Mit 4 Pferden nach Hellas

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“Einer unbekannten Lastträgerin in den Steinbrüchen von Delphi”.
Über Bücher, die mit einer solch ungewöhnlichen Widmung beginnen, redet man doch gerne … 🙂 … also:
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Im Jahre 1940 und 1941 überschritten von Norden aus italienische und deutsche Armeen die griechische Grenze. Im Jahre 1936 kam ihnen eine (sehr kleine) Schweizer Armee-Abteilung zuvor, allerdings in friedlicher Absicht, und mit einem ordentlichen Reise-Paß. (Allerdings brachten sie auch ihre geladenen Karabiner mit.) Die Reise der drei Soldaten auf vier Pferden von Bern über Istanbul und Athen dauerte sechs (Winter-)Monate. Auch Chüeri, der erst 14 Monate alte Sennenhund, lief die ganze Strecke. Für ihn war ein Platz auf dem mitgeführten Wagen vorgesehen, wo Verpflegung, Zelt und das Dienstfahrrad lag, aber da hielt er es nicht aus.
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Chüeri marschiert über die Kitzbühler Alpen (Originalbildunterschrift)
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Schon bei der ersten Grenzüberschreitung der Schweizer Saumkolonne (nach Liechtenstein) werden sie vom Straßenrand her gefragt: “Giabt’s a Krieg? Wo wollt’s denn hin?” Schließlich führte Mussolini in der Zeit in Abessinien (Äthiopien) einen Angriffskrieg und redete von “faschistischer Weltherrschaft”. Im weiteren Kreis um Italien herum war man unruhig geworden …
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Gastfreundschaft türkischer Zigeuner (Originalbildunterschrift)
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Die Österreicher sind am mißtrauischsten. Sie glauben, die Schweizer kämen extra nicht mit dem Automobil, weil sie die Möglichkeiten für eine berittene Gebirgsjägerformation ausspionieren wollen! Die Schweizer, unter der Leitung des Oberleutnants Hans Schwarz, machten die Tour jedoch, um für die Leistung der privaten Schweizer Pferdezüchter zu werben. (Offensichtlich erreichten sie auch einiges an Medieninteresse.) Der Schweizer Staat ist der Hauptsponsor der Tour. Die “Reiterurlauber” bewegen sich über Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien bis Istanbul. Von da aus geht es ausnahmsweise per Schiff nach Piräus (was sie alle bereuen, denn auf dem Schiff werden alle seekrank, auch die Pferde).
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Nordgriechische Bergstadt Arakhova (Originalbildunterschrift)
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Die griechische Strecke geht von Athen über Eleusis, Theben, Livadia, Arachova, Delphi, bis Itea. Von hier wird das Material per Schiff nach Missolongi transportiert, die Pferde bleiben auf festem Boden, über Amphissa, Lidoriki, Nafpaktos, Missolongi, Agrinion, Arta, Ioannina und Kalpaki geht es weiter, dann durch Albanien, Jugoslawien und Österreich zurück bis nach Bern.
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In Griechenland, beim Bergpfarrer
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Die meisten Übernachtungen werden privat in Bauernhöfen, in Kasernen oder im Zelt gemacht (nein, es gab keine touristischen Reiter-Hotels …), wenn nicht gerade eine Schweizer Firma im Ausland etwas Edleres spendieren konnte. In Athen lebt man mit Akropolis-Blick im feudalen Grande Bretagne (ja, Schweizer Hotelchef), was Herrn Oberleutnant Schwarz doch irritiert. Der griechische Durchschnittslohn beträgt zu der Zeit 400 Drachmen, und im Hotel werden Champagnerflaschen vorgesetzt, die laut Getränkekarte 600 Drachmen kosten … und Chüeri, der Hund, kriegt sein Fressen vom Room-Service gebracht, Fleisch und Beilagen separat sortiert, auf feinstem Hotel-Porzellan.
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Geschossen wird übrigens nur einmal, und dann auf angreifende wilde Hunde, während eines Nachtritts von Arta nach Ioannina. Allerdings muß in Albanien (wo man Straßenräuber und Polizisten kaum unterscheiden kann) auch ab und zu mit dem geladenen Karabiner gedroht werden …
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Albanien war seit dem Tirana-Pakt von 1926 unter italienisch-faschistischen Einfluß geraten. Schwarz: “Italien baut Strassen, Befestigungen und Sperrstellungen, es beeinflußt die Politik und Wirtschaft, und der italienischen Propaganda sind die Albaner kritiklos ausgeliefert. Auf allen öffentlichen Plätzen der kleinen Städtchen und Dörfer sind Lautsprecher angebracht, und der einzige Sender der Welt, der albanisch sendet, ist der Sender von Bari (Süditalien).”
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Die Schweizer “Saumkolonne” in Thrakien
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“Das Angestauntwerden sind wir längst gewöhnt, und Volksaufläufe sind uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Das neugierigste Volk scheint aber noch das Volk der modernen Hellenen zu sein. In Rumänien und Bulgarien griffen jeweils etwas rüde Polizisten mit dem Gummiknüttel ein und schafften Raum um unsere vier Rosse; aber hier in Griechenland ist der Respekt vor der heiligen Hermandad (spanisch: Bruderschaft) nicht allzugross. Die feldgrauen Polizisten können lange kommandieren und schreien; haben sie linker Hand mit vieler Mühe die Menge zurückgedrängt, steht sie gleich rechter Hand um so dichter, und die Straßenjungen schlüpfen den Gendarmen mit affenartiger Behendigkeit zwischen den Beinen und unter den Armen durch.”
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Die sechsmonatige Winterreise geht ohne größeren Unfall zu Ende. Da zweimal Verpflegungs-Nachschub aus der Schweiz herangeschafft wird, reichen die Schachteln Gerber-Käse bis fast zum Ende der Reise (Gerber & Cie. AG, Erste schweizerische Schachtelkäsefabrik, Thun, einer der Reisesponsoren …). Eins der Pferde braucht einmal den Tierarzt, gesundet aber schnell. Ob nach dem Erfolg der Expedition die Schweizer Bergpferdezucht (oder die Firma Gerber) größere Umsätze machte, ist nicht überliefert …
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VIER PFERDE, EIN HUND UND DREI SOLDATEN
Ein Ritt nach Stambul und Athen
HANS SCHWARZ
1937, Rascher Verlag / Zürich
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6 comments

  1. Hallo Richi, bedauernswert, echt bedauernswert, so eine Allergie … möchte ich nicht haben, sowas … aber wenn amazon demnächst alle in der Menschheitsgeschichte erschienenen Bücher gescannt und gespeichert hat, dann geht’s ja wieder … herkömmliche Bücher werden dann vernichtet bzw. nur noch draußen in frischer Luft aufbewahrt und konsumiert (dabei darf dann auch geraucht werden) … 🙂 …
    Theo

  2. Daß am Bildschirm was wächst, ist auch was Neues … Bio-Hardware?
    Ich wünschte mir, mein Bildschirm würde auf ca. 70×100 cm Größe wachsen!
    Theo

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