Astypalaia, Che Guevara Bar

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Der Stammtisch im Oi Myloi (Tou Nikola) Kafeneion vergnügt sich.
Und oben lacht Che Guevara …
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… über das griechische Rauchverbot. Aber vom kürzlich erlassenen generellen Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen und Lokalen (01.09.2010) hatte hier, vier Wochen später, noch keiner was gehört. Und schließlich hing da ja auch noch eine Gasmaske für alle Fälle und direkt gegenüber im Rathaus ist die Sanitätsstation …
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Mittag. Gerade bin ich auf der Insel angekommen. Es braucht keinen zelebrierten Gourmet-Aufwand, um mich auf einer einsamen Insel zufriedenzustellen. Hier, ein Maroulli-Salat und Gemüse-Keftedes! Solange sie ganz frisch zubereit sind und nicht aus der Mikrowelle stammen! Und die Wirtin der Taverna Jordanis hatte noch von sich aus angeboten, mir zwei HALBE Portionen zuzubereiten, je 3 Tomatokeftedes und je 3 Kolokithokeftedes … na, war das nicht eine superfreundliche Begrüßung? Aber die Ruhe hier unten am Hafen war schon irritierend. Gut, die Saison ist vorbei. Keine internationalen Zeitungen mehr, niemand beim Autovermieter. Aber … wo sind bloß die Einheimischen? Kommen die nicht mal runter zum Wasser? Immer noch Angst vor den Seeräubern, so wie früher … 🙂 …?
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Auch am ersten Abend laufe ich hier ratlos auf und ab. Der Südwind wird immer stärker. Wenn die Besatzungen von einem halben Dutzend kleiner Privatyachten nicht wären, die auf ihrer Tour durch die Ägäis jetzt lieber den Hafen ansteuern … nein, wenn die jetzt nicht hier gruppenweise herumsäßen mit einer Flasche Bier in der Hand, dann wäre hier unten gar nichts los. Und das an einem Samstagabend. Nein, früher war hier an der Hafenstraße mehr los, höre ich, aber seit die großen Fähren nur noch Aghios Andreas im Niemandsland im Inselnorden anlaufen, ist hier das Leben vorbei, besonders das Nachtleben. Jetzt spielt sich das soziale Leben des Ortes oben an den Mühlen von Chora ab. Dieser Platz dort oben ist auch das wirkliche geographische Zentrum der Siedlung.
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Das Zentrum: Die Mühlenzeile vor der Altstadt von Chora und dem Kastro am Tag. Hier ist auch das Rathaus, der Supermarkt, die Bäckerei usw.
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Das abendliche Leben auf dem Mühlen-Dorfplatz unter dem beleuchteten Kastro. Für das Essen und Trinken gibt es mehrere Alternativen.
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“Außerhalb der Hochsommermonate lockt Atsypalea nur wenige Touristen an; in den Oster- und Herbstferien trifft man hier zumeist Ausländer, die sich schon vor Jahren Häuser auf der Insel kauften. Vor 20 Jahren waren viele Anwesen verlassen, die Chora war eine Geisterstadt, deren letzte Bewohner sich vor übersinnlichen Mächten fürchteten und nach und nach aller tiefer hinab in den Hafenort Skála zogen. Die Fremden kauften die leerstehenden Gebäude, restaurierten sie und machten die Chora wieder so attraktiv, daß schließlich auch die Einheimischen zurückkehrten.”
Klaus Bötig: “Kos Nissyros Kalymnos Lipsi Leros Patmos Astypalea”, DuMont Köln, 3.Auflage 1998
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Zwölf Jahre später trifft Klaus Bötigs Feststellung immer noch zu. Die Zugezogenen sind noch da, die Einheimischen auch, und offensichtlich vertragen sie sich gut. Und einer der gesellschaftlichen Brennpunkte ist “mein” im Innern überreich dekoriertes Café an den Mühlen. Es zeigt draußen keinen Namen, es heißt OI MYLOI oder TOU NIKOLA:
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Als ich zum ersten Mal hier gesessen habe, nachmittags, da saß ich noch fast allein auf der Terrasse, wegen des Blicks über die Hafenbucht. Die Terrasse (rechts im Bild) ist aber eher das Abseits. Was zu sehen (Leute nämlich!) gibt es eher, wenn man auf der Gasse sitzt. Nachmittags galt ich noch als gewöhnlicher Tourist und kriegte zum Kaffee noch eine Flasche Mineral-Wasser (50 Cent extra) statt eines Glases Wasser aus dem Hahn (Null Cent). Da wußte ich auch noch nicht, daß es hier auch einen Becher Wein aus dem Kanister gibt (1 Euro) … man kann ja nicht die ganze Nacht Ouzo trinken (1,50, ohne das Touristen-Mineral-Wasser …), und daß hinter der Theke auch gekocht wird (und nicht nur Tost-Jambon-Tiri). Und nach zwei Uhr morgens kann man (als Stammgast) mit einem Vorrat gefüllter Gläser auch draußen sitzen bleiben und weiterdiskutieren, nachdem Rena oder Vesselina (die bulgarischen Kellnerinnen) den Laden schon längst abgeschlossen haben …
