Kappadokien 6 – Göreme Avcilar

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Göreme Kappadokien
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Die Hauptverkehrsstraße im dörflichen Göreme 1986. Tee, Teppiche und Postkarten. Und ein paar kleine Pensionen, in denen Anfang April fast niemand wohnte.
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Wenn man sich vom „Zentrum“ des Tals ein wenig abwandte und durch das Dorf Avcilar streifte (wo man als Tourist nicht von den Händlern angemacht wurde), wurde es faszinierend: Das Alltagsleben der Einwohner, ihre Behausungen … und daß die Türken so locker improvisieren konnten wie die Griechen! Da transportiert ein Kleingewerbetreibender zwei Dutzend kniehohe Flüssigkeits-Behälter im Gepäckfach des lokalen Busses … daß er mit dem Übergewicht durch das Check-In gekommen ist … 🙂 …:
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Göreme Bus
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Und direkt neben der Straße werden die Tuffsteine zurechtgesägt. Alles von Hand. Der Lkw, der sie abtransportieren soll, kann direkt daneben halten zum Beladen. Der kürzeste Weg ist der beste, besonders wenn man einen kühlschrankgroßen Steinklotz in der Hand hat …
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Göreme Steinhauer
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Wunderbar fand ich die so zurückhaltend gestalteten Fassaden der freistehenden Häuser des (kirchenfreien!) Dorfes:
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Göreme Avcilar 1
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Göreme Avcilar 2
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Göreme Avcilar 3
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Hätte ich reihenweise fotografieren können in den unbefestigten Gassen. Hätte ich still meditierend davor stehen können. Aber es dauerte nicht lange, und wir waren in Gesellschaft. Ja, netter Gesellschaft, mit der man sich aber leider nur mit Gesten unterhalten konnte. Und wie sagt man in Taubstummensprache: „Müßtet ihr nicht in der Schule sein, ihr Nervensägen?“ 🙂 (Kleine Hilfe: Nervensäge = sinir torpüsü …)
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Göreme Kinder
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Kaum daß man seine Kamera irgendwohin richtete, stand die kleine Bande schon in Position davor. Angeführt von den Mädchen. Die Jungs waren nur Mitläufer. Das Alpha-Girl war die Große in der Mitte mit der roten Weste:
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Göreme Kinder 2
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Sie war auch diejenige, die die Hand aufhielt: Süßigkeiten! Ich konnte jedoch nur mit zuckerfreiem Pfefferminz helfen. Sowas hätte ich als Kind nicht in den Mund genommen. Die Rolle wurde umstandslos in ihrer Tasche versenkt. Großes Hasenzahn-Grinsen als Dank. Ohne Protest vom Rest der Bande. Entweder wußten sie, daß die Spende später verteilt wurde, nach einem Geschmackstest, oder sie hatten sich längst ergeben daran gewöhnt, von der Großen eh nichts abzukriegen.
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Meine Güte, die sind heute alle zwischen dreißig und vierzig, arbeiten vielleicht als Surflehrer in Antalya oder als Tatort-Kommissar in Almanya … aber zurück zur Architektur.
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Wenn man so leicht zu bearbeitendes Steinmaterial zur Verfügung hat, muß man sich schon bescheiden zurückhalten bei der Gestaltung des Baukomplexes. Wenn die Produktion der „Deko“ zu leicht ist, nimmt sie oft überhand. Dabei wurde schon im Barock darauf geachtet, daß das Verhältnis von gestalteten zu neutralen Flächen an Außenwänden nicht aus dem Lot geriet. Ob das nun das Petit Trianon in Versailles oder das Geburtshaus von Karl Marx in Trier war.
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Die alten Baumeister von Avcilar waren Meister der Proportionen und Dekorationen. Leider sah es hinter den Fassaden nicht mehr so gut aus, und da wurde dem Verfall des traditionellen Materials auch mit Beton gegengehalten:
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Göreme Avcilar Hof
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Als negatives Beispiel nenne ich mal die Insel Malta. Malta ist zum großen Teil aus Kalksandstein aufgebaut, besteht also aus urzeitlichen Ablagerungen von frutti di mare Resten, im Gegensatz zum vulkanisch gewachsenen Kappadokien.
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Malta Steinbruch
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Malta, hier läßt sich der Kalksandstein schneiden wie Käsekuchen.
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Malta hatte ich auch Ende der 80er Jahre zum ersten Mal gesehen, und war entsetzt von den neureich-barocken Neubauten, die die Vorstädte füllten. Auf winzigen Grundstücken wurden die geschmacklosen Kästen Wand an Wand nebeneinandergesetzt. Hier ein Beispiel – wie man sieht, gebaut im Jahre 1986:
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Malta Pseudo-Barock
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… diese gedrechselten Geländer der „Palast-Freitreppe“, diese idiotischen Verzierungen. Furchtbar. (Welche Drogen waren bei den lokalen Architekten damals wohl besonders beliebt?) Wenn es Platz für einen Vorgarten gab, stand darin gewöhnlich die Venus von Milo als Vogeltränke. Und ich dachte bis dahin, das gäbe es nur in Las Vegas oder Hollywood.
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Wie wenig exotisch einem die Gegend von Kappadokien früher vorgekommen ist, als die Bauern überall noch unter dürftigsten Umständen lebten (auch in Europa), sieht man in den „Briefen“ des (weitgereisten) preußischen Militärberaters Helmuth von Moltke. Im November 1838 durchreitet er in wenigen Stunden das Zentrum von Kappadokien, und in wenigen Worten faßt er den Charakter der Gegend mit preußisch-militärischer Präzision … 🙂 … zusammen:
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„Jenseits breitete sich das hübsche Städtchen Uergyb (Ürgüp) aus, überragt von einer alten Burg auf einem senkrecht abgeschnittenen Felsen, der von alten Höhlen wunderbar durchwühlt ist. Die Häuser in Uergyb sind überaus zierlich aus Stein ausgeführt; aber nichts ist leichter, als hier ein Haus zu bauen. Der Sandstein ist weich wie Kreide, er verhärtet sich an der Luft, und das Loch im Felsen, aus welchem die Steine geschnitten werden, ist wieder ein Haus, welches im Sommer kühl, im Winter warm, zu allen Zeiten trocken ist und in keiner Feuerversicherungsanstalt assekuriert zu werden braucht.“
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„Die Hochebene hinter Uergyb ist mit Weinfeldern bedeckt, von tiefen Schluchten durchschnitten, an deren schroffen Rändern seltsame Burgen sich erheben, wie man sie auf alten Tapeten abgebildet findet; zur Rechten zieht das weite offene Tal des Kisil-Irmak (des roten Stroms). Wir erblickten nach einem kurzen schnellen Ritt das weiße Kastell, welches die große freundliche Stadt Newschehr krönt (Newscher heißt Neustadt, wieder ein Beispiel von der merkwürdigen Ähnlichkeit der persischen und deutschen Sprache).“
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Moltke übernachtet in Nevshehir, und reitet am nächsten in 16 Stunden (!) über die Hochebene („die ebenste Ebene, die ich je gesehen“) nach Aksaray, wo er spät in der Nacht eintrifft.
(Helmuth von Moltke „Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835-1839“, Greno Nördlingen, 1987)
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Wäre das ein Film, stände hier jetzt „Ende“ …
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