Lavrio – es hat sich wenig bewegt


Lavrio: Der zentrale Boulevard, begrünt, mit Wasserspielen. Immerhin …


Lavrio: Der Fährhafen, eine geräumige Betonwüste (Teilansicht).

Es war 1999, als ich zum ersten Mal nicht von Piräus, sondern von Rafina aus auf die Kykladen übergesetzt habe. Nach Andros. Der Taxifahrer, der mich vom Hotel in Athen abholte, verlangte (glaube ich) 25.000 Drachmen und freute sich auf die Fahrt durch die grüne Messoghia. Wann hatte er schon mal einen Fahrgast, der nach Rafina wollte? Wenn ich es nicht eilig hätte, würde er mich unterwegs in einem Café auf einen Kaffee einladen. Gerne.
(Diesmal hat mir der Taxifahrer, der mich nach Lavrio brachte, eine Flasche Mineralwasser aus seiner Kühltasche geschenkt.)

 Ja, damals war es hier noch verdammt still und grün, Weingärten, Oliven dominierten: Savatiano-Reben (Σαββατιανό) und das Kiefernharz für den Retsina. Dann fingen die Bauarbeiten für den neuen Flughafen an, und die damit verbundene Infrastruktur. Und immer mehr Athener flüchteten nach Osten, zersiedelten gedankenlos das Land.
Ab 2004, mit den größenwahnsinnigen Olympischen Spielen, war es vorbei mit der Idylle.

Zunächst hatte ich gedacht, die kleinen Fährhäfen von Rafina und Lavrio würden vom Flughafenbau profitieren, auf Kosten von Piräus. Kürzere Wege dahin, und man muß nicht durch das Verkehrschaos der Stadt Athen. Die Anleger für die Fähren wurden in guter Hoffnung auch erweitert. Das war‘s dann auch. Keine Ahnung, wer die weitere Entwicklung verschlafen oder sabotiert hat.

Rafina = vom Hafen aus in der Regel immer noch nur die Strecke Andros-Tinos-Mykonos, und nach Karystos/Evia. Ab und zu Paros, Naxos. Und ein einziges Hotel, das Avra, das seine Monopolstellung seitdem verteidigt. (Aber es ist wenigstens ein gut funktionierendes Hotel …) 13.000 Einwohner.
Bis der Ort 2019 fast komplett abbrannte, war der Nachbarort Mati noch eine brauchbare Übernachtungs-Alternative.

Lavrio = vom Hafen aus in der Regel immer noch nur nach Kithnos und Kea. Ab und zu Syros, Milos, Sifnos. 25.000 Einwohner. Auch hier ein Monopol-Hotel, die Nikolakakis-Rooms, mit sinnloser Möblierung (was soll ich mit einer Küchenzeile in einem Hotelzimmer, wenn nicht mal ein einziger Stuhl oder Tisch im Raum vorhanden ist?), mit den kleinsten Badezimmern der Welt, mit defekten Sanitäranlagen, einem erbärmlichen Frühstück, aber immerhin freundlich-hilfsbereitem Personal. Alternativen? Keine, leider.


Nein, wie in Rafina hat sich wenig bewegt in Lavrio. OK, ein großer Teil des Gewerbegebiets zwischen Hafen und Stadt wurde abgeräumt, und wartet oft noch auf eine Neunutzung. Viele (meist unzusammenhängende) leere Flächen sind geblieben, über die sich wenigstens die Betreiber des Wochenmarktes freuen – der ist immer am Donnerstag, Akti Ethnikis Antistasis, zwischen Konstantinou Plioni und Leoforos Miki Theodoraki:


Foto: Google Earth

Daß in Lavrio mal der Bergbau und die Metall-Industrie dominierte (Silber-Erz), ahnt man noch heute an einem kleinen Mineralogischen Museum und an der Dauer-Präsenz der
erz(!)konservativen KKE 🙂 :


Was ist Sache? Die NATO soll ihr Hauptquartier in Thessaloniki räumen …

Und mitten durch Lavrios „Zentrum“ führt eine Art Boulevard (Platia?), mit Wasserfontänen (!), vielen Cafés, Souvlaki- und Burgerlokalen und Läden. Der Boulevard kommt allerdings aus dem Nichts und endet im Nichts (vor einer Front aus drei Supermärkten). Ich habe das Gefühl, vor 2004 gab es den noch gar nicht.

