Kea: Ioulida, die Insel-Mini-Metropole

Ioulida (Ιουλίδα), der älteste Ortsteil: Das Kastro-Viertel


Matt Barrett nennt Ioulida (bzw. Ioulis, Chora) „The Capital of Kea“: Die Metropole von Kea.
Klingt ein bißchen großspurig, ist bei Barrett wohl mit einer Prise Ironie zu verstehen. Ioulida ist nur ein Dorf, ein sehr altes Dorf, und ja, es ist eins der beiden “Zentren” der Insel. Der Hafenort Korissia (Livada) ist das zweite Zentrum, und die beiden Orte sind 8 Euro Taxigeld voneinander entfernt.

Die Karte zeigt nur das Zentrum des Dorfes Ioulida. (Ausschnitt aus „Chora Walks“, Hrsg. ist der Bezirk Kea.) Ganz links der auch im Oktober ständig überfüllte Parkplatz (P) unterhalb des Dorfes. Sie können die Strecke bis zum Stadttor (oben 9) hochfahren (oben bei 3), um Fahrgäste oder Gepäck abzuliefern. Aber da kann Ihr Fahrzeug nicht bleiben. Hier, vor dem Stadttor, warten auch die Taxis.

Direkt hinter dem Stadttor wird es gemütlich. Hier wartet die Taverne „I Piatsa“ und das Café „O Filakias“ auf Gäste. Setzen Sie sich besser nicht in die erste Reihe! Warum? Von hier aus bis zum Lebensmittelladen Baxes (rechts 26) ist die enge Straße nämlich noch für kleinere Fahrzeuge freigegeben – aber hinter dem engen Torweg muß im rechten Winkel nach rechts abgebogen werden …


Ansonsten gibt es nur Treppenwege, die vielleicht mal ein übermütiger Mopedfahrer zu bewältigen versucht. Maultierreiten geht auch, aber passen Sie auf Ihren Kopf auf! Hier sind oft die Häuser in der ersten Etage miteinander verbunden. Ja, hier ist es eng. Die meisten Grundstücke sind nicht größer als 40 Quadratmeter. Nicht nur wegen des steilen felsigen Untergrunds. Nein, der Baugrund hier war auch immer sehr begehrt und teuer.
(siehe auch: ‚Griechische Traditionelle Architektur: Tzia Keos‘ von Rania Kloutsinioti & Nicholas Pharaklas, Melissa-Verlag Athen 1983)

Der Status der Bewohner des ursprünglich nur vom „Inseladel“ besiedelten Kastro-Viertels wurde von immer mehr wohlhabend gewordenen Inselbauern angestrebt. Auf Kea konnte man noch mit der Landwirtschaft gutes Geld verdienen … Tournefort schreibt, daß um 1700 circa 5.000 Zentner Eicheln geerntet und exportiert wurden.
Jeder neureiche Landwirt suchte also einen „städtischen“ Zweitwohnsitz, um „denen da oben“ zu zeigen, was man sich leisten konnte. Die Häuser in den neuen Vierteln von Katochori, Messada und Panochori mußten natürlich nicht groß sein, da man sie ja nur nebenbei nutzte. Und man baute auch übereinander und über die Gasse weg, um den geringen Platz besser zu nutzen – so wie überall auf den Kykladen.


Zurück zum Standort Piatsa. Jeden Tag kommen hier Lieferfahrzeuge durch das Stadttor, um die Lokale und Läden des Zentrums zu versorgen. Und manch einer fährt hier rückwärts rein, weil das dem Ausladen der ersten Artikel für den kleinen Supermarkt am Beginn der Kastrogasse so leichter fällt.
Anschließend muß er auf dem kleinen Platz drehen, um die rechtwinklig hinter dem Stadttor abzweigende Straße vorwärts hochfahren zu können! Ob das Manöver immer ohne Kontakt zum Mobiliar der Lokale geht? Aber die Fahrer sind Millimeterarbeit gewöhnt, und die Einheimischen sind cool genug, um gar nicht mehr hinzuschauen, wenn das Auto wieder mal bis an ihren Ellenbogen zurücksetzt …

Folgen wir mal dem Lieferwagen bis zum Ende der Fahrstraße. Rechts das Archäologische Museum (M), an dessen Eingang ich zweimal vorbeigelaufen bin, ohne ihn zu bemerken. Der schmucklose, vergitterte Kasten wirkt auch eher wie das Inselgefängnis. Hier sollten Sie unbedingt zwei Euro Eintritt opfern, damit sie später die archäologischen Ausgrabungsorte von Agia Irini und Karthea verstehen. Die oft 2500 Jahre alten Objekte sind oft nur bruchstückhaft erhalten geblieben, aber die Informationstafeln sind großzügig gestaltet und informativ (griechisch und englisch). Was die jahrhundertelange Verwüstung gut illustriert, ist ein Bronzefuß, der noch an der Basis einer Statue befestigt ist. Die Statue selbst wurde wohl schlicht in Knöchelhöhe abgesägt und wahrscheinlich in Wasserkessel und Suppenlöffel umgeschmolzen:

Vorbei geht es an den kleinen Souvenirläden und Boutiquen (Anfang Oktober alle geschlossen.) unterhalb des Cafés “En Lefkes”:

Ernst Ziller


Vorbei am alten Rathaus, entworfen von Ernst Ziller (1837-1923) und 1902 gebaut vom Urgroßvater der Frau von Matt Barrett, Gregoris Jeromnimon.

