Hexenkraft, Heimweh und Ottos Fahne – 2

Jachenau Nacht
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Jachenau Tag
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„ … a schöners Landl, als ‘s Boarnland, giebt’s doch nit!“ (Maximilian Schmidt 1888)
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1832 … manchmal wird heute gesagt, die Bayern und die Griechen seien damals doch ein Herz und eine Seele gewesen. Und König Ottos Sturz? Ach, nur ein Mißverständnis. Und die Griechen hätten es doch eigentlich sehr geschätzt, was für sie getan wurde. Nur, manche Griechen haben gar nichts gemerkt von den „Wohltaten“ …
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„Die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verhältnisse Griechenlands entsprachen etwa denen Deutschlands nach dem Dreißigjährigen Krieg; die allgemeinen Zustände waren durchaus orientalisch. Zwischen den Humanisten, die Hellas als Wiege des Abendlandes verehrten, und den Bürokraten, die verwanztem Räubergesindel mit Standgerichten Mores lehren wollten, bestand eine ebenso große Kluft wie zwischen Ideal und Wirklichkeit, und überhaupt konnte man in ganz Europa wohl kaum ein Volk finden, das nach Geschichte und Kultur, Temperament und Charakter vom griechischen noch weiter entfernt gewesen wäre als das bayerische.“
(Wolf Seidl: Bayern in Griechenland, 1981, S. 232)
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Das hatte mancher schon früh gemerkt. 1812 beschäftigt sich der (fränkische) Maler/Bildhauer Martin von Wagner im bayrischen Regierungsauftrag mit den Ausgrabungen am Aphaia-Tempel auf Aegina. Der Italien-Kenner fest fest:
„ Griechenland ist schön, hat viele Reize für Geschichte und Kunst, allein die unendlichen Beschwerlichkeiten dieses mühseligen Reisens, und ein wahres Hundeleben, welches man in diesen türkischen Ländern führt, macht alle Reize verschwinden. Es ist in einem Wort ein wahres Zigeunerland, in welchem man nicht anders als ein Zigeuner leben kann. Man ist genöthigt, Matraze, Decken, Lebensmittel, sogar einiges Küchengeschirr mit sich zu schleppen, wenn man nicht abendlich verderben will! Von der Verderbtheit der Griechen will ich nicht sprechen, man ist mit ihnen immer geprellt, man stelle sich wie man wolle.“
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Wie waren die beiden Völker überhaupt zusammengekommen? Auf der Londoner Konferenz (1832) einigten sich die Großmächte am Ende des griechischen Befreiungskampfes auf den bayrischen Prinzen Otto als zukünftigen König von Griechenland. Sein Vater, der Philhellene Ludwig I., war begeistert und öffnete die Staatskasse. Ludwig ließ ja schön länger Artefakte aus dem Altertum kistenweise nach München schaffen.
Der Reiseschriftsteller Gérard de Nerval schrieb 1839 nach einem München-Besuch: „Man ist dermaßen griechisch in München, daß man in Athen notgedrungen bayerisch sein muß.“
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Der griechischen Nationalversammlung blieb nicht viel anderes, als dieser Entscheidung zuzustimmen. Im Dezember 1832 reiste der junge König in zahlreicher Begleitung nach Griechenland. Am 06. Februar 1833 traf er in Navplio ein. Die Stadt wurde vorübergehend die griechische Hauptstadt eines verarmten Staates von etwa 800.000 Einwohnern. Es war eine Fahrt ins Blaue für die Bayern. Sie hatten keine Ahnung, auf was sie sich eingelassen hatten:
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Maurer„Eine weit größere Schwierigkeit (als die Unkenntnis der griechischen Sprache) entsprang jedoch aus der gänzlichen Unkenntnis der griechischen Verhältnisse und Bedürfnisse, so wie der wahren Lage des Landes. So ist es kein Wunder, daß die Regentschaft gerade bei den zentralen Problemen so gut wie vollkommen versagte.
Humanistische Ideale waren eben von der neugriechischen Wirklichkeit genauso weit entfernt wie bürokratische Theorien.“

(Georg Friedrich von Maurer: “Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung vor und nach dem Freiheitskampfe”, Heidelberg 1835 – Zitat bei Seidl.)
