Tinos Winter 1

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Tinos Hafen
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Tinos, der Hafen im Januar
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Wenn man im Winter auf die Kykladen reist, sollte man besser nichts fest vorplanen. Es wird sowieso anders als gedacht …
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Der Winter an der Ägäis beschert uns ja keine Leise-rieselt-der-Schnee-Idylle. Wie etwa in den nordgriechischen Bergen. Aber am Zéa-Hafen in Piräus war im Januar wenigstens eine Eisbahn installiert. Ein Eisbahn, so groß wie die Vogeltränke, in der Snoopy sonst immer Eishockey spielt …
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Stavros
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Tinos, alte Kaimauer vor Stavros
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Und wie war das Ägäis-Januarwetter? Wie der April an der Nordsee. Unbeständig und oft stürmisch. Ich hatte auf Tinos Tage mit Gewittern und heftigen Südwind, wo alle Fähren ausfielen, und sonnenklares Vorfrühlingswetter bei 16°C, gleich hintereinander. Als ich zurückfliegen wollte, waren im Norden (Heathrow, Frankfurt, Amsterdam) wegen Schnee und Frost die Flughäfen gesperrt. Gleichzeitig saß ich in Piräus auf dem Theaterplatz, draußen, noch um 22 Uhr. Ohne Heizstrahler.
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Tinos Museum
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Frühling …? Im Archäologischen Museum in Tinos sitzt schon ein halbnackter Engel im Baum und träumt! Bei welcher Ausgrabung wurde der wohl gefunden …?
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Ja, die Kykladen sind im Januar schon frühlingsgrün. Auf Tinos hüpfen gerade geborene Ziegen- und Schafskinder durch dicke Kleepolster. Hier wächst der erste Krokus, dort hier sitzt man mit seinen Wandervorräten auf einem Stein im Gänseblümchenfeld. Vorräte? Ja, das ist schon wichtig, denn auf Tinos waren außerhalb des Hafenortes alle Tavernen geschlossen. (Ja, alle, davor hatte mich schon Ron, der oben in Arnadhos lebt, gewarnt.) Und ich hatte mich im Dezember schon darauf gefreut, in Ktikados im Drosia sitzen zu können. Mal nicht auf der Aussichtsterrasse, sondern im gemütlich-warmen Gastraum. Aber für wenn sollte Vassili, der Wirt, den Laden öffnen? Es ist fast kein Mensch im Dorf, und niemand ist auf dem Land unterwegs. Auch das Agnanti ist zu. In Falatadhos ist Frosso‘s Kafeneion offen, aber nur für Getränke. Das, ähm, rustikale Café führt die Inhaberin auch als Tante-Emma-Dorfladen. Kochen würde sie für einen auch, aber nur auf Vorbestellung.
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Elenis Koutouki hat auf, in den Gassen hinter dem alten Hafen in Chora. Das Essen, Fischsuppe, Baby-Barbounias (heute frisch gefangen), ein mustergültiger Artischocken-Auflauf, ist wieder ausgezeichnet, aber Eleni (neue Frisur, jetzt kurz und nur noch teilweise blond) hat keine gute Laune. Sie steht vor ihrem knisternden Ofen und schmollt. Nichts, nichts, nichts zu tun:
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Elenis Koutouki Tinos
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Alles leer. Der Ofen zwischendurch mal ohne Elenis Gesellschaft …
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… zwischendurch noch ein schneller Blick in die andere Richtung (Das war im Mai 2012, da sitzen natürlich alle vor der Tür!):
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Elenis Koutouki Tinos
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Koutouki Karte
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… und die Kreidetafel draußen jetzt ohne die englische Version.
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Wenn Eleni lächelt, tut es weh, hinzuschauen, so schwer fällt es ihr. Am Hafen ist auch fast alles zu, man muß sich wirklich mal hinten in den Gassen umsehen … da, das Balis! Und „Rakomelo“ hat jemand draußen mit Kreide auf die Tafel geschrieben: Heißer Raki mit Honig, Nelken und Zimt. Na dann mal rein …! Eine richtig nette Kneipe, mit Theke, wie im Ruhrgebiet, und hier wird auch hervorragend gekocht! Zum Rakomelo (5 Euro) gibt es originelle Mezedes: Gut gealterten Ziegenkäse, Louza (luftgetrocknetes Filet vom Schwein), Oliven, Kapern, Artischockenböden und sonnengetrocknete Tomaten in Olivenöl.
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Und im „Balis“ (hier kocht die Wirtin, die Witwe des vor kurzem gestorbenen Inhabers) gibt es Pasta mit großzügigsten Beilagen. Aus den Bestandteilen einer Portion Carbonara bei „Balis“ würde Pranzo, der Italiener an der alten Hafenfront, gleich drei Portionen machen! (Im rustikal gestylten „Pranzo“ esse ich übrigens ganz alleine. Die Musik ist gut, das Risotto nicht gut, die Preise gehoben, der italienische Koch stammt aus Bulgarien …)
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Und bei „Balis“ ist die Stimmung ganz hervorragend, und voll ist es auch. (Sogar ein gut gelauntes Touristen-Paar aus Frankreich … und … ils parlent anglais!) Am zweiten Abend räume ich freiwillig meinen Tisch, nachdem ich mir den Bauch gefüllt habe, und ziehe um zur Theke (für meinen Verdauungs-Raki), weil immer noch Stammgäste zum Essen kommen.
