Seefeld: Winterreise nach Kreta 1888

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„Kreta ist gewiß der schönste, aber auch der weltverlassenste
Erdenwinkel von Europa.“
Alfred von Seefeld, 1891
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Wenn man nach alten Reisebeschreibungen sucht und dazu nach den Biografien der oft wenig bekannten Autoren, kommt sich oft wie in einem ARD-Tatort vor.
Alle schlauen Kombinationen führen nicht zum Täter, und dann hilft schlicht der Zufall …
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Im letzten Jahr hatte ich hier das Buch „Ein Winter in Rom“ vorgestellt, 1868, von Adolf Stahr und Fanny Lewald. Das Paar war in Rom bei dem Komponisten Franz Liszt eingeladen, wo der Maler Josef Winkler seine neuen Bilder vorstellte, die er auf einer Reise nach Kreta im Auftrag einer gewissen „Frau von S.“ gemacht hatte.
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Über Josef Winkler (aus Traunstein), der früh gestorben ist (1839-1877), fand ich ein paar spärliche Informationen, fand aber kein einziges Bild, das ihm zugeschrieben werden konnte. Aber wer war nur diese “Frau von S.“?
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Nach der diesjährigen Kreta-Januar-Reise machte ich einen routinemäßigen Internet-Durchlauf auf der Suche nach unbekannten Reisebüchern aus Griechenland. An einem Angebot blieb ich hängen: „Dem Frühling entgegen – Eine Winterreise nach Kreta“, von 1891, von einem gewissen Alfred von Seefeld. Zehn Minuten später war die Bestellung unterwegs …
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Alfred von Seefeld war einer der Mitgründer der Buchhandlung Schmorl & Von Seefeld in Hannover. In dem Jahr seiner Kreta-Reise (1888) war er allerdings (im Alter von 63) nur noch der Seniorchef und kümmerte sich in erster Linie um den mit der Buchhandlung verbundenen Verlag.
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Er konnte es sich leisten, spontan einer Einladung aus Kreta zu folgen, die ihn am Jahresende erreichte. Schon Anfang Februar brach er auf, reiste in Schnee und Regenstürmen durch Deutschland und Italien. Bis Mitte Juni war er unterwegs, zehn Wochen verbrachte er auf Kreta.
Kreta war damals so aus der Welt, daß im Frühjahr 1988 nur zwei weitere deutsche „Touristen“ auf der Insel waren, ein Professor aus Stuttgart und ein gewisser Herr von Neuffen.
(Was Seefeld wohl nicht wußte: Es ist das Pseudonym des württembergischen Fürsten Karl Joseph von Urach [1865-1925], das dieser auf seinen zahlreichen Fernreisen benutzte, um nicht erkannt zu werden.)
Seefeld: „Der Fremdenstrom nach Kreta ist noch dünn!“
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Kreta war ja noch eine halbautonome Unruheprovinz im Osmanischen Reich, und deren Regierung legte überhaupt keinen Wert auf Besucher. Alles Spione, klar!
Und es gab nur eine einzige wöchentliche Verbindung zur Außenwelt, das war der Dampfer des Österreichischen Lloyd Richtung Piräus …
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Aber Seefeld folgte ja einer Einladung. Einer Einladung einer Person, die sich in den letzten zwanzig Jahren um die Insel Kreta verdient gemacht hatte, teilweise gegen den Willen der Autoritäten. Sie war eine Autorin seines Buchverlages, und er wollte mit ihr ihr nächstes Werk diskutieren. Und ja, das Buch sollte von einem gewissen Josef Winkler illustriert sein, und der Name der Autorin war Marie-Espérance von Schwartz … ja, genau, meine „Frau von S.“!
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img835_ElpisMelena1862_AK350Die Dame englisch-deutscher Herkunft war zu der Zeit sogar ziemlich bekannt, etwa als Freundin (Geliebte?) und Förderers des italienischen Risorgimento-Revolutionärs Guiseppe Garibaldi und des Komponisten Franz Liszt.
