Andros 1997 – ein später Rückblick

Es war ein stürmischer September …
Es war ein trockener Sommer …
Chora, das Zentrum der zweitgrößten Insel der Kykladen

23.09.1997 Ich komme um 19 Uhr in Gavrio mit der späten Fähre aus Rafina an. Ich hatte bis gestern noch nicht gewußt, wohin ich überhaupt will. In Athen hatte ich mir den Rough Guide „Greek Islands“ gekauft, das Buch durchgeblättert und mich spontan für Andros entschieden.
Vom Hotel Austria (hoch oben am Philopappos-Hügel) ging es mit dem Taxi nach Rafina (6.000 Drx = 18 Euro). Eine wunderbare lange Fahrt durch eine noch stille, ländliche Gegend. Oliven, Feigen, Weinfelder. Die Bauarbeiten für den neuen Flughafen und die nötige Infrastruktur hatten gerade erst begonnen. 2001 war der Flughafen schon betriebsbereit, und in der Messoghia würde sich alles dramatisch ändern …

In Gavrio steige ich wieder ins Taxi. Wohin soll es gehen? Nach Chora. Aha. Ob ich da Freunde besuchen will? Nein, da kenne ich niemanden, ich suche ein Hotel. Aber was will ich denn bloß in Chora, ich solle lieber nach Batsi! Batsi…? Da wollen doch alle Touristen hin, und das ist viel näher!
 
Die „Selbstlosigkeit“ des Taxifahrers, der die lange Strecke und die entsprechende Einnahme lieber verweigert, ist kurios. Aber er bringt mich doch nach Chora, bis zur Bushaltestelle. Weiter geht es nicht mit dem Auto. Es sind nur ein paar Schritte zum Eingang des Hotels Egli. Der Fahrer wartet noch, ob ich dort wirklich einchecke. Könnte ja sein, daß kein Zimmer frei ist und ich doch nach Batsi muß …

Aber ich kriege ein Zimmer. Toilette und Bad auf dem Flur teilen sich die beiden Zimmer ganz oben im Haus (6.000 Drx/Nacht). Noch schnell ein Spaziergang durch den schon so früh fast menschenleeren Ort, einmal Gyros Pita im Stehen, Wein aus dem Minimarkt, noch eine Telefonkarte vom Kiosk (ich brauche acht auf dieser Reise …). Am Hafen in Rafina hatte ich mir noch ein halbes Kilo Pistazien gekauft (1.000 Drx = 3 Euro).
Woher ich das alles noch weiß? Aus meinem Reisetagebuch, das ich auf der 15-Tage-Reise mit mehr als 100 Seiten Notizen gefüllt habe. Es bleibt Zeit genug beim Alleineverreisen …

Erst am übernächsten Tage nehme ich mir die erste Wanderung vor. Dann soll auch der Nordsturm leicht nachlassen. Im Notizbuch steht: „Apikia > Moni Agios Nikolaos > Apikia > Stenies > Chora, 7 Std.“
Viel Gegenwind, strahlender Sonnenschein, vorbei an der Ruine des Klosters von Aghia Irini:

Moni Aghia Irini

Im Kloster des Nikolaos scheint sich um die Mittagszeit kein Mensch aufzuhalten. Das Tor ist offen, also rein. Das Hinweisschild auf „dezente Kleidung“ ist unübersehbar.

Ich suche gar nicht nach dem Eingang der berühmten Klosterkirche. Kurz ein Foto vom Portrait des Heiligen der Seefahrer und raus.

Ich bin kein Klostertourist, gewöhnlich ist so ein Gebäude nur die Landmarke als Ziel einer Wanderung. Und gewöhnlich sind die Wege dorthin auch gepflegt und bieten schöne Aussichten.

Ade, Moni Aghios Nikolaos

Rückweg über Stenies. Ein Fußweg, entlang an einem Bach, der das Wasser führt, das in der Sariza-Mineralwasserquelle nicht in Flaschen abgefüllt wird. Abenteuerlich getrennte Hang-Grundstücke in der kykladenspezifischen Bauweise mit großen Schieferplatten zwischen den Trockenmauern aus Bruchsteinen:

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Essen in der fast leeren Taverne an der Bushaltestelle (damals ‚Estatorio Stathmos‘, heute ‚Verde‘, mit toller Aussicht von der Terrasse).

