Pirghos: Chalepas und Dieter Wieland

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Dieter wer …? Dazu später. Schon am Fährhafen steht man vor den reisebusgroßen Plakaten: 80 Jahre seit dem Tod von Giannoulis Chalepas. Ja, der Bildhauer Chalepas steht immer in der ersten Reihe, wenn es um die Kulturpräsentation der Insel Tinos geht. Schon vor ein paar Jahren hatte er eine große Ausstellung im Kulturzentrum am südlichen Ende des Hafens.
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Chalepas (1851-1938), in Pirghos/Tinos geboren, hatte von 1873 bis 1876 in München studiert. Nach der Rückkehr nach Griechenland hatte er mit psychischen Problemen zu kämpfen. Was ihm durch seine Eltern eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Korfu einbrachte (1888 bis 1902). Von dort holte ihn seine übergriffige Mutter zurück, die glaubte, seine Krankheit entstände aus dem fatalen Wunsch, „Kunst“ zu schaffen. Spärlich bekleidete ruhende Frauenfiguren, welche Schande.
Bis zu ihrem Tod (1916) hatte sie sämtliche von ihm geschaffenen Werke zerstört, denen sie habhaft werden konnte. Chalepas konnte nach ihrem Tod wieder anfangen, zu arbeiten. Ihn zog es von der Insel nach Athen, wo er endlich späte Anerkennung fand.
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Ich hatte die Chalepas-Ausstellung auf Tinos im Januar 2013 gesehen, in einer Einzelführung, wozu die referierende Dame erst mal zu Hause alarmiert werden mußte. Sie kam im Laufschritt, durch den Winterschauer, und versorgte mich mit den Informationen und einem ausstellungsbegleitenden Buch, von dem ich nicht mehr weiß, wo es ist.
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Ich will ehrlich sein, ich vermisse das Buch auch nicht, und Chalepas‘ Arbeit sagt mir auch nicht viel. Vielleicht eher zu wenig Erotik, Mutter Chalepas … 🙂 …?
Aber der Gedanke an die schöne Aussicht, die mich auf der Busfahrt in den Inselnorden erwartete, brachte mich dazu, mir doch einmal das Haus der Familie in Pirghos anzusehen. Es ist, zusammen mit dem Nebenhaus, das sich um weitere Bildhauer mit Tinos-Vergangenheit kümmert, zu einem gemeinsamen (kleinen) Museum geworden.
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Wenn man an der Bushaltestelle aussteigt (Kleinbus ab Chora 11 Uhr, heute 7 Passagiere, 40 Minuten Fahrtzeit), muß man nur noch ein paar Meter in der Gasse, die zur Platia führt, hinter sich bringen. Links kann man Chalepas‘ Skulptur nicht übersehen. Nein, die Frau ist nur aus Zement, nicht aus Marmor:
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Die junge Dame hinter dem Kassentisch springt auf, strahlt … endlich endlich ein Besucher! Jetzt kann sie ihren so schön auswendig gelernten Vortrag beginnen! Wobei ich sie nach zwei Minuten unterbreche, ich hab das alles schon mal gehört. Auch gut, meint sie, aber eigentlich würde sie das gerne zu Ende bringen, weil sie ihr Englisch trainieren muß. Hm, das können wir auch in einem frei improvisierten Gespräch tun, oder?
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Wenn sie mir was zum Haus sagen könnte, und wie man hier vor 100 Jahren leben konnte? Das Schlafzimmer da hinten links ist ja kleiner als eine Zelle im Junta-Militärgefängnis. Sie lacht.
Ob ich hier fotografieren darf? Sicher darf ich, aber nur, solange sie nicht mit im Bild ist!
(Ganz vermeiden läßt sich das nicht. Als eine Freundin von ihr plötzlich auftaucht, verschwindet sie ohnehin vor die Tür. Ich sehe wohl nicht so aus, als würde ich mir gleich einen Rahmen mit einer Entwurfskizze unters Hemd stecken …)
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Hinten die Schlafkammer, vielleicht 2,40 x 1,60 Innenmaß, jedenfalls zu klein für einen Deutschen Schäferhund …
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Die Entwurfskizzen bringen mich der Arbeit von Chalepas auch nicht näher. Sollen wir nach nebenan? Machen wir. Die Freundin kommt mit. Es gibt ja so viel zu erzählen …
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Das Museum nebenan zeigt der Gasse seine Breitseite. Aber tief ist es nicht.
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Also ist da auch nicht viel zu sehen. Ich unterbreche irgendwann das Gespräch der beiden Freundinnen. Ob mein „guide“ wohl mal Schritt für Schritt erklären kann, wie man mit diesem merkwürdigen Metall-Instrument einen Entwurf aus Gips oder Ton oder einem anderen Material in eine Kopie aus Marmor übertragen kann …
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… wie man also einen bestimmten Punkt im Raum an einer anderen Stelle fixieren kann und zu benachbarten Punkten exakt in Beziehung setzen kann. Dieser Figur-Entwurf hier ist übersät mit solchen Spuren:
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Jetzt wird es schwer mit dem Improvisieren. Die Erklärung wird kompliziert, meine Museumsführerin wird unsicher, wechselt zwischendurch ins Griechische. Und ich lasse mir nichts aufschreiben.
Am Ende habe ich kaum etwas verstanden. Schade, daß die damals noch keinen 3D-Drucker hatten, der den gescannten Entwurf digital reproduziert. Schade, daß wir hier keine Video-Präsentation haben, die den Arbeitsprozeß in allen Phasen bildlich darstellt. Mein „guide“ nickt, ja, ist schade, und sie lacht erlöst, als ich mich verabschiede.
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Übrigens: Wenn man wissen will, wie so ein Punktiergerät funktioniert, hilft wikipedia … naja, es hilft wenigstens ein bißchen.
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Ist noch genug Zeit, um in diesem Kykladen-Musterdorf Pirghos ein wenig herumzustrolchen. Jedes Mal habe ich irgendwas Neues entdecken können in den letzten Jahren, oder was altes nicht mehr wiedergefunden.
Sieht das nicht schlicht und edel aus …? Dabei führt der malerische Weg bloß zur blauen Tür des Dorfmetzgers:
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Und das hier? Der Hinweis auf einen edlen Friseursalon … 🙂 …?
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Natürlich kann man es auch übertreiben mit dem Wunsch nach „Schönheit“. Gute Gestaltung am Bau ergibt sich immer aus dem Zweck, nicht nach dem Wunsch nach Schönheit.
Welch monströser Kitsch wird heute von Architekten bei Museums- oder Hotelneubauten produziert, was für ein Unsinn steht in jedem Baumarkt, um am Ende in Ihrem Vorgarten zu landen!
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Ich denke plötzlich an Dieter Wieland. Wieland hat für das Bayerische Fernsehen vor der Jahrhundertwende kritisch-sachliche Filme über Architektur, Strukturwandel, Umwelt- und Raumplanung gemacht. Wieland konnte sehr kritisch sein, ja oft richtig bissig, aber er konnte Themen auch auf eine sehr einfache und eingängige Weise klären.
Ich habe etwa 20 seiner Dokumentarfilme aus der BR-Mediathek heruntergeladen, nur um jederzeit darauf zurückgreifen zu können.
“Engadiner Bauernhäuser” (2000), “Baiershofen – ein Dorf in Schwaben” (1978) oder “Südtiroler Urwege” (1981) sind drei gute Beispiele für seine Arbeit.
Ich will das Thema an dieser Stelle nicht weiter ausführen, aber vieles von seiner Kritik würde sich auch auf griechische Verhältnisse übertragen lassen!