Eine lange Werk-Liste von Übersetzungen, Biographien und Reiseberichten trägt ihren Namen.
Allerdings nicht unter dem Namen Marie-Espérance von Schwartz, sondern unter dem Pseudonym „Elpis Malena“. (frz. espérance = grch. elpis = d. Hoffnung – und grch. malena = d. schwarz)
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Sie hatte einen großen Teil ihres erheblichen Vermögens in die italienische Risorgimento-Bewegung gesteckt, und sie war die erste nordeuropäische Frau, die 1866 die Insel Kreta solo (!) besucht hatte. Und sie war diejenige, die auf Kreta das erste Tier-Asyl und den ersten Tierschutzverein gegründet hatte! Ihre Sorge galt allerdings nicht Hunden oder Katzen, sondern den übel behandelten Lasttieren!
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Da paßte es gut, daß ihr Verleger aus Hannover allen Ernstes Vegetarier war (eine seiner erfolgreichen Publikationen war die Broschüre „Einfachstes Kochbuch. Nebst Einführung in die naturgemäße Lebensweise“)!
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Was den Kreta-Passagier und seine Familie 1888 erwartete, samt Gepäck und Dienerschaft …
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ALFRED VON SEEFELDS WINTERREISE: DER HINWEG
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„Der Winter ist schön.“ Das ist der erste Satz auf der ersten Seite. „Wenn man nicht mehr jung ist, dann wird einem der Winter leicht zu lang.“ So beginnt der zweite Absatz. Stimmt. In den ersten Februartagen sitzt von Seefeld im Schnellzug: Hannover, Frankfurt, Basel, Gotthard-Tunnel, Mailand, Florenz. Trübes Wetter, Schneematsch, Eis auf den Flüssen. Am 11.02.1888 sitzt er im Zug von Florenz nach Rom. Von Rom im Nachtzug ins verregnete Neapel, der Vesuv ist schneebedeckt.
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Gut gelaunt geht es weiter, „das Brigantenwesen und die Camorra“ seien ja unterdrückt. In Brindisi wartet die „Taormina“ zur Fahrt nach Piräus. Vorbei am Schnee auf den Höhen von Kefalonia. Von Seefeld könnte prinzipiell in Kythera umsteigen, aber er müßte ein paar Tage Wartezeit dort verbringen – und was soll er da?
Am 25. Februar ist er in Piräus. In zwanzig Minuten bringt ihn der Zug nach Athen. Hier wird erst einmal ein Stapel Postkarten gekauft, und die Akropolis besucht (Eintritt frei).
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Mit der „Tibisco“ (Österreichisch-Ungarischer Lloyd) geht es drei Tage später Richtung Kreta. Die Tibisco ist allerdings ein ehemaliger Donaudampfer! Und startet schon mit Verspätung wegen eines Maschinenschadens, und ankert zwangsweise (von Montagabend bis Mittwochmorgen) wegen des Sturms vor Kythera. An Land übersetzen kann niemand, bei dem Seegang kann kein Boot aufs Wasser. Wer von Kythera nach Kreta will, muß nun eine Woche auf den nächsten Dampfer warten …
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Außer den „Orientalen“, die auf dem Vorderdeck reisen, gibt es nur vier Kabinengäste, zwei französische Damen und den Direktor der englischen Orient-Telegraphen-Gesellschaft. Seefeld: „Die Verpflegung auf dem Schiffe war vortrefflich; trotzdem ich an keiner Fleisch-Schüssel theilnahm, bot sie mir an jungen Erbsen, Kartoffeln, Spinat, Kohl, Risotto, Oliven, Salat und Früchten immer mehr, als ich genießen konnte.“
Seefeld studiert an Bord die Odyssee. Wie sinnig. Bei den Orientalen tauscht man gegen ein paar Zigaretten „syrische Nüsse“ (Pistazien) ein, die „grünliche Kerne hatten und sehr wohlschmeckend waren.“
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Josef Winkler: Hafen von Chania (Ausschnitt)
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ANKUNFT: CHANIA
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Dem „türkischen Schnüffler“ beim Zoll in Chania muß Seefeld absurderweise ein Trinkgeld geben, weil er nichts bei sich hat, das verzollt werden muß. Das ärgert ihn …
Und regnen tut es auch, bei 12° Celsius, “und das empfand man als bitteren Winter.“
Er verläßt Chania im Wagen (!) Richtung Khalepa (heute ein Vorort der Stadt), um sich bei seiner Gastgeberin einzuquartieren. Der Weg ist eigentlich nur ein Maultierpfad und für Fahrzeuge kaum geeignet.
