Andros, und die Kunst, 2021

Nach einem anstrengenden Reisetag ist es gut, einen ruhigen Platz zum Essen zu finden! Hier der Blick auf die Hafenzeile von Rafina, gesehen aus der Ouzeri O’Ntallas (Vasileos Pavlou 1). Ist nicht ganz so gut wie das „Agnanti“, aber doch empfehlenswert.

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Im Gegensatz zu 1997 wußte ich im Herbst 2021 schon einige Zeit vorher, daß ich nach Andros wollte. Diesmal keine Entscheidung am letzten Tag!
(1997, wie lang das her ist! Wer da vor 24 Jahren in Chora im Kinderwagen saß, bringt heute seinen eigenen Nachwuchs zur Taufe …)

Jetzt, Mitte September, ist es immer noch ungewöhnlich heiß. Am Athener Flughafen herrscht das nackte Verkehrschaos. 90 Minuten Wartezeit auf den gebuchten Transferbus! Warum? Weil aus allen Mittelmeer-Staaten am gleichen Nachmittag Politiker – mindestens im Ministerrang –  zu einer Waldbrand-Präventions-Konferenz anreisen. Alle Zufahrtsstraßen sind gesperrt, nur freie Bahn für die Hohen Herren (und Damen?). Auch Stau auf der Strecke nach Rafina, wo beide Busse des Hotels Avra  festsitzen.

Am nächsten Morgen (Samstag) stehe ich schon um 6 Uhr auf, weil ich vor der Abfahrt meiner Fähre um 8 Uhr noch frühstücken will. Draußen schon wieder das reine Verkehrschaos! Ab 6 Uhr noch zwei Stunden Stau in der Zufahrt zum Hafen, wo kurz hintereinander drei Fähren die Strecke Andros-Tinos-Mykonos bedienen. Meist lassen sich nur Wochenendtouristen von Freunden oder Verwandten in Rafina abliefern. Hier geht der Stau darum in beide Richtungen – zum Hafen hin, vom Hafen weg.

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Diesmal will ich auf Andros nicht in Chora übernachten. Ich bleibe im Hafenort Gavrio, wo man (hoffentlich) noch das „gewöhnliche Leben“ in Griechenland miterlebt. Das Hotel Galaxy liegt direkt am Fähranleger. Es ist ein 70er-Jahre-Betonkasten mit meist abwesendem Chef, mit zerbrechenden Toilettensitzen, ausgeleierten Zimmerschlössern, klemmenden Türen und nachtaktiven Mücken-Großfamilien. (Aber ich wollte ja das „gewöhnliche Leben“ …)
Von den 22 Zimmern haben nur 6 Hafensicht, und ich muß die erste Nacht mit Blick auf die Gasse hinter dem Haus verbringen. Unter Protest. Hafensicht und Balkon waren vereinbart.

Aber am nächsten Morgen winkt mich das Zimmermädchen (freundlich und hilfsbereit, afrikanischer Migrationshintergrund, gutes Englisch und die einzige im Haus mit Durchblick) durch zu Zimmer 12. Es ist jetzt frei und sie hat es für mich schon ganz früh hergerichtet. Eine bessere Aussicht als die von Balkon 12 kann man im Ort nicht haben (im Foto oberste Etage, rechts)!

Hier sitze ich auf dem Balkon und sehe am Sonntagnachmittag gleich 6 Fähren ablegen, die Unmengen von Passagieren und Autos von der Insel exportieren, 4 davon Richtung Rafina oder Piräus:

2021

Andros ist zu einem Wochenendreiseziel geworden für Besucher aus dem Raum Athen.
Wenn ich da an September 1997 denke. Gleicher Ort, gleiche Jahreszeit, und fast niemand am Anleger:

1997

Mal ein Blick vom Balkon in die andere Richtung (Osten) …

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Das ist der ruhigere Teil der Siedlung. Das touristische Angebot konzentriert sich auf die westliche Seite des Fähranlegers. Aber hier im Osten gibt es eine gute Taverne (Pame Vagelis), zwei Cafés, einen Supermarkt, einen Obst/Gemüseladen mit Spezialitäten aus Kreta und die lobenswerte Bäckerei  Petrakis (wo am ganzen Tag Hochbetrieb herrscht). Hier kann man es aushalten.

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Vagelis hat auch viel zu tun, für den alten Herrn, der alleine bedient, schon fast zu viel … er sieht am Abend immer so aus, als ob er vor Erschöpfung gleich umfällt (wie Butler James in ‚Dinner for one‘), aber er hat noch alles im Griff … seine Frau führt die Küche. Die beiden haben einen Trog mit Trockenfutter und eine Wasserschale neben die Terrasse gestellt, für die Katzen. Trotzdem schmeißen manche Gäste immer noch ihre Essensreste auf den Holzfußboden.
Und ich war praktisch jeden Tag einmal da, mal mittags, mal abends.

