Bernauer: Mein griechisches Dorf

Wolfgang Bernauer: Lesvos (Ipio) 2015

Ich habe in den letzten 10 Jahren kein Buch über Griechenland mehr hier vorgestellt. Warum? Was ich an Text- und Foto-Bänden in die Hand genommen hatte, hat mich nicht so sehr beeindruckt.

Könnten Ihnen auch so gegangen sein. Könnte auch sein, daß sie glauben, Sie hätten schon genug Bücher zum Thema. Aber ein Buch sollte in Ihrer Bibliothek nicht fehlen, nämlich dieses:

Wolfgang Bernauer
„Mein griechisches Dorf“ (το ελληνικό μου χωριό)
2019, fotoforum-Verlag, Münster
ISBN 978-3-96546-002-7
49,00 Euro
= Wolfgang Bernauer wohnt/arbeitet in der Schweiz. Er hat über 20 Jahre an dieser Auswahl gearbeitet. Wenn Sie mal in einem griechischen Restaurant in der Schweiz Ihre Rechnung bezahlt haben, werden Sie danach den Preis dieses Buches “echt günstig” nennen

Keine weitere lange Vorrede! Was mich am meisten beeindruckt hat, sind die Farbfotos! Ja, Farbe, aber nur matte Töne, auf mattem Papier, mit einer unglaublichen Tiefenschärfe. Und der Ausschnitt ist immer so gewählt, daß jede wichtige Einzelheit zum Bild-Verständnis noch erfasst ist.
Daß Bernauer alleine gearbeitet hat, und bei den Aufnahmen in oft schwierig beleuchteten Innenräumen keinen Assistenten dabei hatte, der die Lichtverhältnisse ausbalancierte, kann man kaum glauben.
Bernauer arbeitet mit Stativ und Weitwinkelobjektiv (ein gefährliches Instrument), und er hat sich in der Regel mit den abgebildeten Personen für das Foto verabredet. Sie schauen selbstbewußt in die Kamera, sie wissen, daß sie fotografiert werden, und sie finden es gerechtfertigt. Ihnen gegenüber lauert kein Kamera-Voyeur wegen der Arme-Leute-Exotik …

Wolfgang Bernauer: “Meine Arbeitshaltung und Berufsethik beinhalten, dass ich mit allen abgebildeten Personen gesprochen und sie über meine Intentionen aufgeklärt habe.”

Leider machen die Farbaufnahmen/Farbreproduktionen nur den kleineren Teil der 70 Fotos aus. Ich finde, schwarz-weiß muß nicht mehr sein, um die Trauer, um das Vergängliche, das Entbehrenmüssen in den dörflichen Szenen darzustellen. (Fred Boissonnas hatte vor 100 Jahren ja noch keine technische Alternative …)

Wolfgang Bernauer: “Dorfleben bedeutet neben Beschaulichkeit und Ruhe auch Einsamkeit,
gerade in den Bergregionen und im Winter. Hier fehlen die jungen Menschen.”

Ich hatte, was ich bei Bildbänden oft tue, den Kommentartext am Anfang und am Ende überschlagen, um zu sehen, ob die Abbildungen ohne Erläuterung für sich wirken.
Ja, sie wirkten für sich, waren sehr eindrucksvoll, und ich habe immer langsamer weitergeblättert. Habe überlegt, welches Dorf denn wohl Bernauers Dorf sein könnte.
Dann erkannte ich das Kafeneion Prekas (Katapola/Amorgos), irgendwann auch Olymbos (Karpathos), und ich wunderte mich. Mir wurde klar, natürlich war nicht EIN bestimmtes Dorf gemeint, sondern DAS Dorf schlechthin.
Wäre einfacher gewesen, wenn ich sofort hinten ins Abbildungsverzeichnis geschaut hätte …

Wolfgang Bernauer: Dimitsana / Peloponnes, 2000
Wolfgang Bernauer: Lesvos (Pamphila) 2015
Wolfgang Bernauer: Fokida (Amfissa) 2013

Die wenigen Abbildungen, die ich ausgesucht habe, haben längst nicht die Qualität und die Dimension des gedruckten Buches. Sie finden eine größere Auswahl auf Wolfgang Bernauers website: https://wolfgangbernauer.com/

Das Buch hat mich sofort an ein anderes erinnert, das eine ähnliche Perspektive einnimmt:

Clay Perry „Vanishing Greece
1. Auflage 1991, Conran Octopus Ltd, London
ISBN 1-85029-336-8
Vorwort von Patrick Leigh Fermor

„Verschwindendes Griechenland“ – ja, in den letzten 50 Jahren ist vieles verschwunden. Oft lebt es nur noch als Folklore (Tanzgruppen in Trachten, Festivals, Dorfmuseen).