img836_IllustrSeite20JahreKreta_350Illustrierte Seite aus der Neuausgabe des Buches von Elpis Melena (Seitenende!).
Copyright: Abbildungen aus dem Bestand des Ururenkels von Frau von Schwartz, Peter E. Stoetzer

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Seefeld weiß, daß jemand wie der Verleger Julius Campe seinen Autor Heinrich Heine mit Austern und Champagner empfängt, aber „daß eine Autorin ihren Verleger zehn Wochen mit der ausgesuchtesten Freundlichkeit beherbergt und an erlesener vegetarischer Tafel beköstigt, das ist noch nicht dagewesen.“
Seefeld revanchiert sich: Das Kreta-Erinnerungsbuch von Elpis Melena erscheint später auch in einen aufwendig gestalteten luxuriösen Ausgabe …
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Die Bewohner von Chania (Canea) wohnen noch alle innerhalb der Festungsmauern. Unterhalb der Mauern existiert ein improvisiertes „afrikanisches Dorf“. Wegen der Dürre in Nordafrika hatte eine große Zahl von Flüchtlingen nach Kreta übergesetzt.
Auf Kreta leben ohnehin mehrere Kulturen nebeneinander, die griechische Bevölkerung besetzt hauptsächlich die Gebirgsgegenden: „Kreta ist ein Gebirgsland und darum niemals einig gewesen“. Gegen die osmanische Autorität waren sich die Gebirgsdörfer aber doch einig … und … „Arbeiten und Steuerzahlen sind die Dinge, die der Kreter am meisten haßt.“
(Seefeld hat einige der Perspektiven seiner Gastgeberin übernommen, die bei aller Sympathie nach 20 Jahren auf Kreta auch zahlreiche Enttäuschungen erleben mußte.)
Die Insel ist seit 1880 gewissermaßen autonom, ihr Haushalt ist aber defizitär und die Wirtschaft ist konstant rückläufig, „weil die Bevölkerung nichts thun will“ und lieber „die fleißigeren Türken todtschlagen möchte“.
Die Vereinigung mit der Insel mit dem griechischen Königreich ist ja ernsthaft angestrebt. Aber die europäischen Großmächte zögern noch bis 1898 mit ihrer politischen und militärischen Unterstützung.
Seefeld spekuliert: „Man sollte (den griechischen Kretern) wirklich wünschen, daß sie an Griechenland kämen, damit sie zu Arbeit, Militärdienst und Steuerzahlen gezwungen würden – das wäre ihnen gesund.“
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Auch bei den Unruhen von 1866/67 hatten es die starken ägyptisch-türkischen Truppen nicht geschafft, den Zustand in den Bergen der Sfakia und im Lassithi-Hochland nachhaltig zu ändern. „Zwanzigtausend Türken moderten in den Bergen, kein Pascha hatte den Ort Samaria oder die Hochebene Homalo (Omalos) gesehen.“
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Kreta, der Westen (Ausschnitt, aus Stielers Handatlas, um 1890-1900).
“Kirid” war der türkische Name der Insel.

