Ludwig Ross, Inselreisender

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Ludwig Ross als Inselreisender, 1836. Das Aquarell von Christian Hansen auf einer Seite im Tagebuch von L. Ross wird fälschlicherweise oft für ein Selbstportrait gehalten.

Ludwig Ross (1806-1859), Bruder des Malers Karl (Charles) Ross, war ein bedeutender Archäologe, der heute fast vergessen ist. Er stammte väterlicherseits aus einer schottischen Familie, hatte in Kiel klassische Philologie studiert und unternahm seit 1832 ausgedehnte Studienreisen durch Griechenland und Zypern. Ross war der erste, der auf der Akropolis systematische Ausgrabungen durchführte. Er war auch derjenige, der den Tempel der Nike Apteros rekonstruierte. (Die Türken hatten den Tempel 1687 abgerissen und stückweise in ihre Bastionen eingebaut.) Ross bestimmte als erster die Reste der im Jahre 480 v.Chr. von den Persern zerstörten Akropolis (aus der Zeit vor dem Parthenon).

Ludwig Ross war Autodidakt als Archäologe! “Als er in Nauplia landete, da wußte er nichts von der technischen Seite archäologischer Forschung, von dem Aufbau antiker Monumente, nichts von Ausgrabungen.” (Georg Karo) Aber Ross lernt sehr schnell und er hat eine unorthodoxe Weise, an die Dinge heranzugehen. Er ist zum Beispiel der erste, der archäologische Schnittzeichnungen anfertigen läßt, um die Schichtenabfolge der Funde zu bestimmen. Diese Methode wurde erst 20 Jahre vorher von Geologen für ihre Zwecke entwickelt.

Ross wurde von späteren Generationen vorgeworfen, daß er zu leichtfertig die byzantinischen und osmanischen Bauten von der Akropolis entfernt hatte. Man sollte jedoch nicht vergessen, daß diese Bauten nach dem griechischen Befreiungskrieg nur noch bedeutungslose zerschossene Ruinen waren.

Er wurde königlicher Beauftragter (Ephoros) für die Aufsicht über die antiken Denkmäler und 1837 erster Professor für Archäologie an der neuen Universität Athen. 1843 wurde er entlassen, wie mancher andere auch, da König Otto im Lande dadurch unbeliebt geworden war, daß er solche “Top-Jobs” in erster Linie an Deutsche (besonders Bayern) und nicht an die gebildeten Griechen selbst vergab. Außerdem war Ross kein nationalistisch-idealistischer Typ, sondern erfüllt von erfreulicher Nüchternheit und immer bereit zu humorvoller Kritik. Er hatte also manche Gegner. 1845 kehrte er (mit großem Widerstreben) zurück nach Deutschland, er wurde Professor für Archäologie an der Universität Halle.


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Besonders interessant sind Ross’ Aufzeichnungen dadurch, daß er sich nicht auf Athen und die relativ leicht erreichbaren antiken Stätten auf dem Festland beschränkte. Ross hatte auch nicht den Archäologen-“Tunnelblick”. Ihn interessierte die Gegenwart des jungen griechischen Staates mit allen landeskundlichen Aspekten. Er war zum Beispiel oft auf den Inseln der Kykladen unterwegs, was nur wenige taten, da das damals große organisatorische Schwierigkeiten bereitete und viel Zeit kostete. Ross nutzte meist in Piräus gemietete Schiffe. Wenn er jedoch mit König Otto zusammen unterwegs war, konnte er die britische Dampf-Fregatte “Medea” oder die “Leon”, das private Schiff des Königshauses, nutzen. Aber meist war er mit ähnlich interessierten Freunden und Kollegen unterwegs (Eduard Schaubert, Graf Prokesch-Osten, Rudolf Herzog, Karl Ritter).

Der Altertumsforscher Ross nutzte alles vorliegende lückenhafte Literatur- und Kartenmaterial über die Inseln. Aber über die kleineren Inseln gab es gewöhnlich überhaupt kein Informationsmaterial. Meist ging er also selbst vor Ort auf die Suche. Seine Stellung in Athen verschaffte ihm direkten Zugang zu den Honoratioren auf den Inseln, die er ausfragte … und er folgte gerne vielversprechenden lokalen Ortsnamen. Wenn irgendwo ein Hügel “palaiokastro” hieß, war er schon dorthin unterwegs. Nicht immer erfolgreich, aber er hätte es sich nicht verziehen, wenn er so einen Hinweis auf alte Zeiten ausgelassen hätte.