Der Jura-Professor Georg Friedrich von Maurer (1790-1872) war bayrischer Staatsrat und neben Graf von Armansperg und Karl Wilhelm von Heideck Mitglied des dreiköpfigen Regentschaftsrats, das den noch minderjährigen König Otto vertrat.
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„Die Griechen aber waren weder europäisch zivilisierte Untertanen, noch regierungsfromme russische Hörige, noch marmorne Statuen, und da sie zum größten Teil überhaupt nicht lesen konnten, hatten sie auch Goethe und Winckelmann nicht gelesen, wußten also auch nicht, wie sich der Idealgrieche zu benehmen hat. Sie waren weder edel noch einfältig, weder groß noch still.“
(Wolf Seidl, S. 117)
Gekonnt, der Sarkasmus, bravo …
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Schmidt Maifeier
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Maximilian Schmidt widmet sein Buch „dem Andenken der braven bayerischen Truppen“.
Das war Ende des 19. Jahrhunderts schon nötig. Er zeigt aber auch, wie die Begeisterung der bayrischen Truppen in Griechenland in Resignation versinkt, wie das Heimweh aufkommt.
Siehe Abbildung oben:
„Der Oberfeuerwerker aber meinte (über die griechische Maifeier): Da is unser Oktoberfest in München halt doch was anders! Alles is schöner in unserer Heimat! Wir estimieren die Pomeranzen- und Lemoniwaldungen nit. Was is dagegen a Tanna- oder a Buchenwald! Mag’s noch so paradiesisch sein, daherum, a schöners Landl, als ‘s Boarnland, giebt’s doch nit!“
Muß man nicht ins Neuhochdeutsche übertragen, oder?
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Nach diesem Monolog trifft Wendel zum ersten Mal den Duli, der ihm „mit dem Hexenstrang das Glück abgedreht“ hatte, in Griechenland: „Auch Wendel erkannte jetzt den Zigeuner, und so zuwider (!) er ihm in der Heimat war, hier empfand er eine Art Freude, so unvermutet einen Bekannten aus der Heimat zu treffen.“
Noch weiß er da nicht, daß Duli ihm später das Leben retten wird.
(Das Ausrufzeichen habe ich eingefügt …)
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Noch zu Beginn der Expedition findet sich diese patriotischen Reime über den königstreuen Grenadier:
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Greanadier
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Unser Wendel ist ja eigentlich Artillerist. Aber welcher Bayer scheut schon das Raufen:
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Wendel Naxos
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Maximilian Schmidt registriert die Zurückhaltung, manchmal auch die offene Feindschaft, auf die das bayrische Militär in Griechenland trifft. Der aus Bayern importierte „griechische König“ Otto ist ja nur ein Zwerg unter den europäischen Landesherren. Die Großmächte, die aus Moskau, Wien und London den griechischen Befreiungskampf gegen die Osmanen gefördert hatten, wollten natürlich keinen Monarchen an der Spitze des griechischen Nationalstaats, der eine der Großmächte bevorzugt hätte. Der minderjährige Prinz Otto aus Bayern, Sohn des Philhellenen König Ludwig I., war eine Kompromißlösung, und er hatte natürlich Berater und graue Eminenzen um sich, die aus den Mächten stammten, die im Orient um die Vorherrschaft rangen.
Und er hatte eine griechisch, nein griechisch-multinationale Bevölkerung unter sich, die in verschiedenen Fraktionen um die Macht im Staat kämpfte. Einen griechischen Nationalstaat hatte es ja schon in der Antike nicht gegeben!
„Wie im Altertum drohte Griechenland am Gruppenegoismus zugrunde zu gehen.“
(
Wolf Seidl, S. 81)
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Viele, wie die Manioten, die im Befreiungskampf zu den stärksten Kräften gehörten, hatten nicht die geringste Lust, sich dem neuen König und seinen Dekreten unterzuordnen. Sie waren ja auch immer von den Osmanen in Ruhe gelassen worden, hatten bis auf geringe Zugeständnisse in Steuer-Sachen immer die Souveränität ihrer Region bewahrt.
