Überleben auf Syros – 2022

Treppenwege, typisch für Ermoupolis. Hier zum Hotel Omiros und nach Ano Syros.

Es ist etwa 30 Jahre her, daß ich zum ersten Mal auf Syros auftauchte. Und es war Zufall: Wir wollten mit der Nachtfähre nach Astypalaia, aber es gab keine Kabine mehr (vielen Dank, Studiosus-Reisen). Also haben wir nur Sitzplätze bis zum ersten Zwischenhalt gebucht, wo wir aussteigen konnten, um am nächsten Tag weiterzureisen. Das war Ermoupolis. Und wir sind auf Syros geblieben …

Einer der Gründe war, daß wir das beste Zimmer im Hotel Omiros kriegten (vielen Dank, Klara). Ich weiß nicht, wie oft ich seitdem im Omiros gewohnt habe. Es ist etwas abgelegen, oberhalb des Zentrums von Ermoupolis, und ist nur über einen langen, ermüdenden Treppenweg zu erreichen. Ein Taxi kann einen nur – wenn die Gassen nicht zugeparkt sind – in der Nähe des Hauses abliefern.

Paradise Rooms, (rechter) Teil der Panorama-Aussicht in der 3. Etage

Seit meinem Unfall vor sechs Jahren lassen meine Knie nicht mehr zu, daß ich diesen Weg zurücklege. Ich habe verschiedene Alternativen in Hafennähe durchgetestet, aber nichts war zufriedenstellend. Diesmal waren die „Paradise Rooms“ an der Reihe, Odos Omiros 3. Schon da muß man seinen Rollkoffer über 20 hohe Stufen hochziehen. Es sei dort „ruhig“, und man müsse erst beim Auschecken bezahlen, steht bei booking.com.
Der ältere Herr, der das Haus leitet, besteht allerdings auf „cash“ beim Einchecken (weil er schon so oft von Gästen betrogen wurde). Und daß jemand in der Nachbarschaft jeden Tag bis zu vier Stunden (!) ohne Pause Klavier übt, müssen Sie hinnehmen. Wirklich gute Aussicht nur von den Balkonen der Zimmer 34 und 35. Aufzug vorhanden. Die „Paradise rooms“ sind inzwischen ein Hotel garni geworden … früher waren es die billigsten Zimmer im Ort.
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Das war mal wieder meine berüchtigte lange Einleitung. Über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und seiner Umgebung habe ich genug berichtet. Muß ich nicht wiederholen.
Ja, eine neue Galerie hat aufgemacht, man erinnert sich offiziell an das Katastrophenjahr 1922, die Werft hat wieder Aufträge …
Ich halte es diesmal in erster Linie mit den kulinarischen Erlebnissen, fünf Tage in halbwegs chronologischer Reihenfolge.
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Freitag: Zum Auftakt Essen beim Italiener am Fähren-Anleger (Amvix). Man sitzt gerne vor der Tür. War nie enttäuschend. Diesmal schon. Als Zugabe unglaublich lauter Durchgangsverkehr, und neben mir steht ein aufdringlicher älterer Grieche, der unbedingt wissen will, was das denn sei auf dem Teller vor mir. Die Kellnerin rauscht heran, erklärt es ihm geduldig: Hausgemachte Ravioli gefüllt mit Spinat, Käse und sonstwas, in Buttersauce. Offenbar versteht er nix, aber er nickt stumm und geht.
Danach auf einen Ouzo am Hafen-Nordende, wo ich mich endgültig erkälte. Penetrante Hustenanfälle, mein Papiertaschentücher-Vorrat sinkt ins Bodenlose.

Samstag: Der selbständige Bäcker an der Platia Miaoulis hat aufgegeben, der Laden gehört jetzt einer Filialkette. Die Auswahl ist jetzt riesig, geht über das Bäckereiangebot weit hinaus. Spanakopita und Milopita sind großartig, aber zu groß für meinen morgendlichen Appetit. (Überlassen Sie Brotreste nicht den nervigen Flugratten des Platzes, es gibt genug Mülleimer.)

Ich fahre recht spät mit dem Taxi hinauf nach Papouri. Hunger habe ich keinen mehr, aber ich muß dringend sehen, wie der verfeindete Nachbar eine Fertiggarage ausgerechnet vor die Terrasse des T’Aloni gesetzt hat, um die Aussicht auf den Sonnenuntergang und das Meer zu versperren:

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Ausweichen auf den Dreschplatz ist kaum möglich, wegen des Windes.

