Molyvos – die erste “Residenz”

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Molyvos, Lesbos, “unser” Haus 1985
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Auf die erste Nacht am Hafen von Mytilini folgten ein paar Tage am kilometerlangen anthrazitgrauen Strand von Skala Eressou. Skala Eressou war 1985 eine recht uncharmante Ansammlung von billig hochgezogenen weißen Betonkästchen, und wir wohnten auch in einem dieser Kästen … rooms, karge Privatzimmer in der ersten Etage, unten die Sommerwohnung des Vermieters. Es war schon OK, aber … hätte ich an dem Ort drei Wochen verbringen müssen, wäre das vielleicht mein erster und letzter Aufenthalt in Griechenland gewesen.
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Wir verließen Skala Eressou nach vier oder fünf Tagen. Der nächste Weg sollte uns nach Molyvos (Mithimna) an die Nordküste führen. Um halb sechs galt es aufzustehen, um den einzigen Bus des Tages nicht zu verpassen. Der Bus war übervoll, bis zum allerletzten Stehplatz. In Kalloni mußten wir umsteigen. In Kalloni war Markt, wir hatten zwei oder drei Stunden Aufenthalt vor uns. Da standen wir nun, hundemüde, mit dem schweren Rucksack auf der Schulter.
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Es dauerte nur ein paar Minuten, dann sprach uns der erste an: “Dhomatia? Rooms?” Zimmer zu vermieten. Wir verneinen, wir wollen ja nach Molyvos. Ja, Molyvos, er rede doch von Molyvos! Wir könnten im alten Haus seiner Familie wohnen, good private rooms, cheap rooms, und er würde uns sogar hinfahren! Er müsse nur noch was einkaufen, wir könnten doch so lange einen Kaffee trinken!
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Sollen wir das Risiko eingehen? In sein Auto einzusteigen, würde uns quasi verpflichten, sein Zimmerangebot anzunehmen …! (Ich nehme an, irgendwo beim Velbinger wird auch so etwas stehen …) Wir schauen uns an. Meine Begleitung nickt zögerlich. Nein, der Typ ist nicht aufdringlich, eine ehrliche Haut in Jeans und T-Shirt. Gut, zehn Minuten für einen Kaffee. Dann sagen wir ja. Wir müssen nicht auf den nächsten vollen Bus warten, müssen in Molyvos nicht herumsuchen. Ja, der Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach …
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Unser Vermieter fährt Wartburg. Ja, tatsächlich eine barocke Wartburg-Limousine aus den 70er Jahren! War die Wahl des Auto-Typs eine politische Entscheidung? Schließlich gilt Lesbos in Griechenland als “die rote Insel”! Immerhin, das erste und einzige Mal in meinem Leben, daß ich mit einem DDR-Auto mitfahre.
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Die Fahrt geht über 20 Kilometer welliges Hügelland, und unser Fahrer hat die Angewohnheit, auf jeder Hügelkuppe den Motor auszuschalten, um lediglich mit Schwung und Schwerkraft das Tal zu erreichen. Ohne das hohle Motorgeräusch, bei geöffneten Fenstern und aufgerolltem Dach. Der Fahrer lächelt dazu und schweigt. Wenn wir Glück haben, und wenn der nächste Hügel nicht hoch ist, schaffen wir den auch noch komplett! Es klappt nicht immer, manchmal müssen wir bergauf sogar anhalten, um den Motor neu zu starten …
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Da, das Meer! Vorbei an Petra, dem Ort, wo die Frauenkooperative Zimmer vermietet, vorbei an Olivenhainen, Weinfeldern. Irgendwann haben wir die graue Burg von Molyvos vor uns. An der letzten Kreuzung vor dem Ort geht unser Weg scharf ab nach rechts, Richtung Kastro, dann ist Schluß an einem improvisierten Parkplatz. Wir sollen unser Gepäck mitnehmen, zum Haus geht es nur zu Fuß. Hm, das Haus liegt an der Südseite des Ortes, hat keinen Meerblick, das ahnt man schon von unten. Aber jetzt müssen wir da durch …
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Und siehe da, es ist gar keine Reue nötig! Es ist ein rustikales altes Bürgerhaus, mit verwildertem Garten, zwei Etagen am Hang, mit je zwei zentralen Wohnhallen und je zwei Schlafzimmern dazu, traditionell brav-und-bescheiden eingerichtet. Oben wohnt im Moment niemand. Wir ziehen unten ein, haben Zugang zur blitzblanken traditionellen Wohnküche (in minzgrün, für die SchönerWohnen-Leser unter uns), haben nette Nachbarn aus Holland, sehr … äh … rustikale sanitäre Räume dazu, und eine schöne schattige Terrasse direkt unter unserem Schlafzimmerfenster. Ja, Südseite, morgens weckt uns die Septembersonne.
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Mittag. Zuerst mal ins Bett (weißlackierte Stahlrohr-Anstaltsbetten), etwas Schlaf nachholen aus der letzten Nacht, und schon beim Aufwachen stelle ich fest: Ich fühle mich hier zu Hause! So, wie es sich die zweite hier seit heute residierende Person am Abend auf der Wohnzimmercouch breitmacht, nachdem wir unsere ersten Einkäufe erledigt haben, geht es ihr nicht anders:
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Natürlich wird in “unserer” Küche nichts anderes gekocht als Kaffee und die Frühstückseier (… wer kocht schon im Urlaub?), denn Molyvos hat einige nette Tavernen! Aber an jedem Morgen ist es für mich die erste Aufgabe, frisches Brot vom Bäcker zu holen. Nicht, daß der Weg durch das Gassenlabyrinth leicht zu finden wäre … aber schließlich wartet eine hungrige Begleitung und unsere ebenso hungrige Hauskatze. Und ich bemühe mich eifrig, als guter Nachbar jede ältere wie jüngere Nachbarin in unserer Gasse mit einem höflichen Kalimera zu begrüßen …
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Und im Wohnzimmer grüßen uns tagtäglich Portraits unserer Haus-Vorbesitzer in altertümlich-ländlicher Tracht:
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Wie mag es hier zu ihrer Zeit noch ausgesehen haben? Etwas, das mich seitdem beschäftigt und (unter anderem) zum Kauf von meterlangen Reihen von Büchern über Geschichte und Leben des östlichen Mittelmeer-Raums in den letzten 200 Jahren geführt hat. Molyvos lebte im frühen 20. Jahrhundert noch von der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte der Insel, Oliven-Seife, Öl- und Ouzofabrikation, Werftbetrieb und Fischerei.
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Wir besuchen auch pietätvoll den Platz, an den unsere früheren Hausbesitzer wohl irgendwann unfreiwillig “umgezogen” sind. Schöne Aussicht vom zypressenbeschatteten Friedhof aus, und hinten rechts im Dunst die Türkei …
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Uns fällt es auch nicht leicht, wieder umzuziehen. Wir haben leider nur eine Woche Zeit … dann wird es weitergehen nach Chios. Unsere holländischen Nachbarn ziehen auch um, sie wollen nach Plomari, der berühmten Ouzo-Stadt im Süden der Insel. Dahin komme ich erst zwanzig Jahre später, im Mai 2005. Aber im Plomari-Jahre 2005 bleibt auch etwas Zeit für einen nostalgischen Besuch in Molyvos. Und siehe da, “unser” Haus hat sich kaum verändert. Aber es ist jetzt wieder konstant bewohnt, “rooms” gibt es wohl keine mehr: Der Bäckerladen existiert auch noch, er war jedoch (mitten im Nachmittag) geschlossen.
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2 comments

