Nordzypern ohne Griechen 2

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Folkloristische Tänze am Hafen von Girne (Kyrenia)
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Famagusta faszinierte uns nicht lange. Für ein Bleiben in Nikosia (Lefkosa) sprach zwar dessen zentrale Lage, aber trotzdem saßen wir dort bald im nächsten Bus zur Nordküste … quer über die Pendedaktilos- (Besparmak-) Bergkette mit den Burgen von St. Hilarion, Buffavento und Kantara, vorbei an der berühmten Abtei von Bellapais.
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“Der Platz”, um ein paar Tage an der Nordküste zu bleiben, sei Girne (Kyrenia), hatten wir gehört. Der kreisrunde Hafen im Schatten der befestigten Burg, die ursprünglich von den Byzantinern seit dem 4. Jahrhundert gebaut wurde. Im 12. Jahrhundert hatte der kreuzzugberühmte französische Lusignan-Clan die Burg übernommen, und ab 1489 war es Zeit für die Venezianer. Um 1540 herum ließen sie die runden massiven “kanonenfesten” Türme errichten.
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Und das Schiffswrack-Museum sollten wir uns nicht entgehen lassen. Ein fast vollbeladenes Schiff mit einem Rumpf aus bleiverkleidetem Pinienholz, das aus Kos stammte, war vor etwa 2000 Jahren vor dem Hafen von Kyrenia gesunken. Es war – samt der Ladung aus mit Mandeln gefüllten Amphoren und kleinen Getreidemörsern – unter Sand und Muschelkalk wunderbar (und komplett) erhalten geblieben. Das Schiff war von Restaurationsspezialisten präpariert worden und seit 1976 zu besichtigen.
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Der Hafen brachte es! Liebe auf den ersten Blick. Ein Bilderbuchobjekt. Und jetzt, Ende März, war es dort noch völlig ruhig! Und mitten in der Reihe der alten Häuser ein kleines Hotel: “Freie Zimmer? Suchen Sie sich eins aus!” Und dann diese Aussicht!
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Noel Kennedy Thomas hatte gerade für das Nordzyprische Tourismusministerium das etwas schwärmerische Stimmungsbuch “The Enchanted Land” veröffentlicht. (Der Autor hatte im Unruhejahr 1958 auf Zypern gelebt, und hatte seitdem keine gute Meinung über den griechischen Teil der Bevölkerung.) Das Buch … das den starken Hochsommerbetrieb im Hafen von Girne beschrieb … ließ uns schon befürchten, daß es dort inzwischen nicht mehr auszuhalten sei. Aber das war ein Irrtum. Bis auf ein paar Dutzend Tagestouristen, die fast täglich mit Tragflügelbooten vom türkischen Festland kamen, um günstig einzukaufen, war niemand unterwegs. Die Abende waren idyllisch! Aber auch tagsüber gab es nicht mehr Betrieb als im Mittelalter! Trotz einiger “Festival”-Aktionen, um den Touristen etwas nordzyprische Folklore anzudienen, so wie den Sicheltanz (oben auf der Seite). Solche “Unruhe” konnten wir uns gemütlich von unserer Dachterrasse aus ansehen, die wir ohnehin nur noch ungern verlassen haben …
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The King’s House Hotel, unsere Residenz hinter mittelalterlichen Mauern
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Und beim Frühstück überlegte man schon: Ist es nicht schön genug hier oben auf dem Dach, müssen wir heute noch irgendwohin? Außer vielleicht abends zum Fischrestaurant schräg gegenüber …?
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Blick von unserer Terrasse am Abend, ganz rechts das Canli Balik Restaurant
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Englisch galt in Nordzypern inzwischen nicht mehr unbedingt als Verkehrssprache, auch nicht in den Restaurants. Das Essen wurde gewöhnlich pantomimisch durch das Aussuchen aus der Fisch-Auslage erledigt … aber als am ersten Abend eine geradezu gewaltige Vorspeisenplatte mit 2 oder 3 Dutzenden Gerichten neben unserem Tisch deponiert wurde, nachdem wir auf die Frage “Meze? Appetizers?” brav genickt hatten, wurde uns etwas mulmig. Der Kellner war nach dem Aufbau der Stellage umgehend (und für ewig) verschwunden, keine Rückfrage möglich, und um uns nur türkischsprechende Gäste. Meine “Erste Klasse”-Begleitung studierte noch, da mußte sie schon aufs Geld sehen, und ihre Frage “Und wenn wir das alles bezahlen müssen …?” klang schon sehr besorgt. (Wir mußten am Ende nur die Teller bezahlen, die wir auch von der Platte heruntergenommen hatten, klar …)
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Zum Verdauungsbrandy ließen wir uns gewöhnlich wieder auf unserer Terrasse nieder. Unter uns war das lokale “Nachtleben” meist noch nicht beendet. Offenbar verlegte die nordzyprische Regierung ihre Aktivitäten nachts in die Lokale von Kyrenia. Keine Ahnung, wer da mit Standarte und der Nummer “430001” gekommen war (zu einem Termin in der Bar im Nebenhaus), aber die roten Daimler sind die “security”.
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Übrigens stammen sowohl der derzeitige griechisch-zyprische Präsident, der Kommunist Dimitris Christofias, und der türkische “Volksgruppenführer” (ja, so heißt das in den deutschen Medien) Mehmed Ali Talat aus Kyrenia! Die Stadt, in deren Nähe auch die türkische Landungsoperation 1974 begann, hat wohl insgeheim was eminent Politisches …
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Wir waren immerhin fünf (politisch neutrale) Gäste im Hotel, und paßten alle einigermaßen bequem in den Leihwagen des britischen Architekten-Ehepaares, um auf einer der bescheidenen Pisten zu einem der völlig leeren Strände östlich von Kyrenia zu kommen. Luxus der Exklusivität, und über uns in den Hügeln immer wieder Kriegsschatten in olivgrüner Uniform …
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Nachdem man die Folgen der Kriegswillkür in Famagusta und die antigriechischen Dokumentationen in Lefkosa gesehen hatte, war für uns der Frieden in Kyrenia nicht mehr so ganz selbstverständlich. Die Invasion war damals schon zwölf Jahre her. Und wir hätten uns nicht vorstellen können, daß es noch weitere 22 Jahre dauern würde, bis endlich ernsthaft über eine Wiedervereinigung gesprochen würde. Diese Wiedervereinigung wird, wenn sie kommt, auch nicht unproblematisch sein. Inzwischen ist eine ganze Generation im Norden großgeworden, auf Grundbesitz, den die griechischen Zyprer auch heute noch von den aus Anatolien zugewanderten Eltern dieser Generation zurückhaben wollen.
Übrigens: Kyrenia (Girne) hat inzwischen eine private Universität, die Girne Amerikan Universitesi (abgekürzt “GAU”, sehr nett …) mit fast 5000 Studenten in sechs verschiedenen Fachrichtungen.
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Zum Wandern in den Bergen bei St. Hilarion und zum Besuch Nikosias reichte unsere Zeit jedenfalls auch noch.
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