Thomas Nicolaou: Olymp

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Thomas Nicolaou, geboren 1937 in Ambeliko in der Nähe von Karditsa/Thessalien. Er erlebte als Kind die Besetzung Griechenlands durch Hitlers Wehrmacht und anschließend den Griechischen Bürgerkrieg bis zur Niederlage der Demokratischen Armee Griechenlands (DSE). Nach der Niederlage flüchten seine Großeltern mit ihm aus Griechenland.
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Er wuchs in der DDR auf, studierte Journalistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Er schrieb Kinderbücher (“Petros”, “Nico und der Mondfisch”), war Übersetzer aus dem Griechischen (Giannis Ritsos). Er debütierte 1968 mit dem Roman “Nachts kamen die Barbaren”, der die griechische Geschichte vom deutschen Einmarsch 1941 bis zum Juntaputsch 1967 zum Hintergrund hat.
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Thomas Nicolaou war in der DDR ein bekannter Autor, war ein Freund von Christa Wolf. Über seine politische Einordnung in der kulturellen “Szene” der DDR kann ich nur wenig sagen. Da gibt es beispielsweise den Verdacht, Nicolaou hätte für die Stasi gearbeitet. (Siehe Joachim Walthers “Himmelsbrück” oder Bernd Witteks “Der Literaturstreit im sich vereinigenden Deutschland”).
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„Ich konnte anders auftreten, wenn Leute im Gefängnis saßen“, so rechtfertigt sich heute Christa Wolf von Kalifornien aus, „als wenn ich selbst am Rande des Gefängnisses stand.“ Gewiß konnte sie, tat es aber nicht. Ihr enger Freund, der Spitzel Thomas Nicolaou, brachte manchen Künstler hinter Gitter; sie, soweit bekannt, half keinem hinaus.
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In Drispeth wohnte der griechische Autor Thomas Nicolaou, der Schriftsteller um sich versammeln wollte. Und die Schriftsteller kamen nur zu gern – weil ihnen die Landschaft gefiel, und weil sie hier fern von gesellschaftlicher Kontrolle leben konnten. (…) Eine beeindruckende Versammlung von Intellektuellen (wohnte dort), die von den Einwohnern neugierig, von der Stasi argwöhnisch beobachtet wurde.”