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König Otto wäre eigentlich – nach dem Londoner Vertrag – dazu verpflichtet gewesen, eine Armee von Freiwilligen zusammenzustellen. Nur, es fanden sich zunächst nicht genug Freiwillige. Also wurden in Bayern Soldaten bereitgestellt und Reservisten zurückgerufen für den Einsatz in Griechenland, und eine rundum ausgerüstete Armee von etwa 3500 bewaffneten Uniformierten machte sich in 43 Schiffen auf den langen Weg nach Süden. Infanteristen, Kavallerie, Artillerie mit schwerem Gerät. Dazu zahlreiche bayrische Diplomaten und Beamte. Das sah aus griechischer Sicht plötzlich aus wie eine Besatzungstruppe …
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“(Es) wurde im Königreich Bayern 1832 ein Hilfskorps in Stärke einer Brigade aufgestellt, dessen Kommandeur Generalmajor Friedrich Freiherr von Hertling war. Zu der kleinen Streitmacht gehörten zwei kombinierte Infantrie-Regimenter (…). Dazu kamen je eine Eskadron des 3. und 4. Chevaulegers-Regiments (= Kavallerie) sowie eine Batterie des 1. Artillerie-Regiments. Zusammen waren das über 3500 Soldaten.”
(Ernst Aichner, Bayrisches Armeemuseum Ingolstadt)
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Bayern Artillerie
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Bayerische Artillerie. Man kann sich vorstellen, daß ein Bauernsohn aus einem abgelegenen Alpental in dieser Uniform gerne Karriere machen wollte. Zum “Oberfeuerwerker”! Jo mei!
Da sollte doch der Bruder gerne den Hof haben! Von den Chancen bei den Mädels mal ganz abgesehen … 🙂 …

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1832 verfügte der neue griechische König über 1500 Gendarmen, die meist aus Griechenland stammten. In der Armee dominierten die Bayern, 3500 Bayern gegenüber 500 Griechen in niederen Rängen. Griechische Offiziere gab es anfangs kaum! Und die Bayern „sterben wie die Fliegen“.
Und korrupt sind sie auch noch: „Die Baiern bekommen Schuhwerk u. andere Kleidung so viel daß sie von ihrem Überfluß verkaufen; dies wissen die Gensdarmen sehr gut, da sie von den Baiern neue Schuh z.B. zu 2 Dr. verkauft bekommen, die den Staat 11 Dr. gekostet. Beinkleider usw. werden nach gleichem Maaßstab verkauft.“
(Brief von Bettina Schinas an ihre Eltern, 23.04.1835)
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1835 war das Heer auf 7000 Soldaten angewachsen (Gendarmerie und organisierte Palikaren-Bataillone mitgerechnet). Unter den Offizieren waren nun 553 Griechen, 144 Deutsche und 54 Philhellenen anderer Nationalität, schreibt Wolf Seidl.
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Bis 1837 können genug Freiwillige für den Dienst in in Deutschland gewonnen werden: 5400 Männer, davon 3500 gebürtige Bayern. Von den Freiwilligen sterben 2300 in Griechenland an Krankheiten, nur 50 in Gefechten. Man machte den Fehler, keine Feldlazarette aufzubauen oder Sanitäter anzuwerben.
Ab März 1834 kann das Hilfskorps von 1832 abgezogen werden. Zu den ersten, die nach Bayern zurückgingen, gehörte die Artillerie. (Maximilian Waldschmidt hat das richtig recherchiert.) Und das Heimweh …?
“Dem Heimweh hatte die ganze ärztliche Kunst nichts entgegenzusetzen, die Einheiten waren nicht freiwillig gekommen und bestanden überwiegend aus Leuten, die ‘eben nicht mit zu großer Liebe nach Griechenland gingen, und eben deswegen frühzeitig Nostalgie bei ihnen sich zeigte.’
(Ernst Aichner, Bayrisches Armeemuseum Ingolstadt. Die Quelle für das Zitat am Ende des Textes ist nicht genannt.)
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Das arme Land konnte sich den Militär-Etat kaum leisten. Und das, während viele Griechen noch von der megali idea träumten! Sie wollten doch sobald wie möglich wieder gegen die Türken losziehen, um endlich wieder einen byzantinischen Kaiser in Konstantinopel zu etablieren! Daran konnte Otto nicht im Traum denken, unter seiner Herrschaft erweiterte sich das Staatsgebiet um keinen Quadratzentimeter. Erst 1864 wurden die Ionischen Inseln mit dem griechischen Staat verbunden, eine Geste der Engländer, um unter dem neuen König Georg auf Griechenland Einfluß zu nehmen.