Er hat es zuerst mit einem mannshohen Maschendrahtzaun versucht. Ist verboten. Das Bau-Amt hat verlangt, daß er den von der historischen Bruchsteinmauer entfernt. Hat er getan. Umgehend kam die Garage, die er ab und zu als Werkstatt nutzt. Ist nicht verboten.
Thanasis hat, als er seine Taverne dort gebaut hatte, übersehen, daß sein Grundstück noch im katholischen Einzugsbereich von Ano Syros liegt. Thanasis ist (A) orthodox, und (B) nicht von der Insel. Aber wen interessiert das heute noch, Katholiken sind doch immer tolerant, weltoffen, voller Nächstenliebe …
„Thanasis, Meike, könnt ihr nicht einen Beamer installieren und so den Sonnenuntergang auf die Garagenwand projizieren?“
Meike lacht: „Der Typ würde die Wand sofort schwarz streichen!“


18 Uhr, Personalessen. Bis dahin hat mir ein kleiner Petersiliensalat gereicht. Die letzten Gäste sind weg. Thanasis räumt schnell das gigantische Naxos-Omelette ab (8 Eier), als ich die Kamera hole. Wieso? Ärger vermeiden! Weil die Gäste alles bestellen, was sie mal auf einem Foto gesehen haben. Und Thanasis bietet nie Omelette an.
Warum? Seine Hühner produzieren dafür nicht genug. Es war auch kein gutes Kapern-Jahr. Den selbst produzierten Wein gibt es auch nur noch für den Eigenbedarf. Aber Thanasis opfert einen halben Liter für uns.
Das Lokal ist im Mai nur am Wochenende geöffnet.

To Mikraki, Odos Thermopilon

Sonntag: Der Bäcker hat zu. Meike hatte empfohlen, im „Hotel Hermes“ zu frühstücken. Reiches Buffet, auch für Nichtgäste, 8 Euro/Person. Leider wird schon um 10 Uhr abgeräumt. Das ist nicht meine Zeit…
Kaum jemand ist mittags unterwegs, meine Erkältung ist fast weg (Bio-Hustensaft aus der Apotheke, und man nehme immer doppelt so viel wie empfohlen). Seufzend vorbei am (geschlossenen) Laden von PREKAS mit seinem riesigen Käseangebot und den anderen guten Sachen aus Kreta.
Ich fange den Tag mit Mezedes und Bier an. In den Gassen hinter der Hafenstraße ist so manche kleine Taverne versteckt. Ich bin zunächst der einzige Gast im „To Mikraki“. Die Umgebung ist nett, die Wirtin auch. Das Essen ist mau. Die winzige Portion Hummus (5 Euro) ist mit Gurkenstücken gestreckt, die vier Kolokithokeftedes sind nur daumengroß und ölig.
„το μικράκι“ heißt „die Kleine“. Meint wohl die Portionsgrößen …

Hummus To Mikraki
Abendspaziergang, Stamatiou Proiou. Diabetiker, bitte wegschauen!

Montag: Morgenspaziergang. Zuerst in die Buchhandlung. Ich verlange nach „Η Πορνεία Στην Ερμούπολη το 19. Αιώνα“ (Prostitution in Ermoupolis im 19. Jahrhundert) von Θωμάς Δρικόζ (Thomas Drikos). Der Buchhändler versteht mein hilfsgriechisches Nennen des Titels wohl kaum, behauptet aber sofort kategorisch, Bücher zu dem Thema habe er nicht. „Aber es steht doch im Schaufenster!“ Er geht zur Tür, holt das Buch aus der Auslage. „Das hier? Aber der Text ist doch griechisch!“ Ist mir egal. Mich interessieren immer obskure Randbereiche von offensichtlichen Sachen. Und ich hatte ja hier schon jahrelang (eher vergeblich) nach einem typischen Hafenstadt-Thema gesucht.
Siehe „La Scala Bar, Ermoupolis
Der Buchhändler verlangt 20 Euro und stopft das Buch in eine Plastiktüte. Als ich das Buch aufschlage, bin ich überrascht: Der Buchhändler ist der Verleger des Werkes!