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Balis Tinos Bar
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Balis, die Theke. Lebte ich auf Tinos, wäre das “meine” Theke …
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Karten
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In Piräus entdecke ich ein Lokal, das ich bisher immer mißachtet hatte, weil ich es für eine Touristenfalle hielt (Zéa-Hafen, Kastella-Seite, wo die 50qm-Wohnung 500 Euro kostet): Das Katzarolakia. Das klar und sachlich-modern eingerichtete Katzarolakia kocht (bei halboffener Küche) hervorragendes traditionelles Essen. Fava, Loukaniko aus Trikala, Tomatokeftedes, und Pastourmadopitakia, also auf den absolut knusprigen Punkt bereitete Filoteigröllchen mit eingerolltem Pastourmas (gesalzenes, luftgetrocknetes, hauchdünn geschnittenes Rindfleisch) … und einen Maroulli-Salat zaubern sie mir auch noch, obwohl das nicht auf der Karte steht.  Lieb gemachte Desserts gibt die Küche hinterher noch aus (Rote Bete mit Joghurt) … und ich habe zum Abschied für den Mai meinen Tisch bestellt! Weiße Möbel und tabakbraune Lederbänke hinter der großen Glaswand, hier werde ich auch im Frühsommer nicht draußen essen! (Übrigens: Nirgendwo gab es in den Januartagen die „typisch griechischen“ Papiertischdecken.)
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Und wo kommt man unter im Winter? Fast alle Hotels und Pensionen haben zu. Das „Tinion“ auf Tinos aber nicht. Das geschichtsträchtige Hotel hat immer noch ein paar Business-Kunden vom Festland. (Das Tinion wurde 1950 bekannt, weil der griechische Ministerpräsident hier wohnte, an dem Tag, bevor er wegen des Streits um die Bürgerkriegs-Todesurteile zurücktrat. Man verhandelte im heutigen Frühstückszimmer.) Im Tinion gibt mir Chef Kostas wieder mein Wunsch-Zimmer vom letzten Jahr, und ich bleibe gleich sechs Tage.
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Hotel Tinion 1950
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Hotel Tinion 1950
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Hotel Tinion nachts
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Hotel Tinion, Mitternacht. Nie den Nacht-Schlüssel vergessen …
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Hotel Tinion Tinos
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… nein, ich habe ihn. Treppe hoch, vorbei am Weihnachtsbaum.
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Sechs Tage, nicht ganz freiwillig. Da sind ja noch die wetterabhängigen Verkehrsmittel. Sie gehen, oder gehen nicht. Die im Januar immer besonders streikbereiten Gewerkschaften waren sehr nett zu mir, aber da waren ja noch die Südstürme.
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Agios Marcos Tinos
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Tinos, Kirchenwäsche bei Aghios Markos …
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Agios Fokas Tinos
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Tinos, Autowäsche am Aghios Fokas Strand. Strand …? Äh, der Strand ist heute leider nicht anwesend …
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Ja, Samstag Sonne, Sonntag Sonne, Montag Sonne, Dienstag Sonne … und Mittwoch wollte ich für den Nachmittag und Abend nach Syros, Freunde besuchen. Dienstag hatte ich mich noch telefonisch verabredet.
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Aber Mittwoch war es vorbei mit der Sonne und der Windstille. Als ich mich mittags vorsichtig nach der Aqua Jewel erkundige, die mich um 23 Uhr zurückbringen soll, schüttelt man in der Agentur den Kopf. Nein, die Aqua Jewel kommt nicht, sagt die Hafenpolizei.
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Blue Star Ithaki
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OK, dann nicht. Die Blue Star Ithaki fährt eben ohne mich Richtung Syros.
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Die Aqua Jewel fuhr im Januar ja nur die Nebenstrecke Milos-Kimolos-Serifos-Syros-Tinos-Andros, und die hätten sowieso nichts an der Tour verdient (Subventionen werden ja auch immer knapper, und der Treibstoff teurer) … aber der Sturm bleibt. Am Donnerstag habe ich noch Glück und kann wandern, bei grauen Wolken, aber am Freitag geht auf dem Wasser gar nichts mehr. In der Nacht stürmte und gewitterte es. Der neue Hafen von Tinos ist schon seit Mittwoch gesperrt, weil die Brandung das Kai überschwemmt. Die Blue Star Ithaki bleibt heute in Piräus, die Ekaterini bleibt in Mykonos.
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Tinos Kulturinstitut
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Dienstag. Morgens um acht, Vorhang zur Seite! Schön! Die ersten Sonnenstrahlen auf dem Kultur-Institut von Tinos. Früher war das Institut auch mal ein Hotel.
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Tinos Kulturinstitut
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Donnerstag. Ja, so kann es auch aussehen …