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Nachts sitzen vorwiegend die Zugereisten und die Touristen draußen, in der sternklaren milden Nachtluft. Für die Einheimischen ist ‘milde’ ja schon eher kalt ..
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… sie sitzen lieber drinnen, wo der Fernseher läuft mit den Eurocup-Spielen, wo es nicht so weit zur Theke ist für den Nachschub, und wo man ein wenig flirten kann. (Nun ja, der eine hat da mehr Talent, der andere weniger, aber aufdringlich wird hier keiner.)
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Warum ich so bald von der Touristen-Zwangsabgabe befreit war? Warum mich schon am zweiten Mittag die Einheimischen vor der Tür an ihren Tisch heranwinkten, weil da der einzige freie Stuhl stand, der noch Schatten hatte? Nun, man war wirklich binnen kürzester Zeit da zu Hause (trotz der Sprachprobleme, denn hier sind Griechischkenntnisse doch wichtig). Klaus Bötig deutet es an: “So ist Astypalea eine relativ ruhige Ferieninsel; groß genug, um einiges zu unternehmen, aber auch intim genug, um sich schnell heimisch zu fühlen.”
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Ja, bereits am ersten Abend stellte man über den Tisch weg plötzlich fest, eine gemeinsame Freundin in Stuttgart zu haben: “… bei uns zu Hause im griechischen Tanzkurs ist jemand, sie hat eine eigene Website, heißt nissomanie.de!” “… ach was, ihr kennt die Katharina? Die hab ich gerade noch in Athen auf dem Flugplatz getroffen!” Und die Marga und ihr Engagement für die traditionelle kretische Musik, klar, die auch! Mikro kosmos …
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Die “Che Guevara Bar” ist aber auch ein Begriff für ernsthafte Cineasten. 1989 hat der nach Australien emigrierte Holländer Paul Cox auf Astypalaia “The Island” gedreht (mit Irene Pappas). Das Kafeneion bildet in dem Film einen wichtigen Hintergrund. Und es ist auch im Band “Griechische Traditionelle Architektur: Astypalaia” des Melissa Verlages abgebildet:
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Quelle: Melissa-Verlag Athen 1985
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Da der im Melissa-Band abgebildete einheimische Stammgast inzwischen verstorben ist, habe ich für das Foto mal seinen Platz eingenommen (Foto: Cornelia Theelen). (Das ist auch der Platz mit der optimalen Rundum-Übersicht – übrigens hat diese Kurve noch Autoverkehr, und von Fall zu Fall muß man auf seine Zehenspitzen achten …)
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Ich kenne inzwischen recht viele Leute, die Häuser besitzen zwischen Kreta und Thassos. Deren gesammelte Geschichten würden auch eine ganze Website füllen. Aber die sollen sie selbst erzählen! All die komischen und auch die ärgerlichen Anekdoten. Eine ganze Reihe von Büchern sind ja schon geschrieben. Die Erinnerungen von Ron Walkey (Tinos) oder Roy Hounsell (Zagoria) zum Beispiel.
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Ich wollte mich auf Astypalaia eigentlich viel mehr mit der Architektur und den Sozialstrukturen der Insel auseinandersetzen. Eigentlich …! Aber das muß über die ersten Impressionen hinausgehen. Aber es war so schön, sich einfach durch den Spätsommer treiben zu lassen. Und ich habe dem Fahrer des Busses von Astypalaia ja schon versprochen, demnächst wiederzukommen. Und einem Angestellten des Öffentlichen Dienstes macht man ja nicht leichtfertig solche Zusicherungen, oder … 🙂 …?
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Manos Loizos: Che Guevara (1974)
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PS. Ich bin Nichtraucher. In meiner Gegenwart ist das Rauchen jedoch erlaubt, nicht nur im Kafeneion.
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12 comments

