Bocuse / Robuchon / Aerikó

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Robuchon Küche
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Dieser Fleiß hat seinen Preis: Joel Robuchon (rechts) am Herd.
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Aeriko
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Unser Tisch vor dem Αερικό (Aerikó) in Hermoupolis.
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Eigentlich wollte ich über meine Tage auf Syros in diesem Frühjahr gar nichts schreiben. Auch nichts über die in diesem Jahr dort „angesagte“ Taverna Aerikó. Bis dann am 13.06.2013 Wolfram Siebeck im Zeitmagazin über seinen Besuch im Restaurant von Paul Bocuse in Lyon schrieb („Beim alten Meister“). Siebecks „wohlwollende“ Kritik klang so altersmilde. Und sein berühmter Sarkasmus wirkte so sanft ausgebremst.
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Vorweg: Manchmal habe ich ja den Eindruck, viele denken, die griechische Küche sei nur was für Anspruchslose. Nicht so ganz falsch. Die wirklich guten griechischen Köche findet man auch nicht auf der Straße, und in den seltensten Fällen arbeiten sie ausgerechnet in Germania, oder im Hochsommer-Streß in einem Touristenzentrum an der Ägäis …
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Also, Entschuldigung … wenn der folgende Rückblick anfängt, großkotzig zu klingen, à la „Großvater erzählt vom (kulinarischen) Krieg“, dann lesen Sie nur die letzten Abschnitte! Ich brauche nur etwas länger, bis ich wirklich zum Thema Preis-Leistungs-Verhältnis komme. Warum? Weil ich nicht irgendwann hören will: Dieser Typ von theopedia mit seinem Griechenland-Tick, der kennt ja wohl nichts besseres als dieses Tavernenfutter …!
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Also, Vorrede vorbei, ich schmatze … äh … schwatze dann einfach mal los:
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Siebeck war nie ein Bocuse-Fan. Aber er mußte sich mit ihm häufiger befassen. Siebeck hat mal in Bocuses „Bistro B“ in Tokio gegessen und fand es „abscheulich“. Und bei Geschmacklosigkeiten ist der Top-Selbstvermarkter Bocuse für Siebeck ganz groß. (Bocuse, der auch einen Riesenbetrieb in Disney World in Florida betreibt, und seinen Namen auf Konservendosen drucken läßt, wenn es Geld bringt.) Sein derzeitiges Restaurant in Lyon sieht aus „wie die bemalten Gasthöfe in Oberammergau“ (Siebeck). Barbara Siebeck hat die Scheußlichkeiten gut im Foto dokumentiert. Und die mit Eigenwerbung bedruckten, „spießigen“ Teller sind wirklich ganz grauenhaft:
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Bocuse Teller
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Beachtlich sind auch die Nachlässigkeiten des Personals. Siebeck kriegt in zwei Gängen hintereinander die gleiche Sahne-Krebsschwanz-Sauce, zum Hecht und zum Kalbsbries. Davor müßte der Oberkellner beim Annehmen der Bestellung definitiv warnen, meint er. Stimmt. Das Kartoffelgratin zur Taube schmeckt wie Kohlrabi, weil es an Butter fehlt, und Siebeck und Gattin eilen durch die wie „Zirkusangestellte“ livrierten Angestellten zum Taxi.
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Wo es um die französische Küche ging, gab es für Siebeck immer nur einen ganz großen Künstler am Herd: Joel Robuchon. Und dessen „ungeheuer noblen Salon“ in Paris. (Wo Siebeck pikiert ist, daß der Türsteher ihm, bei seiner Taxi-Ankunft im Regen, nicht mit dem Schirm assistiert …)
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Robuchon Tür
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„Ist das nicht der nervige Siebeck? Kann von mir aus naß werden …“
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Und Robuchon? Der liebte das einfache Essen. Im Jahre 1994 hatte er sein Buch über die Kartoffelküche veröffentlicht. Zu der Zeit war sein Restaurant das teuerste in Paris. Schon das Mittagsmenu kostete damals 1200 Francs (also 400 D-Mark) pro Person, ohne Getränke. Weitere 150 D-Mark pro Nase für die Wein-Auswahl waren das Mindeste. Trotzdem, sechs Monate Wartezeit auf einen Tisch – bei 500 Tischanfragen täglich (Siebeck). Zum Beispiel, um ein Portiönchen seines berühmten buttersatten Kartoffelpürees zu probieren.
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Robuchon Menu
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Das Püree gab es auch ein Haus weiter, im 1992 eröffneten Hotel „Victor Hugo“ (damals Demeure Hotels, heute das „Renaissance Paris de Trocadero“ Hotel). Wir haben da nicht gewohnt. Einige Zeit davor waren wir jedoch ein paar Tage im „Baltimore“ in der Avenue Kléber – auch ein Demeure-Hotel. Wir hatten die Baustelle des „Victor Hugo“ von da aus besucht … äh, besuchen müssen. Meine damalige Partnerin Joan hatte nämlich an einem Paris-Reiseführer mitgeschrieben.
