Ein Bett im Konvent. San Miniato – Teil 1

Minoriten-Kloster des San Francesco, San Miniato, Toskana. Im 13. Jahrhundert gegründet, seitdem ständig umgestaltet und erweitert, was man schon an der Kirchenfront erkennt.

Wer meine Griechenland-Berichte liest, weiß, daß ich mich in religiösen Einrichtungen nicht besonders gerne aufhalte.

Es gibt daher zwei verschiedene Einleitungen zu diesem Text. Eine kurze und eine lange. Die lange Einleitung hat einen kursiven Text, den können Sie natürlich komplett überschlagen.

A. Kurze Einleitung

Für Leser, die die Don Camillo & Peppone Filme kennen. Also: Da kommen zwei Peppone-Sympathisanten aus Deutschland nach Italien, und sie finden ihre Herberge ausgerechnet bei Don Camillo.
Fertig.

B. Lange Einleitung

Ich war schon im Grundschulalter in Opposition zur katholischen Kirche, noch ohne das mit Fakten begründen zu können. (Schon den katholischen Kindergarten hatte ich erfolgreich verweigert – weil es mir vor den verschleierten Nonnen grauste.) Die Realität und das, was in der Bibel stand, passte nicht ganz zusammen – das merkte man auch als Kind.
Das entscheidende Erlebnis, das ich nicht vergessen habe, war, daß ich beim Sonntagskaffee im Kreis der frommen Verwandtschaft vom Lande die ganz naive Frage stellte: „Woher weiß man überhaupt, daß Jesus am 25. Dezember geboren wurde?“
Riesenentrüstung. Natürlich konnte das keiner beantworten, aber sowas anzuzweifeln, sei eine Frechheit, Ketzerei.
Da war ich wohl 10 Jahre alt. Und als neugieriger Jung-Ketzer habe ich dann später in alle Richtungen weitergeforscht … ja, viele Grundsätze des christlichen Glaubens sind geradezu absurd und widersprechen sich sogar. Nach der historischen Wahrheit hinter den Evangelien fragt man besser gar nicht erst.
 
Teile der Familie meines Vaters waren ziemlich verbohrte und kirchenhörige Fundamentalisten (er selber nicht). Seine Schwester war Nonne, Erzieherin in einem Kölner Waisenhaus, in dem sie auch lebte. Wie habe ich es gehasst, sie als Kind da besuchen zu müssen …

Als ich mit 23 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, geschah das nicht, um Steuern zu sparen. Ich hatte schon vorher im Kriegsdienstverweigerungsverfahren durch drei Instanzen hindurch erfolglos (!) mit (ur)christlichen Werten argumentiert.
Erst das Bundesverwaltungsgericht in Berlin konnte sich mit meiner (besonders von Karlheinz Deschner und Rudolf Bultmann inspirierten) Interpretation des Christentums anfreunden …

Was blieb, war ein halber Meter Buchrücken mit religionskritischen Arbeiten im Regal, den ich heute noch besitze. Mittendrin Bultmanns „Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen“ und Deschners „Abermals krähte der Hahn“ und „Mit Gott und den Faschisten“.

Zu Bultmanns 85jährigen Geburtstag schrieb jemand: „Nach Bultmann ist die (leibliche) Auferstehung ebenso wie die Gottessohnschaft und die Jungfrauengeburt keine historische Qualität, sondern lediglich eine

mythische Konkretisierung nach Art des antiken Denkens.“

Bultmann konnte seine Kritik mit historischen Erkenntnissen präzise begründen, war sachbezogen und nie polemisch. Deschner, der scharfe Kritiker des Kirchen-Establishments (Kriminalgeschichte des Christentums“, Band 1-10), ging mit dessen Funktionären bissiger um. Das gefiel mir besser …

http://www.deschner.info/index.htm?/de/werk/kg/verzeichnis.htm

Von Karlheinz Deschner gibt es schöne Aphorismen, etwa: „Je größer der Dachschaden, desto schöner der Ausblick zum Himmel.“
Damit sollte nicht nur die Kirche gemeint sein, da dürfen sich auch Esoteriker oder Querdenker angesprochen fühlen.

Die „Querdenker“ hat Deschner (1924-2014) allerdings nicht mehr erlebt.
🙂
So, Ende. Amen.

(Zugegeben: Der Text war im ersten Entwurf noch viel länger …)



Hier geht es richtig los: San Miniato …wie war ich (waren wir) da eigentlich hingekommen?
Wer kennt schon diese Kleinstadt am Südrand des Arno-Tales?

