Sikinos 2 – Episkopi, die Vasensucher und ich

Episkopi Heroon Sikinos
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Sikinos, die Insel, die nur eine einzige antike Sehenswürdigkeit hat: Die Klosteranlage von Episkopi. Im Inselwesten, auf dem früheren Gräberfeld der antiken Siedlung. Episkopi, das in byzantinischen Zeiten zur Kirche umgebaute Mausoleum eines wohlhabenden Römers. Wer mal hier auf der Insel war, hat diesen Ort auf jeden Fall gesehen. Gesehen, beschrieben, fotografiert …
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Und wer war der erste, der seine Entdeckung beschrieben hat? Es war Dr. Karl Gustav Fiedler, Geologe und Königlich-Sächsischer Berg-Commissair. Das war noch zu Zeiten, als man noch ohne Kamera reiste. Und noch keine Fotos ins Netz stellte. Vor 180 Jahren.
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(1)  GUSTAV FIEDLER …
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Auf S. 155/156 des zweiten Teils seiner „Reise durch alle Theile des Königreichs Griechenland – in Auftrag der Königl. Griechischen Regierung in den Jahren 1834 bis 1837“ (Leipzig 1841) schreibt er:
„Von hier weiter in Südwest kommt man bei einer Kirche Ajia Marina vorbei, welche von einigen Feldern umgeben, auf einer kleinen Gebirgsebene steht.“
(…) (Nicht ganz richtig. Aghia Marina ist die Gipfelkapelle westlich vom Heróon! Das Heróon ist die Kimisis tis Theotokou.)
„Wir fanden alte Cisternen, und zwischen den Trümmern Scherben zerbrochener, altgriechischer Gefässe.
(…) (Gefäße? Aha. Dazu später …)
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Zisterne Episkopi Sikinos
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Baustelle Schild EpiskopiEine Zisterne liegt im Kirchenvorhof. Man schaut durch die Zwischenräume ins Schwarze, traut sich aber nicht, auf die Abdeckung zu treten. Schließlich steht da noch eine eindrucksvolle Warntafel, die von den letzten (abgebrochenen?) Restaurationsarbeiten übrig blieb.
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„Die Kirche Ajia Marina ist einer näheren Betrachtung werth. Sie ist in und zwischen einen alten Tempel hineingebaut, der dadurch vielleicht vom völligen Einsturz bewahrt wurde.“
(…)
„Der Tempel ist vorn etwa 2 ½ Lr. breit, 2 Säulen stehen zur Hälfte hervor, sind mit Kalk übertüncht, eine niedrige schmale Thüre führt hinein. Die langen Seiten des Tempels messen 3 ½ Lr., die Architraven sind noch sehr gut erhalten.“
(…) (Lr. = Lachter, ein altes Bergbau-Maß, entspricht knapp 2 Meter. Fiedler hat wohl nicht die heutigen Außenmaße bestimmt, das Gebäude ist nämlich außen circa 7×10 Meter groß.)
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„An einem Seitenpfeiler ist eine Marmorplatte mit der Inschrift eingemauert, aus welcher hervorgeht, dass dieser Tempel dem Apollon Pythios gewidmet war. Bei meiner Rückkehr nach Athen gab ich von meiner Auffindung dem Professor der Altertumskunde Dr. Ross Nachricht davon, da in neuern Werken nirgends etwas von einem Tempel auf Sikino angegeben ist.
Dr. Ross war überrascht, reiste aber im folgenden Jahre dahin, und hat eine Beschreibung dieses Tempels in den Schriften der Universität zu Athen gegeben.“

