Liebe auf den zweiten Blick …

Ob sich die Reisenden, die es nicht nur gelegentlich nach Griechenland zieht, wohl noch erinnern können, was diesen Impuls bei ihnen zuerst ausgelöst hat?
Dieser Impuls mag vor vielen Jahren ausgelöst worden sein. Und er mag oft verdrängt worden sein.

War es Alexis Zorbas, Udo Jürgens, Mikis Theodorakis, Melina Mercouri, Vicky Leandros, Kazantzakis, Onassis, Ouzo, der olympische Marathonlauf?

Was war meine erste Begegnung mit Griechenland, besonders mit der griechischen Antike – die mich bis heute eigentlich nicht übermäßig interessiert?

1954 wurde im Essen-Steeler Stadtgarten die Skulptur „Odysseus“ von Franz Guntermann (1881-1963) aufgestellt. Guntermann stammte aus Steele, er hatte die Skulptur bereits 1913 fertiggestellt. Der spät „heimgekehrte“ Odysseus sollte nun an die Rückkehr der letzten deutschen Heimkehrer aus der UdSSR subtil erinnern. (Die letzten Kriegsgefangenen verließen ihre Lager in Rußland allerdings erst 1955 …)

Guntermann stellt seinen Odysseus nicht als Kriegshelden oder Seefahrer dar, der ein Abenteuer nach dem anderen besteht, sondern nur als armselig gekleideten Gehilfen des Schweinehirten Eumaios. In dieser Rolle kann Odysseus auf seine Heimatinsel Ithaka unerkannt zurückkehren und sich dort bewegen.
Niemand, bis auf seinen inzwischen greisen Hund Argos, erkennt ihn noch – nach der langen Belagerung von Troja und der zehnjährigen Irrfahrt nach Hause. Auch seine Gattin Penelope nicht.

1954 war ich gerade in die 2. Klasse der Laurentius-Volksschule (Grundschule) aufgestiegen, und hatte von der Antike nicht die geringste Ahnung. Wir waren um die 35 Schüler und Schülerinnen und hatten einen einzigen Lehrer, der alle Fächer unterrichtete. Aber Geschichte stand nicht auf seinem Lehrplan.
Der Steeler Stadtgarten war der Lieblingsspielplatz der beiden konkurrierenden „Kinderbanden“ im Wohnumfeld – und den Odysseus nutzen wir als Turngerät: Wer konnte wie schnell auf die Schultern dieses unbekannten und unbekleideten Fremden klettern …?

Der Steeler Stadtgarten

Wer war dieser rätselhafte Odysseus? Meine Neugierde war schon ein wenig geweckt. Ich kriegte irgendwoher ein paar unzusammenhängende Informationen über die griechische Mythologie und sogar über diesen Herrn mit Hund und Hirtenstab.

Ein Jahr später wünschte ich mir „Die Sagen des klassischen Altertums“ zum Geburtstag (Halblederausgabe vom Bertelsmann Buchversand). Meine Eltern hatten das zunächst rigoros abgelehnt, ich würde den Themenkomplex doch absolut noch nicht verstehen. (Ja, sie hatten zu 100% recht, ich habe fast nichts vom Inhalt und den handelnden mythischen Gestalten verstanden …)
Aber ich habe so lange genervt, bis ich das Buch doch kriegte! (Es war übrigens erst das zweite Buch, das mir gehörte, das erste war „Heidi“ von Johanna Spyri, Großdruck für Kinder, mit vielen Illustrationen … das habe ich auch verstanden und bis zum Ende gelesen).
🙂
Naja, Griechenland habe ich danach weitgehend erfolgreich verdrängt. Hatte mich der Mißerfolg beim Lesen der Sagen wohl traumatisiert? Gut, irgendwann habe ich im Kunstunterricht sogar eine Triere gebaut (antikes ruder- und segelbetriebenes Kriegsschiff). Hatte nicht viel Spaß daran, das Ergebnis hatte auch unseren Kunstlehrer enttäuscht. (Er war ein unkonventioneller Mensch, er gehörte zu den damaligen Viel- und Weitreisenden, und hatte mein Interesse an Griechenland und der Türkei wenigstens leicht entfacht.)
Irgendwann fingen die Mädels in unserer Clique an, Cola und Samos-Dessertwein zu mixen.
Schaurig.
1979 mein erster “griechischer Salat” beim Exil-Griechen in der Kantstraße in Berlin.
Auch schaurig.
Das alles brachte mir Griechenland nicht näher …
Und das Regime der Obristen (1967 bis 1974) verbot es jedem „1968er“, im Land der Junta eine Urlaubsreise zu machen.

