Kastro, und Kostas

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Kastro, das Beinhaus
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ZURÜCK ZU TEIL 1:  KASTRO, AB THEOLOGOS
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Kastro ist ein ausgestorbenes Dorf. Daß auf dem rundum steil abfallenden Felsturm im Süden des Ortes mal der Friedhof lag, kann man sich kaum vorstellen. Steine! Wie soll man hier jemanden begraben? Aber die fruchtbare Erde blieb den Bedürfnissen der Lebenden vorbehalten. Nicht nur hier. Die Griechen waren immer, aus der Not heraus, pragmatisch denkende Menschen ..
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Friedhöfe in Griechenland liegen oft in einer exponierten, romantischen Lage, aber nicht wegen der schönen Aussicht, sondern weil da eben nichts wächst. Vor Jahren hab ich mich auch erst an den Gedanken gewöhnen müssen, daß griechisch-orthodoxe Gräber nach einiger Zeit wieder geöffnet und geleert werden. Wenn das Skelett befreit ist von allem schnell Vergänglichen, ist das ein gutes Zeichen. Wenn die Verwesung noch nicht abgeschlossen ist, ist die Seele des Verstorbenen noch nicht zur Ruhe gekommen. Das ist ein schlechtes Zeichen.
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Die Knochen haben mit der Persönlichkeit des Verstorbenen nicht mehr viel zu tun. Sie werden gereinigt und aus Pietät im Beinhaus aufbewahrt, meist nur kollektiv, aber … wie man unten sieht … das kann für einen nordeuropäischen Ordnungsfetischisten schon etwas befremdlich aussehen. Irgendwann habe ich mich an den griechischen Umgang mit den Toten gewöhnt. Mir kam es ziemlich selbstverständlich vor, in Kastro zuerst hierher zu kommen, und … nun ja … gewissermaßen kalimera zur Vergangenheit zu sagen. Es antwortet zwar keiner, aber auf dem leeren Dorfweg antwortet ja auch keiner …
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Haben Sie sich über die Bilder erschreckt? Warum? Es ist weder eine besonders exotische, noch eine gruselige Erfahrung, in diesem Beinhaus zu stehen und einen Moment an die Vergangenheit zu denken. Und an die Zukunft natürlich auch … Generation um Generation hat hier oben gesessen und in die Weite geschaut, und hat diesen felsigen Höhenrücken wahrscheinlich kaum mal verlassen … und wenn, dann oft gleich für immer. Wie weit war das Meer wohl entfernt im Bewußtsein der Leute von Kastro?
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Meine beiden Begleiter sitzen draußen am Rand der Felswand und starren still ins Tal. Und langsam spüre ich auch eher einen Bedarf nach Weinhaus statt nach Beinhaus (Schlechte Wortspiele bitte entschuldigen …). Egal. Vielleicht sollte der besinnliche Moment mich ja auch darauf vorbereiten, was ich von Kostas, dem Wirt von Kastro, gehört hatte. Wolfgang und Marliese waren vor einer Woche schon auf einem anderen Wege hier herauf gewandert, bei kaltem Nieselregenwetter, und Kostas hatte eine regelrechte Comedy-Show abgezogen, um seine Gäste aufzumuntern. (Bis zu deren völliger Erschöpfung …) Kostas spricht norddeutsch, fließend. Kostas ist lieb (… ich sag das einfach mal, nach unserer kurzen Begegnung). Kostas liebt praktische Scherze und Spiele. Kostas kann also unter Umständen auch nerven. Ich war gewarnt.
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Heute haben wir Glück. Wir können draußen sitzen. Und es sind noch vier andere Gäste da. Kostas ist gut gelaunt, aber auch gut beschäftigt. Er wuselt hin und her: Elleniko, Tsipouro, Omelette mit Wurst und Käse, Yoghurt mit Honig …
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Die Flohmarkt-Dekoration der Außenterrasse beschäftigt die neuen Gäste immer wieder, und manche der handgeschriebenen postierten Botschaften möchte man auch nicht so genau lesen. Kostas, der Hüttenwirt, hat es eben gerne volkstümlich, und seine Zeilen an der Wand sind nicht immer unbedingt ‘politically correct’ …
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Kostas hat uns auch das Gästebuch gebracht. Hohe Ehre. Das kriegen nur die Gäste, die zu Fuß zum Dorf raufkommen. Die am Nebentisch sind mit dem Auto da, die werden nur um ihre leeren Wasserflaschen angebaggert. Kostas braucht dringend Leergut. Kostas produziert seine Schafmilch selbst, und heute macht er daraus frischen Yoghurt (… die Milch brennt ihm beim Abkochen später an, als er sich dann doch an unseren Tischen festquatscht. Hat seine Frau … hahaha …morgen was sauberzumachen!) Kostas wohnt auch nicht ständig hier oben, er kommt in der Saison mit dem Auto die Sandpiste raufgefahren. Seine Saison dauert von April bis Oktober.
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Kostas’ Speisekarte … ja Sie haben richtig gelesen, da steht auch “Geschnetzeltes, mit Beilage”. Kostas’ Getränkepreise sind absolut konkurrenzfähig. Dabei hat er gar keine Konkurrenz. Ich hab leider vergessen, seinen Wein zu probieren. Den Wein macht er angeblich auch selbst. Er macht selbst, was er kann.
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Frisches Wasser kommt aus dem Hahn. Selbstbedienung. Quellwasser oder nicht? Wohl nicht. Egal, es ist jedenfalls politically correct, hier auf Plastikflaschen zu verzichten! Unser Tisch neben dem “Brunnen” hat laut Kostas “Durchzug”, gefällt mir aber wunderbar. Der Innenraum der Taverne ist übrigens ebenso munter gestaltet wie die Außenfront.
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Da Kostas alleine kochen muß, dauert es etwas. Der Nebentisch hat zuerst bestellt. Und der (sehr milde) Tsipouro will nicht hinein in meinen leeren Wanderermagen. Ich habe also Zeit, vor dem Essen etwas herumzuspazieren und mir das Dorf anzusehen. Die nostalgischen Gedanken wandern mit …
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Das Omelette muß man später gut bewachen, (A) gegen den von Kostas mit der Schafschere auf punk frisch frisierten Tavernenhund und (B) gegen die Tavernenkatze … ja, die da unten unter Wolfgangs Ellenbogen, die mit dem Killerblick:
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Wanderkarte, Quelle: Kostas’ Taverne in Kastro (bei Michael Müller heißt sie übrigens noch Jannis’ Taverne, nach Kostas’ Schwiegervater, der hier der erste Wirt war)
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Wir nehmen übrigens (ungefähr) den selben Weg zurück, während die Sonne schon so langsam hinter den Hügeln im Westen verschwindet. Jetzt ist es schon geradezu laut im Tal. Ein riesiges unsichtbares vierbeiniges Orchester läßt seine vielstimmigen Glocken hören. Es mit uns unterwegs Richtung Theologos.
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6 comments

