Nordzypern ohne Griechen 1

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Mit diesen Stempeln im Paß kam man anschließend nicht mehr über die griechische Grenze
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Frühjahr 1986 … wir waren Mitte März ins winterliche Istanbul geflogen (später zum soeben neueröffneten Flughafen Dalaman), und waren mit dem Bus die türkische Südküste entlang gefahren, etappenweise Richtung Osten. Start in Fethiye, über die brandneue Straße nach Kas, über Kemer und Antalya, über Alanya, über Cap Anamur und Silifke, bis nach Mersin.
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Wir kamen bereits “zu spät” für die Türkische Riviera. Wir wurden schon von Freunden bemitleidet, die Orte wie Alanya noch aus den 70er Jahren kannten. Als es dort, wo jetzt die neue Stadt Alanya steht, noch nichts als Baumwoll- und Erdnußfelder gab. Nein, noch überhaupt keinen Beton und keine All-inclusive-Resorts. Alanya entwickelte sich 1986 gerade mal ansatzweise zur touristischen “boomtown”. Unsere Pension war (von der Besitzerfamilie selbst) schon fast vollständig fertig gebaut, und im aufgegebenen Garten versorgte die Oma die allerletzte Kuh des Viertels …
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Es war noch schön, an der Küstenstraße entlangzuziehen. In Mersin kamen wir Ende März an … die Stadt machte auf den ersten Blick keinen positiven Eindruck. In der Türkei hatte die irrsinnig rasende Inflation zu einem großen Bau-Boom geführt (die einzige Chance, sein Geld zu behalten und zu mehren …), und die Straße aus Richtung Westen führte an unendlich vielen Rohbauten und halbfertigen Apartmenthäusern vorbei … sechs- oder acht-stöckig, mit Meerblick. Der Abend dämmerte schon, der nagelneue Busbahnhof war noch geschlossen, also ließ man uns am Hafen aussteigen. In Sichtweite der Bushaltestelle eine taghell erleuchtete Fähre …
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Der Hafen, ein gutes Ziel … wohin fährt dieser weiße Kasten denn wohl? Nach Nordzypern, aha. Unsere Augen leuchten auf. Zypern, das ist ja fast eine griechische Insel! Kriegen wir das noch rein in unseren Reiseplan? An welchem Tag müssen wir am Lufthansa-Schalter in Istanbul einchecken …? Das schaffen wir. Der Kartenverkäufer hebt die Hand: “Aber für Sie nur erste Klasse, Sir, mit der Dame. Die zweite Klasse ist voll mit Soldaten.”
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Soldaten? Oh, ja, der Zypern-Krieg, 1974. Es dämmert etwas ganz hinten im Gedächtnis. Ja, der damalige Versuch der griechischen Separatisten, die Regierung zu stürzen und die Insel gewaltsam mit Griechenland zu vereinigen, die türkische Invasion, dann endlich der Fall der griechischen Junta … ja ja, richtig, seitdem ist der Nordteil der Insel türkisch besetzt …
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OK, dann Erste Klasse. Erste Klasse? Eine weißgestrichene 2,5 mal 2,5 mal 2,5 Meter große, fensterlose, stickige Box aus Stahlblech, von der man nicht einmal die Tür abschließen kann. Nichts für klaustrophobe Schiffsgäste. Wir sind auf dem obersten Deck, aber der Motor läßt die gesamte Konstruktion zittern. Die grünuniformierten Passagiere werden von Gittertüren aus unserem einsam-“luxuriösen” Bereich herausgehalten, aber sie machen unten Musik und sind gut gelaunt bis Mitternacht. Wir beneiden sie. Morgens um halb fünf sitze ich auf Deck, an einem windstillen Platz, hinter mir das erste Licht des Tages. Die Sonne, 100 Kilometer im Osten über der (unsichtbaren) syrischen Küste, und vorne rechts taucht die Kette der niedrigen Hügel der Karpas-Halbinsel auf: Zypern. Nord-Zypern.
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Gegen sechs Uhr kommt unser Ziel in Sicht: Famagusta. Gazimagusa, “heldenhaftes Magusa”, in der aktuellen Version von 2008. Eine lange morgengraue Reihe von Hochhäusern spiegelt das Meer, aber nirgendwo sehe ich Licht. Gähnende Rohbauten auch hier. Stille. Ist ja noch frühmorgens. Hm, das sieht hier auch nicht unbedingt nach Orient aus … dafür hole ich doch die Kamera nicht aus der Tasche! Aber da drüben, diese geköpfte gotische Kathedrale mit dem Minarett dran, echt schräg …
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Halb sieben. Die Soldaten sind schon von Bord, sie hocken auf dem Kai in Formation, hören scheinbar die Tagesbefehle. Jetzt das Dutzend Leute aus der Ersten Klasse hinterher, runter aufs Land. Da drüben stehen ein paar Taxis. Schon sind die Rucksäcke im Kofferraum. Ob der Fahrer englisch versteht? “Yes, I do, a little bit.” Ich zeige vage in Richtung der Hochhäuser. Er soll uns ins Zentrum fahren, in ein billiges Hotel … OK? Er schaut mich fassungslos an: “I cannot go there!” Wieso das denn nicht? Das wiederum zu erklären, übersteigt seine Fremdsprachenkenntnisse. Er ist ärgerlich (denn er hatte sich wohl auf eine lange Tour zur Nordküste oder nach Nikosia vorbereitet). Aber er winkt resigniert. Allah schenkt ihm heute wohl keinen guten Tag. Wir sollen einsteigen.
