Folegandros 1 – ein Zeitsprung

Folegandros Chora
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Folegandros, das Inseldorf, schon immer am Abgrund …
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Es gibt Leute, die haben es immer sehr eilig – wie es sich heute gehört – und die wollen nach Santorini. Santorini, die Urlaubs-Trauminsel, wo betuchte Chinesen vor dem schwefelgelben Sonnenuntergang ihre Hochzeitsfotos machen. Diese Leute benutzen den SeaJet oder eins der Schwester-Katamarane. Da sitzt man sechs Stunden aufgereiht in einer Blechkiste, wird mit Werbung und dämlichen Popmusik-Videos traktiert (doof wie WDR 2), darf bei Seegang nicht aufstehen und verpaßt das Beste der Tour: Die Einfahrt in den Krater von Santorini. Davon sieht man in der Blechkiste nämlich nichts. In Piräus einsortiert, auf Santorini ausgekippt, fertig.
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Ich mußte auf der Fahrt von Piräus nach Sifnos, und von Sifnos nach Folegandros leider zwei Mal den SeaJet2 benutzen. Waren je 2 Stunden Überfahrt, 47,90 + 49,50 = 97,40 Euro Fahrtkosten. Die Fahrt mit der Autofähre Adamantios Korais hätte 35 Euro gekostet – von Piräus nach Folegandros. Die Korais – ein komfortables und ziviliertes Schiff der Zante-Lines – fährt aber nur zwei Mal pro Woche und ist 10 Stunden unterwegs.
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Die See war rau, starker Nordwind. Wellen hämmerten unter uns an den Boden, brandeten über die Fenster. Auf der Seajet wurden zahlreiche Kotztüten von grüngraugetönten Passagieren nach hinten zum Steward getragen. Asiaten werden besonders schnell seekrank. Aber … großer Vorteil bei Seegang: Die Video-Präsentation wird abgeschaltet!
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Das war 1978 noch ganz anders. Die Fahrt von Piräus zur Insel Folegandros konnte bis zu 40 Stunden dauern, und ein Hafenkai gab es auch nicht. Nur ein Mal pro Woche lief ein Schiff die Insel an.
„Das heißt, von Anlaufen kann eigentlich nicht ganz die Rede sein. Wie schon zu antiken Zeiten werden die Schiffspassagiere debarkiert, das heißt, nachdem vorweg schon die Versorgungsgüter per Ruderboot an Land gebracht worden sind, kommt die von der Muskelkraft der Pholegandriner betriebene Barke zum weitab ‚parkenden‘ Schiff zurück, um die Touristen an Land zu holen.“
Christa Kroha: Antike Freuden auf der steinigen Insel, Stuttgarter Zeitung 01.06.1978
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Folegandros Hotel CastroEs gab auch nur ein Gasthaus auf der Insel (das „Castro“), und auf der gerade „aus schön behauenen Marmorsteinen“ (!) hergerichteten Straße vom Hafen zum Hauptort (Chora) verkehrte ein einziges Auto, schreibt Frau Kroha. Heute sind riesige Parkplätze neben dem Ort freigeräumt, auf denen im Frühjahr das Unkraut wuchert, denn die Athener, die im Sommer hier eintreffen, bringen alle ihr Auto mit. Daher gibt es auch heute nur ein einziges Taxi auf der Insel!
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Und was boten uns die Tavernen der “steinigen Insel” damals? „Mit der Gastronomie ist es dennoch so eine Sache auf Pholegandros. Zwar lassen sich keine freundlicheren Wirte denken als auf dieser Insel, doch darf man nicht vergessen, daß das 650 Einwohner zählende Felseneiland bis zum Jahr 1975 so gut wie keinen Reise-Verkehr kannte.“ (Christa Kroha, s.o.)
Obst und Gemüse, Salat und Milch waren knapp. Gutes Brot gab es, Fisch und Hammel, und Zwiebeln, Oliven und Kartoffeln. Und der Wirt mancher Taverne arbeitete gleichzeitig in einem Nebenraum als Friseur.
Noch gab es auf der ehemaligen Verbannungsinsel viele Analphabeten. Das Bürgermeister-Amt half beim Schriftverkehr. Noch gab es nur Zisternen-Wasser, und die Elektrizitätsversorgung war gerade erst eingerichtet worden.
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Zimmer Gaslicht
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Eine Unterkunft ohne Elektrizität können Sie heute noch haben. Nicht weit vom tolerierten Nacktstrand. Gaslicht-Romantik, keine heiße Dusche und kein WLAN …
