Anafi und die Ostereier

Ostereier
.
Um mal eins der großen Probleme der Weltgeschichte anzusprechen: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was ausgerechnet Hühnereier mit Ostern zu tun haben?
.
Der Brauch, zu Ostern Eier aufzusammeln und zu verzehren, sei aus Kleinasien und Griechenland zu uns gewandert, lese ich. Aha. Aber warum das denn?
Wenn man weiter nachschaut, findet man nur ein gewisses Raunen über die Eier als Symbol der Wiederauferstehung, ihre rote Farbe als Symbol für den Opfertod usw.! Keiner weiß was Genaues. Auf Konzilen stritt man nur ums Osterdatum. In den „heiligen Schriften“ steht nichts von Eiern. (Da steht auch nichts von Hasen … 🙂 …)
.
Was wäre, wenn es einen ganz prosaischen Grund gäbe für das Suchen nach Eiern und ihren Verzehr zur Osterzeit?
Die Bauern … was machen die Bauern zur Osterzeit? Getreide säen. Was macht die Vogelwelt zu Ostern? Nester bauen, Eier reinlegen, Getreidesamen von den Feldern klauen. Der Konflikt ist da.
.
Osterbräuche? Fand ich immer eher uninteressant. Bis ich in das Reisebuch von Joseph Pitton de Tournefort geschaut habe. Tournefort war im Sommer und Herbst des Jahres 1700 unterwegs in der Ägäis. Der unberechenbare Wind in den Segeln bestimmte seine Richtung. So kam er zu einem unbeabsichtigten Aufenthalt auf Anafi.
.
Rebhühner (Πέρδικες) sind lästig. Wer vom Ackerbau lebt, kann auf das ganze Wildgeflügel verzichten. Rebhühner waren auf Anafi seit Urzeiten eine reine Landplage. Aber Rebhühner jagen ist mühsam. Besonders für mittellose Bauern.
.
Warum ihnen also nicht einfach den Nachwuchs (1) wegnehmen, bevor die Vögel anfangen zu brüten? Und am Ende der Fastenzeit hat man doch richtig Appetit auf ein paar Eier in der Pfanne. Also: Einsammeln, verschenken, verzehren.
Für Anafi war das die einzige Möglichkeit, sich gegen die Vögel zu wehren. Die Vogelplage mag es auch anderswo gegeben haben. Es spricht sich rum. Und schon ist das Nester-Ausheben, bzw. der „Eier-Kult“ als Osterbrauch etabliert.
.
Religiöse Bräuche und Verbote haben oft einen banalen Hintergrund. Weder Moses noch Mohammed kannten eine Medizin gegen Trichinen oder Salmonellen. Also … Schweinefleisch essen ist „Sünde“. Basta.
.
Tournefort PortraitJoseph Pitton de Tournefort notiert im Jahr 1700: „Die Einwohner von Nanfio (Anafi) bekennen sich insgesamt zur griechischen Kirche, und stehen unter dem Bischof von Siphno (Sifnos). Man findet daselbst weder Türken noch Lateiner. Der Cadi (Richter) und der Vaivode (Bezirksvorsteher) haben keinen beständigen Aufenthalt.
Im Jahre 1700 zahlten sie fünfhundert Thaler für Kopfgeld und Vermögenssteuer, indem dort nicht mehr als anderthabe Thaler für den Kopf bezahlet werden (2).

.
Sie sind Faulenzer (3); Ihre ganze Handelsschaft treiben sie mit Zwiebeln, Wachs und Honig.
Sie haben nicht mehr Wein und Gerste, als sie selbst brauchen; und ich glaube, daß sie nicht so viel Holz haben, daß man die Rebhüner braten könnte, die man daselbst findet.

.
Die Menge derselben ist so ungeheuer groß, daß man, um das Getraide zu erhalten, auf Befehl des Consuls, alle Eyer, so man finden kann, um Ostern aufsuchet, und man behauptet, daß ihrer insgemein zehen bis zwölftausend (4) zusammen gebracht werden. Man bedient sich derselben zu allen Arten der Backwerke, insonderheit aber zu den Eyerkuchen.
.
Indessen fuhren, aller gebrauchten Vorsicht unerachtet, bey jedem Schritte, den wir machten, Rebhühner auf. Sie sind daselbst schon lange zu Hause, und kamen von Astypalaia dahin. Wenn dem Hegesander (Ἡγήσανδρος aus Delphi, lebte im 3. Jh.v.Chr.) zu glauben ist, so brachte ein Einwohner dieser Insel nur ein Paar nach Anaphe. Allein sie vermehrten sich dergestalt, daß die Einwohner befürchten mußten, von ihnen verjagt zu werden. Vermutlich geschiehet es seit der Zeit, daß man die Vorsicht gebraucht, ihre Eyer zu zerschlagen.
(…)
Die Griechen kennen weder Speck noch Spicknadeln. Wir mußten sie (die Rebhühner) also halb gesotten und halb gebraten essen.“
.
Tournefort Text 1 Anafi
Tournefort Text 2 Anafi
.
Joseph Pitton de Tournefort: „Beschreibung einer auf königlichen Befehl unternommenen Reise nach der Levante“, Nürnberg 1776/1777, Band I-III; Abb. aus den Seiten 428/429 aus Band I.
.
Der Botaniker Joseph Pitton de Tournefort (1656-1708) war im Jahre 1700 in der Ägäis unterwegs. Seine gesamte Reise dauerte bis 1702. Das orthodoxe Ostern am 11.04.1700 hat er verpaßt. Tourneforts Interesse am Land ging weit über sein Fachgebiet hinaus.
.
Aber seine Bemerkungen über die Rebhühnerplage waren ei-gentlich nur ei-ne Nebensache.
.
(1)  Das Rebhuhn (perdix perdix) legt ab Anfang April 10 bis 20 Eier in Bodennester. Die Eier sind nur um 13 Gramm schwer (ein Haushuhn-Ei wiegt 50 bis 70 Gramm).
(2)  Anafi hatte also etwa 350 Einwohner.
(3)  Nein, Tournefort schrieb nicht für die BILD-Zeitung.
(4)  Rebhühner stehen heute auf der Roten Liste (stark gefährdet). Deutschland hat noch etwa 60.000 bis 90.000 Brutpaare, Griechenland nur noch 4.000. Auf der winzigen Insel Anafi wurden vor 300 Jahren offensichtlich noch regelmäßig die Nester von 1.000 Brutpaaren ausgeräumt!
.
< ZURÜCK ZU:  DIE GEDANKEN SIND FREI …
< ZURÜCK ZUR STARTSEITE

 

7 comments

    1. Lieber Theo,
      mit Verlaub, das Eiersammeln ist kein “Gebrauch”, sondern ein Brauch, auch wenn man die Eier gut gebrauchen kann. Rebhühner übrigens in Astypalaia nie gesehen, anderswo mit Freude! Grüßle!

      1. Astypalaia’s Jagdsaison besteht hautsächlich aus Rebhühnern und Kaninchen. Du warst wahrscheinlich noch nie im Oktober da.

  1. Wer das mit den Rebhühnern testen will, hier eine sehr schöne Wanderkarte von Anafi (zweimal drauf klicken für das optimale Format:

Leave a comment