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Seefeld staunt über die afrikanischen Frauen in Chania, die nur „ein sackartiges Hemd“ tragen, aber dazu auffälligen Goldschmuck. „Auf der Straße das bunteste Leben (…) dazwischen galoppieren Araberjungen, manchmal zu zwei oder drei auf einem Pferde.“ „Neger und Hunde lagend schlafend auf dem Steinpflaster“ und „sonnabends dürfen die Aussätzigen an der Straße hocken und betteln“. (Die Leprainsel Spinalonga ist 1888 ja noch eine militärische Festungsanlage. Auf Kreta gibt es damals etwa 1000 Leprakranke, in Griechenland nur 150: „Die Ursache dieser Krankheit ist noch unbekannt, Verdacht hat man auf ungenügende Hautpflege und Nahrung von Fischen.“)
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Aber die europäische Gesellschaft von Chania pflegt ihre üblichen Gewohnheiten: „Bei Frau von Schwartz war jeden Freitag Empfangstag. Da fand sich die ganze Gesellschaft von Khalepa und Canea sich ein, einmal dieser, ein ander Mal jener – so daß ich Alle kennenlernte, die Consuln, die Griechen und die vornehmen Türken.“
Und Ostern fühlt sich Seefeld fast wie zu Hause, er findet „einen öffentlichen Garten, wo wirklich deutsches Bier zu haben war, Kaiserbier von Enzkirchen am Rhein, die Flasche einen Franc.“
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An das Raki-Trinken muß er sich auch gewöhnen. Jeder Gast wird jederzeit damit versorgt, auch im Kloster, in der Fastenzeit. Natürlich besucht Seefeld auf der Halbinsel Akrotiri die Klöster Aghia Triada, Agios Ioannis, die sogenannte Bärenhöhle und die Felsenkirche von Katholiko.
Er ist auf dem Esel, dem „zuverlässigen Grautier“, unterwegs, nicht wie wir im Januar 2016 und 2017 mit Mietwagen und Wanderschuhen … es gab ja damals nur eine einzige Fahrstraße in der Gegend, von Chania nach Souda.
Seefeld reitet auch bis Aptera und hört, daß Heinrich Schliemann (vergeblich) versucht, das „Nachgrabeverbot“ dort zu beseitigen. Schliemann hatte 1886 mit dem Archäologen Wilhelm Dörpfeld die Insel besucht.
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Kreta, der Osten (Ausschnitt, aus Stielers Handatlas, um 1890-1900).
Nur Sitia ist an das Fährnetz angeschlossen (griech. Postschiff)!

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KÜSTENFAHRT NACH SITIA
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Im Jahre 1888 hatte Seefeld auch noch das Glück, daß der Österreichische Lloyd mit seinen Dampffähren einmal wöchentlich die Strecke Piräus – Chania – Rethymno – Iraklio – Aghios Nikolaos – Sitia befuhr! (Die Verbindung wurde wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit im selben Jahr eingestellt.)
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Die Fähre „Tibisco“ braucht von Chania nach Rethymno fünf Nachtstunden, hat aber den ersten längeren Aufenthalt in Iraklio (Candia). Iraklio erscheint Seefeld „viel vornehmer“ als Chania. Die Stadt hat 30.000 Einwohner, zu 90% Muslime, 14 Moscheen, und sogar ein kleines Archäologisches Museum – allerdings ohne die bedeutenden Funde aus minoischer Zeit. Bisher waren nur Münzen und Schmuck auf den Äckern gefunden worden: „Etwa zwei Stunden entfernt ist die Stätte, auf welcher die uralte Hauptstadt Knossos gestanden und wo das weltberühmte Labyrinth des Dädalos gewesen sein soll. Wenige Mauerreste sind die einzigen Überbleibsel, die noch zu Tage treten; was der Boden bergen mag, weiß man nicht. (…) Wenn es gelingt, durch die Nationalversammlung von Kreta für Schliemann die Erlaubnis zu systematischen Ausgrabungen zu erwirken, so ist auf interessante Ergebnisse zu rechnen.“
Leider kam Schliemann nicht zum Zuge (er starb im Dezember 1890) … sondern Sir Arthur Evans, der 1900-1914 die Ausgrabungen leitete. Und sehr fragwürdige und eigenwillige Rekonstruktionen durchführte.
