Astypalaia, Chora und Kastro

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Astypalaia ist mir, wie so manche andere abgelegene griechische Insel, durch die Reihe “Griechische Traditionelle Architektur” des Melissa-Verlages in Athen aufgefallen. 1985 erschien der von E. Savvari und V. Tsamtsouri herausgegebene Band mit dem spektakulären Titelfoto. Seit 1993 habe ich versucht, die Insel zu besuchen, und erst im September 2010 habe ich es geschafft (stornierte Flüge und unterbrochene Fährenreisen inklusive …).
Aber die Insel liegt ja auch nicht gerade im Mittelpunkt der Verkehrsströme (siehe Seite Ende der Welt? ).
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Ich darf mal ein Stück in die Geschichte zurückgehen, während ich auf dieser Seite ein paar Bilder aus dem Zentrum der Insel vorstelle. Keine Angst, es geht nicht allzu weit zurück, denn aus der Antike ist nicht viel Nennenswertes überliefert, wenn man vom Kinderfriedhof Kylindra mal absieht.
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Aufstieg zur Burg
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Also:
Im Jahre 1207 geriet Astypalaia unter die Herrschaft der Venezianer, da fange ich mal an. Und im Jahre 1413 übernimmt der venezianische Adlige Giovanni Querini die Insel und beginnt das Kastro auszubauen (wahrscheinlich auf den Resten von uralten Festungsmauern). Die Insel scheint leer zu sein, die Querinis beginnen, die ersten Bauern anzusiedeln. Im Innern der Burg, mit dem Rücken zu den Mauern, entsteht ein Ring von Gebäuden, die sogenannte xokastra.
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Vom mittelalterlichen Burginnern ist nicht mehr viel bekannt. Die Autoren des Melissa-Bandes beziehen sich auf das Buch L’isola dei Gigli (Stampalia) von Marica Montesanto. Es ist 1930 in Rom erschienen. Marica Montesanto hat das Kastro noch in der Originalform gesehen.

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Es erscheint heute fast unglaublich, daß auf diesem Gelände (4000 Quadratmeter) früher im Schnitt 2500 Menschen gelebt haben, zeitweise sogar bis zu 4000 Personen, in dreistöckigen Gebäuden, in Einraumwohnungen von etwa 20 Quadratmetern Größe! Von diesem Gelände gingen noch der Platz für die Kirchen, den Dorfplatz, das Kafeneion, das Eingangsgebäude mit Marktständen und die Gassen und Treppen ab! Trotzdem waren die hygienischen Zustände immer so zufriedenstellend, daß kein Fall von Seuchen im Ort bekannt ist. Wasser gab es durch ein Zisternen-System.
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Die Kirchen, die das Kastro minimal überragen
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Ab 1566 gehörte Astypalaia zum Osmanischen Reich. Erst im frühen 18. Jahrhundert wurde das Kastro zu klein. Die Häuser wurden immer höher, Fenster und Nischen wurden in die Burgmauer gebrochen. Außen wurden Balkone und Erker angehängt (die Holzerker in erster Linie als Aborte).

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Holzerker in der Burgmauer, die früher einen ganz profanen Zweck hatten …
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Vor dem Burgeingang entstand ein neues Viertel, das Portaitissa. Erst 1830 bis 1870 wird das Gebiet rund um das ganze Kastro bebaut, ringförmig, immer noch so, daß man von jedem Haus schnell ins Burginnere flüchten konnte. Inzwischen haben die Gassen mindestens die Breite eines beladenen Lastieres (etwa 1,20 Meter) und es gibt überall kleine Plätze. Jetzt ist auch die Seeräuberei besiegt, und der Hafen wird ausgebaut, dort unten entsteht jetzt eine kleine feste Siedlung. Ab jetzt sind auch Maltesána und Vathy im Insel-Osten ständig bewohnt. Bis dahin hielten sich Bauern und Fischer dort nur so lange auf, wie es unbedingt nötig war.

