Sardinien: Die Trenino Verde Schmalspurbahn 1989, Teil 2

Bahnhof Arbatax

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01.04.1989, Samstag. Wegen unseres Tagesplans (Wanderung oben in den Bergen) müssen wir den ersten Zug ab Arbatax nehmen. Es ist noch längst nicht halb acht, als wir unseren handausgefüllten, gestempelten und mit der Schere korrekt zugeschnittenen Fahrschein in Empfang nehmen. Rückfahrkarte für zwei Personen, 62 Kilometer bis Gairo … 5.000 Lire (das waren 8 Mark bzw. 4 Euro). Für einen Berghirten mag das viel Geld gewesen sein. Trotzdem: Kein Wunder, daß der Betrieb auf der Strecke unrentabel ist.
Der Gedanke an vom Computer ausgedruckte Norm-Tickets liegt noch weit jenseits des Horizonts:

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Ein paar schläfrige Schüler steigen mit ein, für sie geht es nur zur Schule in Tortoli.
Also steigen sie nach 5 Kilometern Fahrt schon wieder aus. An ihnen verdient die Eisenbahngesellschaft bestimmt gar nichts.
Die Lokomotive läßt im Leerlauf den Dieselmotor bereits laufen, aber Sie können ruhig zwei Meter davor das Gleis überqueren. Hier haben alle einen guten Schutzengel …

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Grafik: http://www.treninoverde.com/

Ab Tortoli teilen wir den einzigen Wagen bloß mit einer sehr alten Frau in witwenschwarz. Es ist wohl ihr Sohn, der ihr hilft, einen Sitz einzunehmen. Sie hat scheinbar große Angst vor der Fahrt, ihr Sohn redet lange beruhigend auf sie ein, steigt aus, signalisiert dem Lokführer: Kann weitergehen!
Sie drückt sich in eine Ecke, zieht sich das Kopftuch über die Stirn, schließt die  Augen, faltet die Hände, betet. Hört nicht auf zu beten, bis sie oben in den Bergen von der Verwandtschaft abgeholt wird. Wenigstens wird ihr nicht schlecht …

Noch heute heißt es: „Wenn Sie einen empfindlichen Magen haben, ist es vielleicht angebracht, vor einer Fahrt etwas gegen Übelkeit einzunehmen. Die Lokführer beschleunigen und bremsen ununterbrochen, auch sind die Kurven teilweise recht eng. Außerdem ist das Gleisbett ziemlich ausgeleiert, so dass die Waggons ständig hin- und herschaukeln.“ (Quelle: Seitenende)

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Wir weichen irgendwo einem stillgelegten Triebwagen aus und haben einen ungewohnten Zwischenhalt. An einer gewöhnlichen Tankstelle. Es wird Diesel nachgetankt:

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Inzwischen haben wir etwa 800 Meter Höhenunterschied überwunden. Noch füllt Frühdunst die Täler unterhalb der Strecke:

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Wir nähern uns dem höchsten Punkt unserer Fahrt, dem Bahnhof von Arzana, dessen Aussehen nach einer dringenden Renovierung ruft. Hier steigt tatsächlich wieder jemand ein.

Heute, 2022, ist der Bahnhof stillgelegt, aber frischrenoviert und in ein Restaurant umgewandelt.
Das ist mutig, denn meist liegen die Bahnhöfe auf dieser Strecke weit ab von den zugehörigen Dörfern.

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Und ja, hier oben gibt es tatsächlich ein paar schmale Straßen, die die Bahnstrecke kreuzen. Meist sind es Frauen aus einem Ort in der Nachbarschaft, die (im Nebenerwerb) mit dem Fiat oder dem Motorroller anreisen und die Straße mit einer Kette sperren.
(Ein Job, den man nicht hätte haben wollen, wenn im Winter Sturm und Schnee herrschte, und absolut niemand mehr auf den Straßen unterwegs war! Aber heute ist der Trenino Verde ja nur noch im Sommer unterwegs.)

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Hier ist natürlich so mancher unterwegs, der sich nicht an die Verkehrsregeln hält, und sich auch von den Signaltönen der Lok nicht irritieren läßt. Hier wandern unbeaufsichtigte Rinder- und Schafherden quer durchs unbewirtschaftete Land auf der Suche nach frischem Grün.
Der Lokführer verlangsamt die Fahrt, fährt aber ungerührt mitten durch eine Rinderherde, ohne auf die letzten Kälber zu achten, die die Strecke noch gar nicht überquert hatten. Die Nachzügler kreuzen einigermaßen aufgeregt nach der Durchfahrt des Zuges:

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Eine kleine (Haus-)Schweineherde hatten wir auch schon vor uns her gejagt. An einer Stelle, wo sie nicht zur Seite hin ausweichen konnten. Ihre Panik war groß. Fotografieren konnte ich sie nicht.
Aber wir sind auch bereits fast am Ziel. Am zentralen Bahnhof von Gairo:

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Angeblich enden hier heute die Züge aus Arbatax, weil einige Brücken auf der folgenden Strecke nicht mehr sicher sind. Auch unser Zug endete hier und bereitete sich auf die Rückfahrt vor:

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Hier gab sich auch die Gelegenheit, einen dieser imposanten Güterzuge  🙂   samt Zugbegleiterwagen zu sehen:

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Hier begann unsere Wanderung durch das erdbebengeschädigte Gebiet. War nicht so aufmunternd. An wenigen Stellen war man mit dem Wiederaufbau der Dörfer beschäftigt:

