Berner Hellasfahrten 1925 / 1927

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img857_A350_HellasBernWer gedacht hat, die Freunde Griechenlands hätten sich erst in neuester Zeit organisiert, etwa nach dem Exodus der griechischen Intellektuellen zur Zeit der Militärdiktatur in den frühen 1970ern, verschätzt sich.
Die Philhellenen haben sich schon seit langer Zeit organisiert.

Das illustrierte Reisebuch „Hellasfahrt“ der Schweizer Vereinigung der Freunde Griechenlands, Sektion Bern, beschreibt vereinsorganisierte Griechenlandreisen in den Jahren 1925 und 1927.
Das Buch hatte sein Zielpublikum in erster Linie unter den etwa 300 Reisenden, die sich jedesmal mit dem Dampfer auf den Weg gemacht hatten. Es ist im Aufbau leider etwas lückenhaft, da es die Vorkenntnisse der Reisenden wohl voraussetzt.
Durch die zahlreichen Fotos (siehe unten) macht es den Reiseablauf aber nachvollziehbar.
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Schon um die Jahrhundertwende 1900 wurden ja universitätsbezogene Pauschal-Studienreisen organisiert. Und auch in den Text-Beiträgen der Berner Reise dominieren die Autoren mit gehobenen akademischen Titeln: Dr. Troesch, Frau Prof. Dr. Tumarkin, Prof. Dr. Waser, Dr. Schenk, Prof. Dr. Zeller, Dr. Zurukzoglu, Dr. Leisi …
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Im Engpass. Da müssen die Bildungsreisenden zusammenrücken …
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Nur gibt es im Buch keinen chronologischen Tagesplan der beiden Reisen, die quer durchs Land führten, vom Flüchtlingsdorf Vyroneia an der bulgarischen Grenze bis zum Palast von Knossos auf Kreta. Es gibt auch kein Verzeichnis der Mitreisenden. Die Textbeiträge sind wahrscheinlich den Manuskripten von Informationsveranstaltungen entnommen, die im Umfeld der Reisen durchgeführt wurden.
Themen sind: Stätten der klassischen Antike, Geologie, Pflanzenleben, soziale Struktur und Verwerfungen nach dem griechisch-türkischen Krieg, das Flüchtlingsproblem nach dem Bevölkerungsaustausch …
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Einem „Reisebericht“ am ähnlichsten ist der Beitrag „Eindrücke der Hellasreise 1927“ von Prof. Dr. Anna Tumarkin.
Die Philosophin Anna Tumarkin (1875-1951) stammt aus Weißrussland, und war „die erste Professorin Europas, welche die vollen Rechte besaß, Doktoranden und Habilitanden zu prüfen und im Senat Einsitz zu nehmen“ (wikipedia).
Sie war als dritte Frau in der Schweiz habilitiert worden, votierte für die Frauenrechte, teilte ihr Leben mit der Ärztin Ida Hoff. Das volle Frauenstimm-/wahlrecht in der Schweiz haben die Damen nicht mehr erlebt, das gibt es erst seit 1971 …
( https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Tumarkin )
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img876_A450_TumarkinTextauszug
Das ist nur die Einleitung des Beitrages!
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1925/1927 war die Reise der Schweizer Hellasfreunde im kriegszerrütteten Griechenland noch eine Sensation, in jedem Hafen wurde die Reisegruppe von hunderten, mit Schweizer Fahnen wedelnden, jubelnden Einheimischen erwartet. Heutzutage, bei über 20 Millionen Touristen im Jahr, fallen die Eidgenossen im Trubel kaum noch auf.
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Dr. E. Troesch im Vorwort des Reisebuches: „Man ist bei einem freien Volk zu Gaste, wenn man den griechischen Boden betritt. (…) Wir sind mit einer Gastlichkeit, mit einer Zuvorkommenheit und Freundlichkeit aufgenommen worden, die wir in keinem anderen Lande hätten finden können.
Nicht bloss hiessen uns Minister und hohe Magistratspersonen in Athen festlich willkommen, nachdem unsertwegen im Jahre 1925 sogar das Parlament vertagt worden war: In kleinen armen Bergdörflein, wie in Liguri bei Epidauros, hat man uns Ehrenpforten aus Kiefernreis und Palmzweigen errichtet und Blumen auf den Weg gestreut, den unsere Autos passierten, und die ganze Bevölkerung der Argolis, des Ländchens Elis, bildete bei unserer Vorbeifahrt an der Strasse, an den Bahnhöfen Spalier und füllte unseren Zug mit Blumen und Kränzen.
Und wo die Schweizer in kleineren Gruppen an eine Bauernhütte kamen, da (…) wurden sie zu rasten gebeten, wurden ihnen Wein und süsser Quark, Mandelkäse und Hammelbraten angeboten, das Beste jedenfalls, was Küche und Kammer dem Gast zu bieten hatten.“