Am Montag ist die Insel wieder im Ruhezustand. Es kommen immerhin zwei mir doch gut bekannte Tagesausflügler aus Tinos. 🙂 Wir wollen uns ein Auto mieten und uns vor Ort um die Bildende Kunst kümmern! Im Goulandris Museum in Chora gibt es eine überregional
kommentierte Ausstellung mit Bildern von George Rorris. Aber es ist auch an eine kleine Rundfahrt durch die Inseldörfer gedacht, Stenies, Ormos Korthiou, und für eine kleine Getränkepause in Batsi reicht es auch:

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Batsi wird kaum jemals meine temporäre Heimat sein. Egal. Unser wichtigstes Ziel ist das Goulandris-Museum in Chora.
Natürlich muß der Impfnachweis mitgebracht werden, sonst muß man auf das lokale Kulturangebot verzichten.
Aber so viel ist da auch nicht zu verpassen …


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Das Goulandris Museum für moderne Kunst. Vom Eingang aus geht es fünf Etagen in die Tiefe, man hat am Ende fast den Eindruck, man wäre schon unter dem Meeresspiegel …

The nobleness of purity … das Edle des Reinen … muß man das verstehen?

… Monika ist eher enttäuscht von der Ausstellung. Die Arbeit des George Rorris sei von Motivwahl und Technik zwar zeitlos, aber sie generiere keinen Fortschritt in der bildenden Kunst. Und seine Manie, die Bilder aus mehreren Leinwänden zusammenzusetzen, gefällt ihr auch nicht.
(Monika präzisiert ihr Urteil im Kommentar unten!)

Warum macht er das? Rorris Gemälde sind nicht so gigantisch groß, daß man sie am Ende aus Teilen zusammensetzen muß (nicht jeder hat ein Atelier wie Gerhard Richter, der jeden Teil seiner riesigen Leinwände per Aufzug auf Augenhöhe bringen kann). Soll das zusammengesetzte Rahmen-Fachwerk so besonders stabil werden oder sind die vorne sichtbaren Falzkanten bloß sein „Markenzeichen“?

Ich stimme Monika spontan zu. Später überlege ich: Es sind doch einige Arbeiten dabei, die ich gerne länger betrachtet hätte. Motive, die einen zweiten Blick verlangen. (Und der „Fortschritt“ an sich, oder der Zwang zur Originalität in der Bildenden Kunst ist ohnehin eine zweifelhafte Sache.)

Was wäre die Frau, die auf der Treppe sitzt, ohne die Nebenfigur ganz im Hintergrund! Beim ersten Hinsehen nimmt man sie gar nicht wahr, aber geht nicht gerade von ihr eine rätselhafte Spannung aus?
Und die Tristesse in seiner Großstadtansicht läßt einen so schnell nicht los.

Allerdings, bei Rorris‘ düsteren Frauen-Akten frage ich mich, ist seine Einstellung nun eher frauenfeindlich oder ist sie einfach so realistisch, wie das Publikum es lieber nicht hätte?
Rorris sucht zwar Perfektion in der Komposition (sagt er), aber er bildet kaum „klassische Schönheiten“ ab, und überhöht auch nichts, um zu gefallen. (Oft gegen seinen inneren Willen, der „beautification“ anstrebt.) Daran ist nichts auszusetzen. Aber so manche Pose, die er seine Modelle einnehmen läßt, wirkt schon eher peinlich.

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In einem Interview, das ekathimerini zum Ausstellungsbeginn brachte, sagt er, daß er nie aufhören könnte, ein „fertiges“ Bild zu ändern, und daß er froh ist, wenn ein Bild nicht mehr in seinem Besitz ist. Es würde ihm sonst keine Ruhe lassen:
„You always want to be something more whole, more precise, more incisive and with more endurance and, possibly, with greater force of impact. My pieces no longer belong to me, I cannot even touch them or change them. Had they been mine, I may have the inclination to grab a ladder and my paintbrushes and start altering them.”

Und “I want my work to get to the heart of things, to touch the marrow, I’m not trying to reach people’s intellect.”
Marialena Spyropoulou: “George Rorris – Getting down to the marrow”, ekathimerini 06.09.2021

Zurück in die wirkliche Welt … 🙂 … Mittag im Kafeneion Νοσταλγία (wie das Lokal schon 1997 hieß), diesmal besonders gut die gebackenen Baby-Kalamares und die marinierten Sardellenfilets … dann geht es auf Klostersuche. Wobei ich bei einem Kloster lieber draußen bleibe. Da gibt es auch genug Bewundernswertes zu entdecken:

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Einfaches Handwerk, einfaches Werkzeug. Aber immer wieder schön.

