Kleiner Gruß an die Küche (2018)

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Es war einmal ein kleines renommiertes Restaurant in Amsterdam. Sein damaliger Besitzer, Ben, war überregional bekannt für seinen Weinverstand. Meine damalige Freundin half Ben beim Vermarkten seines Etablissements und begleitete ihn ab und zu zu Blindverkostungen. Was Ben da herausschmeckte, in allen Details, verblüffte die anderen Weinprobenbesucher immer wieder. Manche glaubten an irgendwelche Tricks oder Absprachen mit dem Veranstalter, aber die gab es nicht. Ben war ein Phänomen.
Wir haben oft in seinem Restaurant gegessen, in der Regel samstags, wenn nicht viel los war und Ben sich um uns kümmern konnte. Ben zahlte in Sachleistungen.
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Nun, eines Tages war Ben davon überzeugt, daß das gute Leben zu viel für seine Gesundheit war. Er machte eine monatelange Diät und trank keinen Schluck Alkohol. Die überflüssigen Kilos waren irgendwann verschwunden und Ben kaufte Wein für die nächste Saison. Und wir kamen wieder zum Essen. Es war perfekt, wie immer, aber der empfohlene neue Wein war echt neben der Spur. Vorsichtiges Reklamieren, und sofort ein schrilles Echo aus der Küche: Wir haben es ihm auch schon gesagt, aber auf uns hört er ja nicht!
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Ben hatte sich durch seine Enthaltsamkeit den Weingeschmack verdorben. Und brauchte sehr lange, um wieder den alten Standard zu erreichen.
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An Ben hatte ich in diesem Jahr manchmal gedacht – immer wieder fiel mir auf, wie wenig mir das Essen noch schmeckte, nicht nur in Griechenland.
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Nein, ich hatte keine Diät gemacht, um mir das Geschmacksempfinden zu verderben, aber ich hatte schon einmal erlebt, wie ich vorübergehend das Farbempfinden verloren hatte. Das machte mich jetzt mißtrauisch.
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Also heute, in Griechenland? Ist was mit mir? Ist da etwas objektiv anders als früher?
Ist es Mode geworden bei griechischen Köchen, im Winter strenge Diät zu halten, um den Kamaki-Körper zu stählen? Schauen sie zu viele experimentelle Koch-Shows in Fernsehen? Wirkt sich das später aus in der Saison? 🙂
Oder hatte ich einen individuellen Kurzschluß im Hirn, der mein Geschmacksempfinden an manchen Tagen auf den Kopf stellte?
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Bei meiner dritten Griechenland-Tour 2018 (Pilion und Alonissos, Zeit in Volos und Thessaloniki) habe ich in den Tavernen so viele fast volle Teller zurückgehen lassen wie nie zuvor in so kurzer Zeit. Aber das war im Januar und im Mai 2018 tendenziell schon ähnlich.
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Anfangs konnte ich mich davon noch ablenken. Vielleicht mit dem offenbar kopflosen Drehorgelspieler an der Hafenfront in Volos, neben unserem Tavernentisch … doch am Ende von zwei Tagen hatte ich bereits verkochtes Spetsofai, zu grob püriertes Fava und Lammkoteletts, die mit der Axt zurechtgehauen und schön schwarz angebrannt wurden, hinter mir. (Mir in Griechenland endlich kein paidakia mehr zu bestellen, muß ich auch noch lernen.)
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Wie hatte ich mich im Bus Richtung Miliés auf das Olivenbrot des dortigen Bäckers gefreut! Dafür hat man früher kilometerweite Umwege in Kauf genommen. Kein Focaccia in Ligurien konnte da entfernt heranreichen! Hier ein „historisches“ Foto … porös, zart und locker, die richtige Spur Öl und Salz, und feste, kleine (!) Oliven ohne Kern im Teig:
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Natürlich war ich in Miliés auch wieder umgehend im Laden. Hier bitte:
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Blankes Entsetzen. Der Teig war teilweise nicht mal aufgegangen unter Riesen-Oliven, die auch noch auf der Teigoberfläche statt im Teig positioniert waren und inzwischen geplatzt, verbrannt und vertrocknet waren. Dazu auch noch muffige Zwiebelringe als Zugabe.
In der Zeit, in der mir das Olivenbrot als Notvorrat (36 Stunden Regensturm) dienen sollte, habe ich mir ein Viertel davon hineingequält. Mehr ging nicht.
Tja, man blickt besser nicht zurück. Inzwischen herrscht neues Personal am fournos. Und das Mädel, das hier in den Semesterferien als Verkäuferin jobbt, studiert „food chemistry“. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen …?
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Erstaunlicherweise habe ich in der Regel das schlechte Essen der Herbstsaison gar nicht abgelichtet! Manchmal lähmt einen der Schock …
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Am Ende der kleinen Pilion-Regenzeit saß ich in Afissos am Pagasitischen Golf, im „Faros“, vor mir eine Schale Fischsuppe. Die Sonne brannte wieder. Ja, ganz großes Lob für die Suppe, und da habe ich auch die Kamera herausgeholt:
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Die Frage nach Fischsuppe in den Fischlokalen am Hafen von Volos war ergebnislos. Also landete ich im „Terra Resto“, mit „mediterraner und Burger-Küche“. Ich hatte ein phantastisches Panino, ofenwarm mit Weizenschrot und Sesam und Frischkäse, sie können sogar pesto genovese (großzügig, die Handvoll gerösteter Pinienkerne, aber zu wenig Knoblauch), und sie machen Portionen wie für einen Triathlon-Athleten:
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Aber das mit der überdimensionierten Kohlehydratzufuhr in Nudelgerichten ist griechenlandtypisch. (Bestellen Sie Pasta-Portionen besser nur, wenn Sie zu zweit sind, und verlangen Sie einen Extrateller!)
Hier meine Portion Thunfisch-Tagliatelle („Archipelago“, Patitiri, Alonissos) in dem Moment, als ich aufhören mußte zu essen. Zwei Drittel gehen zurück in die Tonne, oder an die Katzen:
