Chios – die Mastixdörfer

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Befestigtes Dorf in der Mastichohoria/Chios: Mesta
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Kurz vorneweg, 25.01.2014: Chios im Ende September 1985, das ist lange her … aber der Tourismus bestimmt die Insel auch heute noch nicht … es ist nach 2001 (Lesbos und Chios, von DuMont) nur ein einziger Chios-Reiseführer neu erschienen, von Philippe Rensing (Müllers Reiseführer)!
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Siehe auch: Chios … kurzgefaßt
Siehe auch: Chios – die Mastixkultur

Wir sind die einzigen, die in Pyrgi unser Gepäck aus dem Bus herauszerren. Auf der Bank an der Haltestelle eine blonde Frau, etwa 40, Rucksack, ein Blumenstrauß aus Gartenblumen neben sich, in Abschiedstränen aufgelöst. Sie muß warten, bis der Bus aus Mesta wieder zurückkehrt. Sie muß zum Hafen, wo wir gerade herkommen, und zurück nach Hause, und es war hier doch sooo schön …
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Ob sie weiß, wo wir übernachten könnten? Nur bei der agrotouristischen Landfrauenkooperative. Hier in den äußerst malerischen Dörfern gibt es keine Pension, kein Hotel. Sie würde uns gerne erklären, bei welcher Frau sie selbst gewohnt hat, aber wir würden das in dem völlig verwinkelten Dorf ja doch nicht finden. Aber das Büro der Kooperative ist gleich dort drüben! Aber es ist geschlossen. Die beiden Sozialarbeiterinnen aus Athen, die die gerade erst gestartete Tourismus-Initiative der Frauen betreuen (nach dem Vorbild des Dorfes Petra auf Lesbos), sind irgendwo auf der Insel zu einer Hochzeitsfeier eingeladen. Ob sie weiß, wann die beiden wiederkommen? Na, keine Ahnung, es ist doch schließlich eine Hochzeitsfeier! Wer guckt da auf die Uhr …

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Nein, es ist nicht das ganze Dorf zur Hochzeit unterwegs …
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14 Uhr. Wir sitzen im Kafeneion auf dem Dorfplatz. Ob es was zu essen gibt? Hier, jetzt? Nein, höchstens einen Käsetoast. Wir lassen unser Gepäck in der Taverne, besichtigen die mastichochoria-typischen Xista”-Fassaden der Häuser. Schwarz-weiße geometrische Muster in Kratzputztechnik überall. Sogar auf der Tankstelle:

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Um 18 Uhr sitzen wir wieder auf der Platia. Der Wirt bringt noch einen Metaxa und ärgert sich über “die fremden Frauen”, die das Büro der Kooperative vernachlässigen … er hält einen kleinen Jungen an. Seine Mutter ist auch dabei, sie vermietet Zimmer etwas außerhalb des Dorfes. Der Kleine soll uns da gleich gefälligst hinbringen!
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Es ist kein romantisches Plätzchen, sondern ein Neubau. Egal, nach einer kurzen Diskussion zwischen Sohn und Mutter können wir bleiben. Es gibt jedoch keine Verpflegung, läßt Mutter uns wissen, denn es ist jetzt Mastixernte …
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Nächster Tag, neun Uhr. Wir sind die einzigen im Haus. Die Familie ist seit dem Morgengrauen auf dem Feld, und der Strom ist aus. Ist irgendwo eine Sicherung? Nein. Also auf ins Kooperative-Büro. Jetzt sind die beiden jungen Damen da. Sie wissen schon von uns … es hat nämlich Ärger gegeben. Die Zimmer im Dorf werden nicht nach Zufall oder Schönheit, sondern exakt in einer bestimmten Reihenfolge vergeben. Und unsere Familie war absolut nicht dran … aha, daher diese Diskussion gestern.
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Daß es bei den Gastgebern nichts zu essen gibt … das sei nicht unbedingt schlimm. Die Frauen würden den Gästen nämlich oft viel zu viel auftischen …! Manche hätten sich schon beschwert, daß sie gemästet würden!

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Wer füttert den Pappas …?
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Wir kriegen einen Zettel zur Lage der Dinge, den der Zehnjährige abends der Mutter vorlesen muß. Sie ist Analphabetin. Eins der vielen Probleme der Kooperative. Ja, mindestens eine der beiden jungen Damen ist immer unterwegs, um etwas persönlich zu klären, denn von den Frauen hat auch kaum jemand Telefon …

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Wir wandern nach Emborio, zum Strand. Treffen ein Studenten-Paar aus München, mit dem wir noch vorgestern in Chios-Stadt in der Taverne zusammengesessen haben. Sie sind mit dem Fahrrad unterwegs. Die Küche der Strandtaverne ist zu, aber unser Münchner spricht fließend griechisch und ist charmant genug, um aus der zugeschmeichelten Wirtin eine Platte Keftedes, Tsatziki und Horiatiki für vier herauszulocken …

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Emborio
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Abends nimmt uns eine der Sozialarbeiterinnen mit ins Nachbardorf Olympi. Sie hat da was zu erledigen, und da gäbe es eine richtige Taverne. Ob es denn was zu essen gäbe, fragt sie den Wirt. Sicher. Was? Brissola (Schweinekoteletts) oder Fisch. Wir strahlen … oh ja, dann nehmen wir den Fisch! Sie winkt ab. Fisch hat er …? Er soll uns den Fisch zeigen. Er greift hinter sich ins Regal. Ein Stapel Ölsardinendosen. Sie lacht. OK, dann Tomatensalat und Koteletts. Die werden direkt hinter der Theke gebraten, auf dem Gaskocher.