Ziller hat in Griechenland fast 600 Gebäude errichtet, und hatte auch die griechische Staatsbürgerschaft angenommen.

Um das Jahr 1902 hatte aber der Niedergang seiner Firma begonnen, da war er nach seinen zahlreichen repräsentativen Bauten in Athen wohl schon froh über den „Rathäuschen“-Auftrag aus Ioulida:


Hier öffnet sich noch einmal ein etwas größerer Platz, der von Tavernen und kleinen Läden gesäumt ist. Hier geht es am Wochenende zur Sache (sagt Matt Barrett).

Hier ist auch der letzte erreichbare Zweiradparkplatz, und mancher ist verwegen genug, sogar seinen Pkw hierher zu steuern.


Aber jetzt geht es in alle Richtungen nur noch weiter ohne Fahrzeug, hier nach rechts:

Kreislauffördernde Ortsgestaltung … 🙂 …


Wir wenden uns aber nach links. Hier wird gerade der Lebensmittelladen beliefert. Das geht nur noch, wenn man die Gasse links blockiert. Rechts geht es über die ersten Treppen weiter hinauf zur wichtigsten Sehenswürdigkeit des Ortes: zum grinsenden Löwen. Der ist aus einem Stück aus einem großen Granitfelsen gehauen.

Cheshire Cat, John Tenniel 1866

Ob Lewis Carroll (Alice’s Adventures in Wonderland) vom Löwen wußte, als er das Cheshire Cat Grinsen präsentierte?

“Please would you tell me,” said Alice, a little timidly, for she was not quite sure whether it was good manners for her to speak first, “why your cat grins like that?” „It’s a Cheshire-Cat,“ said the Duchess, „and that’s why.“

Hier beginnt auch der Wanderweg (01) zum Küstenort Otzias. Und so oft ist es in Kykladendörfern schwierig, innerhalb des Ortes den Beginn und Verlauf eines Wanderweges zu finden. Hier ist die Kennzeichnung der Wege fast immer ausreichend.

Und die Anlieger helfen dem Besucher auch noch ein wenig!


Aber den Löwen selbst hat man fast immer im Blick. Der Weg ist eben, anfangs gepflastert, führt am Friedhof vorbei (Katharina staunt, daß ich mir den nicht angeschaut habe – hier sind die Grabstätten so aufeinandergestapelt wie die Häuser im Dorf …). Am Ende wird der Weg zu einem „normalen“ Feldweg, mit sehr schöner Aussicht auf das Panorama von Ioulida:


Meine Knie wollen nicht hinunter zu grinsenden Löwen. Er liegt ein ganzes Stück unterhalb des Weges. Nein, der Zugang zur grinsenden Miezekatze ist absolut nicht … äh … barrierefrei. Katharina ist schon längst unten, bereitet ein selfie vor. Ich bleibe oben am Eingang. Mir reicht das Cheshire-Cat-Grinsen der Löwenbändigerin auch … 🙂 …:


Ich wandere zurück ins Dorf. Sehe mich um. Begegne dem Maler Dellapizza (Del),
der ein freundliches „yassou kalimera“ nuschelt und vorbeihuscht.
Ein ergrauter 1970er-Jahre-Rockband-Typ, mit Wollmütze. Dabei grüßt hier im Dorf nicht jeder jeden. (Dellapizza, „the heart and soul of the village“ laut Matt Barrett.)

Gasse im Kastro-Viertel, Spätsommer

Und außerhalb des Ortes – nicht zu übersehen – das neoklassische heutige Rathaus. Es ist ebenfalls von Ernst Ziller entworfen, wurde zuerst als Schule genutzt. Nett, aber ein bißchen aufdringlich in seiner isolierten Lage, nicht unbedingt Zillers größtes Meisterwerk …


Was die Architektur angeht: Ioulida ist kein typisches Kykladendorf. Und übernachten können Sie nur außerhalb des Ortes.
Aber wenn Sie sich entschlossen haben: Hier will ich hin und hier will ich bleiben, es gibt noch Möglichkeiten! Wenn Sie Glück haben, gibt es auch noch traditionsbewußte Architekten …

Ja gut, zugegeben, kleinere Mängel an der Bausubstanz. Ist im Kaufpreis berücksichtigt.
Aber niemand kann Ihnen hier die Aussicht aufs Löwental verbauen!


07.02.2021 Nachtrag: Eine stark idealisierte Darstellung des Löwen von Ioulida, mit Hirtenfigur zum Größenvergleich (aus “Reisen und Untersuchungen in Griechenland nebst Darstellung und Erklärung vieler neuentdeckter Denkmäler”, von P.O. Bröndsted, Cotta/Stuttgart 1826).
Katharina hat eine ähnliche Darstellung versucht … 🙂


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