Kykladen 1885 J. Th. Bent

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In “Cyclades, or life among the Insular Greeks” (1885) von James Theodore Bent (1852-1897) findet man schon einen überaus “modernen” und aufschlußreichen Bericht über die Kykladen … und der Bericht war zu Zeiten geschrieben, als wirklich noch niemand freiwillig dorthin fuhr.
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Bent (er hatte eine philologische Ausbildung in Oxford abgeschlossen) war nicht, wie viele Hellas-Reisende des 19. Jahrhunderts, darauf fixiert, archäologische Fundstellen aufzusuchen – oft tauchen seine Berichte über Ausgrabungen nur in den Fußnoten seiner Texte auf. Bent war interessiert an der Gegenwart.
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Die für das sehr umfangreiche Buch besuchten Inseln waren: Serifos, Sifnos, Kimolos, Milos, Anafi, Santorin, Ios, Sikinos, Folegandros, Mykonos, Tinos, Andros, Syros, Naxos, Paros, Antiparos, Kythnos, Keos, Amorgos.
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Ja, warum war vor 130 Jahren noch keiner auf den Kykladen unterwegs? Nun, keiner fuhr damals in die Welt hinaus, um Sonnenuntergänge zu beobachten oder am Strand zu liegen. Klassisch-antike Stätten gab es reichlich auf dem griechischen Festland … und über die trocken-kahlen Kykladen gab es auch keinerlei Informationen, kein Kartenmaterial … und es gab fast keine öffentlichen Verkehrsmittel.
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Gut, es gab es paar Schiffe, die (bei gutem Wetter) für gelegentlichen Verkehr sorgten. Nehmen wir Mykonos als Beispiel. Bent schreibt: “How can people came to Mykonos? Unless you are armed with a letter of introduction, there is no possible means of obtaining a night’s lodging. The steamer comes only once a week, when the weather is fine, so a traveller who visits Mykonos, and would not stay a week on this uninteresting island, must depend on the precarious passage by caique.”
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Bent ist übrigens auf dem touristenfreien Mykonos in der Hoffnung auf eine schöne traditionelle Beerdigung. Die Klagefrauen der Insel haben nämlich einen sensationell guten Ruf. Bent hat Glück, das Wetter ist schlecht, und schon nach zwei Tagen stirbt der erste an der Schwindsucht …
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Dieser sporadische Inselverkehr war jedenfalls nichts, auf das man eine längere Rundreise aufbauen konnte. Es wurden von den Dampfern nur größere Inseln aufgesucht. Und Informationen über Fahrpläne, wie und woher sollte man die kriegen? Kein Telefon, kein Telegraph, kein Funkverkehr, nichts. Man saß unter Umständen tagelang auf den Koffern und wartete. Das Wetter paßte nicht, die Streckenführung hatte sich wegen irgendwelcher Aufträge geändert. Mit Fracht verdienten die Kapitäne ihr Geld, nicht mit verrückten “fränkischen” Touristen!
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Und die meisten Inseln hatten auch keine richtigen Anlegeplätze. Gewöhnlich ankerte das Schiff weit draußen (außerhalb der Brandung!) und man konnte sich in ein Ruderboot setzen und sich in Richtung Strand bringen lassen. Auf den letzten Metern gab es immer nasse Füße. Mindestens das. Dabei half dem Nordeuropäer nur noch beten, obwohl die Bootsführer versichern, sie hätten zu christlichen Zeiten noch nie ihre Ladung verloren …
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Und die nicht vom Dampfer berührten Inseln hatten oft nicht mehr Kontakt zur Außenwelt hatte als die Bewohner einer pazifischen Inselgruppe (wie Bent schreibt).
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Der gerade 30jährige Bent war übrigens in der Regel mit einem griechischen Diener und mit seiner Frau Mabel unterwegs, die auch das offfizielle Reisetagebuch führte. Das Ehepaar muß so einiges an Nervenstärke, Widerstandskraft und Frustrationstoleranz gehabt haben!
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Bent war der neugriechischen Sprache mächtig. Und da auf den Kykladen (außer Syros) auch überhaupt keine Infrastruktur eingerichtet war für Reisende, ging sein erster Weg gewöhnlich zum offiziellen Regierungsbeauftragten auf den Inseln, der nach bestem Vermögen für bescheidene Unterkunft und ebenso bescheidene Verpflegung und für lokale Führungen sorgte. Dafür führte Bent die entsprechenden Regierungspapiere aus Athen mit. Abwechslung durch “hohe Gäste” wurden von lokalen Offiziellen meist gerne gesehen.Es gab ja sonst keinen Verkehr mit dem Rest der zivilisierten Welt.
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Und selbst wenn auf den Inseln Handelsware produziert wurde, führte auch das in der Regel nicht zu Export- und Import-Verkehr. Gut, da gingen ab Santorin Weinfässer nach Rußland, auf Serifos, Milos und Naxos gab es Bergbau, da war Syra (als ehemaliges französisches Schutzgebiet) von aus Chios geflüchteten Reedern und Händlern zu einer wohlhabenden Warentransferstation gemacht geworden, aber das waren Ausnahmen.