Meike erzählt abends, daß Ermoupolis früher ägäisweit bekannt war für seine Bars und Bordelle. Auch die einheimischen Griechen nutzen gerne diesen Service. Und die Ehefrauen? Die waren froh, daß der Alte aus dem Haus war und sie nicht belästigte …

340 Seiten. Jetzt muß ich dringend einen Texterkennungsscanner runterladen …

Ich gönne mir ein „komplettes Frühstück“ im Café “Cocoon” am Hafen (12 Euro), über das ich lieber kein Wort verliere. Meike ruft an. Wir waren verabredet, heute abend im “Aeriko” in Kini essen zu gehen. Aber Thanasis will nicht mehr. Ob wir beide stattdessen in dieser Taverne hinter der Werft essen könnten? Das war doch zuletzt so nett da? OK, verschiebe ich den Besuch von Kini auf morgen.
Da sitzen wir nun beide mit der Speisekarte und suchen nach Gerichten, die im T’Aloni nicht angeboten werden. Obwohl Meike meint, ich solle auf sie keine Rücksicht nehmen, und sie hätte sowieso keinen Hunger. Es wird Horta, Bekri Meze und eine Taramosalata-Variation (aus Heringsrogen) aufgetischt, und mir vergeht sofort der Appetit. Meike ißt nun widerwillig doch etwas, damit es nicht ganz so peinlich ist, wenn wieder das ganze Zeug in die Küche zurückgeht.
Scheußliche Popmusik, volle Lautstärke. Wir gehen früher als geplant.
Im Osten steigt ein (anfangs) roter Vollmond auf. Immerhin:


Dienstag: Sonnig, wenig Wind. Ich streune in Ruhe durch mir längst bekannte Gassen,
wundere mich, wie viele Griechen inzwischen ein Hund haben. (Korrekt: Es sind meistens Griechinnen, und sie haben keinen „Hund“, sondern bloß einen mickrigen langhaarigen Angstkläffer.) Weiter aufwärts und vorbei an Agios Nikolaos. Ich schaue hinunter auf die Beton-Terrassen unterhalb von Vaporia, die großartig „Asteria Beach“ genannt werden. Tatsächlich, ein gutes Dutzend Badegäste!

Ich staune, daß ich hier oben, im Schatten der Stadtkirche, ein Café entdecke, das mir noch nie aufgefallen ist. Das „Sta Vaporia“:

Sta Vaporia

Die ungewohnte sommerliche Temperatur treibt mich hinein in den originellen Gastraum. Hier ist es so städtisch wie gemütlich. Und ich habe noch nie so eine schmale Toilettentür gesehen wie hier:


Ich bin mal wieder der einzige Gast und genieße den Blick auf „Klein-Venedig“ aus dem
offenen Fenster. Hier trifft man sich wohl eher abends:


Jedenfalls sitze ich hier so lange, bis der Bus nach Kini längst unterwegs ist. Na denn, verzichte ich auf das, worauf ich vor diesem Inselbesuch am meisten gespannt war.
Aber hatte ich nicht vorhin (in der Tavernengasse Stefanou) auf ein Menu geschaut, das Psarosoupa anbot? „Seminario“ hieß das Lokal. Sollte ich nicht mal fragen, ob es die wirklich gibt, die Fischsuppe? (Das ist nicht selbstverständlich!) Es gibt sie tatsächlich. Genug Fisch, gut gewürzt und grätenfrei, eine große Variation von feingeschnittenem Suppengemüse (ungewöhnlich).
Es ist der kulinarische Höhepunkt der Syros-Tage 2022:


Ich muß leider noch erwähnen, daß ich abends bei “Ta Giannena” noch ein Gyros Pita gekauft habe. (Mußte ich mir den Abschied mit Gewalt verderben …?)
Sekunden nach der Bestellung hatte ich eine Plastiktüte in der Hand, darin in Alufolie und Papier gewickelt eine riesige aufgeweichte Portion Sonder-Müll. Weg damit, am Hafen gibt es genug Abfalleimer. Die Katzen werden es schon mögen.

Mittwoch: Freudiges Warten auf die Blue Star Paros. Es geht wieder hinüber nach Tinos.

> WEITER MIT: TINOS 2022 – WO DER TAG GUT ENDET
> WEITER MIT: TINOS 2022 – WO DER TAG SCHLECHT ANFÄNGT


08.06.2022 – Es kam die Kritik, ich berichte in “Überleben auf Syros” doch nur ums Essen.
Hier gehts dann mal ums Trinken 🙂 :
> WEITER MIT: ASTYPALEA 2022 – DAS KAFENEION “OI MYLOI” 2.0

Wenn Sie ein gutes Dutzend weiterer Kapitel zum Thema Syros verkraften können:
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14.06.22 Nachtrag zum Thema T’Aloni: Dieses Foto habe ich vor einigen Jahren in Ermioni (Peloponnes) gemacht. Rechts eine ganz gewöhnliche Pension, links residiert jemand, dem es nicht gefällt, daß die Pensionsgäste vom Balkon auf die Hafenbucht schauen können. Aus welchen Gründen auch immer. Offensichtlich gab es im Ort keine Instanz, die die Wand aus Hohlblocksteinen verhindern konnte …

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