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Er kurvt umständlich durch die mittelalterlichen Hafenmauern, hält vor einem kleinen Laden. Ein “Travel-Office”, aha. Wir sollen warten. Er holt den Inhaber aus dem Bett. Der gähnt uns an: Wohin wir wollen? Dahin, wo die hohen Häuser sind? Nein, das geht nicht, das ist Varosha. Varosha ist gesperrt, seit dem Krieg ist das Niemandsland, da haben die Griechen gewohnt, da wohnt jetzt keiner mehr. Da stehen voll eingerichtete Hotels, klar, aber die sind seit zwölf Jahren geschlossen. Ja, haben wir denn gar keine Ahnung, was hier los ist? Hm, nee, offensichtlich nicht wirklich …
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Er verzeiht uns unsere Ignoranz. Er schlägt vor, dem Taxifahrer großzügig (Großzügigkeit fällt bei seinen Tarifen leicht) was dafür zu zahlen, daß er uns nicht blöd am Hafen hat stehen lassen. Anschließend reserviert er uns ein Privat-Zimmer in der Nachbarschaft: “Big clean rooms, not expensive!” Dann macht er sich und uns einen Tee, und dann erklärt er uns erst einmal, was hier los ist, seit dem Krieg von 1974, und was es mit der neuen türkisch-gefärbten Republik Nord-Zypern auf sich hat …
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Im gesamten Famagusta wohnt zur Zeit fast niemand. Die Stadt wurde am 14. August 1974, am zweiten Kriegstag, von den Türken erobert. Die Griechen flüchteten aus Varosha (der Neustadt) in kürzester Zeit in den zypriotischen Süden. Wer nicht freiwillig verschwand, wurden gewaltsam vertrieben. Dazu spielten türkische Tiefflieger Feuerwerk an den griechischen Immobilien. Die Spuren der Bomben kann man noch gut sehen.
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Aber das Ansehen geht jetzt nur von weitem. Die Armee hat Varosha eingezäunt, und läßt niemanden mehr rein. Am Rand ist ein einziges Hotel noch in Betrieb, eine Luxusanlage hinter Maschendraht, aber das Hotel dient zum großen Teil Militärzwecken. “Und wenn sie da hingehen, lassen Sie an den Absperrungen nirgendwo Ihre Kamera sehen! Die Soldaten haben Langeweile und freuen sich über jede Abwechslung!”
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Famagusta (Bild: Im Jahr 1615) hatte im Mittelalter das antike Salamis als Handelshafen abgelöst. Zu Zeiten der Kreuzfahrten wurde die Stadt unter der Dynastie der Lusignan zu einem bedeutenden Stützpunkt. Und später zu einem ewigen Streitobjekt zwischen den Genuesen und Venezianern … bis 1571 die Osmanen die von einer drei Kilometer langen Mauer umgebene Stadt aus genuesischer Hand eroberten.
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Und was sollen wir hier am besten tun, wo wir schon keinen Reiseführer und keine Karte im Rucksack haben, und man nicht überall hinkommt, wohin man will? Nun, einen Reiseführer kaufen kann man hier absolut nicht, aber wir können uns die Altstadt ansehen, und ins antike Salamis fahren, dann noch Nikosia (Lefkosa) und durch die Berge an die Nordküste, nach Kyrenia.
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Kyrenia war auch eine überwiegend griechische Stadt von 20.000 Einwohnern, heißt jetzt aber Girne, und es wohnen dort kaum noch 7.000 Leute. Den griechischen Grundbesitz übernehmen nach und nach mittellose Türken vom Festland, denen suggeriert wird, an den Besitzverhältnissen würde sich nie mehr was ändern.
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Famagusta, St. Nikolaus-Kathedrale (seit 1571 Moschee)
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Die Hälfte der Altstadt von Famagusta hinter den Stadtmauern ist grasüberwachsenes Brachland. Nicht erst seit der türkischen Invasion von 1974. Hier gab es keine ausgeprägten griechischen oder türkischen Viertel. Hier ist viel Platz, seit die Briten 1878 die Insel übernommen haben, und die Holzhäuser der weggezogenen Türken verfielen. Es ist jetzt so ruhig, daß ich auf einer Wiese in Sichtweite der Kathedrale, die zu Kreuzfahrer-Zeiten die Krönungskirche der Lusignan-Dynastie war (seit 1571 ist die Kirche die Lala-Mustafa- Moschee) sogar ein Chamäleon im Halbschlaf entdecke.
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Und wenn ich an die Verkäufer von Imbissen und Süßigkeiten im abendlichen Hochbetrieb von Istanbul oder Athen denke, wie kriegt dann dieser Nußverkäufer die Zeit herum? Er hat zwar auch keine Konkurrenz, aber zur abendlichen Spaziergangszeit sind wir die einzigen potentiellen Kunden weit und breit.
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Und der überdachte Basar von Famagusta war früher angeblich so berühmt für sein orientalisches Ambiente und Angebot. Jetzt ist dort fast gar nichts los. Ruhe. Die Kunden fehlen. Der Kartoffelhändler posiert für mich (ungefragt) als Frischfleischverkäufer …
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Weiter mit Seite: NORDZYPERN OHNE GRIECHEN – 2
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Übrigens gibt es auf der dritten Nordzypern-Seite eine Kurzfassung der jüngeren Geschichte der Insel.
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9 comments

