Nationalgalerie Athen

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Theodoros Rallis: Die Beute (entstanden vor 1906)
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In den letzten Jahren hatte Griechenland immer mehr seine “jüngere” Geschichte wiederentdeckt – das heißt, die Kulturgeschichte des griechischen Nationalstaates im 19. Jahrhundert und damit die Rückkehr des Griechentums vom Orient nach Europa. Das ist doch mal ein guter Grund, in der Athener Nationalgalerie an einem Samstagvormittag selbst einen Blick rückwärts zu tun!
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Im vorderen Saal der Nationalgalerie – der wohl für Wechselausstellungen gedacht ist – herrscht gerade das Chaos. Oder ist das Objekt-Kunst der Neuen Zeit? Wenn, dann ist das eine gelungene Komposition! Ein gutes Dutzend verschieden großer, riesiger Holzkisten mit roten “Fragile”-Aufklebern, Stoffbahnen, Leitern, Hubwagen, zwei ganz intensiv ruhende Hilfskräfte (männlich). Sind die beiden eine hyperrealistische Installation von Duane Hanson in einem Edward Kienholz Ensemble … 🙂 …?
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Nein nein, wir sind nicht im falschen Film. Jetzt bewegen sich die beiden ‘Objekte’. “First floor and second floor!” hatte die Frau an der Kasse auch gesagt, als sie meine 6 Euro einstrich. Da wollen wir jetzt hin. In die Vergangenheit!
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Im 19. Jahrhundert – unter König Ottos Einfluß – hatte sich ein reger Verkehr zwischen Bayern und Athen entwickelt. Ein Strom von hellenophilen Künstlern, Architekten, Archäologen, Philologen, Diplomaten und nicht zuletzt Bierbrauern packte in München seine Koffer und tauchte in Athen wieder auf. Aber umgekehrt ging das auch. Die Bayern sahen diese Fortbildung der vom Türk’ befreiten Hellenen im Bayernland als Entwicklungshilfe (wenn sie das Wort vielleicht auch noch nicht kannten) und die Griechen kamen gerne.
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An der Münchner Universität waren Griechen in allen Fächern eingeschrieben. Es wurden im neu etablierten Königreich nicht nur Ingenieure, Ärzte, Architekten und Offiziere gebraucht, es kamen auch Bildhauer und Maler. Es gab schließlich eine ganz andere Bildwelt zu erlernen als zu osmanischen oder byzantinischen Zeiten! Weg vom Religiösen und vom Ornamentalen! Und die Akademie in München hatte damals einen ganz hervorragenden Ruf! Und manche der Studenten bleben auch gleich im kühlen Norden hängen. (Der auf Tinos geborene Maler Nikolaos Gyzis zum Beispiel wurde Professor an der Münchner Akademie und kehrte nie wieder permanent nach Griechenland zurück.)
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Symeon Savidis: Anzünden der Pfeife (1899)
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Die Technik der Griechen blieb meist eher klassisch-realistisch, ein bißchen Impressionismus kam später auch dazu, ihre Thematik blieb trotzdem oft (neben der patriotischen Klage und dem Portrait) … der Orient. Vielleicht wirkte das im kleinbürgerlichen Bayern (soweit die Griechen dort arbeiteten und ausstellten) sogar verwegen.
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Der “altmodische” Realismus der Gyzis, Rallis, Lytras, Iakovidis usw. ist heute eine große Freude für einen Betrachter wie mich, der etwas über Geschichte lernen will. Denn die reisenden Fotografen des 19. Jahrhunderts erlagen fast immer der Exotik der antiken Trümmerstätten (verständlich) und ignorierten leider oft den griechischen Alltag …
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Später hat man die biedermeierliche Genre-Malerei natürlich gerne ins Hinterzimmer verkramt (ja, diese melkenden Bauernmädchen, diese Oma mit dem Kleinkind, diese fahrenden Musiker mit der Fiedel), und sich lieber an dem jeweils aktuellen Trend der globalen Kunst gemessen. Aber irgendwann hat man gemerkt, daß da ein ganzes “wirkliches” Leben schon verloren gegangen war, das auf diesen Bildern vom Dorf in den Bergen und von Ratsherren-Portraits aus der Kleinstadt doch “Wie zum Hineinlaufen” dokumentiert war. Und als eine neue wohlhabende griechisch-stämmige Bürgerlichkeit (ob in Chicago oder in Athen) an Beweisschmuck-an-der-Wand für ihren Aufstieg aus der Geschichte dachte, fing man an, nach den alten Bildern zu suchen …
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Klar, irgendwo waren diese Leinwände gelandet – bei denen oft ein still-friedlicher Humor die Komposition bestimmt (z.B. Iakovidis: “Kinderkonzert”, 1900). Und so wird jedes Jahr auf die Auktion griechischer Maler bei den englischen Auktionshäusern gewartet – wo man für eine gute Arbeit in der Regel schon eine halbe Million Euro hinlegen darf. Die Auktionsgewinner – scheinbar meist Privatleute – bleiben gewöhnlich unbekannt. Doch den Stiftungen, die in den letzten Jahrzehnten die Nationalgalerie in Athen versorgt haben, scheint das Spiel schon zu teuer geworden zu sein. Aber wir wollen uns nicht beklagen, die National-Galerie hat ja bereits 15.000 Arbeiten
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Es zeigt von seinem Bestand jedenfalls so viel, daß man für einen Vormittag genug zu tun hat. Und so einiges davon entstammt eben der bayrisch-griechischen Zusammenarbeit. Aber schließlich ist das 19. Jahrhundert nur ein Teil dessen, was zu sehen ist (ca. 75% der unteren Etage des Hauses). Daß ich mich jetzt darauf konzentriere, ist meine ganz persönliche Vorliebe! In der oberen Etage wird sehr viel Raum für das 20. Jahrhundert gelassen – obwohl da in einem einleitenden Begleittext an der Wand etwas entschuldigend steht, da hätten die griechischen Künstler doch immer stark den jeweiligen Zeitgeist reflektiert.