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Die Auffassung, das Heróon sei ein „richtiger“ Tempel gewesen, wurde erst im 20. Jahrhundert widerlegt. Es war ein römisches Grabmal. Im 7. Jahrhundert wurde es zu einer Kirche umgebaut. Im 17. Jahrhundert wurde der Komplex noch einmal umgestaltet, wahrscheinlich nach einem Erdbeben. Aus der Zeit stammen auch die umliegenden Klostergebäude, von denen nicht allzuviel erhalten blieb. Bestandteile des antiken Gebäudes, wie diese Zinnenfries-Stücke aus Marmor, wurden als Türpfosten oder Fundament recycelt:
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Fries in Mauer Episkopi
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Auf der Hochebene und am Berghang im Westen lag übrigens die antike ionische Stadt Sikinos. Von ihr ist kaum etwas geblieben.
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(2)  LUDWIG ROSS …
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Ludwig Ross beschreibt das Heróon sehr genau (fünf Seiten in „Reisen auf den griechischen Inseln des Ägäischen Meeres“, Band 1, Cotta/Stuttgart/Tübingen 1840). Er erwähnt sogar, daß die Kirche von Episkopi wegen der Deckenkonstruktion einer kleinen Grabstätte (Heróon) auf Thera ähnele, hält das Gebäude auf Sikinos aber doch für einen alten Tempel.
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Dreizehnter Brief. Pholegandros – Sikinos – Ios, S. 145: „… fanden wir das Ziel unseres Rittes, die Kirche Episkopi, umgeben von einem Vorhofe und einigen kleinen, aber unbewohnten Wirthschaftsgebäuden. Diese Kirche ist aber nichts Anderes, als das alte Heiligthum des pythischen Apollon.“
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Er sieht, daß die Kapelle der Aghia Marina auf dem Gipfel liegt, und vermißt das Gebäude von Episkopi: 7,30 x 10,40 Meter. Daß unter der Kirche ein Hohlraum ist (die Krypta), erzählen ihm Einheimische. Das kann er sich gut vorstellen, da das Gebäude in den Hang hineingebaut ist und im Süden hohe Stützmauern hat: „Unwahrscheinlich ist dies (der Hohlraum) nicht; da man sonst nicht wohl begreift, weßhalb die Alten sich die Mühe gegeben, einen so hohen Unterbau auf der Südseite auszuführen, während der Tempel kaum zehn Schritte weiter nördlich auf festem ebenem Felsgrunde errichtet werden konnte.“
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Ross findet noch zwei Portraitbüsten mittlerer Qualität und hält das ganze Ensemble mit der umliegenden Nekropolis für zweitrangig. Womit er recht hat. Besonders, was die Kirche angeht.
Der Steinbunker, den ein paar armselige mittelalterlich-orthodoxe Baumeister zusammengesetzt haben, sieht aus, als sei er aus den übrig gebliebenen Lego-Klötzchen zusammengesteckt, die der böse große Bruder dem armen kleinen Bruder gnädig überlassen hat.
(Der große Bruder hatte sein Geburtstagsgeschenk, den Bausatz ‘Neuschwanstein’, 299 Euro, zusammengebaut, und vergessen, das Torhaus vollständig zu montieren …)
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Das einzige, was mich beeindruckt hat, war die verwitterte Struktur der uralten Holzbretter der Tür. Die ist eine meditative Betrachtung wert:
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Tür Episkopi Sikinos
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Ross schließt seine Beobachtungen ab mit: „… haben die Bauern hier öfter Vasen gefunden, aber sie versicherten uns, daß sie sich keiner einzigen mit Figuren geschmückten entsinnen könnten.“
So so … wer weiß, wenn Dr. Ross‘ königlicher Spesensatz höher gewesen wäre, hätten die Einheimischen vielleicht doch noch was in der Truhe gefunden, was sie unter Umständen hätten entbehren können …
Aber was diese Vasenfunde von Episkopi angeht, warten Sie noch ein bißchen!
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(3)  UND NUN ICH … 🙂 …
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An diesem Mai-Tag im Jahre 2015 wollte ich eigentlich nur die beiden Dörfer auf der Höhe sehen, Kastro und Apano Chorio. Aber das Wetter war so glänzend, der Wind so brav, daß ich über meinen leeren Magen hinweggehört habe und einfach weitergelaufen bin.
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Erstaunlich, wie intensiv die Terrassen an der Nordküste immer noch bewirtschaftet werden, wenigstens in der Nähe der Dörfer:
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Villa Kastro Sikinos
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Der Getreide- und Weinbau der Insel wurde ja schon vor Jahrhunderten gerühmt. Davon lebten vor 200 Jahren noch 700 Inselbewohner. Und auf das erste, an der Straße hingestreckte Weingut muß man nicht allzu lange warten. Es ist das einzige “richtige” Weingut, das seine Erzeugnisse auch vermarktet. Meist wird ja nur für den Eigenbedarf produziert:
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Weingut Sikinos
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Wein SikinosIch bin extra nicht vorher auf den Fußweg unterhalb der Asphaltstraße abgebogen, weil ich diese Anlage sehen wollte.