  1. Hallo Theo,

    ja ich war 1985 auch in Molivos, habe sogar bis 1988 dort gewohnt und gearbeitet. Leider hatte ich seitdem keine Gelegenheit mehr hinzufahren (Kinder, Beruf etc.), aber in letzter Zeit treibt mich das Heimweh um und ich finde es schrecklich zu hören, dass z. B. von den alten Kafenieons in Mytilini nichts mehr übrig ist. Beim Anblick Deiner Fotos fühle ich mich wie in einem timetunnel, die alten babyblauen Busse!!!
    Eigentlich hatte ich immer vor, meinen Lebensabend dort zu verbringen, aber ich sollte wohl nicht so lange warten, bis alles nicht mehr wieder zu erkennen ist. (Gut zu hören, dass die KKE überlebt hat!)

    Liebe Grüße
    Hanna

  2. Hallo Hanna,
    ich hatte übrigens 2005 zum ersten Mal nach 20 Jahren wieder in Mytilini übernachtet – und ich hatte mich dazu in Deutschland mit Freunden verabredet, die sich bereits eine Woche vorher dort einquartiert hatten.

    Das Verrückte war, sie wohnten rein zufällig in derselben in “rooms” aufgeteilten Wohnung, in der ich 20 Jahre vorher gewohnt hatte, und der Vermieter war immer noch der gleiche von 1985! Ich kriegte zwar nicht genau das gleiche Zimmer, aber die Palme unter dem Küchenbalkon war noch da (nur etwas zerzauster), und der Blick von dort aufs Wasser und aufs ferne türkische Festland war teilweise mit neuen Häusern verbaut. 1985 war immer das Küstenwache-Boot das erste, was sich da draußen bewegte …

    Fahr einfach mal wieder hin, es ist noch nicht ALLES, was schön war, verschwunden! Und die Griechen sehen die Veränderungen ja sowieso ganz anders.
    Theo

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