Aber Ross interessiert sich auch sehr für die Neuzeit und den Alltag. Hier ein paar Zitate aus dem Bericht über den Weinbau auf Santorin: “Die Theräer unterscheiden in ihren Pflanzungen einige siebenzig Arten von Trauben, von denen aber die meisten, wie die Heptachilia, das Muskato, Aidonisi u.s.w. nur dem Essen dienen. (…) Der Wein (aus Thera) ist vorzüglich und ähnelt, wenn er in verschiedenen Gährungsgraden auf Flaschen gezogen wird, bald dem Rheinwein, bald dem Champagner. Außerdem machen sie weißen und rothen süßen Wein, den letzteren aus einer Traubenart, welche Mavro Tragano heißt. Die Trauben müssen aber vor der Kelterung vierzehn Tage auf den flachen Dächern der Häuser der Sonne ausgesetzt werden, wodurch der zu gewinnende Wein vier Siebentheile an Quantität verliert, aber außerordentlich süß und fast so dick wie feines Oel wird. (…) Und bei all diesem ist Thera die wohlhabendste der griechischen Inseln, und beschäftigt vierzig eigene Schiffe, ohne die kleinen Fahrzeuge, durch ihre Aus- und Einfuhr.”

Übersicht über die Kykladenreisen:

Ross war zuerst im August und September der Jahre 1835 und 1837 unterwegs. Er besuchte Syros, Tinos, Delos, Rheneia, Naxos, Paros, Ios, Santorin (Thera), Anaphi (1835) und Kea, Kythnos, Serifos, Sifnos, Folegandros, Sikinos, Ios, Amorgos und Santorin (1837). (Inselreisen 1)

Im Dezember 1836 besuchte er mit König Otto Milos, Santorin, Anaphi, Naxos, Syros, Tinos Delos, Rheneia und Paros. Eine ähnliche Tour wurde bei einer weiteren Reise im Oktober 1840 bewältigt.

Im Juli und August 1841 ging es über Andros, Syros, Mykonos, Paros, Herakleia, Schinoussa, Koufonissi, Amorgos, Astypalaia, Nisyros, Knidos, Kos, Kalymnos, Leros, Patmos, Samos, Ikaria nach Delos. (Inselreisen 2)

Im September 1843 besuchte Ross Milos, Kimolos, Santorin, Kasos, Karpathos, Rhodos, Halki, Symi, Kos, Kalymnos und Ios. (Inselreisen 3)

Im Mai 1844 folgen die Ziele Kos, Tilos, Loryma, Rhodos und Halikarnassos. (Inselreisen 4) (Übersicht zusammengestellt aus den Inselreisen selbst und mit Hilfe von “Ludwig Ross auf den Kykladen” von Katja Sporn.)

Insgesamt verbrachte Ross acht Monate auf den Ägäisinseln. Von seinen “Inselreisen” sind insgesamt 4 Bände erschienen (für Band 4 ging es bis Zypern), die heute kaum noch aufzufinden sind. (Eine Erstausgabe der Bände 1-3 ist im Juni 2008 bei eBay für 765 Euro versteigert worden – ein relativ günstiger Preis.)

Vor Ludwig Ross waren die Ägäisinseln ein unbekanntes Terrain für die Griechenlandreisenden … es gab keine Linienschiffverbindungen, dafür aber ausreichend Piratenverkehr. Ross schreibt dazu: “Die Inseln des ägäischen Meeres sind bisher auf eine auffallende Weise von den Reisenden vernachlässigt worden, und die Zahl derer, welche seit dem fünfzehnten Jahrhundert über sie geschrieben haben, ist keineswegs groß.” (Bondelmonte, Bordoni, Porcachi, Boschino, du Loir, Spon, Wheler, Sandys, Stockhove) “Die ausgezeichneten englischen Reisenden unsers Jahrhunderts, ein Dodwell, Sir W. Gell, Oberst Leake u.s.w. haben die Inseln nicht berührt.” Meist gab es nur vereinzelte Einzelbesuche auf der einen oder anderen Insel, ALLE Inseln hat vor Ludwig Ross keiner systematisch erfaßt.