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Auf Anafi amüsiert sich der Demarch (der Bürgerweister) darüber, wie AUTARK die Insel doch sei: Brot und Wein und Kleiderstoffe machen wir selbst, Fische und Steine haben wir genug, wir importieren nur Zigarettentabak. Ziegen, Schafe und Hühner gab es auch genug, und die Schweine, die gewöhnlich vom Abfall lebten, der knöchelhoch auf der Straße liegt, verderben Bent sogar den Appetit auf Bacon zum Frühstück …
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Und es ist winterkalt und feucht auf der Reise, auf Santorin schneit es, Leder verschimmelt, Möbel gibt es keine, Fensterscheiben auch nicht, Toiletten schon gar keine, keine Zeitungen, keine Läden … und in den Lokalen gibt es gewöhnlich nichts zu essen, und wenn, dann immer Huhn und Eier. Und wenn es zum Feiertag schon mal tyropittes gibt, findet Bent das eher magenumdrehend. Ja, zuviel vergorener Schafskäse ….
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Bent nimmt von Santorin aus die Post nach Anafi mit, es sind 12 Briefe, die Hälfte davon für den Bürgermeister. Es kommt überhaupt zum ersten Mal seit 2 Monaten (!) Post auf die Insel! Bent wird von seinem Bootsmann irgendwo an der Nordküste abgeladen, und wie immer zieht sein Diener beim ersten Tageslicht zu Fuß los und sucht das Inseldorf, von wo aus er mit Maultieren zurückkommt (vier Stunden Wartezeit am einsamen Strand sind möglich, und oft auch recht unheimlich). Und bei der Ankunft im Dorf sind alle auf der Straße und starren neugierig auf die Fremden. Aber nett sind sie ja meistens, die “Ureinwohner”, gewöhnlich intelligent und sprachgewandt, wenn auch etwas roh und ungebildet …
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In der Regel ist man also mit dem Boot (Kaik) unterwegs, aber das Wetter bestimmt oft genug die Strecke, nicht der Reisewunsch. Hier nur ein Beispiel, wie man im Karussell der Winterstürme unfreiwillig nach Ios statt nach Paros kommt:
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“We planned to go (from Pholygandros) to PAROS, and we started with a favourable through slight breeze. This died away altogether before we got an hour on our way. We said we would sail for AMORGOS if possible, and started in that direction. Before soon the breeze became too fresh, and our men insisted on running for IOS; but we found we could by no means go round the northern point of SIKINOS, so we had to retrace our way almost back to the harbour of PHOLYGANDROS. It soon began to blow with a vengeance; it was impossible to go make for IOS. “Let us run for SANTORIN,” we said, getting more and more disgusted at our fate.”
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Der Versuch, das Kaik in Sikinos zu landen, geht auch schief, also landet man am Ende tatsächlich auf Ios. Fazit: “It is impossible to make any plans beforehand in the winter time; it is not where you will go, but where you can get.”
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Aber auf diese Weise kann man kaum nach Marmorstatuen forschen, für den sofortigen Export. (Es sei denn, man hat ein eigenes Schiff. Das einsame Delos war damals bekannt für Antiquitätendiebstähle auf diese Piraten-Art.) Aber Bent interessiert sich ohnehin eher für das Volksleben als für die Trümmer! Er und seine Frau Mabel sammeln Spiele, Lieder, Gedichte, Mantinades. Sie dokumentieren sozial fixierten Aberglauben und mündliche Traditionen, Wissen über Gesundheit und Heilmittel (die Inselbewohner bleiben alle gesund, bis sie 90 sind …),. Nach Dialektbegriffen, Märchen, Tänzen, Spottversen und Scherzen wird gefragt. Derbe Scherze, die oft einiges an Toleranz erfordern vom viktorianisch erzogenen Briten und seiner Gattin, denen es jedoch nicht an trockenem Humor fehlt. Und Mabel zeichnet alles auf, was sie hört und sieht …
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Aber Bent sieht auch schon das Ende der Isolation und der alten Zeit. Die Mode europäisiert sich als erstes. Die Bents suchen nämlich nach Volkstrachten, die jedoch am Ende des 19. Jahrhunderts oft schon nicht mehr in der Öffentlichkeit getragen werden, außer zu Feierlichkeiten. Wenn die Mädchen der Inseln in Trachten modellieren, zieren sie sich manchmal schon. Nicht vor den fremden Besuchern … nein, vor dem Spott des Dorfes über ihren altmodischen Aufzug.
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JAMES THEODORE BENT, ZWEI WOCHEN AUF AMORGOS:
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Bent war zur griechischen Osterzeit auf Amorgos. Die Insel war um 1885 herum bereits einmal wöchentlich mit dem Dampfer zu erreichen (“a dangerous enemy for primeval customs”, wie Bent diagnostiziert). Dabei galt die Insel als schwierig anzufahren … und noch lange nach Gründung des griechischen Staates als Seeräubernest. Angeblich wirkten hier die Priester des berühmten Quellen-Orakels von Agios Georgos Valsamitis mit den lokalen Piraten zusammen. Allzuoft wurden dort ratsuchenden fremden Bootsleuten Informationen gegeben, die sie direkt in eine räuberische Falle laufen ließen …
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Trotz dieser verkehrstechnischen Öffnung zur modernen Zivilisation wird Bent im Hauptort Chora noch angestarrt, als käme er vom anderen Ende der Welt (“Everyone stared at us as if we came from the Antipodes.”). Aber auch hier registriert Bent schon den Rückgang der alten Trachten. Nur noch die alte Frauen tragen den troulos bzw. tourlos als lokaltypische Kopfbedeckung. Bent staunt über die “grotesken” Hüte, in die man den Boden einer riesengroßen vollen Wasseramphore bequem versenken kann. Allerdings hätten die nur mühsam am Kopf zu befestigenden Objekte einen Nachteil: “Naturally a headdress such as this is not easy to change, and the old women rarely move it until their heads itch too violently from the vermin that have collected within.”
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Nun ja, über die Sauberkeit an anderen Stellen hat Bent auch nicht viel Gutes zu berichten. Er wohnt zeitweise in der Hafen-Taverne von Pappas Manoulas in Katapolis (Katapola), der mit seinen 11 Kindern und den betrunkenen Gästen nicht viel Zeit hat, den Laden auf touristischem “Sterne-Niveau” zu halten (“He put me to sleep in a box at the top of a ladder in one corner of the café, which was redolent of stockfish and alive with vermin.”). Und daran, Wein aus Ziegenlederschläuchen zu trinken kann sich Bent auch nicht. Der Wein schmeckt nämlich nach Ziege, was den einheimischen Connaisseur aber nicht stört …
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Aus der Zeit der Piraten scheint auch noch der Brauch zu stammen, daß der Gastgeber immer zuerst aus der Rakiflasche trinkt, bevor er sie dem Gast reicht. Um zu beweisen, daß der Inhalt nicht vergiftet ist …
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Das sind jedoch nur Nebenbeobachtungen. (Wie die versonnenen Betrachtungen über die besondere “beauty of the Amorgos female” auch. Bent bedauert, daß die Frauen von Amorgos vor Ort leider keine Männer finden können, die ihnen ästhetisch gleichrangig wären …)
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Woran Bent interessiert teilnimmt, nachdem er in der Karwoche mit Amorgos-Priester Demetrios die Insel per Boot (5 Stunden von Katapola nach Aegali) und Maultier erforscht hatte, sind die Osterfeierlichkeiten. Die dauern auf Amorgos eine Woche lang! (Die Prozessionen gibt es noch heute!) Am Ostersonntag werden die wichtigsten Ikonen aus dem bizarren Kloster der Panagia Hozoviotissa geholt …
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… und in langen feierlichen Prozessionen zu allen wichtigen anderen Kirchen der Insel getragen: Es ist die silbere Ikone der Panagia, das Bild des Georgos Valsamitis und ein auf dem Gipfel des Krytelos gefundenes silbergefaßtes Eisenkreuz. (Ein Prozeß, der auf Dauer so langweilig ist, daß sich Pappas Demetrios ab dem fünften Tag gerne mal verabschiedet von der Rumlauferei …) Jedenfalls ist die Übergabe der Ikonen an die Öffentlichkeit am Ostersonntag in Chora ein so wichtiger Tag für die Insel, daß fast die ganze Einwohnerschaft (5000) dort erscheint.
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Und am Ostermontag geht auch gleich steil hinauf zu der Kapelle auf dem Gipfel des Eliasberges. Für die daran Beteiligten gibt es oben wenigstens ein reichhaltiges Osteressen. Dazu noch die beeindruckende Ausicht rundum …
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(Jeder wird in Griechenland schon bemerkt haben, daß es HUNDERTE von Eliasbergen gibt, und immer haben sie eine gute Aussicht über das landwirtschaftlich genutzte Land. Warum? Der Prophet Elias hat aus der Antike … siehe Apollo, Helios … die Fähigkeit gelernt, das Wetter zu bestimmen. Daher kriegt er immer eine Kapelle dahin gebaut, wo er gut sehen kann, wo gerade noch Regen fehlt!)
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Bent läßt sich die antiken Orte der Drei-Städte-Insel Amorgos zeigen (Aegali, Minoa, Arkesini – noch nirgendwo wurde damals wissenschaftlich ausgegraben) und ist immer wieder überrascht, was die Bauern ganz beiläufig beim Pflügen aus dem Acker holen. Die Kinder sammeln nach jedem Winterregen jahrhundertealte Münzen aus den Erosionsrinnen, und Pappas Demetrios’ 80jähriger Vater hat in seinem Bauernwohnhaus großzügig Platz für seine Scherben- und Marmortrümmersammlung geschaffen, die jedes Jahr um gute Stücke erweitert wird.