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Dabei hat es mir sogar gut geschmeckt, obwohl ich gar kein Thunfischfan bin. Inzwischen hatte ich in Patitiri schon Fischfiletstreifen im Gemüsereste-Mix (voll negativ) und geschmorte Pilze und Tsatsiki in Chora (voll positiv).
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Muß sagen, die schönste Kalorienzufuhr war jeden Morgen unser improvisiertes Frühstück auf dem Balkon in Patitiri, mit großer Hafensicht. Boote rein, Boote raus, einmal beschimpft eine ältere Einheimische eine Gruppe Bootstouristen, laut und ausdauernd, ganz spannend …
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IMG_0437_A450Bei unserer eintägigen Inselrundfahrt (Fiat, 85.000 km auf dem Tacho) landen wir im Hafendörfchen Steni Vala. Hier haben Anfang Oktober noch vier Tavernen auf. Im Hafen liegen zwei Dutzend Jachten einer Segelschule.
Die Fiat-Pilotin sucht das empfohlene Fischlokal (Fanari), und ich sehe zum ersten Mal in vielen Jahren, daß sie ihren Teller nicht leerkriegt (gefüllter Oktopus).
Hatte doch der weise alte Wolfram Siebeck schon immer gesagt:
Die Portionen in Restaurants sind in der Regel zu groß … 🙂 …
Aber über die Qualität des Essens hat die Fiat-Reisegruppe nicht geklagt.
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Wie konnte man nur vergessen: Kein Neapolitaner ißt eine ganze Pizza, und Pasta war früher “bei besseren Leuten” nur ein kleines Zwischengericht im kompletten Menu …
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Der letzte Abend auf Alonissos im angestrengt experimentierfreudigen “Bistro-Café” Helios, geführt von einem Herrn Andreas-Joachim S. … wo die tripadvisor-Bewerter auf rosa Wölkchen schweben …
Oh je.
Fünf Empfehlungen an den Wirt:
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> Räucherlachs nicht auf Mascarpone (!) als ‘Bruschetta’ servieren. Machen Sie es wie ein Deli in New York: Wildlachs nehmen statt dieser Zucht-Substanz vom Discounter, einen neutralen (!) Bagel wie eine Semmel aufschneiden, Philadelphia drauf (ggf. mit Meerrettich, Schnittlauch, Dill abgeschmeckt) und mit roten Zwiebelringen servieren. Kriegen Sie die Zutaten vor Ort nicht, streichen Sie den Posten auf der Karte.
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> Beim Hummus muß etwa die Hälfte der Masse Tahin (Sesampaste) sein, damit das Ganze einen leicht bitteren und appetitanregenden Geschmack kriegt. Und um Himmels Willen Hummus nicht unter geviertelten Weintrauben und geviertelten Cocktailtomaten begraben beim Servieren.
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> Weder auf Fisch, noch auf Vorspeisen oder Pita diese ekelhafte Balsamico-Creme verteilen. Auch wenn das inzwischen fast ALLE Wirte in Europa tun (ja, es gibt wirklich die Mafia und sie ist groß im Essiggeschäft …). Wissen Sie, was in diesem süßklebrigen Zeug steckt?
Das hier:
“Die Grundlage bzw. Grundzutaten einer im Handel vorkommenden typischen Balsamico-Creme sind: Zucker – auch unter dem Namen: Glukose, Saccharose, Dextros, Laktose, Fruktosesirup oder Fruktose-Glukose-Sirup, Glukosesirup, Glukose-Fructose-Sirup oder Stärkesirup, Karamellsirup, Maltose oder Malzextrakt, Verdickungsmittel (für die Konsistenz) – z.B. E412 oder E415, Fruchtsaft, Fruchtpüree, Weinessig, Traubenmostkonzentrat, Farbstoffe – z.B. E150d, Konservierungsstoffe (Sulfite – Kaliummetabisulfit E224) .”
Quelle: https://www.acetobalsamico.de/Balsamico-Creme.html
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> Den offenen Weißwein nicht in einem angestoßenen Blechkännchen mit zwei protzig-überdimensionierten Rotwein-Ballongläsern servieren. So komisch die Kombination auf dem Tisch auch aussieht …
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> Die scheußliche Retro-Musik wenigstens deutlich leiser einstellen (Hollywood-Schmalz 40er Jahre, das schlägt einem so auf den Magen).
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Am nächsten Tag kommt noch was ganz Positives, im Café Pirghos in Thessaloniki. Mezedes! Versöhnt mich wieder mit der Welt … für 2 Euro pro Portion eine Komposition aus: Tarama- und Oktopus-Salat, gefülltes Weinblatt, Oliven, grüne Pfefferschoten, Weißkohl-Karotten-Salat, eingelegtes Gemüse, gewürzter Frischkäse.
Wenn Sie sich an der großzügigen Portion Brot bedienen, ist das fast ein Abendessen. Dazu die Viertelliterflasche Malamatina (2,50).
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Aber das Schlimmste kommt noch am Abend: Ξανθό κοτόπουλο = Blondes Huhn (“Pinaka”, im Markthallenviertel).
Eine flache Schale, auf den ersten Blick scheinbar von Rand zu Rand gefüllt mit Eierlikör … nein, ist fingerbreit hoch gefüllt mit Käsekleistersauce, in der ein paar dünne Fleisch- und Gemüsestreifen gegen das Ertrinken ankämpfen. Keine Beilagen. Das Zeug muß ich nach drei Gabeln umgehend auf den leeren Nebentisch stellen. Ja, das ist unhöflich, sowas, aber mir wäre sonst schlecht geworden.
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Der Kellner sammelt den vollen Teller wortlos ein. Dazu um uns ein Frauenverein (so 25 ältere Damen und zwei Männer) an mehreren Nachbartischen, die zur Live-Musik voll gegen Melodie und Rhythmus klatschen. Wie Rüsselsheim-Drosselgasse nachts um halb eins.
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Fazit: Wir müssen uns wieder auf alte Traditionen besinnen. In diesem alten Römischen Theater in Saloniki wurden früher die Köche der Essenslokale den wilden Tieren vorgeworfen, wenn den Legionären das Essen nicht schmeckte.
🙂
PS. Bens früheres Restaurant existiert heute noch, unter neuer Leitung:
https://www.desilverenspiegel.com/
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6 comments