Wenn Wieland etwas hasste, war es, wenn Landschaften und Siedlungsstrukturen sinnlos zerstört wurden – der industrialisierten Landwirtschaft zuliebe, oder weil sich in einer Altstadt eine Kaufhausfiliale breitmachte – wenn Bauelemente an Wohngebäuden gegen ihre Funktion eingesetzt wurden, nur “weil es schön aussieht”.
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Wie hätte Wieland dieses aufgemöbelte Kykladenhaus gesehen? Was wäre ihm im Anblick der steinernen Foto-Tapete – die auf unsinnige Weise diverse Bauelemente nachahmt – eingefallen?
Hätte er sich Werkzeug geliehen und die aufgeklebte „Trockenmauerwerk“-Kitschkeramik wieder abgemeißelt? Ich hätte ihm dabei gerne geholfen:
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Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen. Ja, Gedankenlosigkeit kann weh tun. Gibt es eigentlich eine Muse, die Bau”herren” und Bau”meister” inspiriert?
Und ja, manchmal hinterläßt ein deutscher Dokumentarfilmer ein wichtigeres Lebenswerk als ein griechischer Bildhauer …

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Aber dann … wenn einem am Ende des Rundgangs auf der Platia diese mustergültige Ouzo-Mezedes-Kombination serviert wird, vergißt man auch gerne manchen „Unser-Dorf-soll-schöner-werden“-Fauxpas:
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