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Die Streusiedlung Gairo hat mehrere Haltepunkte. Wir mußten ein paar Lira nachzahlen, um zum Bahnhof, an dem wir ausgestiegen waren, zurück zu kommen. (Die Nebenstrecke Jerzu-Gairo ist heute stillgelegt.)
Aber es gab wieder schöne Tickets für Eisenbahn-Romantiker zum Aufbewahren. Sie mußten vom Personal mühselig und mit großer Präzision mehrfach gelocht werden: Preis, Startbahnhof, Zielbahnhof, Datum. Das alles für 1.000 Lira. Dem Capostazione reichte es, nur eins unserer Tickets zu lochen. Es kontrollierte ja eh keiner:

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Abschließend noch ein paar Worte zur Geschichte der Bahn:

Die italienische Bahngesellschaft Società italiana per le Strade Ferrate Secondarie della Sardegna begann 1890 mit dem Bau der Bahnstrecke zwischen den Bergdörfern und dem Hafenort Arbatax. 1894 konnte der Zugverkehr aufgenommen werden. 1921 übernahm die Bahngesellschaft Ferrovie Complementari della Sardegna die Strecke.

Die Bahn ist mit hohem technischen Aufwand gebaut und in der Unterhaltung entsprechend aufwendig. Die Strecke ist durch zahlreiche Kurven relativ lang und die zulässigen Geschwindigkeiten gering. 1956 wurde der Verkehr teilweise eingestellt. Auch die neuen Dieseltriebwagen konnten die Situation nicht grundlegend verbessern.

1989 – also noch vor unseren Fahrten im Frühjahr des Jahres – übernahm die Ferrovie della Sardegna (FdS) den Betrieb. Zunächst wurde die Infrastruktur saniert, dann aber am im Jahr 1997 der planmäßige Personenverkehr doch eingestellt. Nun wurde die landschaftlich reizvolle Strecke nur während der Sommermonate durch den Touristen-Zug „Trenino Verde“ befahren.

Im Sommer 2016 wurden Belastungsproben an einigen Brücken durchgeführt. Die Ergebnisse waren wohl alarmierend. Seitdem wird die Strecke nicht mehr durchgängig befahren, sondern von Arbatax kommende Züge wenden in Gairo.

Quelle: http://www.treninoverde.com/arbatax-gairo-new/

Wer heute den Trenino Verde für einen Tagesausflug benutzt, sollte an folgendes denken  (außer einer rechtzeitigen Platzreservierung, denn im Hochsommer kann es in dem kleinen Zug sehr voll werden):

„Als die Schmalspurstrecken auf Sardinien Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, wurden die Baugesellschaften nach laufenden Kilometern entlohnt. Das hatte zur Folge, dass die Strecken entsprechend lang wurden. Tunnel und Brücken sind eher selten.
Die Gleise verlaufen in endlosen Kurven an den Berghängen entlang in die Täler hinein und dann auf der anderen Talseite wieder zurück. Natürlich dauert eine Fahrt jedes Mal sehr lange und so haben die Schmalspurbahnen als reines Transportmittel schon seit langem keine Bedeutung mehr.

Wenn Sie einen empfindlichen Magen haben, ist es vielleicht angebracht, vor einer Fahrt etwas gegen Übelkeit einzunehmen. Die Lokführer beschleunigen und bremsen ununterbrochen, auch sind die Kurven teilweise recht eng. Außerdem ist das Gleisbett ziemlich ausgeleiert, so dass die Waggons ständig hin- und herschaukeln.“
Text (gekürzt) aus:
https://www.traumziel-sardinien.com/die-insel/sehenswuerdigkeiten/trenino-verde-arbatax-sadali/

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One comment

  1. Ich hatte auf der Sardinienreise 1989 einen alten Baedeker-Reiseführer mitgenommen, und an den einzelnen Stationen haben wir den immer aufgeschlagen und uns darüber amüsiert, wie es ein paar Jahrzehnte vorher dort ausssah. Für diejenigen, die sich bis hier hin durchgearbeitet haben, also noch ein Nachtrag:

    Über die Schmalspurbahn steht im Baedeker “Unter-Italien” von 1912 folgendes (Seite 448):
    “Von Cagliari über Mandas nach Tortoli, 224 km, Sekundärbahn in 12 1/2 Std., für 15 fr. 20 c, 8 fr. 90 c *. – Nur der Frühzug geht durch. Man versehe sich mit Mundvorrat. (…) 60 km Mandas (491m; Bahnrestaur., gut, auch Zimmer, telegraphisch vorzubestellen) (…) 167 km Gairo (Bahnbüffett), wo eine Zweigbahn nach Ierzu abgeht. (…) 224 km Tortoli (Trattoria bei Pupilli, gut), in ungesunder Lage, 4 1/2 km von dem Hafenort Arbatax oder Tortoli-Marina, wo die Eisenbahn endet.”

    * Schon damals gab es also nur sehr wenige Fahrten, und die Durchschnittsgeschwindigkeit lag unter 20km/Std. Und teuer war die Fahrt auch! Zum Vergleich: Im besten Hotel in Cagliari (Scala di Ferro) kostete das Zimmer 3-6 fr. (Franc/Lira/Drachme damals gleichwertig).

    Was stand im Merian “Sardinien” (Oktober 1986)?
    “Quer durch das Gennargentu-Gebiet und seine Naturschönheiten zuckelt das trenino verde, das grüne Bähnchen. Es ist keine Einrichtung für Touristen, sondern transportiert ein paar Dutzend Pendler am Tag zwischen Cagliari und dem kleinen Fährhafen Arbatax – Bauern, Geschäftsleute und kleine Angestellte. Das herrliche Panorama wird kostenlos mitgeliefert, und so sitzen auch immer einige Feriengäste auf den harten Bänken.”

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