Der Herr im Haus: Der widdertragende Kouros (6. Jh. v.Chr.), 3,50 Meter hoch, wegen eines Materialfehlers unvollendet, in der Akropolis als Baumaterial verwendet, mit Mühe ausgebaut und ins Tal gebracht.
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27. Mai 2010 Ein sonniger Spätnachmittag, und mir gehört das neue Archäologische Museum von Thassos ganz allein – vom Kartenkauf bis zum Abschied. Bewacht werde ich von vier jungen Damen, die sich bemühen, so zu tun, als seien sie nicht da. Ich schrecke sie gewöhnlich in ihrem Bereich auf, wo sie sich gerade die Langeweile mit einem dicken Stück Lesestoff vertreiben. Das Buch wird dann diskret versteckt, die Wach-Amazone steht abrupt auf, räuspert sich leise, verschwindet in der Halb-Deckung. Rauchen, Telefonieren und Kaffeetrinken darf das Personal hier ja wohl auch nicht, nur Lauern. Munter wird es erst demnächst, wenn die Schulklassen kommen …
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16.08.2011, ein Nachtrag:
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Franz von Löher (1818 geboren in Paderborn – 1892 gestorben in München) (Foto aus ‘Über Land und Meer’ – Quelle: wikipedia), Jurist, Journalist, demokratischer Politiker, Professor für Literaturgeschichte, Länder- und Völkerkunde, war ein weitgereister Mann. Er verfaßte u.a. Reisebücher über die Kanarischen Inseln, Kreta und Zypern.
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Er berichtet in seinen „Griechischen Küstenfahrten“ (1876, Velhagen & Klasing) auch recht ausführlich über Thassos.
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Das antike Erbe der Insel wurde damals vor Ort nicht gerade hoch geschätzt. Marmortrümmer waren Müll, höchstens Rohstoff. Was viereckig war, konnte man vermauern, was unregelmäßig war, konnte man zu Kalk brennen. Daß man damit ein Museum füllen konnte, sprengte bei Einheimischen oft die Vorstellungskraft …
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Wäre doch mal ein nettes ‚Kriminalspiel‘, die Objekte zu finden, die Franz von Löher noch beschrieben hat … sofern sie (auf Thassos oder anderswo) noch existieren:
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„Am Limenas angekommen, ritten wir etwas an der alten Stadtmauer hin und zu einigen Sarkophagen, die in der Wiese und an einem Hügel glänzten. (…) Wir benützten noch die letzte Helligkeit, um Bildwerke aufzusuchen. An den beiden Häusern, wo sich der Bach ergießt, war mehreres eingemauert: ein schöner weiblicher Kopf oberhalb der Thür, dann ein feiner Widderkopf, ein kleines Stück mit Trägern, ein Knabe mit einer Guirlande, dazu ein Inschriftstein neben einer Thür. Auch an der neuen Hafenmauer, die vor den Häusern ins Meer geht, entdeckte ich jetzt drei alte Bildwerke. Das erste stellte zwei Ringer dar, sehr schön und eindrucksvoll; das zweite einen Mann in einer Art Muschel; das dritte den untern Theil eines Kämpfers, der mit der Hand hinter sein linkes Bein greift.
Jetzt hatte Jeder in seinem Hause etwas zu zeigen: es waren Grabsteine mit den gewöhnlichen Inschriften. Das Schönste aber fanden wir in einem Zimmer im obern Stockwerk eines Schuppens neben dem letzten Kramladen, wohin wir mit einer Laterne in der Hand aufstiegen. Es waren vier kleine Stücke, die einst den Schmuck von Grabmälern gebildet; der Bach hatte sie vor einem Jahr ausgewaschen. Das eine Stück zeigte einen kleinen nackten Fackelträger, ein wahrhaft köstliches Werk, leider nicht zu kaufen, weil Eigentum des abwesenden Proëdros. Schön gearbeitet erschien auch ein Mann in einer Toga, und eines der gewöhnlichen Grabbilder, auf welchem vor der Frau auf dem Lager der Mann sitzend und neben ihm die zwei Jünglinge viel lebensvoller dargestellt waren, als ich es auf den Abbildungen ähnlicher altthasischer Bildwerke jemals gesehen.
Neben dem Bach, etwas hinter den Häusern, wo ein frischer Brunnen quillt, steht eine uralte mächtige Platane, umgeben von einem ringsumlaufenden Steinsitz, in welchem man Marmorstücke aus einem Architrav verbaut hat. Davor lagen eine cannelirte Säulentrommel und ein kleiner Weihaltar. Mehrere Säulentrümmer zeigten sich hier und da hinter den Häusern, und in einer neuen Gartenmauer bemerkte ich die jüngst zerschlagenen Stücke eines Sarkophag-Denksteines, der fein bearbeitet gewesen; die Bruchflächen glänzten noch hellweiß.
Es war zum Verzweifeln, all diese weißen Trümmer untergegangener Herrlichkeit so umher liegen zu sehen, preisgegeben dem nächsten Räuber. Wenn man Zeit und Mittel hätte, ließe sich in dem weichen Boden, über welchen der Bach fließt, gewiß noch viel Schönes ausgraben. Man dürfte nur nichts da lassen; denn nicht genug, daß die Thasier selbst die alten Marmorstücke, die sie ihrer Schönheit und Größe wegen Kirchensteine nennen, zerschlagen und verbrauchen, holt auch jedes Schiff, das hier landet, sich einen Haufen alter Marmorstücke zum Ballast. Auch unsere Türken hatten sich (…) die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Es wurde mir ein türkischer Kapitän genannt, der 1866 mit einer Corvette hier ankerte und eine Menge großer Marmorquadern, unter denen einige Inschriften und Bildwerke hatten, als Ballast auf sein Schiff bringen ließ. Am meisten wurde darunter ein Herkules mit dem Löwenfell bedauert. Dieses Stück sei eine sehr feine Arbeit und schon von den Alten mit einer Art weißer Dammerde überzogen gewesen. Man habe es entdeckt, als die großen Quadern bei dem Thore, welches nach Panagia führe, umgekehrt wurden: auf vieles Bitten habe der räuberische Kapitän versprochen, das herrliche Bildwerk am Orte zu lassen, aber bei der Abfahrt es dennoch plötzlich fortgeholt. Alle Nachfrage danach in Konstantinopel sei umsonst angestellt worden.“
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Sonntag, 12. Januar 2020, 14 Uhr vorbei. Das Museum ist geöffnet, der Eintritt kostet 2 Euro.
Zwei Aufseherinnen schrecken durch meinen Besichtigungswunsch hoch. Sie sind in dicke Jacken eingemummt, was ich nach wenigen Minuten nachvollziehen kann, denn im Museum ist es eiskalt.
Die Ausstellung ist interessant, aber die Rundgang etwas unsystematisch, nicht alle Nischen sind beleuchte. Ein Vitrinenlampe knattert flackernd vor sich hin.
Die Kälte kriecht mir schnell in die Knochen. Um Viertel nach drei erinnern mich die Aufseherinnen an die baldige Schließung des Museum (15:30 Uhr). Die eine flüchtet noch bevor ich das Haus verlasse aus dem Museum. Ich tue es ihr nach und brauche im Café Angelica erst mal ein belebendes Heißgetränk. In der Agios-Nikoloas-Kirche nebenan findet ein Beerdigungsgottesdienst statt.
Thassos kann sehr kalt sein.
Aber ich hatte noch Glück: in Thessaloniki waren in verschiedenen Museen Ausstellungszeiten verkürzt oder Räume geschlossen. Wegen Personalmangels. Wahrscheinlich alle krank.