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Also … wir haben in Paris auch schon in einer zum Schlafzimmer umfunktionierten Garage übernachtet. Hatte uns eine Freundin vermittelt, die in Paris beim finnischen Konsulat arbeitete. Da wohnte sonst ein Freund von ihr. War für uns noch wesentlich gemütlicher als für den Obdachlosen, der vor unserem zugeschweißten Garagen-Tor auf seinem Kartonstapel übernachtete. Allerdings hatte unser „Bad“ auch kein Wasser, und Frühstück gab es im vietnamesischen Imbiß um die Ecke.
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Egal. Zurück zum Püree. Man mußte es nur verraten bekommen, daß man mit Robuchon-Kreationen auch im Hotel-Restaurant nebenan versorgt werden konnte („Le Relais du Parc“). In der Regel war dort alles um weit mehr als die Hälfte billiger. („Billiger“ ist hier ein schönes Wort …) Gäste wie Yves Saint Laurent, Cliff Richard, Elvis Costello, Debbie Harry, Roman Polanski hatten das kurz vorher dankbar im Gästebuch bestätigt.
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Debbie Harry
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Wir waren im Oktober 1994 in Paris, um Robuchons Buch und Restaurant für das US-amerikanische Magazin „Diversion“ vorzustellen („Top Toque Tidbits“, von Joan Gannij, Diversion, April 1995). Robuchon weigerte sich grundsätzlich, jemandem das übliche „Presse-Essen“ zu spendieren, aber geschickt wurde uns suggeriert, doch lieber „nebenan“ zu essen. Wenn wir uns seine Menu-Preise nicht leisten könnten … (Und mit zwei Leuten bei Robuchon zu essen, das ging bei dem Artikel-Honorar überhaupt nicht. Es dauerte einige Zeit, bis ich meine Magazin-Autorin davon überzeugt hatte …)
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Also das Gratis-Champagnerglas weggestellt und rüber! Und schon bald eilte der Maitre d‘ des „Relais du Parc“ herbei mit dem berühmten handgestampften Püree im Mini-Kupfertöpfchen, und es gab sonst was vorweg und hinterher, und alles mit Gartenblick. Bei Robuchon durfte man auf imitierte Bücherwände starren …
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LeRelaisDuParc
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Man sieht den Garten des „Relais du Parc“ hinter dem früheren „Victor Hugo“. Und die Klimaanlagenapparatur auf dem Dach. Robuchons Etablissement war nebenan (oben rechts). (Foto: Google Earth)
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Daß wir unseren für 13 Uhr reservierten Tisch bei Robuchon um kurz vor 12 zurückgaben, machte gar nichts. Es wurde die obersten Nummern auf der Warteliste angerufen, fünf Minuten später war der Tisch weg …
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Und wir mußten uns so beim Essen auch nicht vom Küchenchef auf den Teller schauen lassen. Ja, Robuchon war schon 1994 digital auf dem technischen Höchststand, und so gut informiert wie heute der amerikanische Geheimdienst:
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Robuchon Video
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Trotzdem gab es nach dem Interview und der (gar nicht selbstverständlichen) Küchenvisite mit der Kamera eine höchstpersönliche Autoren-Widmung ins gedruckte Werk mit dem Titel „Le meilleur et le plus simple de la pomme de terre“. (Kriegen Sie heute noch, allerdings nur als Taschenbuch, kostet um 17 Euro. Die gebundene deutsche Ausgabe, mit dem dummen Titel „Kartoffelzaubereien“, nur im Antiquariat, um 50 Euro.)
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Robuchon Signature
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Robuchon Pommes de terre
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Die Kostproben aus Robuchons Küche waren … hm, keine Ahnung mehr. Es kam ja auch nicht alles aus Robuchons Küche. Im „Le Relais du Parc“ kochte ein gewisser Gilles Renault, der bei Robuchon gelernt hatte, und streng nach Vorgaben von Robuchon arbeitete.
(“Chef Gilles Renault demonstrates that he’s well on the way to mastering the master’s precepts.” New York Times, Restaurantkritik des „Relais du Parc“, von Patricia Wells, 15.01.1993)
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Es gab jedenfalls absolut nichts zu meckern, und das Kartoffelpüree, original aus Robuchons Küche, das hätte meine Mutter auch nicht besser hingekriegt … 🙂 …
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Im Juli 1996 hat Robuchon, „der Küchenchef des Jahrhunderts“ (Fredy Gsteiger), den Laden dichtgemacht, aus „Altersgründen“, mit 51. (Später hat er das bereut, und hat wieder neu angefangen, absichtlich auf einem niedrigeren Preis- und Komfort-Level. Und ohne infarkt-trächtige 18-Stunden-Tage.)
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Paris war immer, besonders während der Junta-Zeit (60er, 70er Jahre), ein Zentrum für griechische politische Flüchtlinge. Aber sie haben dort nicht viel hinterlassen, kulinarisch. Ein Restaurant wie das (armenisch geführte) „Les Diamantaires“ in der Rue La Fayette gab es ja schon seit 1929.  Ich erinnere mich an einen Besuch „beim Griechen“ in der Rue Mouffetard nur darum, weil Kellner und Koch der Taverne sich so lange anfehdeten, bis der Koch dem Kellner an der Küchentür voller Wut eine große Schüssel griechischen Salat über den Kopf stülpte. Amüsierte Gäste …