  1. Du hast den (nur mäßig gebräunten) Toast beim “Bruschetta” vergessen.
    Und die Frühstücksgebäckanordnung lässt offenbar tief blicken… dabei hatten wir beim Frühstück nur ein Platzproblem. 🙂

    PS. das geschmähte Lokal mit dem blonden Huhn (nein, nicht die Bedienung) heißt “Ouzo ston Pinaka”. Man sollte besser einen großen Bogen darum machen.

  2. Ich hab so einiges weggelassen, auch das “Ouzo ston …”.
    Frühstücksgebäckanordnung …? 🙂
    Hattest du das nicht selbst so (platzsparend!) arrangiert?

  3. Aus einem Gastro-Kommentar von Ralph Kindel aus der WAZ vom 03.03.2020:
    “Das fertige Tatar und der Salat sind mit Balsamico-Creme verziert. Eine Unsitte. Der frische Lachs kann mit Öl, Essig, Salz und Pfeffer individuell verfeinert werden, aber diese Industriecreme verhunzt alles.”
    Der Autor hatte seine Kritik beim Service geäußert, und “es wurde mir versprochen, dieses mit der Küche zu besprechen und einzustellen.”
    So so, man müßte nun glatt mal das Lokal besuchen, um zu sehen, ob das Versprechen eingehalten wurde. Leider ist das Lokal ein “Steakhouse” mit dreisten Weinpreisen …

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