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Dr. Troesch, möglicherweise Vereinsvorsitzender, erfreut sich in den griechischen Städten besonders an den Schuhputzern im Kindergartenalter („Knirpse von vier, fünf Jahren“) und an der „erhaltenen Eigennatur der Griechen“ nach der „grausamen Unterjochung durch die (…) in ihrer dumpfen Zwangsgebundenheit hellenischer Freiart entgegengesetzten Türken“.
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Und weiter: “Die Bevölkerung ist arm. Aber sie hat ihren Stolz. Das kann der Fremde erfahren, der in Griechenland gönnerhaft, herablassend und mit jener Geringschätzung auftritt, die den Besitzes- oder Kulturstolz seiner Nation gegenüber dem armen griechischen Volke hervorkehrt. Er wird zwar nicht grob angefahren. Das tut der Grieche gegenüber dem Fremden kaum. Aber er lässt ihn die Demütigung bezahlen, wenn es irgend in seiner Macht steht, und seiner List, seiner Hartnäckigkeit, seiner Verschlagenheit ist der Fremde kaum gewachsen.”
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Ja, organisierte Philhellenen gibt es in der Schweiz immer noch. Da haben wir heute noch die von Fred Wyss geleiteten „Hellasfreunde Bern“ mit circa 200 Mitgliedern, die „sich für alles interessieren, was irgendwie mit Griechenland zusammenhängt“. Oder den „Kulturverein der Freunde Griechenlands“ in Basel (existiert seit 1992, veranstaltet auch Studienreisen).

Im vereinsfreudigen Deutschland tritt das Hellasfreundevereins-Syndrom fast epidemiehaft auf. 🙂 Da haben wir übergeordnet gleich die VDGG (Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften) mit zahlreichen Mitgliedern:
http://www.vdgg.de/mitglieder-der-vdgg/mitgliedsgesellschaften/
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Aber wir wollen hier ja in die touristische Frühzeit schauen! Wohin ging es für die Bildungsbürger aus Bern in den 1920er Jahren? Also, Frau Tumarkin ging es jedenfalls – bei aller Begeisterung – oft einfach zu schnell durchs Land! Zwischendurch stöhnt sie auf: „Im rasenden Tempo geht es weiter.“
Die Reiseziele, nicht vollständig, und unsortiert:
Korfu, Athen, Eleusis, Aegina, Delphi, der Peloponnes mit Olympia, Korinth, Nemea, Kalamata, Mykene, auf den Inseln Delos, Santorin, Kreta = Iraklio und Knossos, Thessaloniki und Makedonien.
Da hat Frau Tumarkin recht, ist ein bißchen viel auf einmal. Prinzipiell war es eine Schiffsreise, mit Bus- und Zug-Ausflügen, so wie auf einer heutigen Kreuzfahrt.
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Ich kann hier nicht auf alle Textbeiträge eingehen, dazu sind sie zu verschieden, und haben oft nicht den engen Bezug zur Reise selbst. „Das griechische Flüchtlingsproblem“ von Dr. Stavros Zurukzoglu ( https://de.wikipedia.org/wiki/Stavros_Zurukzoglu ) und „Griechisches Pflanzenleben“ von Dr. Ernst Leisi ( https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Leisi_(Historiker) ) kann man heute noch mit großem Nutzen lesen!
An einem öden Wintertag könnte ich die 13 Seiten des Beitrags von Stavros Zurukzoglu ja mal einscannen … 🙂 …
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Wie schon oben gesagt – unten einfach ein gutes Dutzend von Reisebildern. Die klassischen Stätten, vor denen die Reisenden ehrfürchtig erstarrten, habe ich hier eher  ausgelassen:
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img872_A600_CandiaKalamataKnossos
Eidgenossen ante portas
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img866_A600_StadionTanz
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img874_A600_DionysosTheater
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img880_A600_AeginaHafen
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img858_A600_Mykene
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…………img869_A450_Chrysso
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img879_A600_KalamataKirche
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img861_A600_Delos
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So ging es von der bulgarischen Grenze bis zum südlichsten Ende, nach Kreta:
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Hellasfahrt – Ein Reisebuch
Hrsg. „Hellas“ Schweiz – Vereinigung
der Freunde Griechenlands, Sektion Bern

1928, Orell Füssli Verlag, Zürich/Leipzig
137 Seiten und Bildteil mit ca. 80 Fotos
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4 comments

  1. “Korfu, Athen, Eleusis, Aegina, Delphi, der Peloponnes mit Olympia, Korinth, Nemea, Kalamata, Mykene, auf den Inseln Delos, Santorin, Kreta = Iraklio und Knossos, Thessaloniki und Makedonien” – liest sich wie meine erste Griechenland-Reise, mit Rotel-Tours, anno 1990…

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