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Es wurden tausende von griechischen Kindern (oft Waisen) während und nach dem griechischen Bürgerkrieg von der DSE in sozialistische Staaten verschickt. (Auf dem rechten politischem Standpunkt hieß das auch “entführt”.) In die DDR sollen 1300 Kinder gebracht worden sein.
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Nicolaou war jedenfalls der DDR dankbar für die Lebenschance, die er als Kind eines Kämpfers aus der linken griechischen Partisanen- und Bürgerkriegs-Szene erhalten hatte: “Und was hat die DDR für uns nicht alles getan!” (Nicolaou)
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“Nachts kamen die Barbaren” ist parteiisch, aber keineswegs eine AgitProp-Arbeit (falls Sie so etwas vermutet hatten)! Ich habe keine aktuellen veröffentlichten Arbeiten von Thomas Nicolaou gefunden, ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt, und wo er lebt! (siehe unten: Katharinas Kommentar)
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Nebenbei: Rechten politischen Hintergrund bei deutschen Reisenden in Griechenland hatten wir auch häufig genug. So manch einer veröffentlichte in den 1950er und 1960er Jahren seine Akropolis-Erinnerungen, ohne zu sagen, daß der Besuch 1943 war und er beim Besuch eine gewisse Uniformjacke anhatte …!
Also – und abschließend:
Die DDR ist hier nur zum Thema geworden, weil ich befürchte, sonst Leserreaktionen zu kriegen wie “Wie können Sie über den Nicolaou schreiben! Wissen Sie denn nicht, daß …?”
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Relevant für mich sind hier Nicolaous Besuche in Land seiner Herkunft und Kindheit. Er hat eben eine etwas andere Perspektive als unsereiner.
Er fährt nämlich … nach Hause! Da geht es über den thessalischen Bauernmarkt, da geht es zum verfallenen Haus seiner Eltern, das seit 1979 in Eigenarbeit wieder aufgebaut wird: “Und ich pendele jedes Jahr zwischen Mecklenburg und Thessalien hin und her.”
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“Einmal wieder den Olymp besteigen” war übrigens der Wunsch seines Großvaters Panajotis, der 1959 im Exil in Polen gestorben ist.
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Nicolaou erkennt 1989 noch die verwischten Spuren des Bürgerkriegs im Dorf, er weiß noch, wer damals welche Parteizugehörigkeit hatte. Er weiß vom Segen der Schlangen im Haus, von den tödlichen Verkehrsunfällen der griechischen Arbeiter, die im Sommer im Auto aus Westdeutschland kommen. Da blickt man hinter Dorfszenen, deren Oberfläche man auch selbst kennt (Fotos oft leider in grobem Schwarz-Weiß …).
Da sind jedoch auch die Fotos der antiken Trümmer-Landschaften, an denen in Griechenland keiner vorbeikommt, auch wenn sein Verlag ihm vielleicht lieber das Abbild des Proletariats abnimmt … 🙂 … und da ist tatsächlich der halbblinde Mönch aus dem Meteorakloster Agia Triada! Ihn und seine mönchische Standardpredigt zu Ehe und Familie kenne ich ja auch …
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D
avon ist schon so viel wieder Vergangenheit. Mein Lieblingsfoto ist übrigens keins aus der Dorfgesellschaft, sondern eins aus der Übergangszeit in die großstädtische “Moderne” – nämlich das der souverän und fröhlich grinsenden Verkäuferin im Periptero, mitten drin in ihrem Turm aus Schokokeksen und entschärften Pornoheften:
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W
ie oft hat man nicht selbst an solchen Zwei-Quadratmeter-Warentürmen eingekauft! Nein nein, Telefonkarten, keine Pornohefte … 🙂 …
Und man hat sich jedesmal gewundert, daß im Halbdunkel dieser Kisten auch noch das Verkaufspersonal auf seinem Stühlchen hockte, wie die Spinne im Netz. Wie oft hat man nicht mehr gesehen als die Hand, die das Wechselgeld herausreichte.
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Und neben dem Mädchen hinter den Pornoheften und Süßigkeiten gefällt mir das Bild der “Braut”. Die ist allerdings Fotomodell und posiert für ein lokales Modemagazin, als Manfred Küchler sie beiläufig erwischt. Diese “Braut”hände, die um Himmels Willen das weiße Kleid nicht anfassen dürfen!
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Eine faszinierend-traurige Geschichte ist “Der Tod des Hahnes”. Sein Schicksal ist so banal wie bitter und rührend. Gut, der Hahn im thessalischen Personenzug mag über die Rührung ganz anders gedacht haben …
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Thomas Nicolaou findet das Einmalige in solchen vermeintlichen Alltagsgeschichten. Geschichten über ein Café mit dem Namen “Neon”, ein Paar alter Schuhe, einen japanischen Touristen auf der Akropolis, die alte Frau, die an Restaurant-Hintertüren Brotabfälle sammelt für die Tauben auf dem Kotsiasplatz. Sie wird erst zwölf Tage nach ihrem Tod in ihrem Zimmer gefunden. Großstadt.
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Nicolaou: “Gewiß, ich liebe Athen. Aber ob ich darin leben möchte? Ich lebe lieber in Drispeth und Ambelico. Dort weiß ich, was ich atme, was ich esse, was ich trinke. Aber gleich kommen auch die Zweifel. Gar nichts weiß man, gar nichts.”
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Die KKE heißt übrigens in der DDR-Transkription KPG (Kommunistische Partei Griechenlands), Ouzo schreibt sich Uzo oder Ouso, Karditsa heißt Cardizza, aber daran gewöhnt man sich schnell … 🙂 …
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Fotos Manfred Küchler; Nicolaou-Portraitfoto: Ludwig Schirmer
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Beide Bücher sind vergriffen, aber in Antiquariaten leicht zu finden:

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Nachts kamen die Barbaren
Mitteldeutscher Verlag, 1968, verschiedene Ausgaben
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Einmal den Olymp besteigen
Geschichten über Griechenland
Thomas Nicolaou/Manfred Küchler
Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig, 1989
ISBN 3-354-00327-8
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6 comments

  1. Danke, Katharina, wenn ich dich nicht hätte … sage keiner, es lohne sich nicht, bei der Quellensuche auf seine Griechischkenntnisse zurückgreifen zu können … 🙂 … ich hab mir den Text gleich von Google “übersetzen” lassen. Du hast recht. Hier:

    Στις 9 Σεπτέμβρη 2008 έφυγε από τη ζωή ο συγγραφέας – μεταφραστής, φίλος ΘΩΜΑΣ ΝΙΚΟΛΑΟΥ, μέλος του ΚΚΕ από το 1958, από το Αμπελικό (Μπόσκλαβο) Καρδίτσας. Σε μικρή ηλικία γνώρισε τη θηριωδία του πολέμου, αφού μένει ορφανός από πατέρα, ο οποίος σκοτώθηκε στο Αλβανικό μέτωπο, υπερασπίζοντας την πατρίδα μας από τους Ιταλούς φασίστες.