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Der rote Stern oben rechts ist weder eine künstlerische noch eine politische Äußerung, die städtische Weihnachtsdekoration vor der Nationalgalerie war noch nicht abgeräumt …
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Diese griechische Kurator-Verlegenheit ist nicht unbedingt nötig. Das Epigonenhafte findet sich auch in jedem deutschen und auch US-amerikanischem Museum (nicht nur in der Provinz) … und über den wirklichen RANG der Kunstrichtungen und Künstler des 20. Jahrhunderts lassen wir sowieso besser die Kritiker des 22. Jahrhunderts richten. Wenn ich alte Kunstzeitschriften des 19. Jahrhunderts durchblättere, amüsiere ich mich immer köstlich über das, was den Autoren damals als wichtig oder unwichtig erschien …
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Im Hintergrund des Raumes: “Hydra”, von Nikos Nikolaou (1953)
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Wenn Sie bei vielen Arbeiten auch sagen können, welcher -ismus (oder welcher prominente Vertreter dieses -ismus) ein Werk wohl inspiriert hat, langweilig wird Ihnen hier oben nicht. Es sind auch eine ganze Reihe von Arbeiten dabei, die sich auf dem Hintergrund einer gerade angesagten “art” mit einem speziell griechischen Hintergrund als “Ort” auseinandersetzen. Jedenfalls habe ich in der oberen Etage eine ‘nebensächliche’ Arbeit gefunden, die ich gerne spontan eingesteckt hätte. Weil sie Welt und Geist der Ägäis besser darstellt als alle gängigen Weiße-Würfel-Häuschen-Bilder, und weil ich davor gestanden habe und bestimmt minutenlang still gegrinst habe (weil das Bild auch nett mit dem Kitsch spielt):
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“Seascape” von Kostas Tsoclis (1979). Woher hat er nur die schönen Treibholzteile?
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Das schöne am Museum selbst ist, es ist sehr zurückhaltend gestaltet. Man nimmt es als Gebäude kaum wahr. (Nach der lästigen Aufdringlichkeit des neuen Akropolis-Museums ist das eine Wohltat.)
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Ach so … die Nationalgalerie hat auch eine “europäische” Abteilung. Die ist eher klein, aber prominent plaziert. Da hängt auch mein Lieblingsbild (obwohl es nix mit griechischer Geschichte zu tun hat): Die “Allegorie der Musik” eines weniger bekannten italienischen Barockmalers, Simone Pignoni (1611-1698). Ich liebe Hausmusik … 🙂 …:
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Die Geschichte der Nationalgalerie geht zurück auf das Jahr 1878. Damals wurde in der Technischen Universität Athen eine Sammlung von 117 Werken – zur pädagogischen Ausstattung der neuen Kunstakademie – eröffnet. 1896 stiftete der Jurist und Kunst-Sammler Alexandros Soutzos seine Sammlung dem griechischen Staat mit dem Ziel, ein “Griechisches Museum der Bildenden Künste” zu schaffen. Bis 1939 blieb die weiter gewachsene Sammlung (Stiftungen von Averoff, Rodokanaki, Maraslis usw.) zunächst in der Technischen Universität. Durch verschiedene Stiftungen weiterer Sammler mußte jedoch ein weitaus größerer Platz geschaffen werden. Das heutige Gebäude wurde zwischen 1964 und 1976 errichtet.
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GRIECHISCHE NATIONALGALERIE / ALEXANDROS SOUTZOS MUSEUM
Öffnungszeiten seit dem 16.04.2016:
Mo., Mi. bis So.: 09:00-16:00
Dienstag geschlossen
Seit 2013 gibt es im Museum Umbauarbeiten. Beachten Sie die website (siehe unten) oder rufen Sie ggf. vor einem Besuch an: 0030-210-7235857
Metro: Evangelismos (Linie 3)

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Eine sehr gute Übersicht über den Bestand und über die griechische Malerei der letzten vier Jahrhunderte bietet das von der Nationalgalerie herausgegebene Buch:
National Gallery – Alexandros Soutzos Museum
Four Centuries Of Greek Painting
Hrsg. Marina Lambraki-Plaka, Olga Mentzafou-Polyzou
Athen 2000
287 Seiten, ISBN: 960-7791-08-8
Griechische und englische Fassung, Preis 30 Euro für die Paperback-Ausgabe.
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