Um 1866 in Rom … drei Nachträge

Johann Gottfried Seume
Johann Gottfried Seume unterwegs
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03.11.2016  Wie immer … fällt mir zu meinem Text noch ein Nachtrag ein. (Ja, ich muß immer das letzte Wort haben, selbst dann, wenn das vorletzte Wort auch von mir war … 🙂 …)
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Ch-de-BrossesIm „Winter in Rom“ gibt es ein Kapitel über ein altes Reisebuch, das Adolf Stahr gerade gelesen hatte. Das Kapitel heißt:
„Eine italienische Reise vor hundertdreißig Jahren“.
Stahr befaßt sich da mit den Reisebriefen eines gewissen Charles de Brosses (1709-1777), der in den Jahren 1739 und 1740 nach Rom unterwegs war.
Nun, der Herr Marquis, der damals mit größerem Gefolge auf dem Weg war (in der Regel auf zehn gemieteten Postpferden), fand in Italien noch die Umstände, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Griechenland bei Reisenden noch üblich waren.
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Charles de Brosses
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Stahr: „Ueberall die abscheulichsten Wege, Herbergen, in denen es oft an der einfachsten Nahrung, ja überhaupt an jedem Unterkommen fehlte …“
Auf dem Weg zwischen Siena und Rom ist zum Beispiel ein sächsischer Prinz unterwegs, mit 50 Begleitern zu Pferde, die einfach alle vorhandenen touristischen Kapazitäten belegen. Es gibt weiterhin Gefahren aller Art, verunglückte Postwagen, beschlagnahmte Pferde, Wegezölle auf Wegen, die gar nicht vorhanden sind, Straßenräuber, Betrüger und Löffeldiebe beim Hauspersonal …
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Stahr: „… kurz, wenn jetzt eine Reise in Italien mit dem dritten Theile des Ungemachs verbunden wäre, das damals ein reicher und vornehmer Herr auszustehen hatte, so würden wahrscheinlich weit mehr als neun Zehntel der heutigen Romtouristen zu Hause bleiben – was denn vielleicht auch kein übergroßer Schade für sie und nebenbei ein großer Vortheil für das letzte Zehntheil sein würde.
Ja, Touristen hatten immer schon was gegen Touristen … 🙂 …
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„Le président de Brosses en Italie“, Charles de Brosses, Didier/Paris, 1. Auflage 1799
“Des Präsidenten de Brosses vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon 1739 und 1740”, Müller/München, 1918/1921
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Wobei mir noch ein weiterer Nachtrag einfällt. Das allererste historische  Reisebuch, das ich jemals gelesen habe, war der „Spaziergang nach Syracus“ von Johann Gottfried Seume.
Seume ist in den Jahren 1801/1802 von Leipzig aus nach Sizilien und zurück gelaufen, auf dem Rückweg mit einem kleineren Umweg über Paris. Ja, er ist tatsächlich gelaufen, einfach so, zu Fuß …
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Spaziergang nach Syrakus
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Das Buch war ein Geschenk einer entschlossenen „Nichtreisenden“, hatte mich aber dazu gebracht, wenigstens zu versuchen, es Seume gleichzutun.
Nachdem wir von Aachen bis Freiburg 800 Kilometer auf Wald- und Feldwegen mäandert waren, immer von Dorf zu Dorf, sechs Wochen Laufzeit, streikte jedoch mein linkes Knie. Täglich 10 bis 12 Kilo im Rucksack mochte es einfach nicht mehr. Mag es auch heute noch nicht. (Sizilien kenne ich auch heute noch nicht. Obwohl ich viermal drüber weg geflogen bin.)
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Das ist auch schon 35 Jahre her. Es war zu der Zeit, als Michael Holzach sein Buch „Deutschland umsonst – Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland“ veröffentlichte. Holzach war mit seinem Hund (Feldmann) sechs Monate lang unterwegs.
Hape Kerkeling („Ich bin dann mal weg“) stand da wahrscheinlich kurz vor seinem Schulabschluß …
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Wie Seume diese Entfernungen geschafft hat, mit einem kleinen Militär-Tornister auf dem Rücken und ein paar Empfehlungsschreiben, ist mir schleierhaft. Er brachte auch locker (fast immer per pedes) die Strecke Berlin-St.Petersburg-Helsinki-Stockholm-Berlin hinter sich!
Er ist im ersten Winter in den Alpen fast im Schnee stecken geblieben – ist aber in Italien nur zweimal von Banditen aufgehalten worden. Die haben ihm aber nichts geklaut, der arme Fußgänger hat ihnen wohl leid getan …
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Das Buch kann ich nur weiterempfehlen. Der „Spaziergang“ ist problemlos noch zu kaufen – in verschiedenen Ausgaben. Sie müssen ja kein Exemplar der Erstausgabe von 1803 haben, das um die 2000 Euro kostet.
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Roman Holiday
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Aber um auf Rom zurückzukommen – dritter Nachtrag – im Film “Roman Holiday” (Ein Herz und eine Krone, 1953), erleben Audrey Hepburn und Gregory Peck die Stadt auf eine ganz eigene Weise …
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Der Witz ist, Gregory Peck spielt in dem Film den Auslandskorrespondenten Joe Bradley, der in der Via Margutta wohnt. Audrey Hepburn residiert als ‘Prinzessin Ann’ im Palazzo Barberini. Beide Orte liegen in unmittelbarer Nähe der Via Sistina! Wo Adolf Stahr und Fanny Lewald ein paar Jahrzehnte vorher den Winter verbracht hatten. Der ganze Film wurde dort vor Ort gedreht!
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Wer diesen 60 Jahre alten Film gesehen hat, hat gleich einen Reiseführer für die “Ewige Stadt”. Oder auch eine beliebige andere italienische Stadt. Der Film vermittelt einfach das richtige Ortsgefühl.
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Der komplette Film im restaurierten Original:

Hintergrundwissen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Herz_und_eine_Krone
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Schließlich reichte auch, den fast genauso alten Film “Sonntags nie” (Ποτέ την Κυριακή) mit Melina Mercouri und Jules Dassin zu sehen, um das richtige Gefühl für Piräus und Athen zu kriegen!
🙂
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One comment

  1. Übrigens erwähnt Seume in einem Brief von 1802 auch schon den Begriff der “signori forestieri”. (Da war er mit einer Gruppe englischer Offiziere auf den Ätna gestiegen.)
    Beim erneuten Lesen stelle ich fest, daß Seume doch erhebliche Strecken seines “Spaziergangs” auf dem (gemieteten) Maulesel zurückgelegt hat. Das Reittier mußte er ohnehin oft zwangsläufig mitnehmen, wenn er in einer unübersichtlichen Gegend einen lokalen Fremdenführer brauchte.

    Und noch was falsch erinnert: Seume wurde auf dem Rückweg in den Albaner Bergen (südlich von Rom) von vier maskierten und bewaffneten Banditen überfallen. Er war mit einem Kurierwagen unterwegs, der auf den Waldwegen aber nur langsam voran kam. Seume war lieber abgestiegen und spazierte einige hundert Meter vor dem Wagen her. Die Banditen hatten ihm bereits das Kleingeld aus den Westentaschen geräumt und wollten ihn nun ins Gebüsch ziehen, um ihn genauer zu durchsuchen, da hörten sie den heranrollenden Wagen.
    Zwei der Banditen, die wegen Mordes gesucht wurden, wurden einige Tage später aufgegriffen. Seume – der noch in Rom war – wurde mitgeteilt, er könne “das Vergnügen haben, sie hängen zu sehen”. Er verzichtete.

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