Ja, zwischen 1954 und meiner ersten Griechenlandreise (1985, Lesbos und Chios) ist einige Zeit vergangen. Auch 1985 brauchte ich noch eine Art Katalysator. Das war Christa.
Der griechische Alltag, Land und Meer haben mich seitdem zu bestimmt 50 oder 60 (oder mehr?) Reisen ins Land gelockt, aber die lokale Mythologie interessiert mich auch heute noch nicht.
So weiß ich immer noch nicht, ob es zu Zeiten des Eumaios schon Souvlaki und Gyros gab …
🙂
>  WEITER ZU: DER ALLERERSTE TAG IM LAND
<  ZURÜCK ZUR STARTSEITE

2 comments

  1. Auf die heutige Nachricht von mesedes (“Ich finde deine Umfrage ans Unterbewusstsein prima, meine Frau sah in WG Küchen Postkarten aus Griechenland, ich glaube diese Bilder dringen dann ins Unterbewusstsein “) hatte ich so geantwortet:

    Ja, die Kraft von Postkarten im Briefkasten oder an der Kühlschranktür sollte man nicht unterschätzen!
    Ich habe ja erst mit 30 Jahren angefangen “richtig” und lange zu reisen (ab da solider 30-Stunden-Job, viel Freizeit, ausreichend finanzielle Mittel). Vorher hatte ich mich durch die Studienzeit gelogen, mit Fördermitteln und Studentenjobs. Was vom Geld nicht in Kneipennächten verrauchte, ging drauf für HiFi-Ausrüstung, Vinylalben, Konzertkarten). Verreist wurde nur Richtung Berlin, Bayern und Holland, wo man bei Freunden auf dem Sofa nächtigen konnte.
    Das ging nicht alle Freunden und Bekannten so. Mit Neugierde (und auch leichtem Neid) habe ich die Spuren ihrer Reisen in den Süden verfolgt. Da war ein Schulfreund 1965 nach Istanbul getrampt und schickte von dort eine gereimte (!) Karte; da hatte sich 1979 eine Kollegin für ein Jahr beurlauben lassen und zog 12 Monate durch Südamerika = Post im Briefkasten aus Brasilien; da fuhren Freunde mit dem 2CV Richtung Syrien, verunglückten auf der Balkanroute in Jugoslawien, am Auto Totalschaden. Sie verbrachten ein paar Tage im Krankenhaus, fuhren dann mit Fernbussen weiter bis Damaskus. Keine Postkarte, aber ich kriegte einen Mörser aus Olivenholz vom Basar, als Souvenir. Die Postkarten und den Mörser habe ich noch heute.
    Bis zu mener ersten Griechenlandreise dauerte es noch ein paar Jahre, vorher hatte ich nur in Venedig neben der Fähre Richtung Patras gestanden, und 1986 kam ich statt nach Aleppo/Damaskus nur bis zur türkisch-syrischen Grenze. Immerhin …

  2. Ach ja, da war eine ganze Reihe von Reaktionen bei InGreece. Ein zusammenfassender Kommentar von mir war:
    Erstaunlich, wie viele Griechenland-Freaks es doch fast “aus Versehen” zum ersten Mal ins Land gespült hat! 🙂 Ich erinnere mich auch an die Zeit der Jugoslawien-Kriege, als es besonders Österreicher, die sonst mit dem Auto in Istrien, Kroatien, Dalmatien auftauchten, plötzlich staunend (!) in Lefkada, Ithaka oder an anderen Orten auf dem griechischen Festland ihr Hellas-Urerlebnis hatten!
    Erstaunlich auch, wie viele Leute sich auf Kreta vom Land insgesamt anstecken ließen. Meine zweite Griechenlandreise führte auch ins westliche Kreta, und ließ mich mit gemischten Gefühlen zurück. Danach ging es zunächst in die Türkei, nach Malta, Paris, Finnland, Sardinien, die USA oder Portugal.
    Den Satz “reise nicht zu früh in deinem Leben nach Griechenland, du wirst sonst nichts mehr von der Welt sehen” (Uli Thiel) hätte ich damals nicht unbedingt unterschrieben.

    Was über die Jahre die Verbindung zu Griechenland aufrecht erhielt, war der Buch- und Musikladen “Het Griekse eiland” in Amsterdam. Die Inhaber veranstalteten jeden Winter etwa 6 Konzerte im Paradiso, mit einer weiten Auswahl an griechischen Bands oder Solisten. Wir haben fast jedes Konzert gesehen, wenn es irgendwie ging. (Wenn es auch manchmal anstrengend war, etwa klarinettenbetonte zwei Stunden mit Musikern aus dem Epirus. Aber die Halbliterflasche Retsina kostete im Konzert nur 5 Gulden …)
    Und – nicht zu vergessen – die Taverne “Olympia”, nicht weit vom Leidse Plein, aber fast ausschließlich von Exil-Griechen besucht. Darum gab es dort eine Riesenauswahl an Mezedes. Den Exil-Griechen konnte man nichts vormachen mit “Original Grillteller Apollo mit Tzatziki”.

Leave a comment