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Minoa, eher banale Scherbenfunde …
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The Cyclades, or life among the insular Greeks
James Theodore Bent
Erstausgabe: Longmans, Green & Co./London 1885
Erste Neuausgabe:
Argonaut Publishers, Chicago, 1965
(592 Seiten, ungekürzt, mit Vorwort von Al. N. Oikonomides)
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2008 von Anagnosis Press/Athen veröffentlicht unter dem (hoffentlich) ironischen Titel “Island-Hopping In the Cyclades” ISBN: 978-960-98171-4 (diese Ausgabe is “abridged” = gekürzt).
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Wenn Sie sich für historische Reiseberichte interessieren, ist die Serie “Grecian Journeys” des Anagnosis-Verlages was für Sie. Die 6 Bände sind allerdings auf ihre bessere Lesbarkeit hin gekürzt und kosten je 9,50 Euro in Griechenland (Stand 09.2008). Hier finden Sie Details und auch die Bezugsmöglichkeit: http://www.anagnosis.gr/

Island-Hopping in the Cyclades by Theodore J. Bent
: abridged from The Cyclades, or Life among the Insular Greeks originally published in 1885

Reminiscences of Athens and the Morea by Henry Herbert, Lord Carnarvon: abridged from Reminiscences of Athens and the Morea: Extracts from a Journal of Travels in Greece, by the late Earl of Carnarvon, edited by his son the present Earl, first published in 1839

Travels in Greece by Charles R. Cockerell: abridged from Travels in Southern Europe and the Levant, 1810-17: the Journal of C.R.Cockerell RA, first published in 1903

Over the Mountains to Meteora by Robert Curzon: abridged from Visits to the Monasteries in the Levant, first published in 1849

Rare Adventures by William Lithgow: abridged from The Totall Discourse of the Rare Adventures and Painefull Perigrinations of Long Nineteen Years Travayles from Scotland to the most Kingdoms in Europe, Asia and Africa in 1632

Kidnapped by Brigands by David Urquhart: abridged from The Spirit of the East in 2 vols. in 1839

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