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So, Ende der Rückblende … ich wollte ja über die Taverna Aerikó auf Syros schreiben. Und was das „normale Leben“ Gutes bringen kann. Im Aerikó kosteten im Mai 2013 ein halber Liter Hauswein und 3 Portionen Mesedes zusammen 8 Euro. Zum gerade „angesagten“ Aerikó hatten mich meine auf Syros wohnenden Freunde Meike und Thanasis mitgenommen. So kriegten wir an einem Dienstagabend im schon früh gutbesuchten Lokal sogar noch einen schönen Tisch vor der Tür … in den anderen Lokalen in der Odos Stefanou herrschte dagegen gähnende Leere.
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Wir hatten am Ende drei bzw. vier halbe Liter und 3 x 3 = 9 Mesedes. Die Auswahl der 3 Gerichte muß man im Aerikó dem Koch überlassen. Er hat es geschafft, sich nicht einmal zu wiederholen! (Videokameras habe ich keine gesehen …) Und es gab keine Enttäuschung in seiner Auswahl. Und ich hab’s mir genau notiert, hinterher …. im fortgeschrittenen Alter vergißt man ja sonst so manches, nicht wahr, Herr Siebeck?
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1. Bestellung:
1. Sardinen, in Teigkruste, mit Skordalia
2. Auberginenscheiben, mit Käse überbacken
3. Risotto mit Pilzen und Gemüsen
2. Bestellung:
4. Marides, fritiert
5. Fava, mit Zwiebeln und Olivenöl
6. Stridia (Στρείδια, Austern, mit Zitrone)
3. Bestellung:
7. Weinbergschnecken, in Rotwein und Tomaten gedünstet
8. Feta in Filoteig, mit Thymian-Honig
9. Reis mit Tintenfisch (χταπόδι, Sepia-Risotto) mit Spinat
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Bei unserer zweiten Bestellung kamen die Mesedes-Teller etwas später als üblich, da gab es sofort eine weitere Karaffe Wein gratis. Das nennt man Service. Der Laden war ab 21 Uhr 30 rammelvoll, und es gab werktagsbedingt nur eine einzige – und darum echt geforderte – Bedienung. Aber das Essen war großartig. Drei hochzufriedene Gäste, 24 Euro. (Gut, für den Betrag kann eine Person in einem Restaurant in Paris auch eine Portion Austern und ein Glas Muscadet kriegen. Manchmal. Und auf dem Münchner Oktoberfest kostet die 0,825-Liter-Moaß in diesem Jahr 9,85 Euro. Aber Hendl und Hoaxn dazu werden extra berechnet, hab ich gehört …)
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Was das Personal angeht: Robuchon bemühte damals für 46 Gästeplätze 45 Personen. Manche wurden nur dafür bezahlt, daß sie am Eingang die Gäste freundlich anlächelten. Auf das Lächeln der Kellnerin im Aerikó mußten wir leider verzichten. Aber Meike und Thanasis konnten ihre Arbeitsbelastung gut nachfühlen, sie sind ja selbst aus der Branche. Soweit die Gedanken zum Preis-Leistungs-Verhältnis.
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Und zum Schluß die Antwort auf Ihre große Frage: Ja, ich habe die Robuchon-Sache in erster Linie hier eingefügt wegen der vielen Bilder. Im Aerikó hatte ich ja leider nur ein einziges Foto gemacht. Wie leblos sähe ein nicht illustrierter Bericht hier sonst aus … 🙂 …
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Darum noch ganz zum Schluß: Was das „richtige Leben“ angeht … ist es nicht schöner, auf den ganzen „Lifestyle“ zu pfeifen und sich in Papouri beim Nachbarn von Meike und Thanasis einladen zu lassen, auf selbstgemachten Wein und Kaffee? Nachbar Mariós hatte uns von weitem gesehen und spontan die Gartenhacke weggeworfen. Da lächelt auch Thanasis (rechts) mal völlig entspannt. Mariós Wein würde ich bei einer Blindverkostung sogar sofort wiedererkennen … wenn Herr Siebeck und Herr Steinbrück die anderen Weine aussuchen. Fragen Sie mich lieber nicht, warum … 🙂 …!
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Marios Wein
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Marios Kaffee
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Marios Briki hat Platz für 6 Tassen. Am Ende muß man den Schaum mit dem Löffel gerecht sechsteln (wichtig!).
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Nachbemerkung: Über Lokale in Hermoupolis zu schreiben, ist problematisch. Die Ausdauer ihrer Wirte und die Vorlieben ihrer einheimischen Gäste sind hier (nicht nur in Krisenzeiten) leicht unbeständig. Und oft vermißt man die Lokale vom Vorjahr auch nicht mehr, und auch nicht die Leistungen ihrer Küche … nein, gute Köche findet man auch auf den Kykladen nicht auf der Straße.
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Le Relais du Parc, im Renaissance Paris Hotel Le Trocadero,
55-57 Avenue Raymond Poincaré, 75116 Paris
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Aerikó, Odos Kiparissiou Stephanou 7, Hermoupolis, 84100 Syros, T. 2281080445
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Übrigens, „Aerikó“ ist der Titel eines Liedes von Manos Hatzidakis.
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Und, Herr Siebeck, zu Ihrer Entlastung … ist ja auch nicht leicht, sarkastisch-heiter und konsumkritisch zu sein im Zeitmagazin, das von … ähem … “Style-Director” Tillmann Prüfer dominiert wird.

