Cinque Terre 2 – Maledetti turisti …

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„Die Cinque Terre sind Monumente menschliches Mutes, menschlicher Geduld und menschlicher Widerstandskraft. Den Fels in Stufen und Terrassen zu zersägen, Erde dorthin zu schaffen, auf ihr Weingärten anzulegen – und der Seewind verbrennt die Vegetation; und Erdrutsche und Springfluten: was eben erst geschaffen, stürzt ein, das Wasser schleppt die Erde davon und fegt alles blank; Arbeit eines Lebens, eine Unwetternacht macht sie ungeschehen. Doch der Mensch verliert deshalb seinen Mut nicht; er beginnt von neuem.“

Vittorio G. Rossi „Verlangen nach Sicherheit“, MERIAN 2/XII „Italienische Rivera“, 1959

Es sind nicht nur anonyme Naturkräfte, die hier Leben und Arbeit gefährden. Der Mensch ist sein größter Feind. Und es braucht nur ein paar leichtsinnige Idioten …

Zweiter Oktober. Weinlesezeit, trockenes Spätsommer-Wetter. Wir sind mittags unterwegs auf den schmalen Pfaden zwischen Corniglia und Vernazza. An den Steilhängen dominieren dort nicht die schmalen Weingärten, ganze Bereiche hat man besser der Natur überlassen. Niedriges Gebüsch, gedrungene Bäume und Kakteen halten mit ihren Wurzeln die Erde am Hang fest.

Noch grün – am Weg zwischen Corniglia und Vernazza, unterhalb von San Bernardino

Fast niemand begegnete uns damals. Kaum jemand kannte die Cinque Terre. Im Offiziellen Führer des Touring Club Italien von 1985 (5 Bände, 1500 Seiten) bleibt insgesamt etwa 1 Seite für die Orte der Cinque Terre Region.
(Muß heute schlimm sein, wo sich ständig ganze Wandergruppen auf den schmalen Pfaden ausweichen müssen … wo an Sommer-Wochenenden die Wege wegen Überfüllung gesperrt werden müssen. Die Cinque Terre sind jetzt Nationalpark und UNESCO-Weltkulturerbe und weltberühmt. Und das Betreten des Hauptwanderwegs – Sentiero Azzurro – ist gebührenpflichtig!)

Die Nasen spüren es als erste. Es riecht verbrannt. Links und rechts vom Weg immer mehr verkohlte Pflanzen. Zwei Leute kommen uns entgegen. Sie kommen aus Vernazza. Da käme noch was auf uns zu, erfahren wir …
Irgendwann kommt man an eine Stelle, die eine Übersicht über die Küste erlaubt. Ab hier ist alles nur noch grau in grau.

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Auf dem Weg vor uns ein älterer Mann. Auch grau, nicht nur  im Gesicht, übernächtigt, im staubigen Gesicht Spuren von Tränen der Wut. Oder sind die Augen nur überreizt vom Rauch?

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Er ist froh, daß er reden kann. Egal mit wem.
Er ist aus dem Ort, macht hier noch Brandwache, und was wir dort sehen, gehört auch ihm.

Gestern, am frühen Abend, hat es angefangen zu brennen. Touristen hatten unten am Meer übernachten wollen (Campen ist streng verboten) und sie hatten ein Lagerfeuer angezündet (noch mehr verboten). Der böige Seewind hatte nach kurzer Zeit Funken in das trockene Buschland getragen, dann raste das Feuer blitzschnell hinauf bis fast zum Dorf San Bernardino.
Hatte sich nicht mal Zeit genommen, dort diesen Holzmast vollständig abzubrennen. Der unverbrannte obere Teil des Mastes schwebt fast in der Luft, er wird noch von den Telefondrähten festgehalten.
Und die Feuerwehr? Wie soll die denn hierher kommen? Es hat nur kurze Zeit gedauert, dann hat das Feuer von selbst aufgegeben. Aber jetzt, alles ist weg, alles.

Die Brandstifter sind wahrscheinlich mit ihrem Boot entkommen. „Maledetti turisti!“

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Wir sollen vorsichtig sein auf dem Weg nach Vernazza. Noch ist nicht alles gelöscht. Noch
sehen wir ein Flugzeug im Einsatz. Schwacher Rauch steigt noch auf aus Stellen unterhalb des Weges. Es sind fast drei Kilometer zwischen Corniglia und Vernazza. Umkehren bringt es auch nicht. Hoffen wir drauf, daß Löschflugzeugpiloten gut zielen können …

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Der Weg ist nicht gesperrt. Niemand hält uns auf. In Vernazza spürt man vom Feuer nichts mehr..

Jemand wird jetzt einwenden, Holzasche wäre doch bester natürlicher Dünger für die landschaftlichen Flächen: Alles bio, oder was?
Mag ab und zu stimmen, aber nicht hier an der Steilküste. Der erste Winterregen wird die lose Asche ins Meer spülen, und die ungeschützte Erde wird folgen.

Cinque Terre wird allerdings in letzter Zeit häufig von Naturkatastrophen getroffen. Am 25.10.2011 kam es zu einem unvorstellbaren Starkregen mit Erdrutschen, der besonders Monterosso und das enge Tal von Vernazza traf. Dort war die Hauptstraße des Dorfes bis zur Höhe der ersten Etage mit Schlamm, Felsbrocken und gestautem Wasser überschwemmt.
15 Menschen starben. Es dauerte zwei Jahre, die Schäden zu beseitigen. Fotodokumentation:
https://www.incinqueterre.com/de/disaster-25-10-2011

Auch heute (Januar 2022) sind nach weiteren Unwetterschäden Teile des “Sentiero Azzurro”-Hauptwanderweges gesperrt:
Die “Via dell’Amore” zwischen Riomaggiore und Manarola ist gesperrt bis zum Frühsommer 2024. Der meernahe Weg von Manarola bis Corniglia ist bis 2023 gesperrt.
Auf Umwegen können Sie die Strecke von Riomaggiore nach Corniglia jedoch zurücklegen.

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