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Das bayrisch dominierte Heer rieb sich auf in bürgerkriegsähnlichen Kämpfen. Umsturzversuche in der Mani, abtrünnige Klephtenbanden an der Nordgrenze des kleinen Königreiches. Kaum einer der bayrischen Uniformierten dachte selbst an Integration in den neuen Staat (obwohl Leute wie Ludwig Roß das propagierten). Man wollte nach Hause, ja, man desertierte oft und flüchtete ins osmanische Gebiet. Der größte Teil der 1832 einmarschierten Bayern hatte ja innerhalb von 24 Monaten das Land wieder Richtung Norden verlassen, oder war bei Gefechten (10) und besonders an Krankheiten (401) gestorben.
Es gab ja auch kein Bier in Griechenland, wie soll ein Bayer da gesund bleiben …
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Infanterist
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Alois Bach: “Ein aus Griechenland heimgekehrter Infanterist erzählt seine Erlebnisse”
(um 1835)

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„Neben der Heerschar der Griechenlandenthusiasten steht eine verschwindende Minderheit von Skeptikern, die weniger aus besserer Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse als aus einer nüchternen Grundhaltung gegen die allzu überschäumende Begeisterung Stellung bezogen. (…) Etwas genauer sind wir über diejenigen Freischärler unterrichtet , die nach wenigen Monaten oder gar nur Wochen im Land zurückkehrten und ihrer Enttäuschung in Briefen, in den Zeitungen oder in Büchern Luft machten.“
(Gerhard Grimm, „We are all Greeks“, in Das Neue Hellas, München 1999)
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Bayrische/deutsche Freischärler waren in geringer Zahl schon ab 1821 an den griechischen Freiheitskämpfen beteiligt.
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Das Erscheinungsbild der bayrischen Armee (und auch der bayrischen Verwaltung) war unter der abergläubischen und schlecht informierten griechischen Bevölkerung ziemlich mies. Alles Gute und Progressive, um das sich Otto bemühte, kam bei seinen Untertanen einfach nicht an. Alles Negative wurde sofort in alle Richtungen weitergegeben, das ging auch ohne Straßen, Telefone, Zeitungen und einen funktionierenden Postverkehr. In Wien, Moskau, London und Konstantinopel grinste man dazu, hinter der vorgehaltenen Hand.
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Nur noch ein paar bezeichnende Sätze aus den Briefen von Konstantinos und Bettina Schinas, die 1834/1835 bei der Etablierung des neuen Staates in Navplio bzw. Athen lebten.
Schinas war griechischer Minister, ab 1837 erster Rektor der Universität Athen und später griechischer Gesandter in München. Er kritisiert schon 1835 den „entschiedenen Bavarismus“ der Regierung. Schon in der Auseinandersetzung mit den rebellischen Manioten versagen die bayrischen Truppen. Sie werden laut Schinas „schaarenweise gefangen genommen, ihrer Kleider beraubt, und ganz nackt fortgeschickt“.
Da sind die desertierenden Bayern, die „nicht einzelne, sondern mehrere zugleich“ zu den Türken überlaufen, und „zum Islamismus übertreten“. „Solche Ausreißer werden oft von den griechischen Gensdarmen auf dem Wege ertappt und zurückgebracht; allein das Kriegsministerium, wobei fast lauter Bayern angestellt sind, erflehte die Gnade der Staatsregierung zu Gunsten dieser armen, geistig Verirrten, wollte aber den Gensdarmen Strafe zuerkennen, welche, bei der gewaltsamen Festnehmung der Heerflüchtigen, das Unglück haben würden, einen derselben zu verletzen.“
(Brief an Bettinas Eltern, 28.01.1835)
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Inzwischen kursiert – seit der Auseinandersetzung mit den Manioten – bei den Griechen das Gerücht, die Bayern seien Juden. Und „die Juden sind verabscheut mehr als Alles“. Aber die Bildung der Griechen sei „auch mehr einseitig“.
(Bettina Schinas, 18.06.1835)
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König Otto Abschied 1862
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“Der Abschied des ersten Königspaares von Griechenland”, Lithographie, undatiert, Nationalhistorisches Museum Athen. König Otto – in griechischer Nationaltracht – steigt gerade ins Boot, wo Königin Amalie schon sitzt. Das Boot wird sie zum britischen Kriegsschiff Scylla übersetzen.