6 comments

  1. Jetzt hab ich den Text über die Hochglanzwelt noch zweimal gelesen, und komme zu dem Schluß: Das klingt ja bei mir auch schon so altersmilde und ausgebremst … wie soll das erst werden, wenn ich auch mal so alt werde wie der Herr Siebeck?
    Aber statt das noch mal zu überschreiben, empfehle ich lieber den Film von Ernst Lubitsch von 1939: “Ninotchka“, mit Greta Garbo als sowjetische Kommissarin im Pariser Hotel Crillon …
    Das beste ist die Szene im Arbeiter-Bistro (ab 41. Minute). Wo die Garbo am Ende lacht! Ja, tatsächlich, die Garbo lacht! (Schadenfreude ist wohl doch die schönste Freude.) Aber vorher hatte sie noch den Wirt beleidigt, als sie sagte, es sei ihr egal, was er ihr serviert …

  2. Noch eine Leseempfehlung, was das Essen in Restaurants angeht, und die zugehörigen Lebensumstände. Diesmal geht es um China. Aus dem neuen Buch von David Sedaris (Let’s explore Diabetes with owls) ab Seite 189 die Geschichte: #2 to Go.
    In der deutschen Übersetzung ist es “Nr. 2 zum Mitnehmen”. Und lesen Sie es nur, wenn Ihnen ihr Magen keine Probleme bereitet …
    In der Leseprobe bei amazon fehlen die entscheidenden 8 Seiten. Warum wohl …?

  3. Wird leider keine neuen Texte mehr geben von Wolfram Siebeck. Er ist am 07.07.2016 gestorben. An dem Tag wurde ‘theopedia’ neun Jahre alt …

  4. Am 17.04.2019 veröffentlicht das “Zeitmagazin” ein langes Interview von Milena Carstens und Ilka Piepgras mit dem Koch und Fotografen Silvio Knezevic.
    Frage: “Wolfram Siebeck war Ihnen ein Begriff?”
    Antwort: “Der war allen in der Gastronomie ein Begriff. Man hat ihn gehasst oder geliebt. So einen haben wir in Deutschland nicht mehr: einer, vor dem alle Respekt haben oder den sie fürchten. (…) Ein knorriger alter Mann, der nicht zugehört hat und so eine gereizt-wurschtige Arroganz ausstrahlte. (…) Solche kompromisslosen Typen fehlen heute manchmal. In der Kommunikation ist alles supervorsichtig geworden, niemand will Fehler machen.
    (…) Wolfram Siebecks Sichtweise war dogmatisch und stur: Deutsche Küche kann nichts und wird nie gut sein. Weißwürste hat er mal Albinopimmel genannt. (…) Für Siebeck war Essen ein Distinktionsmerkmal.”
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    Siebeck – der selbst auf hohem Niveau kochen konnte – war großartig als Kritiker, und enorm unterhaltsam für mich als Leser. Wenn er mit seinem knallgelben Jackett und dem bunten Hemd plötzlich in einem Lokal auftauchte, da hätte ich immer gerne die Gesichter des Personals gesehen: Da ist er, der Tag des “Jüngsten Gerichts” … 🙂

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