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Und was prognostizierte Frau Kroha? „Aus mehreren Gründen wird die ‚steinige Insel‘ wohl nie zum Rummelplatz für Touristen werden,“ ist ihr Fazit.
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Folegandros Miet-Mopeds
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Warten auf den Sommer. An der Platia Pountas liegt übrigens die Ambulanz-Station …
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Heute ist alles etwas anders (aber im Mai herrscht noch nicht der Rummelplatz). Im Inselprospekt steht immer noch: „… a quiet island where time seems to have stopped.“
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Aber man bucht per Internet, am Hafen steht der rote Minibus, wie vereinbart, und davor die sehr junge „Chefin“ Kalliope (Popi), die die Rezeption macht und den Transfer und das Frühstück …
Kalliope ist zunächst ein bißchen schüchtern. Aber nachdem sie unter den Augen des – nach der Seajet-Tour in der unerwünschten Gesellschaft von Justin Timberlake, Maria Mena oder James Blunt finsterblickenden – Herrn aus Germania erstmal „aufgetaut“ ist, ist sie munter und neugierig. Sie schämt sich für ihr „schlechtes Englisch“. Ich versichere ihr, wenn ich so gut griechisch sprechen könnte wie sie englisch, würde ich mir ständig voller Stolz auf die Schulter klopfen. Sie lacht.
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Sie hat in Larissa Mikrobiologie studiert, ist also Spezialistin für Pilze, Viren und Bakterien, und an der Rezeption zu sitzen ist ihr erster Job nach dem Studienabschluß. Gut, das ist unter ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit, aber es gefällt ihr sehr. Das Hotel gehört ihrer Familie, und sie hat so viele Freunde hier, da wird es ihr auch im Winter nicht langweilig.
Und die Hygiene im Hotel ist vorbildlich, Mikroorganismen haben selbstverständlich Hausverbot … 🙂 …
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Folegandros Aegeo Hotel
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Das hinter dem „Umgehungsträßchen“ versteckte kleine Aegeo Hotel hat zwar keine Meersicht (hat hier praktisch niemand), aber es ist verschachtelt wie ein kleines Kykladendorf.
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Gerade werden die Zwischenräume zwischen den Bodenplatten aufgefrischt. In aller Ruhe. Chefin Popi (rechts, in Räuberzivil) guckt natürlich nur zu. Ob ich mal ein Foto machen darf? „Yes, but only from behind!“
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Folegandros Aegeo Hotel 2
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Arnold KatzeneggerUnd da ist auch noch der richtige Chef der Anlage unterwegs, Arnold Katzenegger!
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Mittags „fremdele“ ich noch beim Essen auf der Platia („Sind hier überhaupt keine Griechen im Dorf?“), aber das Disneyland-Gefühl legt sich schnell.
Den Nachmittag begehe ich mit einer ortsüblichen Siesta. Bei Kritikos sitze ich abends, mit dem Rücken zur Kirchenwand (Theoskepasti).
Kinder, Hunde und Katzen sind unterwegs. Schön. Viele durch üble Verletzungen „behinderte“ Katzen (Autounfälle? Hunde?). Einheimische in Feierabendstimmung. Der Nordwind verteilt die Papier-Servietten im Dorf. Und streut die Blütenblätter ins Essen.
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Gegenüber im Restaurant „Chic“ sitzen die Touristen Ellenbogen an Ellenbogen. Da kocht angeblich Ute, die deutsche Chefin. Die esoterisch-elektronische Musikberieselung auf der Platia Dounavi vom Mittag ist nun auf Rebetiko umgestellt.
Zwei junge Paare (Koreaner?) hören mit unbewegtem Gesicht zu.
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Folegandros Kritikos Taverne
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Das „Kritikos“, am nächsten Tag, vor dem Gewitter …
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One comment

  1. “Und der Wirt mancher Taverne arbeitete gleichzeitig in einem Nebenraum als Friseur.” = genial, die schöne gute alte Zeit. Leider alles verschwunden.

    vg, kv

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