21 Im Archontiko Filippidi in Milies

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Für meinen diesjährigen Besuch im Pilion Ende September 2018 hatte ich mir zwei Sachen fest vorgenommen: Ich wollte endlich mit der historischen Pilion-Kleinbahn fahren, statt nur auf der Bahnstrecke zu wandern (dazu später) – und endlich wieder in einem traditionellen Herrenhaus (Archontiko) übernachten.
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Beim ersten Besuch vor 25 Jahren hatten wir ein Zimmer im Archontiko Karayiannopoulos in Vyzitsa. Von da aus waren wir in ein privates Apartment in einem Neubau nach traditionellen Stil umgezogen, mit Familienanschluß und Einladung zur Osterfeier, dann ging es zweimal ins Hotel Stoikos und in die Pension Ilióvolo in Milies. Außerdem wohnte ich noch in Zagora, Horefto, Portaria, Platania, Tsangarada, war aber leider nie mehr in einem original restaurierten alten Haus aus dem GNTO-Programm (dazu unten).
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Das GNTO-Programm veröffentlichte 1992 seinen Schlußbericht. Da mußte das Archontiko Filippidi in Milies noch im Anhang angefügt werden, es war nämlich noch gar nicht fertig.
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Es gab in den Jahren bei mir / bei uns mehrere Versuche, in ein traditionelles Haus einzuziehen, das von der Tourismus-Behörde mitfinanziert worden war. Nur hatten oft die Besitzer kein großes Interesse an der Vermietung (sie wären nach der Subventionierung eigentlich vertraglich dazu verpflichtet gewesen).
Das GNTO-Programm ist in vielen Fällen gescheitert – den Häusern hat es natürlich gut getan, aber die geplante touristische Nutzung fand nicht immer mit Erfolg statt. Das war nicht nur im Pilion so, auch in anderen Regionen (Mani/Peloponnes).
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Man stand dann vor einem Archontiko, das eigentlich Räume vermieten „mußte“, das Tor war verriegelt, ein Zettel an der Klingel mit einer Telefon-Nummer in Athen oder Thessaloniki. Da hat man dann brav angerufen, und wurde an irgendwelche Kontakte in der Gegend verwiesen: „Da kommt heute abend jemand aus Volos, der kann Ihnen den Schlüssel geben.“ Wenn der Angerufene erfuhr, daß man nur ein einziges Zimmer wollte und nur  für zwei oder drei Tage bleiben wollte, wurde gleich ein astronomisch hoher Preis fürs Zimmer verlangt. Damit der potentielle Gast seine Mietabsicht aufgab.
Ja, so kamen wir oft gegen unseren Willen ins Dorf-Hotel statt ins historische Ambiente …
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IMG_0143_A381Diesmal hatte ich im Internet herumgesucht und einen Volltreffer gelandet: Das Archontiko Filippidi in Milies, gebaut 1865 – im Pilion-Stil „mit klassizistischen Stilelementen“, wie der Denkmalpfleger sagt.
Hier ist das Gebäude nicht mehr zu 100%
ortstypisch, und  weder die untere „Winter-Wohnebene“ noch die obere „Sommer-Wohnebene“ (mit ihren herausragenden Holz-Erkern und den großen Fensteröffnungen mit den Oberlichtern aus buntem Glas) waren wohl nie – wie früher üblich – für die Seidenraupenzucht vorgesehen.
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Abzweig von der Dorfstraße zum Haus Filippidi (ganz links).
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Am Anfang ist der steil abfallende Weg noch grob betoniert, am Ende bleibt das Durchqueren einer Art Wildblumenwiese (Taschenlampe und solides Schuhwerk ist nötig):
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Filippidis ist nur 400 Meter Luftlinie vom Schmalspur-Bahnhof entfernt, und 100 Meter Luftlinie von der Platia. Aber trotzdem sehr versteckt und für jemanden wie mich – mit meinen Unfallfolgen am Knie – nicht einfach zu erreichen. (Beim heftigen Nordsturm mit 36 Stunden Dauerstarkregen habe ich mich von Samstagnachmittag bis Montagmorgen gar nicht mehr vor die Tür getraut …)
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Für eine heute übliche Auto-Zufahrt zum Haus haben die Subventionen nicht gereicht, und 1865 war es querfeldein mit dem Maultier ja kein Problem …
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IMG_0318_A381Ioanna Nikoleri, meine Gastgeberin, holte mich netterweise an der Bushaltestelle mit ihrem Mercedes Sprinter ab. Dessen Bodenfreiheit bringt einen locker über den kurvigen Schotterweg abwärts bis fast zur Haustür. (Es gibt auch noch einen uralten steinig-steilen Fußweg hinauf zur Platia.)
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Und Ioanna gab mir das beste Zimmer im Haus – ja, das mit drei Betten und vier Fenstern – und war überhaupt rund um die Uhr der absolute Segen. Beim ersten Treffen hatte ich mich noch fast erschreckt, sie erschien so unglaublich jung für eine Eigentümerin von einem Haus mit diesem Format. (Ihre Eltern haben den Erwerb des Hauses mitfinanziert, von der Geschichte der Restaurierung mit Regierungsmitteln wußte sie gar nichts.)