Nun, eigentlich wollte meine Mitreisende Marina (Marina will ich sie im folgenden Text mal nennen – wer sie kennt, weiß wie sie heißt … 🙂 ) nur mal kurz nach Pisa. Aus Gründen, die hier nicht erwähnt werden müssen. Ich hatte sie jedoch zu einer 16tägigen Rundreise durch den Norden von Italien überredet. Fünf Tage für die Toskana waren reserviert.

Aber wo sollte dort unsere Basis sein? Wir hatten vor der Reise auf einer Straßenkarte Kreise um Pisa und Florenz und Volterra gezeichnet – ungefähr da, wo sie sich trafen oder sich annäherten, wollten wir vor Ort ein Hotel suchen.
Schnittpunkt war: San Miniato. (Damals fuhr man noch spontan irgendwohin, und buchte nicht schon sechs Monate vorher im Internet eine Unterkunft.)

San Miniato, etwa 25.000 Einwohner, nur dadurch, daß ein gutes Dutzend isolierter Dörfer im Umkreis eingemeindet worden war. Der Hauptort hat nur 5.000 Einwohner. Ein Teil der Familie des Napoleon Bonaparte stammt aus San Miniato, die Filmemacher Paolo und Vittorio Taviani sind dort geboren, und sie haben 1982 ihren Film „Die Nacht des San Lorenzo“ in der Gegend gedreht.
Der Film basiert auf den Kampf der Partisanen am Ende des II. Weltkriegs, den die deutsche Wehrmacht mit ihren Repressalien provoziert hatte. (Basis sind Berichte von Zeitzeugen.) Den Film hatte ich sogar im Kino gesehen, ohne zu wissen, wo er entstanden war.

Also biegen wir an einem Sonntagnachmittag (4. Oktober) von der Straße Pisa-Empoli-Florenz nach rechts ab, fahren über einige Kehren hinauf in die Hügel.

San Miniato, schön gelegen am Rand des Tals des Arno. Die Gassen folgen dem Grat der Hügel in alle Himmelsrichtungen.

Den Ort prägte die Sonntagsruhe. Mitten drin das einzige Hotel, das im Herbst noch Gäste aufnimmt. Es wirkt echt edel, ist für uns aber für fünf Übernachtungen finanziell indiskutabel. Die Rezeption empfiehlt die Touristen-Information für die Suche nach günstigeren Alternativen.

Dort ist tatsächlich eine sehr hilfsbereite Dame im Büro. Dabei ist die Saison schon zu Ende! Die einzige Alternative im Ort sei San Francesco, der Konvent der Minoriten.
Ein Kloster …?
Keine Sorge, das Kloster sei inzwischen weitgehend säkularisiert, da hätte die Stadtverwaltung jetzt einige Büros, auch die Kirchenverwaltung, und ein Flur mit Zellen der Mönche – das Dormitorium – sei umgestaltet worden für Gäste-Übernachtungen.
Kostet …?
Doppelzimmer mit Bad … fünf Nächte, insgesamt 150.000 Lire (210 DM, 104 Euro).
Nein, keiner will wissen, ob wir katholisch sind oder verheiratet.
Frühstück …?
Nein. Aber das Kloster ist nahe an der Bushaltestelle im Zentrum, und dort sei ein sehr gutes Steh-Café. Ab dem frühen Morgen Zeitungen, Zigaretten, Kaffee, Panini, sogar frische Pizza! Was der Mensch so braucht, bevor er mit dem Bus ins Büro in Florenz fährt.
Ja, mit dem Bus, denn in Florenz gäbe es nämlich nirgendwo einen Parkplatz. Sonst kann man auch den Zug nehmen. Auch Richtung Pisa. Der Bahnhof ist im Tal, in San Miniato Basso.

Sie ruft den Verantwortlichen für die Klosterräume an, erklärt uns den Weg. Wir sollen am Eingang klingeln, dann sieht man uns auf dem Video-Bildschirm, und warten.
Es könne vielleicht etwas dauern, bis der Mann mit dem Schlüssel dort erscheint. Und er hätte gerne 50.000 als Anzahlung.
(Wir kriegen keine Quittung, weder jetzt noch fünf Tage später. Wo unser Geld bleibt, wollen wir besser nicht wissen …)

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Aufwärts geht es zum burgartigen Kloster …

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… dessen Ostfront auf den ersten Blick eher aussieht wie ein Gefängnis aus den finstersten Zeiten der Inquisition.

Der Schlüsselverwalter führt uns durch ein Labyrinth von Fluren und Treppen zu unserem Zimmer. Teilweise ist es recht finster, die Madonna erleuchtet uns irgendwo im Treppenhaus mit ihrem Neonkranz. 🙂

Auf den großen Korridoren riesige Wandmalereien – deren Inhalt sich mir nicht erschließt.