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Die Weiterfahrt läuft zügig, 16 Uhr ab Iraklio, 21 Uhr Aghios Nikolaos. Dort stehen gerade mal zehn Häuser in Hafennähe, ein paar weitere am Hang. Man kann verstehen, daß der Österreichische Lloyd im selben Jahr die Nordstrecke zum Endpunkt Sitia eingestellt hat.
Die neue Verbindung wurde eintragreicher:
Triest-Korfu-Zakynthos-Kythera-Chania-Iraklio-Smyrna.
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Der Reiseführer, den Seefeld mitbringt (Meyers Orient, 1882), hatte die Kreta-Nordstrecke ohnehin unterschlagen, oder im Ausgabejahr noch gar nicht gekannt (siehe oben).
Aber noch fährt das Schiff nach Sitia (1500 Einwohner), früh am nächsten Morgen, mit schönem Blick auf die Anfang April noch schneebedeckten Berge im Süden. In Sitia hält man sich nur einige Stunden auf, es geht zurück nach Aghios Nikolaos (San Niccolo), wo das Schiff fahrplangemäß für zwei Tage den Anker auswirft. Der Vegetarier Seefeld lädt seine Reisebegleiter ein, verschenkt aber  in einem „für orientalische Verhältnisse vornehmen Lokal“ seine Sepia-Portion an einen Bettler vor der Tür.
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Und was macht man da sonst? Einen Ausflug zur Inselfestung von Spinalonga – wie es heute auch jeder macht. Nur gibt es heute die Küstenstraße und es läßt sich keiner mehr darauf ein, zu Fuß (mit einem Umweg über Kastelli, „dessen Häuser aus einiger Entfernung nicht von Felsbrocken zu unterscheiden waren“) dorthin zu laufen (sechs Stunden Fußweg).
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Vor dem Übersetzen zur Festung sitzt man im fensterlosen Kaffeehaus, wo die anderen Gäste weder von einem Land, das Deutschland heißt, noch von einem Kaiser Wilhelm je gehört haben. Sie sitzen auf Fußmatten oder „auf altem Gerümpel“ und „rauchten ein Nargileh“. Man unterhält sich auf italienisch, und die Szene im Lokal ist so malerisch, daß Seefeld wünschte, jemand wie Rembrandt wäre dabei und würde sie auf die Leinwand bringen.
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SPINALONGA: FREITAG DER DREIZEHNTE …
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Auf der Festungsinsel hält sich Seefeld länger auf als geplant. Die Polizei taucht nämlich auf und zweifelt an der Gültigkeit seines Passes. Er besteht aber darauf, die Insel vor Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen zu müssen. Ein Ruderboot soll ihn zum Schiff nach Aghios Nikolaos bringen. Nur bricht plötzlich ein gewaltiges Gewitter aus. Der Sturm erzeugt eine „lebensgefährliche Brandung“. Man kommt keinen Meter mehr voran und steuert in der Dunkelheit ein Acht-Häuser-Dorf („Dofela“) an, wo sich Seefeld und sein Begleiter Pferde leihen.
Die sind allerdings nicht gewitterfest, und nach kurzer Zeit wirft Seefelds Pferd ihn ab, als er gerade seinen Schirm (!) öffnen will: „Blitz und Donner zugleich – das erschreckte Pferd that einen Seitensprung und schleuderte mich mit Gewalt hinunter auf das Felsgestein.“
Folge: Schulterbein gebrochen, schwere Prellungen an Schulter, Schulterblatt und der linken Seite. Zurück zum Dorf, dort übernachten. Seefeld kann vor Schmerzen nicht schlafen. Ja, es ist Freitag, der dreizehnte …
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Am nächsten Morgen teilt ihm der Dorfgendarm mit, das Schiff sei schon ausgelaufen, er hat es am Horizont entdeckt. Aber – Glück im Unglück – wegen des Wellengangs muß es wieder zurück zum Hafen.
Seefeld legt die Strecke auf einem Esel zurück und kommt noch an Bord! Auf der „Tibisco“ bereitet man ihm ein Krankenlager. Und der Arzt in Chania verbietet ihm jede Weiterfahrt für die nächsten fünf Wochen. Acht Tage lang muß Seefeld reglos in einem Lehnstuhl sitzend übernachten, um den Bruch zu heilen.