“Der Mann mit dem weißen Anzug, wie Ross sich selber schilderte, war sicher zur Zeit des Königs Otto der beste Kenner Griechenlands” (Marianne Menzel, 1990) Erst 1885, ein halbes Jahrhundert nach Ludwig Ross’ Reisen, erschien James Theodore Bent’s “Cyclades, or Life among the Insular Greeks”, ein weiteres Standardwerk zum Thema. (Bei TECLA London als PDF zu erwerben!)

Hier ein Zitat aus den “Inselreisen”, aus der Ausgabe von 1912, über das berühmt-bizarre Kloster Chosowiotissa in Amorgos:

“Eine solche Höhlenwohnung ist übrigens, so malerisch sie sich auch von außen darstellt, und so romantisch die Sache klingt, in Wirklichkeit ein unbehaglicher Aufenthalt; das Kloster ist so eng, und seine Cellen so unbequem, daß die zahlreichen Mönche zum größeren Theil in ihren Vorwerken und Maierhöfen auf Amorgos selbst und auf anderen Inseln zerstreut leben. Auch hier fehlen Novizen, und wie sehr auch das geringere Volk die Verminderung der Klöster zu beklagen scheint, so ist doch die Neigung zum Mönchsleben im freien Griechenland fast erloschen, und das Geschlecht der bärtigen Väter droht binnen einem Menschenalter auszusterben.”

Nun ja, ein Archäologe kann sich ja auch mal irren … besonders dann, wenn er in die Zukunft schaut …

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Seitenansicht Chosowiotissa: Na gut, ein bißchen schmal geraten ist das Kloster ja schon …

Am 06.08.1859 nahm sich Ross, der an einer unheilbaren Krankheit litt, das Leben. Er verabschiedete sich mit dem folgenden Zitat von Horaz: “Daher kommt es, daß wir so selten einen Menschen finden, der sagen könnte, er habe glücklich gelebt, und der zufrieden mit der durchmessenen Zeit wie ein gesättigter Gast aus dem Leben scheidet.” (Zitiert nach Klaus Hallof, “Ludwig Ross und die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin”)

Literaturauswahl:
(1840-1850) Inselreisen – Reisen auf den griechischen Inseln des Ägäischen Meeres 1-4 (1841) Reisen und Reiserouten im Peloponnes ( 1848 ) Reisen des Königs Otto und der Königin Amalia in Griechenland (1863) Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland
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Zum 200. Geburtstag wurde Ludwig Ross 2006 von der Universität Halle und der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel mit einer Ausstellung geehrt. Im Jahre 2002 fand in Athen das Internationale Kolloquium “Ludwig Ross in Griechenland” statt, zu dem 2005 eine umfangreiche Text- und Bilddokumentation veröffentlicht wurde (deutscher und griechischer Text, Hrsg. Hans Rupprecht Goette und Olga Palagia, Reihe Internationale Archäologie – Studia honoraria, VML-Verlag, Rahden/Westf.).

4 comments

    1. Από τον Τομέα Βυζαντινής Φιλολογίας και Λαογραφίας του Τμήματος Φιλολογίας της Φιλοσοφικής Σχολής του Πανεπιστημίου Αθηνών, το Ινστιτούτο Λαϊκού Πολιτισμού Καρπάθου του Τμήματος Φιλολογίας του Πανεπιστημίου Αθηνών και τον Καρπαθιακό Οργανισμό Πολιτισμού, Αθλητισμού και Παιδείας του Δήμου Καρπάθου, με εισήγηση του καθηγητή Λαογραφίας Μηνά Αλ. Αλεξιάδη, οργανώθηκε το Δ΄ Διεθνές Συνέδριο Καρπαθιακής Λαογραφίας, στα Πηγάδια Καρπάθου από 8-12 Μαΐου 2013. Το Συνέδριο ήταν αφιερωμένο στη Μνήμη του πρώτου ερευνητή της Καρπαθιακής Λαογραφίας Ludwig Ross (1806-1859) και του πρώτου Καρπαθίου διδάκτορος Λαογραφίας του Πανεπιστημίου Αθηνών Ντίνου Αντ. Μελά (1935-2011). Τώρα τυπώνονται τα Πρακτικά του Συνεδρίου και, εκτός απροόπτου, θα εκδοθούν το 2015.

