeren bleiben am Ende der Trocknungsphase noch 15-18%. Der Zuckeranteil steigt stark. Je nach Rebsorte gibt es verschiedene Rosinensorten:

Sultaninen (aus der Sultana-Traube) sind kernlos und großbeerig, nach dem Trocknen goldgelb und mild. Sultaninen werden mit einer Lösung aus Pottasche und Olivenöl besprüht – so trocknen sie schneller (3 bis 5 Tage) und behalten ihre Farbe. Die Sultana-Traube ist weltweit verbreitet, wird oft frisch angeboten (Thompson Seedless).

Korinthen (aus der Korinthiaki-Rebe) sind kleinbeerig und kernlos. Nach dem Trocknen werden sie schwarzbraun oder schwarzblau. Trockenzeit 1 Woche. Kräftiger Geschmack, bevorzugte Zutat zum Backen. Die Korinthiaki-Trauben stammen hauptsächlich aus Griechenland (44.000 ha Anbaufläche). Türkei (6000 ha). Auf 1 Hektar können bis zu 12.000 kg Trauben erzeugt werden.

Die Rebsorte Eleme, die Floros erwähnt, ist eine lokale Bezeichnung für die Regina-Traube. Davon erzeugt die Türkei heute dreimal so viel wie Griechenland.
Rosinen dürfen geschwefelt werden, um die Haltbarkeit zu verbessern. Rosinen sind für Katzen und Hunde giftig, teils lebensbedrohlich (laut wikipedia).

28.02.2021 Hab noch was vergessen! An der Wand im Auslandsbüro hängt ein Kalender der Deutschen Levante Linie. Kann man in der Verkleinerung des Fotos oben nicht mehr erkennen. Der Versand von Werbematerial ging wohl in beide Richtungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Levante-Linie

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