Bei der kargen Nachtbeleuchtung wirken die Bilder eher erschreckend. Sie stammen von einem Flüchtling aus Kuba, der hier früher mal aufgenommen wurde.






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Das Haus war am Weltkriegsende auch ein Asyl für die Gegner der Faschisten. Eine Tafel am Eingang dankt dem Kloster, in dem im Juli und August 1944 viele Bewohner des Ortes vor den Deutschen versteckt wurden. (Die Gegend um Florenz wurde im September 1944 von den Partisanen im Kampf gegen die Wehrmacht befreit.)

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Den Weg zum Zimmer sollen wir uns merken, hier ist abends nämlich niemand mehr im Haus. Und einen Schlüssel für den Klostereingang darf er uns nicht geben. Sicherheitsgründe. Nur den Zimmerschlüssel. Wir können zu jeder Zeit am Eingang klingeln, die Videokamera zeigt uns irgendjemandem irgendwo, und dann wird die Tür automatisch ferngeöffnet.

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Das Zimmer ist klein, aber nicht zu klein. Das Bad ist modern, die Aussicht übers Arnotal großartig. Die handtuchschmalen Betten lassen einen vor dem Einschlafen über Askese und das Zölibat nachdenken … 🙂 …

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Ich sitze am liebsten auf der Fensterbank … offenes Fenster, ein Fuß auf dem Stuhl, ein Glas Wein in der Hand, und schaue still hinaus ins weite Tal des Arno:

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Tief unter unserem Zimmer liegt der üppig grüne Klostergarten. Hier ist jeden Tag von morgens bis abends der Gärtner unterwegs und versorgt die Gemüsebeete. Wenn er mich sieht, winkt er ganz aufgeregt und freut sich wie ein Kind darüber, daß ihm jemand bei der Arbeit zuschaut. Er habe ein schlichtes Gemüt, höre ich beim Auschecken, aber als Gärtner sei er eine unersetzbare Größe.

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Wahrscheinlich gehört auch das gepflegte Grün im eher bescheidenen Kreuzgang zu seinen Aufgaben:

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San Miniato, damals zwar graffiti-frei, aber voll von wild geklebten Plakaten, die einiges vom dortigen Alltag reflektierten:

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‚AIDS ist nicht nur ein Krankheit‘ ist der Slogan der Vortragsreihe im Auditorium an der Piazza Bonaparte. AIDS/HIV, keineswegs überwunden, aber schon lange raus aus den Schlagzeilen.

Das Ginger Baker Trio hätten wir (für kleines Geld) am Ankunftstag sehen können (der Ex-Cream-Drummer Ginger Baker hatte ein paar Jahre vorher eine Zeitlang in der Toskana gelebt, und in dieser Zeit den Kontakt zur Musikszene verweigert).
Pistoia ist ja nicht weit von San Miniato. Aber wir spazierten stattdessen durch Empoli, wo Marina die Schaufenster der Schuhgeschäfte sehen wollte. Vor uns lag ja noch ein besonderes Ziel, wo man mit einem coolen Outfit Eindruck machen sollte …

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2 comments

  1. Da ist gerade dieser Text fertig, und ausgerechnet jetzt stirbt Herbert Achternbusch.
    Ich habe viel Zeit verbracht mit seinen Filmen und Büchern. Manches war sensationell, manches eher befremdlich. Das konservative Bayern und dessen religiöse Ausrichtung waren seine Lieblingsziele.
    Schauspieler wie Joseph Bierbichler und Annamirl Bierbichler haben ihm viel zu verdanken. Annamirl Bierbichlers 17minütige Monologszene in ‘Servus Bayern’ ist unvergeßlich. Joseph Bierbichler konnte mit einem viel längeren Monolog (Gastspiel im Bochumer Schauspielhaus) einen ganzen Abend füllen: Als Imker arbeitete er zwischen meterhohen Bienenstöcken und verräucherte (!) den großen Saal. Das wäre heute in einem Theater kaum noch möglich.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Gespenst
    Jesus steigt da in einem bayerischen Kloster vom Kreuz und irrt durch die Neuzeit. 150.000 Zuschauer sahen den Film im Kino – für Achternbusch-Verhältnisse eine große Zahl. Ich habe viele Leute vor Ende der Vorstellung das Kino verlassen gesehen. Ich bin geblieben.

  2. Was zum Entspannen – vor Teil 2:
    “Preachin’ Blues” von Son House, Live von Larkin Poe, Oktober 2021

    Ich liebe diese Zeilen:
    I’m gonna give me some religion
    I’m gonna join the Baptist Church
    Gonna be a preacher
    So I don’t have to work

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