  1. Übrigens findet sich in “Archäologische Aufsätze von Ludwig Ross, Band 2” (Teubner/Leipzig 1861) ein ausführliches Kapitel (Nekrolog) mit der Lebensgeschichte von Ludwig Ross, von Karl Keil.

  2. Ja, was mußte man mitnehmen, wenn man vor 150 Jahren im Ägäis-Raum unterwegs war, als für touristische Bedürfnisse noch nichts eingerichtet war? Zunächst mal mußte ein Lasttier mit der mobilen Küche dabei sein! Ludwig Ross beschreibt das so:

    „ Es blieb nur noch die letzte Operation vor dem Aufbruch zu verrichten, die immer mit besonderer Achtsamkeit und auch mit besonderer Theilnahme von Seiten der (…) Begleiter vorgenommen wurde: die Verpackung und Schließung der braunen mit Messingbändern eingefaßten Kiste, welche die Küche und das Vorrathsmagazin vorstellte.

    Wie lernt der Mensch auf solchen Reisen seine Bedürfnisse beschränken! Wie wenig genügt, bei ökonomischer und weiser Benutzung, zur vollsten Befriedigung dieser Bedürfnisse! Und mit welchem Geschick wußte Francis die disparatesten Gegenstände in den engen Raum dieser Kiste, deren Gewicht das Maß einer halben Pferdeladung nicht übersteigen durfte, sicher zusammenzudrängen! Die Leser halten es mir wohl zu gut, zumal falls der eine oder der andere die Absicht haben sollte selbst im Orient zu reisen, wenn ich in dankbarer Erinnerung bei diesem unscheinbaren Holzkasten verweile, der öfter monatelang gleichsam den physischen Mittelpunkt meines Daseyns gebildet hat, und wenn ich eine Andeutung versuche welche mannigfaltigen Schätze er enthielt.

    Da waren Blechbüchsen mit Kaffee, Thee, Zucker, Reis und Maccaroni, ein Theetopf mit einigen Theetassen, ein halbes Dutzend blecherner Teller, einige silberne Thee- und Eßlöffel, Messer und Gabeln, ein kupfernes verzinntes Kochgeschirr, eine hermetisch verschlossene Büchse mit Butter zum Pillaf, ferner Käse, Salz, Pfeffer und Senf; eine Kaffeemaschine mit Spirituslampe, ein paar Flaschen mit Weingeist zum Kochen und mit Rum zum Thee, einige Trinkgläser, ein Vorrath von Wachskerzen und Zündhölzchen, eine Flasche mit Schießpulver, ein Kästchen mit einer sehr einfachen Reiseapotheke, bestehend in Chinin, Brausepulver, Hoffmann’schen Tropfen, Englischem Pflaster und Heftpflastern; endlich noch verschiedene andere Gegenstände.

    Die Vorräthe wurden überall wo es möglich war ergänzt und erneut. So fehlte es denn nie, selbst in der unwirthlichsten Beiwacht, an warmen Getränken und an einer wohlschmeckenden und nahrhaften Reisspeise, und gewöhnlich war es möglich, außer mir, meinem Begleiter und Francis, auch den Türkischen und Griechischen Pferdetreibern etwas davon zukommen zu lassen.

    Daher war es nicht zu verwundert wenn (…) die einfachen Gebirgshirten eine so inhaltvolle Kiste, die nach ihrem genügsamen Maßstabe das Zehnfache auch der anspruchvollsten menschlichen Bedürfnisse umschloß, mit einer Art geheimer Verehrung betrachteten, und immer besonders gern die Hand boten, wenn sie vom Pferde gehoben und geöffnet, oder wieder auf das Lastthier geladen werden sollte.

    Die letztere Procedur, die zu dieser Abschweifung Veranlassung gegeben hat, war verhältnismäßig die schwierigste, weil gewöhnlich die ledernen Sacke mit Brod, Fleisch, einer großen hölzernen Weinflasche., die an die andere Seite des Tragsattels zu hangen kamen, kein genügendes Gegengewicht bildeten, so daß oft noch Steine dazu aufgeladen werden mußten, um der Last den gehörigen Halt zu geben.“

    Quelle Ludwig Ross: Kleinasien und Deutschland – Reisebriefe und Aufsätze mit Bezugnahme auf die Möglichkeit Deutscher Niederlassungen in Kleinasien, Halle 1850, Seite 109-111

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