Robert Curzon, Schatzsucher

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The Hon. Robert Curzon Jnr. (1810-1873) besuchte zwischen 1834 und 1837 Ägypten, Syrien, Palästina, Griechenland, Albanien und den Athos-Bezirk, um in den dortigen Klöstern alte Manuskripte zu “sammeln”. Später hat er seine Reiserlebnisse als Buch veröffentlicht (“Visits to Monasteries of the Levant”, 1849). Er wußte, das die Klöster ihre Altertümer nicht hoch schätzen und hoffte darauf, daß er von der Ignoranz der Mönche profitieren konnte. Viele der Altertümer waren, weil man sie nicht schätzte, inzwischen leider auch im Kamin gelandet oder wurden wie Müll in Kellern und vergessenen Speicherräumen aufbewahrt, zur Freude von Mäusen und Insekten.

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Robert Curzon, Daguerrotypie von 1840

Curzon schaffte es meistens, irgendwie an die Buchbestände der Klöster zu kommen, oft mit kleinen Tricks. Manchmal mußte er ungewöhnliche “Prüfungen” hinter sich bringen, die sich oft aus Gründen der Höflichkeit ergaben.

In Megistis Lavras (Athos) mußte der Engländer in Gesellschaft des Abtes erst einmal einen Frühstücksbrei aus frischem Knoblauch, Zucker, Olivenöl und rattenscharfem Käse verzehren, dessen Geschmack und Aroma ihn fast umbrachten. (“Now”, said the agoumenos,”this is a dish for an emperor! Eat, my friend, my much-respected guest, do not be shy!”) Curzon lehnt ab, er hätte einen Fasttag, aber der Abt nimmt ihm die Geschichte nicht ab … Reisende haben keine Fasttage! Aber dann muß der Abt glücklicherweise zur Messe und der Gast darf in die Bibliothek: 5000 Werke, davon 4000 gedruckte Bücher und 900 Manuskripte auf Papier und Pergament. Evangelien aus frühester byzantinischer Zeit, von einer Qualität, die kein europäisches Museum hat … aber Curzon kann nichts davon kriegen.

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Simonos-Petra-Kloster/Athos, Zeichnung von Robert Curzon

In Karakallou ist der Zugang zu den Büchern ekelfrei … nachdem erst einmal das Schloß zur Bibliothek aufgebrochen wurde! Seit vielen Jahren war niemand mehr in dem Raum. Curzon findet 90 Manuskriptblätter, darunter ein uraltes Blatt aus dem Matthäus-Evangelium, das er gerne behalten möchte. Was er damit tun will, fragt der Abt neugierig. Curzons Diener mischt sich ein … sein Herr würde mit dem Pergament Einmachgläser abdecken …!

Die gutgemeinte List rächt sich. Im nächsten Moment hat der Abt ein Messer in der Hand, greift nach dem nächstbesten Buch und schneidet einen Block Blätter heraus. Das soll der Gast auch noch mitnehmen für seinen Konservierungsbedarf … es handelt sich um die Apocalypse, ein im 11. Jahrhundert niedergeschriebener Text …

“Oh!” said the agoumenos,”take some more!” and without more ado, he seized upon an unfortunate thick quarto manuscript of the Acts and Epistles, and drawing out a knife cut out an inch thickness of leaves at the end before I could stop him.”

In den bulgarisch-makedonischen Klöstern wird Curzon hin und wieder mit unglaublich kostbaren handillustrierten Büchern beschenkt. Es ist dem Abt eine Ehre, daß der Gast sich ein Buch seiner Wahl einpackt … das “Tetraevangelia des Zars Ivan Alexander” gehört heute der British Library.

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Seite aus dem Tetraevangelia des Zars Ivan Alexander

Curzon hatte in Meteora leider keinen Erfolg, und manchmal auch keine Chance, in die unzugänglichen Kloster hineinzukommen. Die Strickleiter von Roussanou war hochgezogen, und es waren nur zwei Nonnen im Kloster, die seinen Besuch verweigerten (the monks were all out and they declined the honour of our visit). Da halfen weder Schmeicheleien noch Flüche: “We used all the arguments we could think of, and told the gentlewomen that they were the most beautiful creatures in the world, but all to no purpose. (…) Finding there were no hopes of getting in, we told them they were the ugliest old wretches in the country, and we would not come near them if they asked us upon their knees …”

Daß sich Mönche und Nonnen, bzw. “Frauen” die Meteora-Klöster teilten, war nicht ungewöhnlich. Hinter der Zugbrücke von Hagios Stephanos findet es Curzon so: “In this monastery there were thirteen or fourteen monks and several women.” Die Möche lassen ihn hier in ihre geheime Bibliothek, wo er aber nur 150 Bücher ohne Wert findet.

Es gab in der Gemeinschaft von Meteora also völlig andere Werte als auf dem Athosberg. (Auf dem Athos ist jede Anwesenheit von Frauen streng verboten.) Am Athos trifft Curzon einen alten (!) Mönch, der in seinem ganzen Leben noch nie eine Frau gesehen hat, von der Panagia auf den Ikonen mal abgesehen. Er war als Säugling bei einem Massaker gerettet worden und auf dem Berg aufgewachsen, ohne ihn jemals wieder verlassen zu haben: “He did not remember his mother, and did not seem quite sure that he ever had one; he had never seen a woman, nor had he any idea what sort of things women were, or what they looked like.”

Am Ende der langen Reise schafft Curzon jedenfalls mehrere vollbeladene Maultiere mit Manuskripten zum Athos-Hafen an der Mündung des Xeropotamus … und er muß mit seiner Ladung eine dreitägige stürmische Seereise überstehen, bis zu den Dardanellen, wo der Dampfer Stamboul erwartet wird.

Der Kapitän des Athos-Schiffchens beruhigt Curzon mit seinen Aussagen nicht wirklich … “Oh, said he,” the sea is now very quiet: there have been no pirates about the coast for the last fortnight.”

Ich habe Curzons Sammelabenteuer mit Interesse gelesen, und konnte seine Empfindungen nachvollziehen, da ich einige Zeit lang selbst griechische und türkische Trödelläden angesteuert hatte, um nach alten Reisebüchern und Reiseführern aus dem 19. Jahrhundert zu suchen. Keine Chance … die meisten Reisenden hatten ihre teure Reiselektüre nämlich wieder mit nach Hause genommen. Und was im Lande zurückgeblieben war, war inzwischen sicher auch zum Herdanfeuern gebraucht worden.

Andere hatten mehr Glück: 1989 wurde bei Sothebys die weltberühmte Orientbuchsammlung des Henry Myron Blackmer versteigert. Der Yale-Absolvent Blackmer stammte aus Colorado, hatte aber den größten Teil seines Lebens in Europa verbracht. Er lebte von 1954-1988 in Athen und hatte sich mit relativ bescheidenen Mitteln unschätzbare Werke (oft aus Bibliotheksaussonderungen) besorgt. Zu seiner Zeit war das historische Sammler-Interesse an Levante- und Orientbüchern auch nicht so groß wie heute. Aber den größten Teil seiner Sammlung hatte Blackmer auch in England, und nicht am Mittelmeer aufgetrieben.
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