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Als Otto im Jahr 1862 nach einer Militärrevolte endgültig die Regierungsgewalt abgibt (schon 1843 wäre es fast dazu gekommen, damals wurden alle Nichtgriechen aus griechischen Staatsdiensten entlassen), schreibt die Augsburger Allgemeine Zeitung – Heinrich Heine und Friedrich Engels gehörten zu ihren Korrespondenten – über die griechische Ära unter seinem bayrischen Oberhaupt einen entrüsteten Artikel. Ein kleiner Ausschnitt:
„Bayern organisierten das Forstwesen (…) und Soldaten aus Bayern und Deutschland waren es, welche die ersten Straßen den lungernden Eselstreibern bauten, die Straßen nach Argos und Tripolitza, nach Theben und Lebadia, ja von Piräus nach Athen, wobei das 6. Bataillon die Hälfte seiner Mannschaft am Sumpffieber verlor. Nicht bloß die schönsten Gebäude in Athen, auch den Molo von Syra und andere nützliche Hafenbauten führten Bayern und Deutsche überhaupt aus. Bayerische Ouvriers waren die ersten Ziegelbrenner – denn ihr, kunstsinnige Hellenen, bautet vordem aus Straßenkot -, die ersten Schmiede (Zigeuner waren vorher eure Meister), Schlosser, Büchsenmacher, Gießer, Wagner und Schreiner und die sechs Arsenalwerkstätten zu Poros waren ihr Mittelpunkt. Poros, dessen Arsenal Bayern gründeten, wie sie auch zuerst das Kohlenbergwerk zu Kumi in Betrieb setzten. Ob ihnen noch etwas für die Bildung der Hellenen übrig blieb? Wohl gründeten sie eine Universität, an welcher Deutsche früher in der Landessprache Colleg lasen als die meisten griechischen Kollegen, gründeten sie Gymnasien und Militärschulen, ja selbst eine polytechnische Schule; sie gründeten den naturhistorischen Verein und legten erste Sammlungen an, aus welchen eine ‚hellenische Akademie‘ erwachsen konnte. Daß die Helleophilen Roß und Thiersch eure Lehrer selbst in der Archäologie und der Sprache waren, werdet ihr nicht leugnen …“
(aus: Bayern in Griechenland, Wolf Seidl, Prestel/München 1981, S. 309)
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Aber schon 1837 gab es dieses griechische Urteil über die „Bayernherrschaft“, geschrieben von Anastasios Polizoides, der später in Ottos Regierung zum Minister wurde. Ein paar Zeilen aus dem Artikel:
„Die Auflösung des nationalen Heeres, die Verpflichtung der mittelosen Staatsbeamten, sich kostspielige Uniformen anzuschaffen, die Anstellung von Baiern in allen Dienstzweigen, die Errichtung von Orden und andere verderbliche Unterscheidungszeichen des Staates des Mittelalters, die Verfolgung der Kriegsanführer des Freiheitskrieges, die mit vandalischem Frevel begangene und ganz nutzlose Zerstörung so vieler heiliger Asyle, die Verausgabung so vieler einheimischer und fremder Fonds nicht zur Errichtung einer Bank, nicht zur Beseelung des Ackerbaus, der Industrie oder des Handels, nicht zur Errichtung von Schulen oder Gerichten oder zum Frommen des öffentlichen Unterrichts, sondern lediglich für Gegenstände ihrer Eitelkeit, zeugte dies alles nicht auf die Befestigung der Fremdenherrschaft und Verwandlung des selbständigen Griechenland in eine Kolonie Baierns?
Ihre Verwaltung ward unerträglich, ihr anstößiges Betragen, dem nicht einmal das Frauengeschlecht fremd blieb, überschritt die Grenzen der Geduld …“
(Seidl, S. 169)
Ich breche hier mal ab. Waren die Griechen zu ungeduldig? Haben sie zu viel verlangt, fünf Jahre nach Ottos Regierungsantritt? Einheitskanzler Kohl hatte den neuen Bundesländern 1990 versprochen, es würde fünfzehn Jahre dauern, bis sie sich in „blühende Landschaften“ verwandelten. Und? Waren aus der ehemaligen DDR bis 2005 überall blühende Landschaften geworden …?