Dem Ausbau der Hafenstraße standen einige schützenswerte alte Verladeeinrichtungen im Wege – die nun still vor sich hin verrotten. Es ist Donnerstag – im Hintergrund also die ersten Marktstände:


Und einen Bahnhof gab es hier auch mal. An alte Zeiten erinnert der Rest dieses Triebwagens:


Das, was vielleicht mal das Bahnhofsgelände war, vielleicht der Bahnhofsvorplatz, hat man locker untergepflügt und asphaltiert. Blick aus den Nikolokakis Rooms. Links vorne fährt übrigens der Bus nach Athen ab (ohne Stop am Flughafen):


Ein wenig stimmungsvolle alte Architektur ist geblieben …


… und auch ein paar stimmungsvolle Tavernen. (Mezedopoleio Limani und Petrino haben Hafenblick. Das “Mezedopoleio” hat allerdings praktisch keine Mezedes im Angebot.) Die Lokale haben Ende September an Wochentag-Abenden aber nur wenig zu tun. Wer keinen Hafenblick hat, muß auf andere Weise auffallen:


Was noch? Es sind nur 10 Kilometer bis zum Kap Sounion, in Sichtweite die verlassene Verbannungsinsel Makronissos, viele Liegeplätze für Privatjachten, es gibt ein selbstverwaltetes kurdisches Flüchtlingslager, schon seit 1949, und die holzkohlebefeuerten Öfen, in denen das Silber vom Blei getrennt wurde, haben mal auch dem letzten Baum im Umfeld der Stadt das Leben gekostet. Das ist vorbei, aber die Probleme hören nicht auf:
.
„Bis ins Unendliche dehnbar, Landstriche und Wälder verschlingend, begnügt sich Athen nicht mehr mit dem weiten Raum zwischen Meer und Hymettos, Pentelikon und Parnaß. Nachdem es scheußliche Hochhäuser, Militäreinrichtungen und Hotels entlang der Straße zum Kap Sunion aus dem Boden gestampft hatte, fiel es über den Nordosten her, verschlang die ersten Dörfer der Messoghia, wandte sich nach Westen, schluckte Eleusis und Daphni, um daraufhin in Richtung Megara weiterzuziehen, wo es einige Fabriken zurückließ.“
aus: Die Stadt als Krake – Athen
https://www.reisetops.com/

Da flüchten wir doch lieber auf die nächste Fähre 🙂 :


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2 comments

  1. Nissomanie-Kommentar zum Text, kam per email, habe ich hierher übertragen:
    “Von Rafina geht es nach Marmari auf Evia, nicht nach Karystos (eine neue Linie oder Routenführung über Karystos auf die Kykladen war geplant für dieses Jahr, aber dürfte wohl coronabedingt nicht in Betrieb gegangen sein). Und es geht im Sommer auch weiter als Mykonos. Letzten Herbst bin ich nach Paros gefahren, via Andros, Tinos, Mykonos, Naxos.
    Und von Lavrio geht es zur Ostägäis: Agios Efstratios, Limnos und Kavala!”

    Wahre internationale Touristenströme erzeugen diese Ziele ja nicht, sag ich mal …

  2. Noch von mir ein Nachtrag: Zur Zeit, als der Bergbaubetrieb in Lavrio schon jenseits seiner Hochkonjunktur war, erschien “Zur Landeskunde von Griechenland” von Adolf Struck (1912, Keller-Verlag, Frankfurt a.M.). Struck analysiert im 7. Kapitel (ab Seite 115) sowohl die komplexen Strukturen der verschiedenen Bergwerksgesellschaften als auch die Art der verschiedenen Metall- und Nichtmetall-Erzprodukte der Region. (Es ging ja nicht nur um Silber. Die Gewinnung von Silber war eher Nebensache.)
    Wenn man das Kapitel hier zusammenfassen würde, bliebe man leider nur an der Oberfläche, aber die detaillierten Angaben würden heute kaum noch jemand interessieren. Und von der Erzgewinnung und -verarbeitung verstehe ich auch zu wenig. Also nur ein paar Stichworte:

    Struck: “Leider hat der Bergbau gegenwärtig eine Krise zu bestehen. (…) Jetzt sind die Arbeiten überall vermindert worden und man wartet auf bessere Zeiten; daß dabei die soziale Lage der Bergleute eine sehr bedenkliche ist, gehört zu den traurigen Folgen dieser unglücklichen Verhältnisse. Viele (Bergleute) sind nach Amerika ausgewandert.”

    Die mächtigste Bergwerksgesellschaft in Lavrio ist die “Französische Gesellschaft der Minen von Laurion”, 1875 gegründet, Im Besitz von Bergwerken, Hochöfen, Ladevorrichtungen und einem Förderbahnnetz von 40 km Länge. In ihrer besten Zeit beschäftigte die Firma 5000 Arbeiter, jetzt (1909) sind es nur noch 2400.

    Größtes Problem war in Lavrio die Energieversorgung, um in Hochöfen die Metalle vom Erz zu trennen. Bis zum letzten Baum war die Region inzwischen abgeholzt, und Kohletransporte vom Schwarzen Meer waren zu kostspielig. Versuche, Braunkohle aus Makedonien zur Erzschmelze zu benutzen, waren erfolglos. Also exportierte man den größten Teil des Erzes als Rohstoff, sogar bis in die USA. (Rohstoffexport ist immer ein schlechtes Geschäft für das Erzeugerland.)
    Struck: “Von den 936.330 t Erzen, die 1909 veräußert wurden, sind 516.315 t ins Ausland gekommen.” Die größten Abnehmer waren England (219.504 t) und Holland (114.546 t). Deutschland (8.275 t) lag nur an siebter Stelle.

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