    Σε ηλικία 10 ετών, το 1947, πήρε μαζί με τους δικούς του το δρόμο της αναγκαστικής προσφυγιάς και βγήκε στο βουνό. Την άνοιξη του 1949, μαζί με άλλα 1.300 γυναικόπαιδα, φτάνει η ηρωική φάλαγγα απ’ τ’ Αγραφα στη φιλόξενη Αλβανία. Με τη συγκατάθεση των γονιών ξεκίνησε η πρώτη αποστολή παιδιών, ανάμεσά τους και ο Θωμάς, στη Γερμανική Λαοκρατική Δημοκρατία.

    Σπούδασε στο Πανεπιστήμιο της Λιψίας δημοσιογραφία και συνέχισε για ένα διάστημα να εργάζεται εκεί ως λέκτορας. Ασχολήθηκε με τη Λογοτεχνία και έγραψε πολλά έργα στη γερμανική και μετά στην ελληνική γλώσσα. Κατά καιρούς δημοσίευσε κείμενα με το ψευδώνυμο «Μπόσκλαβος». Θεωρείται ένας από τους καλύτερους Ελληνες μεταφραστές. Εχει στο ενεργητικό του περίπου 50 λογοτεχνικά έργα και ποιήματα, μεταφράσεις έργων των Ρίτσου, Ελύτη, Σαμαράκη, Ζέη, Κοτζιά, Βαλάση, κ.ά.

    Also kalo taxidi, Thomas Nicolaou! Theo

  2. Auf Griechisch lesen kann ich selbst, wo ist die Übersetzung?

    Am 9. September 2008 verließ er das Leben des Schriftstellers – Translator, Freund Nicholas Thomas, Mitglied der von der GFS im Jahr 1958, von der Rebe (Bosklavo) Karditsa. In einem frühen Alter erlebt die Brutalität des Krieges, nach links Vaterlosen, die in der albanischen starb vor, die Verteidigung der Heimat der italienischen Faschisten.
    Im Alter von 10 Jahren, im Jahre 1947, hat zusammen mit ihren eigenen Weg und zwangen Flüchtlinge kamen in den Bergen. Im Frühjahr 1949, zusammen mit 1.300 anderen Frauen und Kinder, kommt der heldenhafte Phalanx seiner gastfreundlichen Agrafa in Albanien. Mit dem Einverständnis der Eltern die erste Mission Kinder, darunter auch Tom, der Deutschen Demokratischen Republik.
    Er studierte an der Universität Leipzig und Journalismus für eine Zeit, die Arbeit dort als Dozent. Befasste sich mit der Literatur und schrieb mehrere Werke in Deutsch und dann in Griechisch. Gelegentlich Texte veröffentlicht unter dem Pseudonym «Bosklavos». Er gilt als einer der besten griechischen Übersetzer. Über Vermögenswerte von rund 50 literarische Werke und Gedichte, Übersetzungen von Werken Ritsos, Elytis, Samarakis, zei, Kotzia, Valasi, etc.

    Im Jahr 1992 kehrte er nach Griechenland mit seiner Frau und ihrem Sohn Peter Charles und kurz nach der dauerhaft auf die Reben.
    Für all seine Arbeit geehrt wurde mit einem Schreiben Preis «Sterne der Freundschaft der Völker», die höchste Auszeichnung im sozialistischen Deutschland.

  3. Die Google-Übersetzung kannst du eigentlich keinem anbieten! Hey Moment, ist das nicht 100% google, was du da geschrieben hast … ?
    🙂 Gut, dann lassen wir es so stehen …
    Theo

  4. “Was könnte der Mensch alles schaffen, dachte ich, wenn er so viele Jahre zu leben hätte, wie es Sterne gibt! Aber die Jahre verlöschen eins nach dem anderen wie die Kerzen der Bauern in der Bergkapelle.”
    Thomas Nicolaou, 1968

  5. Nicolaou war de facto ein Stasi-Spitzel, er verriet mehrere Künstlerkollegen, von denen einige zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, und betrieb, gedeckt durch Stasi und SED, parallel dazu einen schwunghaften Handel mit Antiquitäten. Auch nach der Aufdeckung dieser Vorgänge nach 1989 hat er sich nie dieser dunklen Seite seiner Biografie gestellt. (Vgl. inkl. Quellen in: Ulf-Dieter Klemm: „Literaturagentur Stasi“, Lettre International Nr. 134, Herbst 2021, S. 50 ff.

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