Am nächsten Morgen fragt mich Antonis, der Wirt des Egli, wo ich gestern gewesen bin.
Wir haben festgestellt, daß wir am selben Tag im selben Jahr geboren sind, das macht mich gewissermaßen zu einem besonders vertrauten Gast …
Antonis kennt sich auf der Insel gut aus und teilt gerne seine Erfahrungen – wenn nicht gerade Sport im Fernsehen läuft. Das Gespräch – es war eher ein Monolog – hatte ich umgehend protokolliert. Gut, denn ich kann mich daran heute nicht mehr erinnern. Hier, Wort für Wort aus dem Notizbuch übertragen:

„MORGENS läßt Antonis einen tiefen Blick in seine Intim-Feindschaft zum Prior von Aghia Nikolao (!) zu. A.N. vermietet (Schlafsaal!) für 6.000 DRX (wie Egli …) incl. Frühstück (Tee + Paximadia) unter der Hand. Und die Steuer weiß es und tut nichts, dabei sind sie hinter Antonis her wie die Geier.
A.N. macht 50.000 $ schwarz jedes Jahr in 3 Monaten im Sommer! Alles ohne Werbung – es gibt ein internationales Netzwerk, das den „Tip“ weitergibt.
Und man kann die A.N. Touristen sofort erkennen – Antonis führt Pantomime vor – alles zu, verklemmt, ängstlich.
Gerüchte, daß „very strange things“ dort ablaufen. Schließlich hat dieses Kloster eigentlich NICHTS zu bieten! (WAHR)

Personenkult um Prior. Antonis hat z.B. von gr. „dancer“ (?) erfahren, daß Prior angeblich Brombeerstrauch aus SINAI hat, „der den Brand von Sodom und Gomorrha überlebt hat“.

> Dabei gibt es Brombeeren (A: „blackberries“) auf Andros en masse!

> Aber die A.N. Touristen kriegen nichts mit, die marschieren mit ihren Rucksäcken direkt dorthin und bleiben da. (Moni Ag. Marina vermietet auch.)

Antonis hat Pension in Apikia. Nimmt im Sommer oft Gäste von A.N., wenn A.N. überfüllt ist. Mit dem kriegt er jedesmal Theater, wenn er MwSt auf Zimmerpreis ausweist. „Sind doch alle illegal in GR“ hört er dann.“

Wohin ich heute will? Wieder zu einem Kloster, Moni Panachrandou. (Im Notizbuch: „Taxi Fallika > Panachrandrou > Fallika > Messara > Lamira > Chora“) Na, das gefällt Antonis schon viel besser!
Aus dem Protokoll:

„Father Evdokimos (ca. 60) ist sehr offen. Kein Problem mit Miniröcken. Großer Witzereißer. Zur Mittagszeit mit Flasche Wein oder Ouzo aufkreuzen, und man wird zum Essen eingeladen (immer Spaghetti). Geld nimmt er von niemandem. Ganz im Gegensatz zu A.N. Die nehmen alles, von allen, und haben auch reiche Förderer unter den andriotischen Villenbesitzern. Evdokimos spricht aber kein Englisch.“

Oh, nur Griechisch? Vor einer peinlichen Pantomime als Ersatz für ein richtiges Gespräch habe ich eigentlich nur Horror …! Antonis will mir eine Empfehlung schreiben, die ich Evdokimos geben soll. Der würde sich dann in der Kommunikation zurückhalten …

Ich verzichte drauf, kaufe aber eine Flasche Ouzo (ja, Ouzo Mini, mit dem Minirockmädchen …) und ziehe los. Zunächst mit dem Taxi nach Fallika. Auf dem Serpentinenweg zum Kloster überholen mich kurz vor dem Ziel drei Autos, rammelvoll mit Klosterpilgern.

Ich verzichte auf den Besuch beim Evdokimos, es ist mir jetzt zu voll mit den frommen Besuchern, die noch im Klostervorhof herumstehen, und ziehe mich (samt Ouzoflasche) wieder zurück Richtung Chora.

Die Umgebung des Klosters ist beeindruckend:

Moni Panachrandou

Auch der Blick auf meinen Rückweg nach Chora:

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Und so manches malerische Gebäude am Wegesrand gefällt mir auch:

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Antonis kann verstehen, daß ich nicht mit drei griechischen Großfamilien das Kloster besichtigen wollte. Da könne man sich doch nicht konzentrieren, sagt er, und konzentriert sich wieder auf seine Sportsendung im TV. Ich soll abends ins „Parea“ gehen zum Essen, und auf der Terrasse bleiben. Auf der Platia am Eingang zur Altstadt wäre es jetzt fast windstill.

Am nächsten Tag geht der Sturm noch einmal los. (Im Notizbuch: „Taxi Kochilo > Ormos Korthi > Bus ‚Zagora‘ > zu Fuß zurück nach Chora“).

Ormos Korthiou

Der Ort ist wie ausgestorben. (Auch Ende September 2021 wirkte die Gegend an einem Montag eher deprimierend. Am Sonntag hatten Heerscharen von Wochenendbesuchern die Insel verlassen.)
In der Taverne am Nordende des Hafens sitzen nur zwei Gäste. Endlich, der Bus. Das Mädchen, das die Tickets im Bus verkauft, verspricht, mich in der Nähe der Ausgrabungsstätte von Zagora rauszulassen. Der Wagen hält aber erst am Abzweig nach Chora und fährt weiter Richtung Gavrio.