  1. Lieber Theo, liebe Heidelberger,
    da wäre ich gerne mit hoch gewandert.
    Warum habe ich die schönen Seiten von Thassos noch nicht entdeckt.
    Na ja, demnächst kann ich ja sicher dortin zum Enkel-hüten oder so.

    Schöner Bericht! Danke.
    Marga

  2. Ich nehme an, du hast ihm schon Wanderschuhe Größe 24 gekauft …? Wir können den Kinderwagenaufbau auch auf ein Muli setzen, vorläufig …
    🙂
    Theo

  3. Hallo Theo,
    zunächst alle Bergdörfer auf Thassos haben nach meinem Kenntnisstand ausschließlich Quellwasser. Die Skalas wie z.b. Skala Sotiros werden i.d. Regel von den Bergdörfern (Sotiros) versorgt. Zeitweise gab es in den Jahren 2000 bis 2007 deswegen Wassermangel so dass es im Juli /August nur in der Nacht von 03.00 bis 05.30 Uhr Wasser gab. In den letzten Jahren wurden weitere Quellen erschlossen. Im Moment ist die Lage etwas entspannter. Es gibt genug Wasser.
    Ausgenommen ist davon prinos weil hier in den letzten Jahren viele große Hotels enstanden sind mit extremen Wasserverbrauch für Duschen Pools etc. Im letzten Jahr gab es aus diesem Grund in Prinos und Rachoni Wassermangel der aber hausgemacht ist.

    Danke Theo für Deine netten Berichte über `Meine Insel` und Griechenland im allgemeinen.
    Mach bitte weiter so. Ich lese als Griechenlandfan seit langem mit.
    Harald

  4. ….. Morgen will ich mal testen, wie belastbar mein Enkel ist.
    Nur weiss ich noch nicht, ob ich ihm Wander- oder Tanzschuhe in Größe 24 kaufen werde.
    Habe kurzfristig Urlaub und fliege Morgen für 3 1/2 !!! Tage nach Thassos …….
    (ich weiss – ökologisch untragbar und auch nicht gerade dienlich der Emanzipation von der Familie), aber das Meer lockt. ( und Ben).
    LG ……………… Marga

  5. ….. ja der Kostas…ich erinnere mich gut…..und immer wieder verkauft er sein letztes Olivenoel, seinen letzten Tzipouro und sein letztes Glas Oliven….und man freut sich weil man die Auserwählten sind ;-)) Wir hoffen, er ändert sich nie 🙂

    Gruß Schalimara

    (die irgendwann auch wieder nach Thassos will)

  6. Noch ein Nachtrag zu den Bildern aus dem Beinhaus, aus Göran Schildts “Dianas Ö” (Mein Leben auf Leros) (1976): Schildt hat jahrelang auf der Insel gelebt und am Alltag der Nachbarn teilgenommen, was er mit Wärme und schwarzem Humor beschreibt.

    Irgendwann nimmt er auch dem Ritual in der Friedhofskapelle teil, wo die Reste einer Nachbarin nach vier Jahren aus ihrem individuellen Grab feierlich ins Beinhaus überführt werden. Die Messe an einem kalten Wintertag dauert ewig, wie immer. Auf dem traditionellen Totenkuchen, dem kolivo, ist der frischgewaschene Schädel drapiert. Er ist dekoriert mit einem Basilikumsträußchen, der lose Unterkiefer ist mit einem Seidenschal festgebunden, und die leeren Augenhöhlen starren die schwarz gekleidete Gesellschaft an. Am Ende kriegt jeder ein Stück vom Kuchen. Schildts Frau Christine beißt einmal hinein und muß sofort raus zum Kotzen. Schildt ißt alles auf, braucht aber dringend einen Kognak für den revoltierenden Magen: “Wir zimperlichen Nordeuropäer können uns eben erst nach Jahren an den vertraulichen Umgang gewöhnen, den der Grieche mit dem Tode hat.”

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