Sie hatte das Haus vor nicht allzu langer Zeit zufällig gefunden, die Vorbesitzer wollten es loswerden, und für sie war es Liebe auf den ersten Blick. Und diese positive Einstellung strahlt sie als Gastgeberin heute noch aus.
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Nebenbei: Die Pilion-Halbinsel war nie eine arme Region und auch zur Zeit der osmanischen Herrschaft ziemlich unabhängig. Es gab keine türkischen Beamten oder Soldaten in der Gegend, lediglich ein Abkommen zur Besteuerung wurde von den Bewohnern mit den Besatzern frei ausgehandelt. Abgaben in den abgelegenen und gut zu verteidigenden Bergdörfern zu erzwingen wäre sehr aufwendig und wenig erfolgreich gewesen. Darüber hinaus war die stark bewaldete Gegend, wo im äußersten Norden noch heute Bären und Wölfe leben, vollkommen unübersichtlich.
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Gehen wir doch mal ins Haus! Die außen stahlplattenverkleidete Doppeltür mit ihren alten Schlössern und zwei Sperr-Balken, die sich aus der Wand heraus schieben lassen, ist heute tagsüber einfach … offen für alle. Die deutsche Qigong- und Yoga-Lehrerin, die für das nächste Jahr eine “naturnahe” Unterkunft für eine kleine Reisegruppe suchte, konnte ich einfach zur Besichtigung ins Haus lassen, während Ioanna unterwegs war.
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Vielleicht wird Ioannas Hündin Sie beim ersten Mal am Treppenabsatz mißtrauisch betrachten. Aber sie darf nicht ins Haus, und hält sich daran. Keine Angst, sie mag Menschen, nur keine anderen Hunde in ihrem Revier. Bis auf Rudy, den harmlosen kleinen Kläffer, der im Nachbarhaus die Hühner bewacht.
Und nachdem Sie zum ersten Mal mit Ioanna an ihrem Lieblingsplatz vor der Küchentür (erkennbar durch den vollen Aschenbecher) eine heiße Schokolade geteilt haben, hält der Vierbeiner Sie für voll rudelzugehörig …
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Hinein in die Empfangshalle …
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… und die Holzstufen hinauf. (Die Tür zwischen den beiden Treppen führt hinunter zum Frühstücksraum.) Meinen Trolleykoffer muß ich selbst hinaufwuchten. Ioanna brauche ich gar nicht erst fragen. („You have to do it. It’s too heavy. I am a woman.” Aha … 🙂 !)
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Die oberste Etage, hier der Aufenthaltsraum, und rechts, die Tür zu meinem Zimmer:
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Mal sofort zum Fenster …
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… und die Aussicht auf den Golf und das südliche Ende der hakenförmigen Halbinsel anschauen! Leider ist es schon an meinem ersten Tag leicht eingetrübt. In Volos hatte es am Vortag schon leicht geregnet, und heute fallen tagsüber bereits die Fähren auf die Inseln aus.
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Hier gibt es noch handbestickte Bettwäsche …
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… und einen stimmungsvollen Blick vom Schreibtisch durchs Seitenfenster:
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Das Nebenhaus schützt ein typisches Steindach mit einem drehbaren Windschutz über der Kaminöffnung. Das vogelförmige Objekt quietscht anfangs ein wenig, aber später, bei Sturm- und Regenböen, nimmt man es gar nicht mehr wahr. Zum Glück hatte ich mich am Freitag noch mit flüssigen und festen Notvorräten versorgt!
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Sturm läßt sich schlecht fotografieren. Zum Lesen und einem Glas Ouzo also zurück in den Gemeinschaftsraum mit der vorgewölbten Fensterfront …
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… der von einer traditionellen Deckenverkleidung überdacht ist:
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Der Gemeinschaftsraum ist gewöhnlich der „Schwachpunkt“ bei einer Hotelnutzung in diesen Häusern. Wenn sich da bei anderen Gästen eine Partystimmung einstellt, haben Sie in den Zimmern keine Nachtruhe. Da können Sie nur raus und mitmachen. Diesmal waren aber nur ganz selten andere Gäste da, und fast niemand hielt sich in diesem Raum auf.
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Lediglich am Sonntagmorgen trafen acht deutsche Wanderer ein, im immer noch sturmverwehtem strömenden Regen. Sie wollten an dem Tag eigentlich von Damouhari an der Ägäisseite der Halbinsel über die Höhe nach Milies wandern – was schon bei normalem Wetter eine echte Herausforderung ist – aber bei Sturmwetter und Regen ist das lebensgefährlich. Die Gruppe hatte auf die Warnungen gehört und kam also in drei Taxis vorgefahren und besetzte vier der sechs Zimmer. Und sie waren vorbildlich ruhig, selbst abends, nachdem sie
leicht beschwingt aus der Taverne nach Hause gestapft waren!