Ich mische mich da mal ein 🙂 : Dieser Metallwarenladen im Bazarviertel von Ioannina sorgte 1993 noch ausschließlich für die Handwerker, Haushalte und Bauern der Region. Werkzeug, Küchengeräte, Schaufeln, Kessel, Ziegenglocken, Messer, Scheren, Schlüssel, Türscharniere wurden angeboten. Was man wirklich braucht und benutzt. Gefertigt, repariert und gewartet von einer Frau (!), die alleine den Laden führte, und selbst in der Werkstatt stand:

> Die Werkstatt in Ioannina und die Chefin

Metallwarenläden wie der, den Clay Perry auf Kreta fand, hatten schon ein anderes Publikum im Sinn: Wofür so viele Messer im Schaufenster, wo der Bauer im Bergdorf nur ein einziges kauft, das er sein Leben lang behält und pflegt?
Das Schaufenster ist für die Touristen, die sonst bei manufactum kaufen, und jetzt ein
„authentisches“ Souvenir suchen ….

Bernauers Titelbild erinnert schon eher an „alte Zeiten“. Hier, in Agiassos, einem Bergdorf auf Lesvos, wird wohl weniger auf Vorrat gefertigt und wenn, dann in erster Linie für Kunden aus dem Ort und der Umgebung.
(Nicht, daß >Agiassos keinen Umsatz mit Touristen macht! Ich war 1985 zum ersten Mal dort, und dann wieder 2010. Was hatte sich dort nicht alles „europäisiert“ und „synchronisiert“ in der Zwischenzeit …)

Ich komme vom Thema ab, sorry …

Mein Bernauer-Lieblingsfoto ist wohl (untypischerweise) durch einen Zufall entstanden. Frau S. kommt gerade vom Bäcker mit frischen Broten, und vor ihr huscht diese Katze die Treppe hoch, in der Hoffnung, daß vom Frühstück auch etwas für sie abfällt.
Daß von der eiligen Katze nur noch das Hinterteil zu sehen ist, gibt dem Foto eine schöne Dynamik, und witzig ist es auch. Solche Szenen dauern nur Sekundenbruchteile, für die ein Fotograf ewig dankbar ist. Bernauer war zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle:

Wolfgang Bernauer: Sophia, Naxos 2017

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  1. Clay Perry „Vanishing Greece“
    1. Auflage 1991, Conran Octopus Ltd, London
    ISBN 1-85029-336-8
    Vorwort von Patrick Leigh Fermor

    gibt es auch in einer deutschen Ausgabe:

    Griechenland zwischen Mythos und Moderne / Fotogr. Clay Perry. Einl. Patrick Leigh Fermor. Text Elizabeth Boleman-Herring. [Übers. aus dem Engl.: Jobst-Christian Rojahn. Red. und Koordination: Armin Sinnwell] , 1992, ISBN 978-3-575-11007-7

  2. Heute wurde bei 3sat ein (albanischer) Fotograf vorgestellt, der vorwiegend in Griechenland an aktuellen Themen arbeitet, z.B. in den Flüchtlingslagern auf Lesvos:
    Enri Canaj
    Seine Fotos sind so erschreckend wie faszinierend. Ein paar Beispiele:

    https://www.magnumphotos.com/newsroom/enri-canaj-documents-italys-migration-crisis/

    https://www.lensculture.com/articles/enri-canaj-syrian-refugees-in-greece#slideshow

    https://www.lensculture.com/articles/enri-canaj-albania-a-homecoming#slideshow

    http://www.enricanaj.com/pages/home

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