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1911 ist Astypalaia die erste Insel, die von den Italienern im Italienisch-Türkischen Krieg erobert wird. Ab jetzt verbindet sich Chora und das Hafengebiet durch Neubauten und Treppenwege. Seit 1943 wohnt niemand mehr im Kastro, und 1956 erschüttert ein Erdbeben den Inselberg. Die mittelalterlichen Häuser der Burg und die Nordost-Mauer stürzen ein.
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Der Serail, der südliche Turm der Burg
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Die Katastrophe traf die Insel zu einer Zeit, in der es Griechenland wirtschaftlich absolut schlecht ging. Zwischen Weltkrieg, Bürgerkrieg und Junta-Diktatur entwickelte sich alles nur langsam. Eine halbe Generation von Griechen emigrierte. Für den Wiederaufbau des Ortskerns von Chora unterhalb der Burg fehlten die Mittel. Noch 30 Jahre später gab es traditionelle Häuser dort “für ein Butterbrot” zu kaufen …
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Blau und türkis, paßt bei Hellas-Achromatopsie immer bestens …
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Dabei hat dieses Häuserlabyrinth einen ungewöhnlichen grafischen Reiz. Übrigens: Ja, ich hätte an dem sonnig-milden späten September-Sonntagnachmittag, als ich zum ersten Mal dort war, mindestens eine ganze Studiosus-Aquarell-Klasse in den Gassen erwartet, aber nein, außer mir war kein Mensch “von auswärts” unterwegs. Dabei soll Astypalaia doch inzwischen Tausende von Gästebetten haben. In Aberdutzenden von Mittelstandsbetrieben. Für eine Saison, die tatsächlich nur zwei Monate dauert.
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Im Prinzip wurde im Chora des 19. Jahrhunderts der kykladische Haustyp gebaut – eine einfache Kubus-Form aus Kalkstein. Als höhere “Gestaltungsidee” der Baumeister spielte ein wenig der Haustyp hinein, den man in Nordgriechenland, zwischen dem Pilion, Makedonien und Thrakien findet, wo das obere Stockwerk fast komplett aus Holz errichtet ist. Dort bietet sich Holz als Material ja auch an. Aber hier auf der kahlen Insel ist ja kein Wald vorhanden, und importiertes Holz wird äußerst sparsam zur Zierde verwendet, höchstens für Gitter, Geländer, geschnitzte Türblätter.
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Wegen des knappen Materials bleiben offene Stellen in der Holzkonstruktion erhalten. Parallele Linien, Schraffuren, Schatten bestimmen den Raum, nicht geschlossene Flächen. Und man kann geschickt Farbe einsetzen. Das findet schon Marica Montesanto (s.o.) reizvoll:

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“Weitere Elemente (…) sind die Gitter, die kleinen Vordächer und die Balkons mit Holzgeländer, die sich zwischen den Treppen und Bögen als Ergänzung oder als Ersatz einfügen. Auf den Fassaden mit dem genauen und scharfen Profil des Steins wirken solche Konstruktionen mit ihrer Schlichtheit übermütig …”
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Und … es gibt keine großen Unterschiede zwischen den Häusern, es gibt keine ausladenden Herrenhäuser neben Arme-Leute-Hütten. In groben Zügen: Basis ist (wenn die Bodenfläche es zuläßt) grundsätzlich das monospito, das Einraumhaus, mit dem Eingang an der Schmalseite. Der Raum ist dreigeteilt, vorne Küche und Aufenthaltsraum, hinten ist eine Art Podest eingebaut, unten werden die Vorräte aufbewahrt, oben ist der Schlafbereich. Und wenn ein Haus eine obere Etage hat, dann ist da grundsätzlich eine weitere separate Wohnung zu erwarten, die nach dem gleichen Prinzip gestaltet ist (Zugang über die Außentreppe, oder von der oberen Gasse aus …).
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Und die Treppenstufen in den Gassen unterhalb des Kastros haben heutzutage natürlich einen gewaltigen Vorteil! Sie schrecken die Zweiradfahrer ab. Gut, nicht alle. Es gibt auch welche ohne Steißbein. Aber es gibt jedenfalls keinen Durchgangsverkehr …
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Leider ist das Viertel unterhalb der Burg auch ein reines Wohnviertel geworden. Der Kramladen ist zu. Und eine Taverna oder ein Kafeneion gibt es auch nicht mehr. Aber es ist ja kein weiter Weg bis zum Platz an den den Windmühlen!
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6 comments

  1. Hallo Theo, Dein faszinierender Bericht und die schönen Fotos wecken Erinnerungen an eine Woche Astyp. im Mai 2008, als ich etwas unterhalb des Kastro wohnte und die Tage dort in bester Erinnerungen habe, trotz der Kargheit der Insel. Deine Ausführungen über das Kastro sind sehr lebendig, habe viel dadurch gelernt. Hoffe, im nächsten Frühjahr endlich noch einmal zurückzukommen. – Zu dem Thema Veränderungen : Kann man es den Inselbewohnern verübeln, wenn sie am allgemeinen Wohlstand (durch mehr Fähren, neuen Flughafen etc) teilhaben wollen, die Saison ist ja dort noch kürzer als anderswo. Herzl. Gruss Christian /fontane

  2. Veränderungen … so wie sich jeder einzelne Mensch ein Stück verändert, wenn er einen Schritt weitergeht, so verändert sich auch eine kleine Inselgemeinschaft bei jeder Begegnung mit der Außenwelt.
    Dem Philosophen ist sowas selbstverständlich, der Tourist ist aber gewöhnlich von der konservativen Sorte, der möchte, daß alles, was ihm gefällt, bleibt, wie es ist …
    🙂
    Theo

  3. ich war Anfang der 80er Jahre dort….es war unbeschreiblich,,,,trau mich gar nimmer hinfahren- so schön wars……was davon wohl noch so ist , wie damals……

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