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Olympi, vor der Taverne im alten Wehrturm des Dorfes
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Sie setzt sich zu uns an den Tisch. Schmeckt das Essen? Ja, es schmeckt. Sie ist erleichtert. Nein, hier läuft noch gar nichts, was die verwöhnten Nordländer unter den Touristen erfreuen könne. Sie stammt aus Korfu, da ist alles ganz anders … aber die Mastichohoria auf Chios ist eben touristisches Entwicklungsland …! Wir werden morgen Strom haben, dafür hat sie jedenfalls gesorgt, und dann sollen wir uns am besten selbst was kochen!
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Die Wanderstrecke zum Strand (textilfrei erlaubt, dazu fernglasbewaffnete Soldaten im nahen Wachturm, auf Türkenmission) nach Emborio ist auch kein Vergnügen. Eine eher reizlose Asphaltstraße, zu beiden Seiten zugemüllt und voller Bauschutthaufen (das war 1985 in Griechenland noch Standard …). Am zweiten oder dritten Abend finden wir “weggeworfene” Hundewelpen, unterhalb einer Spitzkurve im Dornengebüsch, zwischen zerrissenen Kartons angstvoll fiepend, jedoch unerreichbar. Die Welpen werden da unten verrecken! Also sofort ins Büro, fragen, ob jemand hilft, die Hunde zu retten!
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Unsere Freundin aus Korfu seufzt … ja, das kommt immer wieder vor. Und wenn wir die Welpen mit Hilfe aus dem Dorf rausholen? Hm ja, sicher, sie werden uns helfen, die Hunde rauszuholen, sie tun gerne was, was den Touristen Freude macht … was wir denn mit den Hunden machen wollen? Wir, wieso wir, wir können sie doch nicht mitnehmen! Ja, wenn ihr sie nicht mitnehmt, dann werfen sie sie wieder da unten rein, wenn ihr weg seid
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Wir haben dem Tierschutz keine Ehre gemacht. Am nächsten Tag war es still in der Kurve. Ob der Fuchs die Beute schon geholt hat ?
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Nachtrag: Die Frauenkooperative auf Chios sei “längst gescheitert”, hat 2004 der WDR berichtet.
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4 comments

  1. Kalimera Theo48,
    da ich Thassos als nächstes Reiseziel geplan hatte, machte Katherina mich auf deine Homepage aufmerksam und so kam ich auf deine wunderschöne Seite. Komme mit dem Lesen kaum noch nach.

    Auf Thassos will ich mal später zurückkommen, denn deine erste Griechenlandreise interessiert mich viel, viel mehr.
    Habe dir ja schon unter “Milate elenika” kurz geschrieben.
    Du bist etwa 9 Monate vor mir auf Chios gewesen und auch bei dir war es die erste Griechenlandreise. Ist schon wirklich spassig, vor allem, wo du auch noch in Essen wohnst (mein Partner kommt auch aus Essen und meine Heimatstadt ist auch nicht weit entfernt).
    Würde mich gerne weiter mit dir über deine Chios-Erfahrungen von 1986 ein wenig austauschen.
    Von meiner Reise nach Chios habe ich damals ein kleines Büchlein geschrieben, das ich momentan für die HP überarbeite. Kann dir später gern mal den Link dazu schicken, wenn’s dich interessiert.

    Jassou
    Maria

  2. Es gibt jetzt endlich einen neuen Reiseführer über Chios (englisch), seit September 2010:
    „Chios with Oinousses & Psara“
    McGilchrist’s Greek Islands Book 14
    Genius Loci Publications
    ISBN-10: 1907859187

    Also der Band ist voll von nützlichen Informationen, aber fast ohne “praktischen Bezug”. Informationen über Übernachtungsmöglichkeiten, Bus-Fahrpläne, vorhandene Lokale usw. müssen Sie schon woanders suchen!
    Und wo mal Fährverbindungen genannt werden (Psará), sind sie schon wieder völlig überholt.
    Aber insgesamt, das Buch ist den Kauf wert (Versandhandel, z.B. Amazon)!

  3. Katharina, das Wort “spärlich” kannst du da mit 3 äää schreiben … und wo sie tatsächlich mal Preise angeben, sind sie voll daneben … dann schon lieber booking.com …

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