Cinque Terre 3 – Weinlese mit der Achterbahn

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Wenn man früher (so vor dreißig Jahren) zur Zeit der Weinlese auf den Wanderpfaden durch die Cinque Terre unterwegs war, kam man schon in Versuchung, mal links und rechts zuzugreifen. Nur wenn man den Rebstöcken näher kam, zuckte man zurück: Es war fast überall so großzügig gegen alle möglichen Schadstoffe, Schädiger und Fäulnis gespritzt worden, daß nicht nur den Wespen und Vögeln der Ekel hochkam …

Die oft nur zwei Meter breiten Terrassen an den sehr steilen Hängen sind nur ganz schwer zugänglich. Und die Wege sind oft so eng, daß kaum ein beladener Esel durchkommen würde. Wer will da einen Riesenkorb reifer Reben zum nächsten Fahrweg hinaufschleppen?

Rino Sanders schrieb noch 1984: “Manche Rebenflecken kann man überhaupt nur angeseilt erreichen. Weggespülte Erde wird in Körben wieder an Ort und Stelle geschleppt. Einige Weinbauern müssen die Lese per Boot zu Kelter und Keller bringen. In höheren Lagen transportieren die Frauen die Trauben auf dem Kopf wie so viele andere Lasten auch. Noch immer gibt es kaum mechanische Hilfe. Hier und da ein gelber, angerosteter Lastenlift für Mist und Trauben, das ist alles.”
Wahrscheinlich hatte er diese Umstände noch in den 70ern erlebt …

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Vielleicht hätten die Winzer der Cinque Terre schon lange vor 1987 aufgeben müssen. Wenn da nicht die Winzergenossenschaft eingegriffen hätte.
Die Weinfelder sind durch ein engmaschiges Schienennetz (!) miteinander verbunden. Darauf fährt der „trenino“, eine Ein-Gleis-Zahnradbahn. Oft bei unglaublichem Steigungswinkel, mit verwegenen Kurven.
Wenn so ein voll beladener Zug auf dem klirrenden, schwankenden, durch Stahlstangen gestützten „monorail“ an Ihnen vorbeirattert, glauben Sie beim ersten Mal an eine Erscheinung aus einer anderen Welt.
Und auf den offenen Waggons werden nicht nur die Körbe mit der frischen Lese befördert, da sitzen auch die Erntehelfer auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Der Lokführer vermindert darum nicht die Geschwindigkeit …

Die Züge gehören der Genossenschaft, und es gibt weit weniger Züge als Winzerbetriebe. Die Mitglieder der Genossenschaft müssen in der Hochsaison im September/Oktober in langen Diskussionen klären, wer wann welchen Zug ausleihen kann.

Ich habe es leider nie geschafft, einen vollbesetzten Zug in voller Fahrt zu fotografieren –
obwohl manch einer sogar über unseren Köpfen hinwegrauschte. Irgendwann habe ich wenigstens einen geparkten leeren trenino neben dem Wanderweg erwischt (Fotos oben).

Cinque Terre ist ein Weißweingebiet. Und nur ein sehr kleines Anbaugebiet – von den
ligurischen Weinbaugebieten das kleinste (Nr. 1 in der Karte):

Quelle: —

„Aus den Traubensorten Bosco, Arbarola und Vermentino wird der Wein aus einer der faszinierendsten und spektakulärsten Weingegenden der Welt gewonnen.
Die terrassenförmig angelegten Weinberge sind steil und mühevoll zu bewirtschaften. Mitunter sind die Terrassen so schmal, dass nur 2-3 Weinstöcke Platz finden.
Einziges Beförderungsmittel durch die Berge sind Muskelkraft sowie der “Trenino” ein kleiner Zug, der die vollen Weinkörbe bis an eine der schmalen Serpentinenstraßen befördert, wo sie auf ein Auto geladen werden können“

Quelle: https://5-terre.urlaub-ligurien.de/

Die Weißweine sind hochwertig (DOC-Status = Denominazione di Origine Controllata). Berühmt ist der Sciacchetra (ein Likörwein mit 17° Alkohol), der schon in der Antike bekannt war. Er wird aus getrockneten Trauben produziert und muß 10 bis 12 Jahre reifen. Die Winzer produzieren nur geringe Mengen, oft nur für den Eigenbedarf. Wenn der Sciacchetra im Handel in Flaschen angeboten wird, sollte man vorsichtig sein, und … die übliche 0,375 Liter Flasche kostet um die 60 Euro.

Da das Anbaugebiet sehr klein ist, wird „Ihr Italiener“ auch kaum Cinque Terre Wein auf der Getränkekarte haben. Ganz vereinzelt findet man Cinque Terre Weißwein im Internet, Flaschenpreis zwischen 10 und 45 Euro.
Vor Ort gab es damals natürlich eine größere Auswahl, und die Preise waren verträglich:

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„Auch die ligurischen Weine sind ziemlich derb, doch in reinem, unverfälschten Zustand auf eine besondere Art köstlich (…). Es sind Weine für Einzelgänger; sie verbrüdern die Trinker nicht, sie machen nicht gesellig, nicht fröhlich.“ Das schrieb Vittorio G. Rossi 1959, und der Herr stammt aus Santa Margherita Ligure.
Rossi ist ein durchaus kritischer Lokalpatriot: „Der Ligurer ist auch in der Küche kein Künstler. (…) Wie der Pesto sind (diese) Gerichte bei allen, die nicht Ligurer sind, wenig beliebt.“

Also ich bin kein Ligurer. Als ich 1987 in Campo Ligure zum ersten Mal Spaghetti mit Pesto alla Genovese (also mit Sahne verfeinert) vorgesetzt bekam, war es ein kulinarisches Urerlebnis, bei dem ich fast vom Stuhl abgehoben hätte!
Anne Besier – Frau vom Fach – kommentierte 1984: “Ein frischer Pesto ist ein Gaumengenuß, der das beste Stück Fleisch vergessen läßt. (…) Den besten Pesto aß ich privat. Dennoch, der Pesto von ‘Maria’, einer schlichten Kneipe im Hafen von Genua, gegenüber vom Ponte Calvi, ist konkurrenzfähig. Dort gibt es auch eine traumhafte Pesto-Version mit Sahne – für die, die’s milder mögen.”

Und das Focaccia al olio, das der Bäcker in Monterosse Al Mare vom Backblech weg verkaufte, war – zum Cinque Terre Wein – ein weiteres Urerlebnis …

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