  1. Lieber Theo,
    vielen Dank für deinen (wie immer) tollen Zypern Bericht.
    Zypern, ein eigenes Thema. Man wird gespannt sein müssen, wann wirklich eine Entspannung kommt.
    Auf jeden Fall weiß ich jetzt wieder etwas mehr.
    Danke
    Dieter

  2. Hallo Dieter, wegen des Hintergrundwissens habe ich auf der dritten Nordzypern-Seite noch eine kurze Übersicht über die politische Situation … aber meiner Seiten-Statistik zufolge liest kaum einer die dritte Seite … ich komme gerade aus Griechenland zurück und habe das da mal angesprochen, aber da ist Zypern wohl auch kein so großes Thema mehr. Theo

  3. NICHT DIE FORTSETZUNG DER SEITE ÜBERSEHEN!
    Da ist ein Link am Textende für Teil 2 und Teil 3.
    Das ist hier nur die Einleitung … 🙂 …
    Theo

  4. Diese Stempeln im Pass; IST EIN AUSREISE STEMPEL. Diese Stempeln bekommt man in Pass, in der ganzen Welt, auch in der Deutschland, wenn man als Fremde das Land verlassen wird.
    Wenn Sie, mit diesen Stempeln im Paß über die griechische Grenzen nicht mehr passieren dürfen; das liegt an der GRIECHESCHEN LAND und REGIERUNG.

  5. Auf der Seite sieht man sowohl den Einreisestempel (29.03.) wie den Ausreisestempel (06.04.). Mit dem Einreisestempel gibt es in Griechenland auch heute noch Probleme, aber zur Einreise nach Griechenland reicht ja auf alle Fälle der deutsche Personalausweis – bzw. jetzt geht es innerhalb der EU auch ganz ohne (Schengen-Abkommen).

  6. Aber wissen Sie seit wann ist es so; Einreise mit der deutsche Personalausweis?
    (Übrigens sie dürfen auch nach Türkei mit der deutsche Personalausweis ohne probleme einreisen. Obwohl der Türkei nicht in der EU ist)
    JAHR 1986 NOCH, DURFTE MAN NACH GRIECHENLAND NUR MIT EIN PASS.
    Mit dem Einreisestempel gibt es in Griechenland auch heute noch Probleme, weil die akzeptieren immer noch nicht ein Türkischen Republik Nordzypern existiert.

  7. Lieber Theo

    Sie sind bestimmt ein Grieche. Sie wollen die sache als griechische Augen sehen und tun, hier damit gegen Türken und Türkei ein propaganda machen. Bitte, sehen Sie die sache auch von Anderen fenster.

    Was die Griechen, an Türkische Volk angetan haben und ermordung an Türkischen Volk, haben wir nicht vergessen. Die Griechen wollen unbedingt ein Zypern ohne Türken haben. Dafür tun die Alles. Die müssen erst mal, ermordung an Türkischen Volk
    verantworten.

    Mit freundlichen Grüßen

  8. Nein, ich bin kein Grieche … 🙂 … und das sind hier 3 Seiten, auf denen ich den Fall Zypern objektiv darzustellen versuchen, nicht von einer Seite.
    Das ist hier nur die 1. Seite. Lesen Sie mal das Ende auf Seite 3, Tomris! Da steht auch, was die Griechen angerichtet haben.
    Theo

  9. Die Türkei will sofort den Zugang zum Strand von Varosha (Vorort von Famagusta) wieder erlauben. Der Vorort ist seit 1984 “neutral” – verbotenes, gesperrtes Gebiet, wo niemand mehr wohnt – und darf nach UN-Beschluß irgendwann einmal nur von den ehemaligen Eigentümern bzw. deren Rechtsnachfolgern betreten/genutzt werden.
    Erdogan hat gerade sein umstrittenes Gas-Forschungsschiff aus der See vor der Insel abgezogen, und schon hat er wieder einen neuen Streit angefacht. Griechenland und die UN haben schon protestiert:
    https://www.ekathimerini.com/257775/article/ekathimerini/news/un-concerned-at-turkish-move-to-open-up-cypriot-beach

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