Zu anderen Zeiten als im Mai gibt es da ja auch Weinproben, über die die bisherigen Besucher allerdings geteilter Meinung waren. Im Mai herrscht dort Ruhe, wahrscheinlich lassen sich sogar die Wassertanks der Rebhänge automatisch bedienen.
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Kurz vor dem Ende der Straße wirken die Terrassen schon etwas zerzauster. Aber oben links läßt sich das Heróon ausmachen, und im dunstigen Hintergrund die Silhouette von Folegandros:
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Episkopi und Folegandros
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Hinter dem Wendekreis am Ende der leicht überbreiten und leicht überflüssigen Straße, die aus Sicherheitsgründen sogar einen ununterbrochenen Mittelstreifen hat (überholen verboten, haha), treffen die Fußwege aufeinander. Im Hintergrund die Anlage von Episkopi, von hinten, mit den südlichen Stützmauern an der linken Seite:
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Wanderwege Episkopi
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Vasen Episkopi SikinosMeine Schritte sind inzwischen etwas langsamer geworden, mein Blick streift den Straßenrand. Was ist das? Zwei echt supergeschmackvolle Porzellan-Vasen, Made-in-China wahrscheinlich.
Na, sowas gehört doch in die Kirchenobhut, oder? Hinein in den Rucksack!
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Aber zuerst mal vorbei an der Anlage, um einen Gesamteindruck zu haben:
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Episkopi Heroon Sikinos
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Die Wanderführer empfehlen den Ort als Picknickplatz (wenn man nicht noch hinauf zur Kapelle der Aghia Marina will). Aber ich habe ja nichts zu essen eingepackt.
(Der Magen muß noch warten bis viertel vor drei – da laufe ich im letzten Moment in Kastro im Kapari ein: Jetzt was Grundsolides … Mythos frisch gezapft, Keftedes, Patates, und zum Verdauungs-Helleniko noch ein Tellerchen Loukoumi und ein fingerhutkleiner Raki …)
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Ich streune in der und um die Anlage von Episkopi eine ganze Zeit lang herum. Welche Stille. Nur die Vögel. Nur die Frühlingsblumen. Nur der Wind. Hier ist kein Mensch. Die Kirche ist abgeschlossen. Drinnen stehen noch das Baugerüst, Werkzeug und Stützbalken – Richi
(Kykladenfieber.de) hat es durch die Ritzen in der Tür sogar fotografiert. Ich hinterlasse meine großzügige Vasen-Spende auf der Türschwelle.
Tja, Herr Ross, Herr Fiedler, was sagen Sie dazu, als alte Gefäßforscher … 🙂 …?
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Tür Vasen Episkopi
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Bevor ich gehe, räume ich die Geschmacklosigkeit jedoch wieder weg, stelle die Vasen auf eine Fensterbank, wo der Wind über ihr Schicksal entscheiden soll. (Sieht der grelle Kitsch vor der edlen Tür nicht furchtbar aus?)
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(4) … UND WEITERHIN, WAS BLEIBT ZU TUN?
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Ja, was ist nun mit der 300.000 Euro teuren Asphaltstraße, die von Kastro nach Episkopi führt? EU-gefördert, sechs Jahre Bauzeit. Ich war drei Stunden zu Fuß auf der Strecke unterwegs, und ich habe in dieser Zeit exakt drei fahrende Autos gesehen, drei. Bei dieser Investition muß man nacharbeiten. Aber … Sikinos hat nicht einmal eine Hafenpolizei, und noch viel weniger gibt es hier eine Initiative für die touristische Selbstvermarktung.
Also Leute, ein Gebäudekomplex wie das Kloster Episkopi braucht ganz dringend eine Marien-Erscheinung! Die wäre kostenfrei und optimal für den Fremdenverkehr! Ist hier denn keine wundertätige Ikone versteckt? Seht doch mal nach!
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Zu schade, daß ich bloß diese häßlichen Blumenvasen gefunden habe … hm, Blumen … gibt es nicht wenigstens eine heilige Flora? Tatsächlich, die gibt es sogar! Spanien, neuntes Jahrhundert. Aber wer würde eine Wallfahrt zur heiligen Flora machen? Na egal. Wollte ich nur mal erwähnt haben.
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3 comments

  1. Nix gegen die besondere Stimmung des Umfelds von Episkopi, habe ich ja oben hoffentlich auch durchscheinen lassen. Das macht das Kirchengebäude selbst aber nicht schöner.
    Gut, bei der finanziellen Armut und Unaufgeklärtheit, die im 7. bzw. 17. Jahrhundert auf der Insel wohl geherrscht hat, muß man auch froh sein, daß sie die ganzen antiken Reste nicht einfach für eine Terrassenmauer oder einen Ziegenstall verwendet haben.

    1. “Nix gegen die besondere Stimmung des Umfelds von Episkopi, habe ich ja oben hoffentlich auch durchscheinen lassen.” = hast du.

      “Das macht das Kirchengebäude selbst aber nicht schöner.” = Geschmäcker sind halt verschieden. Mich hat das Heroon/Episkopi richtig vom Hocker gehauen.

      vg, kv

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