Chora

Ich komme noch einmal nach Chora. Diesmal mit dem Bus. (Für ein drittes Mal fehlt mir leider die Zeit.)
Wenn ich – wie bisher üblich – in 24 Jahren wieder nach Andros komme, ob ich dann nicht doch wieder im nobel-bescheidenen Hotel Egli in Chora wohnen sollte statt im Hafenort …?
Wer hat da gelacht?  🙂

Hotel Egli

Die Altstadt liegt ja auf einer schmalen Landspitze in der Bucht, an ihrem Ende und vom Meer von ihr getrennt die Ruinen eines venezianischen Kastells. Das Fundament einer uralten Brücke führt noch hinüber. Der Seemann aus Bronze schaut auf diesen Gebäuderest:

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Außer dem rostfreien Seemann und mir laufen noch zwei französische Rentnerpaare auf dem geräumigen Aussichtsplatz herum. Ich sitze auf einer Treppenstufe im Schatten und stutze plötzlich. Da ist doch einer der Rentner zum Kastell rübergeklettert:

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Wie lebensmüde kann man sein? Und jetzt macht sich auch noch der zweite auf den Weg über den Brückenbogen. Er darf nur rüber, nachdem er seiner (verärgerten) Frau seinen Rucksack überlassen hat:

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Nach kurzer Zeit kommen beide zurück. Nun geht es den Messieurs nicht mehr um die Angeberei vor Mesdames, es geht zur Sicherheit auf allen vieren über die Brücke. Einem der beiden hat der Wind gerade die Mütze vom Kopf gerissen und ins Meer befördert – und sie wollen wohl beide nicht selbst hinterherfliegen:

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Leider hat das Digitale Museum der Stadt geschlossen, und ich kann Ihnen leider nicht sagen, was drin ist:

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Vielleicht ist es nur ein Witz. Könnte es sonst das kleinste Museumsgebäude der Welt sein …? Naja, wenn es die digitale Erscheinung der Welt zeigt, muß es ja nicht groß sein. Eigentlich muß man da drin doch nur die Dreifaltigkeit zeigen, mit der das Digitale sichtbar wird: PC, Server, Smartphone. Der Rest ist ausgelagert in die „cloud“ …
Aber wahrscheinlich mißverstehe ich das alles … 🙂 …

Wo es um Mißverständnisse geht … ich habe im „Verde“ (in der Nähe der Bushaltestelle) ein „Mythos“ bestellt, aber ein „Nissos“ gekriegt. Das Bier aus Tinos, das ich eigentlich nicht mag. Aber ich rede ja immer so leise, und dann noch der Corona-Abstand zum Personal und dazu das Rauschen der Blätter …
Egal. Ich sehe die 5 Euro für die 0,33Liter-Flasche als Investition für die wunderbare Aussicht ins grüne Tal südlich von Chora und habe mich nicht beschwert:

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Ach so, Tinos … die Taubenhäuser auf Andros sind längst nicht so schön wie auf Tinos, und selten zu finden, und meistens zweckentfremdet genutzt:

Touristen-Information in Gavrio, 2021
Chora, 1997

Inzwischen gibt es ein ausgefeiltes Wandernetz auf Andros. 1997 mußte man sich ja noch seine Intuition verlassen. Und seit 2019 eine Wanderkarte, die so gestaltet ist, daß sich kaum einer noch drauf zurechtfindet (von Anavasi, 1:27.000, zeigt 180 Kilometer Wanderwege).

Dann also bis 2045! 🙂











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4 comments

  1. Monika Brand kann ihr Urteil über George Rorris sicher besser formulieren als ich. Ich habe das aus ihrer mail heute entnehmen können:

    Bezüglich der Rorris-Ausstellungen fühle ich mich nicht gut verstanden. Deshalb ein paar Anmerkungen: Der Begriff des Fortschritts ist untauglich zur Beurteilung von bildender Kunst. Ein Zwang zur Originalität ist unsinnig; das reine Wiederkäuen von alt Hergebrachtem kann aber auch kein Ziel sein. Die Maltechnik von Rorris erinnert mich an den Expressionismus; kann also nicht zeitlos sein, sondern ca. 100 Jahre alt.

    Die Frauenakte wirken alle abstoßend bzw. peinlich, wie du schon geschrieben hast, und sind insofern frauenfeindlich, da unrealistisch in ihrer negativen Überzeichnung. Dass er angeblich “beautification” anstrebt, ist ein Witz. Die Art der Darstellung nackter Körper erinnert mich an Egon Schiele – da sind wir wieder beim Expressionismus! Der setzt sich allerdings vielfach auch mit dem eigenen Körper auseinander. Wieso gibt es also bei Rorris keine männlichen Akte? Es müssen ja keine Selbstporträts sein.

    Dass mir die zusammengesetzten Leinwände nicht gefallen, trifft nicht zu. Ich habe eher eine offene Frage, warum er das tut. Wenn es eine Funktion bezüglich der Komposition hat, so habe ich sie nicht durchschaut.

  2. Im Kapitel geht es ja nicht nur um die Kunst im Museum, es geht auch um die Kunst des Überlebens, die Kunst der Bäcker und Handwerker usw. … 🙂 … und um die Kunst des Hinsehens:
    Ich lese im Moment noch einmal das Buch von Robert Leigh über Andros. Er hat in den 1980er Jahren auf Andros Taubenhäuser an jeder Ecke gefunden, und sah sie als (fast) einzigartig und charakteristisch für die Insel an. Allerdings kannte er Tinos nur ganz flüchtig …

  3. Über Robert Leighs oberflächliche Darstellung müssen wir uns nicht streiten, artblogmailde. Schauen Sie mal in die Seiten über Tinos. In Eleni’s Koutouki am alten Fährhafen von Tinos gibt es übrigens noch heuteTaube auf der Speisekarte.

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