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So komme ich am Freitag gleich zu zwei „Kulturterminen“. Schräg gegenüber vom Hotel liegt das Institut der Kulturstiftung von Tinos, das von der Wallfahrtskirche von Tinos gefördert wird. Dort läuft die Ausstellung über Giannoulis Chalepas, einen Bildhauer, der aus Tinos stammt, aus Pyrgos. Aber es sieht so „zu“ aus. Test: Nein, die Tür ist nicht abgeschlossen.
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Tinos Kulturinstitut
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Chalepas Tinos
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Im Foyer arbeitet ein Techniker, der mich so erfreut wie irritiert anschaut: Ha, ein Besucher! Schon ist er am Telefon, schon habe ich eine (handdatierte) Eintrittskarte, schon bringt er mich mit dem Aufzug rauf in die zweite Etage (der Aufzug ist vollgestapelt mit Bildern von krebskranken Kindern, die kommen jetzt an die Wände), und schon kommt Athina Petkovits, die die Ausstellungsführungen macht, mit regennassen Haaren ins Haus gerannt. Also mal wieder eine Ein-Personen-Museums-Tour!
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Die Ausstellung ist bescheiden, sie besteht in erster Linie aus Gips-Entwürfen, Kopien, ein paar Studien in Bronze und ein paar Entwurfsskizzen auf Papier. Aber man kann schön zuhören, was Athina über Chalepas‘ Leben (1851-1938) erzählt. Über sein Studium in München, über seine psychische Krankheit (die Eltern lassen das „Genie“ 1888 bis 1901 in Korfu in die Psychiatrie einweisen und vernichten seine Werke), und über seine späte Karriere in den 20er Jahren, nach dem Tod der Mutter.
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Und vor dem Chalepas-Ausstellungsraum (Fotografieren verboten), dieses Bild, das kenne ich doch! Nikiphoros Lytras, das „Mädchen mit Oster-Ei“! Ist das eine Kopie, ist das nicht aus dem National-Museum? Athina verneint, selbstzufrieden lächelnd: Das Bild gehört der Stiftung, das war nie im National-Museum. (Ja, 2007 hatte das National-Museum mal eine Ausstellung auf Tinos, hier im Haus, mit griechischen Malern des 19. Jahrhunderts, da war es natürlich mittendrin …) Die Stiftung hat das Bild 2005 bei Sotheby’s ersteigert, für 276.800 britische Pfund. (Schätzpreis war nur 60.000 bis 80.000, aber die griechischen Maler des 19. Jahrhunderts werden ja gerade wiederentdeckt.)
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Lytras Osterei Tinos
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Ob ich denn vielleicht auch Künstler sei …? Hm ja, Athina, da war mal so was mit der Folkwangschule, „but there was not enough money in it, to survive“ . Kann sie verstehen. Und selbst? Nö, sie weiß viel über Kunst, aber studiert hat sie das nicht.
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So blieb auch noch Zeit für das Archäologische Museum, unterhalb der Wallfahrtskirche. Auch da bin ich der einzige Besucher, bei 2 Euro Eintritt. Dort ist aber nicht viel zu sehen. Nur der Innenhof, der ist schön januar-grün:
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Tinos Museum Hof
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Tinos Museum Soldat
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Römischer Unter(teil)offizier. Ein tolles Objekt, hätte ich gerne … und es gehört eine transparente Acryl-Tischplatte obendrauf! Es würde ein Pop-Art-Tisch, wie bei Allen Jones mit seinen Möbelmädchenskulpturen aus Fiberglas …
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Also wieder Richtung Hafen. Oh, heute sind auf der Wallfahrtsstrecke sogar Männer (!) auf den Knien, gleich mehrere! Wie das …? Sie reparieren die Anschlüsse der Laternenmasten …
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Tinos Souvenurladen
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Höchstens jeder zehnte Devotionalien-Laden hat jetzt auf.
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Bevor mich der nächste Schauer erwischt, sitze ich im Balis. „Rakomelo?“ kommt die Frage über die Theke. Nö, kleine Karaffe Raki und Mezedes, wie die Stammgäste. Der Raki kommt aus dem 5-Liter-Kanister, die Mezedes sind tagsüber etwas weniger edel.
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Samstag ist es wieder sonnigblau. Die See ist ruhig, aber die Fähren müssen immer noch in den alten Hafen. Im neuen Hafen stehen ein paar Passagiere, die man nicht informiert hat. Nicht alle schaffen es, rechtzeitig zum alten Anleger zu rennen. Dumm gelaufen. Ich sitze auf der Ekaterini nach Rafina. Von Hermoupolis kommt gerade noch die Blue Star Ithaki, ganz unfahrplanmäßig. Hm, am Samstag hätte ich eigentlich in Aegina sein wollen …
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Das Buch: Giannoulis Chalepas in the Cultural Foundation of Tinos
Alexandra Goulaki-Voutyra
Athen, Cultural Foundation of Tinos, 20 Euro, ISBN 960-88282-2-8
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WEITER MIT  WINTER TINOS 2 LIVADHA
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WEITER MIT  WINTER TINOS  3 VOLAX
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WEITER MIT  ELA MARIA!   (von Mai 2012)
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12 comments