Korthi rechts, Chora links. Die wilde private Beschilderung an den Kreuzungen ist heute verboten. Und ein Kartentelefon gab es damals überall, auch am Ende der Welt.

Hier gabeln sich zwei Buslinien (Gavrio>Chora und Gavrio>Korthi) Das ist normalerweise der Umsteigeplatz, nur … heute ist Samstag, und es kommt ab Mittag kein Bus mehr. Zagora wird gestrichen, und es geht zu Fuß zurück zum Hotel, vom Westufer der Insel zum Ostufer, fast nur auf der Asphaltstraße.

Kuh am Strande von Piso Gialia, die gleich mit dem Huf meine Lektüre verbeult. Wenigstens frißt sie das Buch nicht. Und sie hat nichts Anrüchiges fallen gelassen …

Die Samstags-Tour war anstrengend. Sehr anstrengend. Wie wirkt sich das aus?
Dem Notizbuch entnehme ich:

„28.09. SO > Perfekter Strandtag in Gialia
29.09. MO > Noch ein perfekter Strandtag in Gialia
30.09. DI   > Und noch ein perfekter Strandtag …“

Piso Gialia
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Piso Gialia, der Strand gehörte mir fast ganz allein. Viel zu notieren gab es da nicht, aber es blieb Zeit für eine kleine Skizze. Hinter dem kleinen Vorgebirge liegt der eigentliche Strand von Gialia (damals unbebaut). Dort mündet ein versumpfter Wasserlauf ins Meer, und auf einem Stück Styropor sonnt sich eine Wasserschildkrötenfamilie. Dinge, Szenen, die man nur sieht, wenn man zu Fuß unterwegs ist:

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Hm, gibt es sowas überhaupt … Schildkröten im Familienverbund? Legen die nicht nur
irgendwo ihre Eier ab und überlassen den geschlüpften Nachwuchs seinem Schicksal?

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Solche Strandtage lassen mich etwas angeröstet zurück. Sieht man wohl. (Foto aus der Egli-Hotelbar) Antonis hatte mich dort mit H. und C. aus Franken bekannt gemacht, die im Haus schräg unter mir wohnten. C.‘s Hand samt Zigarette ist rechts auch noch im Bild …

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H. und C. an unserem Tisch im Kafeneion Nostalgia. Das Lokal gibt es heute noch, und die “Tagesausflügler” aus Tinos und ich haben dort 2021 sehr gut gegessen!

Die beiden Fürther hatten nach einer Studienreise auf dem Festland noch einige freie Tage, und hatten sich rein zufällig auf Andros fixiert. Wie ich. Richtig begeistert waren sie von ihrem Ziel aber nicht. Wir haben uns die letzten Tavernenabende in Chora geteilt, und ich hatte sie überzeugt, für ein paar Tage nach Syros mitzukommen.

Ade, Andros. Die gähnend leere Fähre nach Syros im gähnend leeren Hafen von Gavrio.

Syros bot das wesentlich bessere Angebot an Lokalen (leider hatte Marinou in Kini zu, und Jorgo Bailas baute gerade sein Haus um). Aber es blieb noch genug anderes. Damals gab es in Ermoupoli noch die Fischtaverne „1935“ in ihrer traditionellen Form:

Jammas!

Dort sechs große, frisch gebackene Barbounies (Rotbarben) auf den Tellern, zu einem vertretbaren Tarif, das sollte man sich nicht entgehen lassen! Aber die Syros-Episode ist schon wieder eine andere Geschichte …
Ich liebe diese (oft fast unlesbaren) Rechnungen und bewahre sie auf, wo immer es geht:

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Noch eine Buchempfehlung, für meine damals in Chora erworbene Reiselektüre:

Sunlight in the Wine – Life in a Greek island valley
Robert Leigh

Typothito / George Dardanos Verlag, 1996
ISBN 960-7643-22-4

Nun ja, die Lese-Empfehlung erscheint inzwischen recht sinnlos. Das Buch ist längst vergriffen und zur Zeit nirgendwo mehr erhältlich. Selbst wikipedia weiß nichts vom Schriftsteller und Journalisten Robert Leigh.
Aber Sie können es sich ja mal merken …



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4 comments

  1. Lieber Dionysios, danke für den Kommentar. Aber das ist ein anderer Robert Leigh in diesem Interview … 🙂
    Der Robert Leigh, der das Buch über Andros geschrieben hat, müßte heute 89 sein, wenn er noch lebt.

  2. Ah, danke für den Hinweis! Ja, mein Robert Leigh ist ein junger Hund. Da hat mich sein Halbsatz über Griechenland in die Irre geführt …

  3. Dein RL heißt möglicherweise auch gar nicht Robert Leigh. Aus dem Interview:
    Frage: “Your real name and pen name?”
    Antwort: “Haha, I’m not telling you. That said, there are clues to my real name in my work.”

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