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Maximilian Schmidt nennt die Quellen, die ihn für seine Erzählung inspiriert haben (siehe oben). Aber da war noch ein gewisser Leutnant Tünnermann aus Bad Tölz, dessen Erlebnisse auch in Schmidts Buch passen (Seidl, S. 229) – Tünnermann kämpfte an der damaligen griechischen Nordgrenze (Thermopylen) und war irrtümlich für tot erklärt worden. In seinen Notizen von 1837 steht:
„Melancholisch geht alles herum (…), da die Zukunft nach den gegenwärtigen Verhältnissen für Griechenland nichts Erbauliches darbietet.“ (Seidl, S. 229)
Der Leutnant kam 1841 zurück nach Tölz, und sein Vater „kochte für die ganze Gemeinde in seinem Waschkessel Punsch aus Freude über die Heimkehr des schon verloren geglaubten Sohnes.“
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„Die Erinnerung an die sogenannte ‚Bavarokratie‘ ist im historischen Gedächtnis der Griechen verdüstert. Die Zeit der Regentschaft und des ottonischen Absolutismus ist mit dem Odium der Fremdherrschaft belastet. (…) Man hat ihnen (den Bayern) Mißachtung der Landesbewohner und ihrer Einrichtungen, einen verhängnisvollen Hang zur deutschen Gründlichkeit und eine regelrechte Verordnungswut, weltfremde Gelehrsamkeit und fehlenden Realitätsbezug, unnötige Verschwendungssucht und übertriebene Selbstdarstellung vorgeworfen.“
(Edgar Hösch, Griechenland in der Politik der Großmächte, aus: Das Neue Hellas, 1999)
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Das mit der griechischen Sicht auf deutsche Überheblichkeit und Regelungswut ist bis in
Angela Merkels Zeit ähnlich geblieben.
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„Die Komplexität des Vergangenen zu erkennen ist unabdingbare Voraussetzung für richtiges Handeln im Heute.“
Vincent-Immanuel Herr, Die Zeit, 11.09.2014
Das wollen wir uns mal merken …
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LITERATUR:
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Die Jachenauer in Griechenland
Maximilian Schmidt, Haessel Verlag/Leipzig, 1888
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Was die damaligen Befürchtungen angeht, Griechenland könne zu einer „Kolonie Bayerns“ werden – der beste Griechenlandkenner der Zeit, Ludwig Roß, spekuliert über diese Dinge allerdings erst in Bezug auf die vernachlässigten türkischen Küstenlandschaften. Er hat die Ansiedlung deutscher Bauern sogar finanziell und fachlich genauestens berechnet:
Kleinasien und Deutschland – Reisebriefe und Aufsätze mit Bezugnahme auf die Möglichkeit Deutscher Niederlassungen in Kleinasien
Ludwig Roß, Pfeffer/Halle 1850
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Bayern in Griechenland
Wolf Seidl, Prestel-Verlag/München, 1981, ISBN 3-7913-0556-5
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Das essentielle Buch über das frühe 19. Jahrhundert in Griechenland unter der bayerischen Dominanz, schon wegen der Abbildungen:
Das Neue Hellas (Katalogbuch des Bayerischen Nationalmuseums)
Hirmer Verlag/München 1999, ISBN 3-7774-8490-3
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Leben in Griechenland 1834 und 1835
Bettina Schinas, geb. von Savigny, Lienau-Verlag/Münster 2002, ISBN 3-934017-00-2
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Die Jachenau bei wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Jachenau
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“Die Jachenauer Chronik”, von Jost Gudelius (auch als gedrucktes Buch, 2. Auflage 2013).
Hier findet sich u.a. auch ein Bild von Johann Wörner (1775-1856), dem Wirt der Jachenau aus der Zeit von 1832. Maximilian Schmidt nennt ihn den „Jochwirt“, und läßt ihn das „ausgezeichnete Hohenburger Gebräu“ (aus Lenggries) ausschenken:
http://www.gudelius.de/jchronik.htm
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2 comments

  1. Doku des BR, entstanden 1995: “Otto I. Bayerns unbekanntester König”
    Video in voller Länge = 45 Minuten!
    (nicht 63 Minuten, wie angegeben!)

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