Sfakia 1: Die Anopolis Hochebene

Lefka Ori Kreta
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Die Lefka Ori, die Weißen Berge. Noch ein schneller Blick drauf von Norden, bevor wir uns links dran vorbeidrücken, über die Paßstraße von Vrisses nach Chora Sfakion.
Die Straße ist längst nicht mehr so abenteuerlich wie von drei Jahrzehnten, aber doch so unbedeutend, daß man die gut versteckte Ausfahrt von der Nationalstraße gleich verpaßt.
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Außer uns in fast niemand unterwegs. Der Weg zur Hochebene von Askifou steigt langsam an. Dort hat man uns eine ländliche Taverne zum Mittagessen empfohlen, aber wir hatten unser letztes Frühstück im Aphroditi Haus in Chania in Ruhe ausgedehnt. Katharina hatte auch noch einen Besuch beim Schuhmacher zu erledigen, zwei neue Absätze fünf Euro.
Schuhmacher = Mister Minit, korrigiert Katharina. Wir waren ja nicht auf dem Dorf … 🙂 …
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In Imbros machen wir eine kurze Pause. Sonnig und frisch ist es, und man könnte von hier aus durch die Imbros-Schlucht zur Südküste wandern. Man könnte, ja, wenn es Mai wäre … aber wir sind schon froh, daß die Straße nicht verschneit ist.
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Der Höhengewinn geht schnell verloren, wenn man die steile Haarnadelkurvenstrecke zur Libyschen See hinuntersteuert. Ein Ausflug zum Anopolis Sfakion Plateau war für morgen angedacht. Ob wir nicht heute dorthin sollen, wo doch das Wetter so gut ist, überlegt Katharina. Ja, paßt schon!
Also hinter Chora Sfakion, dem „Zentrum“ der Sfakia (220 Einwohner) wieder aufwärts. Der nächste Serpentinenweg:
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Chora Sfakion
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Gut, vorher noch ein Frappé in Despinas Café am alten Hafen. Despina hat wohl nur offen, weil sie gerade gute Laune hat. Der Ort ist fast ausgestorben. Warm ist es! Starker Wellengang. Die schmalen Terrassen der (geschlossenen) Sommer-Tavernen oberhalb der alten Hafenmauer sind von Kieselsteinen übersät, die die Wellen hier raufschleudern.
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Auf der Straße aufwärts überall loses Geröll, das das Winterwetter aus den Steilwänden löst. (Diese Straße war vor 30 Jahren noch eine nichtasphaltierte Sackgasse, die an der ersten Rechtskurve in einer Baustelle endete. Ansonsten ist es erstaunlich, wie wenig sich hier in der Gegend geändert hat!)
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Aradhena Schlucht Karte
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Vorbei am Dorf Anopoli bis zur Brücke über die Arádhena-Schlucht (der Grand Canyon im Kleinformat). Hier wäre wieder eine Wanderung zur Küste möglich! Das Dorf Arádhena wurde übrigens Ende der 1940er Jahre nach einer Blutrachefehde verlassen.
Welcher Abenteurer hat die schmale enge Brücke (nur eine Fahrbahn) wohl ganz ohne stützende Bogenstruktur konstruiert?
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Aradhena Schlucht Brücke
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Aradhena Brücke BalkenUnd zu Fuß drüberlaufen ist nichts für Höhenängstliche. Breite Spalten zwischen den Balken, und die ganze Konstruktion federt leicht im Wind. Der Talgrund unter einem, mehr als 130 Meter entfernt, scheint unendlich weit weg zu sein.
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Nah an der Brücke die Kirche des Erzengels Michael. Hier wurden früher die ortsüblichen Viehdiebstähle abgeurteilt, schreibt Eberhard Fohrer.
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Putzig das Schieferdach des Turms. So sehen die Frisuren von Bundesligaspielern heute aus, Seiten nix und hinten nix, oben eine Art Vogelnest:
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Aradhena Erzengel Michael
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Die Kirche ist abgeschlossen (wertvolle Ikonen), der Kerzen-Vorrat für Wallfahrer ist vor der Kirche untergebracht. Nur lohnt es sich dort nicht, eine Kerze anzuzünden. Der Wind bläst jede Flamme sofort aus.
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Anopolis ZiegenherdeViehdiebstahl. Geht heute auch noch. Die Ziegen- und Schafherden sind in diesem weltabgelegenen Winkel unbewacht. Und sie lieben die Straße für ihre Siesta.
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Hier oben muß es immer recht milde sein, denn auf 750 Meter Höhe wachsen immer noch Oliven. Noch ist Erntezeit, jetzt im Januar! Diese hellgrüne, bißfeste Sorte ist besonders gut zum Raki oder zum Bier:
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Agios Ioannis Oliven
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Agios Ioannis
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Aghios Ioannis, Ende der Welt für Autofahrer. Ab hier geht es zu Fuß zur Samaria-Schlucht oder hinunter nach Agia Roumeli an der Küste. Von da aus ginge es mit der Fähre zurück nach Chora Sfakion (entfällt für Autofahrer):
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Wanderweg Roumeli
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Also ein gemütlicher Spaziergang durch den verstreuten, gerade wohl fast unbewohnten Ort und zurück durch immergrüne Wälder und Ziegenweiden. An der Aradhena-Brücke winkt uns eine weißhaarige, massive Gestalt zu. Nein, nicht die Viehdiebstahlpatrouille. Ein Anhalter, der Richtung Anopoli will. Er freut sich mächtig, daß er nicht laufen muß (ist eben ein Grieche) und fängt an zu erzählen. Mit einer Stimme, die im Gebirge bestimmt kilometerweit zu hören ist. Viehzüchter ist er, hat 400 Schafe. Katharina verdreht manchmal die Augen wegen seines lokalen Dialekts, kriegt aber das meiste seines Monologs mit und kann auf die wesentlichen Themen reagieren. Ich verstehe kein Wort.
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Anopolis, unser Hirte steigt aus, bedankt sich. Wir haben uns in Komitades, östlich von Chora Sfakion, zum Übernachten angemeldet. Aber Frühstück gibt es da keins. Man ist auf Wintergäste überhaupt nicht eingerichtet.
Wir haben die Frage „Ob es hier wohl einen Bäcker gibt?“ noch gar nicht zu Ende gedacht, da sehen wir schon einen! Wir bleiben auf Bier und Limonade, kriegen gleich die Rakiflasche zum Selbstbedienen auf den Tisch gestellt, einen Teller mit Brot- und Gebäckproben, einen weiteren Teller mit einer Art ofengetrockneter Cannelloni aus hauchdünnem Fladenteig, bestrichen mit Honig und gehackten Nüssen (köstlich!).
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Anopolis Bäckerei
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Da sitzen wir, staunen über das Profil der Berge vor uns, beobachten die Oma, die nun ungnädig mit dem gerade angerollten ambulanten Gemüsehändler diskutiert. Sie saß vorhin neben der Verkaufstheke, und da lächelte sie noch gnädig in unsere Richtung (was ältere Damen aus Kreta sonst nie tun …)
Was für ein schöner Tag. Noch einmal hinein in die Backstube. Zwei Plastik-Flaschen Raki (Hausmarke) und eins von den gewürzten sesambestreuten Broten zum Mitnehmen. Wird alles sorgfältigst eingepackt, Visitenkarte (!) dazu, und am Ende nimmt unser Bäcker noch die gesamte Schale seiner Brot-und-Gebäck-Proben von der Theke und kippt sie uns in unsere Plastiktüte: Für unterwegs! Spätnachmittag. Noch mehr Kunden erwartet er wohl heute nicht mehr.
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Brot und Raki Anopolis
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Mit der Bäckerei ist auch eine Zimmervermietung verbunden. Daher die Visitenkarten …
www.crete.xenonas-anopoli.gr
Einen Höflichkeitsschluck Raki mußten wir natürlich mittrinken. Mehr geht nicht, jedenfalls nicht für die Pilotin aus unserem Fiat-Rennstall, denn wir müssen ja die Serpentinenstrecke wieder hinunter zum Meer:
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Serpentinen Anopolis
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4 comments