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IMG_0144_381Am Montagmorgen zogen sie weiter zur Golfküste. Ich auch – obwohl ich noch auf einiges verzichtet hatte. Kein Besuch in Vyzitsa oder Pinakates etwa, kein Ouzo im „Ana na ena milo“ … eigentlich unfaßbar …
Und ich hatte nicht ein einiges Mal auf der weiträumigen Terrasse vor dem Filippidi sitzen können!
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Ich hatte noch eine Option auf zwei weitere Tage bei Ioanna, bin aber doch nach Afissos umgezogen – in das Küstendorf am Golf, das der Tourismus am wenigsten bestimmt. Die Küstenstraße führt nämlich nicht hindurch, und es hat kaum Strand anzubieten. Außerhalb der Hochsaison ist der Ort völlig verschlafen. Für mich gab es ein Apartment mit nur zehn Metern Abstand vom Balkon zur Kaimauer, und überraschend noch Sonnenwärme und Windstille.
Der Taxifahrer konnte in Milies nicht direkt zum Haus fahren, der Weg war vom Auto der Nachbarn blockiert. Auf dem Weg zur Dorfstraße setzt der Wagen auch mal auf. Nun ja, kommt vor, sowas. Und der Rudy (links neben Ioannas Bein) freut sich, daß jetzt ein Hühnerdieb weniger im Dorf ist:
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Archontiko Filippidi / Ioanna Nikoleri
Tel. +30 24230 86087 bzw. +30 698 1665668
info@archontiko-filippidi.gr
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DAS GNTO-PROGRAMM 1975-1992
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Die Erhaltung und Entwicklung von trationellen Gebäudestrukturen in Griechenland war das Ziel der damaligen Tourismus-Behörde G.N.T.O.  (Greek National Tourist Organisation). Es wurde durchgeführt von 1976 bis 1992.
Erhaltenswerte Häuser und Dorfstrukturen (hier z.B. Vathia/Mani/Peloponnes), deren Eigentümer finanziell nicht in der Lage waren, ihr Eigentum zu erhalten, wurden von der Regierung für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren übernommen (jedoch nicht enteignet). Wichtig war, daß die Gebäude eine regionalspezifische traditionelle Architektur repräsentierten.
In diesen 10 Jahren wurden die Gebäude originalgetreu restauriert (und diskret modernisiert, z.B. bei notwendigen Sanitär-Einrichtungen). In den Fällen, daß sie später touristisch genutzt wurden, wurden die Eigentümer darin geschult, eine Übernachtungsmöglichkeit professionell durchzuführen. Am Ende der vereinbarten Zeit sollte die Nutzung in diesem Sinn auch weitergeführt werden.
Manche Gebäude wurden auch zu Museen oder anderen öffentlichen Einrichtungen umgewidmet.
Das Programm konzentrierte sich zunächst auf Vathia (Mani), Vyzitsa (Pilion), Mesta (Chios), Oia (Santorini), Papingo (Epirus) und Fiskardo (Kefalonia). Später wurde es um weitere Regionen erweitert, u.a. Monemvasia (Peloponnes) und Pinakates und Milies (Pilion). Bis 1991 waren 119 Gebäude in 16 verschiedenen Ortschaften fertiggestellt, weitere noch in Arbeit.
Das Programm umfaßte auch weitere notwendige Infrastrukturmaßnahmen am Ort (Kanalisation, Wasser- und Stromversorgung, Zufahrtswege usw.).
Das der Regionalentwicklung, dem “sanften” Tourismus und der Erhaltung alter Strukturen dienende Projekt wurde aus mehreren Quellen finanziert und gewann mehrere Architektur-Preise.
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Fragen Sie mich nicht, warum das Projekt nicht bis heute weitergeführt wurde …
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Filippidis-GNTO-Titelblatt1992 erschien eine umfangreiche illustrierte Schlußdokumentation (Preservation and Development of Traditional Settlements in Greece – The GNTO Programme 1975-1992), aus dem ich ein paar Illustrationen aus dem Kapitel über das Archontiko Filippidi entnehme.
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Filippidi-Front
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Zustand der Front des Filippidi-Hauses vor der Restaurierung.
(Architekt war P. Paraskevas, Bau-Ingenieur war Chr. Anastassopoulos)
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Filippidi-Erdgeschoss
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Erdgeschoß (Hochparterre), Entwurf für die Nutzung von vier Zimmern.
1 = Treppe zum Obergeschoß
2 = mein Lieblingsplatz neben der Haustür …
3 = Außentreppe
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Filippidi-ErsteEtage
Entwurf: Oberes Geschoß. Hier ist besteht nur die gewölbte Fensterfront aus Holz-Elementen. Bei älteren Häusern wurde das oberste Geschoß häufig überwiegend aus Holz gefertigt.
1 = (grau) Mein Zimmer, das mit den vier Fenstern und der besten Aussicht!
2 = Gemeinschaftsraum
3 = Treppe nach unten
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1992 ist das Haus Filippidi noch rundum eingerüstet, von der touristischen Nutzung ist man noch weit entfernt …
Ein traditionelles Archontiko hatte gewöhnlich noch ein kleines Nebengebäude, wo u.a. die Küche und Vorratsräume untergebracht waren.
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