Seefeld: „Der größte Genuß in dieser Welt ist das Gefühl der vollen körperlichen Gesundheit, und das beachtet man kaum, solange man es ungestört besitzt.“
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img833_MeyersOrient_350Auch Seefeld hatte diesen Reisebegleiter:
Meyers ‘Orient’ von 1882

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Aber die Kreta-Zeit muß enden, zehn Wochen sind vorüber, und Seefeld will ja noch Athen und Konstantinopel, Bukarest, Budapest und Wien sehen. Aber die Zeit in Athen verbringt der Reisende noch mit dem Arm in der Binde. Und er hat dort sein „Gefolge“ … kleine Jungen streiten sich darum, für ein paar Lephta seine Tasche tragen zu dürfen. Meist engagiert er gleich zwei von ihnen.
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Die Einzelheiten der Rückfahrt will ich Ihnen ersparen. Seefeld überkommt noch lange nicht das Heimweh, höchstens mal, wenn er in der Türkei in Brussa in der Bierhalle „Zum Tannenbaum“ sitzt.
Am 15.06.1888 steigt er in Hannover aus dem Zug, und kann sich nur heimlich über die Heimkehr freuen, weil er bereits unterwegs erfahren hatte, daß Kaiser Friedrich III. nach 99tägiger Regierung gerade gestorben ist. Offizielle große Staatstrauer …
Und Seefeld verfällt prompt in eine Art Bio-Patriotismus. Letztes Wort: „Ja! Der Frühling ist herrlich in allen Breiten; doch am lieblichsten, am meisten das ganze Herz erfüllend, auf deutschem Boden!“
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Ende der Winterreise. Und … im Hochsommer fuhr damals ja niemand ans Mittelmeer!
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Dem Frühling entgegen! Winterreise nach Kreta
Alfred von Seefeld
Schmorl & von Seefeld Nachf./Hannover, 1891
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img831_Titel20JahreKreta_350Erlebnisse und Beobachtungen eines mehr als 20jährigen Aufenthaltes auf Kreta
Elpis Melena
Überarbeitete Neuausgabe des 1892 bei Schmorl & von Seefeld in Hannover erschienenen Buches.
Pandora Verlag Marianne Schneider
Zehdenick 2008
ISBN: 978-3-938878-02-6
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Mit einer Zeile im Impressum, die mir gut gefällt: „Der Text in diesem Buch ignoriert die aktuelle deutsche Rechtschreibreform.“
🙂
Zu einer Vorstellung dieses Buches können Sie unten “weiterblättern”!
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> WEITER MIT: ELPIS MELENA – 20 JAHRE AUF KRETA
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5 comments

  1. Er hat sogar – im Gegensatz zu anderen Reisenden im 21. Jahrhundert – die Eisvogeltage im Januar verpaßt! 🙂 Aber er war schließlich circa 30 Tage ab Hannover unterwegs, bis er überhaupt seinen Fuß auf die Insel setzen konnte, und nicht nur 7 Stunden mit Aegean Airlines.
    Und … regnen tut es bei seiner Ankunft Ende Februar auch, bei 12° Celsius, “und das empfand man als bitteren Winter“. Mit “man” meint er die Kreter selbst.
    Und im 19. Jahrhundert machte niemand eine “Sommerreise” nach Griechenland, man kam immer nur im Herbst oder im Frühjahr. Aber kaum einer kam so früh wie Seefeld. Der Durchschnittsreisende machte sich erst frühestens Ende März / Anfang April auf den Weg. Wenn alles “vom Eise befreit” ist, wie Johann-Wolfgang mit klammen Fingern im “Fäustling” , äh “Faust” notierte … 🙂 …

  2. Vielen Dank für den interessanten Beitrag ! Ich bin gespannt auf die Buch Vorstellung von Elpis Malena. Mal sehen , ob das Buch “Die Kreta-Biene” irgendwo erhältlich ist.

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