  1. The Health Ministry is reportedly planning to significantly soften a blanket smoking ban introduced in September following “tremendous pressure” from bar and restaurant owners who claim the changes, together with the impact of the economic crisis, are ruining them.

    According to sources, the ministry is considering permitting smoking in cafes and bars after 9 p.m. while keeping the blanket ban in place for restaurants. Cafes and bars that decide to permit smoking would not be allowed to serve patrons aged under 18, according to the amendments reportedly under consideration.

    The ministry’s general secretary, Antonis Dimopoulos, said authorities have been besieged by complaints from bar and cafe owners claiming to have seen their business plummet. “We cannot ignore reality,” Dimopoulos said. “We did not expect such tremendous pressure from business owners.” Dimopoulos said many bar and cafe owners claimed to have lost customers to rivals defying the ban.

    ekathimerini, 19.11.2010

  2. Servus Theo,

    neugierig haben wir auf deine Eindrücke von unserer Lieblingsinsel gewartet; sie hat dir gefallen nicht wahr? Du hast mehr gesehen als andere, die dort zwei Wochen verbringen, aber enttäuscht sind, dass die schönen Strände nicht vor der Türe liegen, sondern “gesucht” werden wollen. Zu Fuß nach Kaminakia ist wirklich nicht schlecht, Respekt!

    Solltest du irgendwann nochmals “Wiederholungstäter” werden, besuche auch Mesa und Exo Vathys, den Batses-, Panormos- und Vai-Strand, du wirst es nicht bereuen. Astypalea hat viele wunderschöne Ecken, die zum Glück noch nicht so leicht zugänglich sind.

    Schön, dass du zielsicher die gemütlichste Bar auf der Insel gefunden hast, das geniale “tou Nikola”, ein phantastischer Ort, egal ob drinnen oder draußen auf der Gasse. Leider sind solche Lokale mittlerweile akut vom “Aussterben” bedroht; wir hoffen, dieses gibt es noch sehr lange!

    Wir freuen uns schon wieder auf deine nächsten Erzählungen!

    Viele Grüße Rainer und Gabi

  3. Hallo Gabi, hallo Rainer, ich hatte kurzfristig auch noch eine Seite über die Strände von Astypalaia hier drin, mit einer Reihe von Fotos, nur blieb sie (A) an der Oberfläche, sind (B) Informationen über Strände auf Inseln doch immer ziemlich banal, also ist sie umgehend wieder verschwunden.
    Theo
    Beim “Tou Nikola” hatte ich ja wirklich den Eindruck, der Laden lebt zu 100%, auch umsatzmäßig.

  4. Servus Theo,

    es muss auch nicht alles bis ins Letzte informativ aufbereitet werden; wer neugierig ist, findet alles selber…
    Ja “tou Nikola” lebt wirklich mehr als 100 %, das wirklich Lustige ist auch, dass man auf anderen Inseln (selbst im letzten Urlaub erlebt, z.B. auf Lipsi und Agathonissi) Griechen kennen lernt, die sich – wenn die Rede auf Astypalea kommt – als erstes nach Nikola und seinem Lokal erkundigen, weil sie bei jedem Besuch auf der Insel selbstverständlich dort sind.

    Grüße Rainer und Gabi

  5. jassou Theo, schöne Grüße aus der Che Guevara Bar (Tou Nikola) wo ich zur Zeit jeden Abend 1-2 Raki trinke.
    Die Gasmaske ist weg, hat wohl jemand auf dem Syntagma gebraucht.

    schöne Grüße aus Astypalaea, kokkinnos vrachos

  6. Ausgerechnet eine Uhr an so einer prominenten Stelle? Ich hoffe, daß keiner vom Tresen aus draufguckt und irgendwann “Last orders please!” ruft …

  7. Seufz. Nach der Plastiktüten-Aktion der nächste leere Umwelt-Marketing-Gag. Hoffentlich mauern sie die Fenster im Rathaus zu, die auf “Tou Nicola” gerichtet sind, sonst zieht der Qualm von da aus über die Gasse da rein …

  8. Die Che Guevara Bar ist gestorben. Über eine vernünftige Email Verbindung kann ich auch Bilder senden. Bin jetzt in Astypalea.

  9. Danke Josef, für die Nachricht. Mein Freund Gerhard (Kastro-Bewohner) bestätigt es heute:
    “Ja, das Kafenion ist tatsächlich tot. Die Pacht ist nicht verlängert worden und der Besitzer baut es jetzt selbst um. Er ist Architekt und alle sagen, dass er es wie vorher machen will. Aber Du weißt ja, das kann nicht so werden. Die Bilder und die Patina haben zusammen mit den Menschen den besonderen Flair dieses Kafenions ausgemacht. Wir waren letzten Herbst noch am letzten Tag dort, aber groß Stimmung ist da nicht mehr aufgekommen.”

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