  1. Irgendwie sehen die Tinos-Bilder nicht so richtig warm aus…

    Gut übrigens dass du deinen Tinos-Trip nicht auf die letzte Woche gelegt hast – dann wärest du jetzt noch dort weil seit Donnerstag die Fähren streiken. Nur die Skopi kämpft sich noch durch die Ägäis.

  2. Geduld Geduld … ich hab ja auch mit dem schlechteren Wetter angefangen. Die “sonnigeren” Bilder kommen auf den nächsten beiden Seiten, in den nächsten Tagen!
    Der Fährenstreik soll ja noch mindestens bis morgen weitergehen, während die Regierung droht, die Leute jetzt zur Arbeit zwangszuverpflichten.

  3. jassou Theo, wie immer ein toller Bericht mit schönen Fotos von dir. Vor allem deine Zeit bzw. Wanderungen im Livadha-Tal müssen ein Traum gewesen sein, bei dieser Ruhe und Einsamkeit die im Januar herrscht.

    Kleine Anmerkung von mir noch zum Fährstreik und der Zwangsverpflichtung zur Arbeit. Nachdem die Athener Regierung in den letzten 3 Wochen 2 Streiks – den der Metroarbeiter in Athen und den der Seeleute und Hafenarbeiter in Piräus – mit einer Notstandsverordnung gebrochen hat, plant die konservative Regierungspartei nun offenbar eine Gesetzesveränderung, die das Streikrecht noch weiter schwächen soll.

    http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w…02/2013_482696

    schöne Grüße aus Hamburg, kokkinos vrachos

  4. Das Lob über das “Katzarolakia” in Piräus nehme ich zurück, nachdem ich in diesem Jahr dort mehrfach gegessen habe!
    In der Sommersaison ist der Service dort lahm, es gibt freiwillig keine Wasserkaraffen mehr, keine Zitrone zur Manitaria, kein freies Dessert, kein …
    Viele Kleinigkeiten, die einen insgesamt nerven. Und Fava, das “gäbe es nur im Winter” …

  5. Hallo Theo,
    bin mal wieder auf Tinos und sitze gerade im Το κουτούκια της Ελένης. Danke für den Tipp!
    Immer noch sehr kalt hier. Aber das Fotografieren mit den bolligen Wolken macht Spaß. Bleibe noch 3 Tage, dann gehts wieder rüber nach Syros. Hoffe, dass ich bis zum Ende des Monats noch etwas vom richtigen Frühling mitkriege.
    Alles Gute,
    Lothar

  6. Soll natürlich «Το κουτούκι…» heißen. Schreibhilfen können manchmal ganz schön ärgern!

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