  1. “Hier oben muß es immer recht milde sein, denn auf 750 Meter Höhe wachsen immer noch Oliven.” = na mildes Klima ist dort oben jeden falls nicht. Das Wetter ist dort sehr rauh. Oft weht es sehr stark, im Winter liegt in den Orten tagelang hoher Schnee. Die Temperatur ist dort oben empfindlich kälter als in Chora Sfakion.

    Letztes Jahr ist die komplette Olivenernte in Agios Ioannis ausgefallen, da ein Sturm mit 140 Kilometer pro Stunde durch die Olivenhaine sauste.

    vg, kv

  2. Vielen Dank für deinen humorvollen und unterhaltsamen Bericht !! Beim Vergleich des “putzigen Schieferdaches mit den Frisuren der Bundesligaspielern ” hab ich mich schief gelacht:)
    Deine und Katherinas Berichte lese ich immer mit dem grössten Vergnügen.
    Viele Grüsse
    Sabine

  3. ja es ist Löschhubschrauber aus Athen zum Einsatz gekommen, es hat auch ein wenig geregnet. Starke Winde und die Trockenheit in diesem Winter begünstigen den frühen Start in die Waldbrandsaison. Bisher sind nur 10-15% der im Winter üblichen Regenmenge gefallen. Der Kournassee hat etwa den Wasserstand vom September.

    Es könnte sich auch um Brandstiftung handeln, da das Feuer an 3 Stellen ausgebrochen ist.
    Bewohner von Agia Roumeli wünschen sich Jahren schon eine Straße: http://www.kretaforum.info/showthread.php?16233-Strasse-nach-Agia-Roumeli

    Hoffentlich erholt sich der Wald wieder schnell. Der Wald zwischen Aradena und Agios Ioannis ist eh schon schwer durch den Schädlingsbefall betroffen: http://www.kretaforum.info/showthread.php?21521-Sch%E4dlingsbefall-der-Kiefern-in-der-Sfakia&highlight=Wald+Aradena
    Hinzu kommt noch ein Sturm im Winter 2014/15 der dort seine Verwüstungen hinterlassen hat.

    vg, kv

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