Annäherung an Samothrake – 1876 / 2021 Teil 2

< ZURÜCK ZU: ANNÄHERUNG AN SAMOTHRAKE – 1876 / 2021 Teil 1

.

Treffpunkt Alexandroupolis. Warten auf die Inselfähre.

Es lohnt sich, die Vermittlungsagenturen wie booking zu ignorieren, wenn man ein Quartier auf Samothrake sucht. Katharina fand im Internet-Abseits die Villa Maria in Kamariotissa,
direkt an der Uferstraße. Große schattige Terrasse mit Blick auf den Sonnenuntergang. Die Villa Maria ist so grün überlaubt, daß man das Gebäude höchstens im Winter fotografieren kann:

.

Aber den Sonnenuntergang gibt es im ganzen Jahr. 🙂 Am Horizont der Berg Athos:

.

Ich hatte nach der Abreise die Samothraker „wortkarg“ genannt. Katharina amüsierte sich darüber: „Hast du die täglichen Dauerpalaver von Marias Familie und Nachbarschaft vor deiner Zimmertür vergessen?“

.

Maria klopft mit dem Stein feine Risse in das Fruchtfleisch der Oliven. Die aufgeplatzten Oliven werden danach einige Wochen in einer Salzlake eingelegt. Das Salz kann in diese Risse gut eindringen.

.

Jeden Tag gab es kleine Geschenke für die Gäste. In Sirup eingelegte Sauerkirschen oder Bergamottefrüchte, frisches Obst, Kuchen (aus dem Supermarkt, verraten Sie Maria bitte nicht, daß wir den häufig an die Ziegen verfüttert haben …) und auch mal selbstgebackene Reibekuchen.
Da vertrat sich gerade Katharina die Beine auf der Uferstraße und mußte sich später mit den übriggebliebenen kalten Resten zufriedengeben.


Am zweiten Tag übernahmen wir das Auto. Zuerst die Nordküste, erstes Ziel Paleopolis. Dazu habe ich leider nichts zu sagen. Das mit meinen Knien habe ich ja schon erwähnt …

Und die Siegesgöttin Nike ist ja überall anzutreffen. Hier im Bergdorf Prophitis Ilias:

.

Und unser zweites Ziel? Den Weg zu den Fonias-Wasserfällen schaffte Katharina besser alleine. Ich habe nach hundert Schritten aufgegeben, da mußte man über einen schmalen Nebenlauf des Baches springen.

.

Mir blieb ein Spaziergang in der Ebene zur Ruine des Fonias-Wachturms – dort wo die Brandung auf den Kieselstrand trifft. Das war auch nicht zu verachten:

.

Mit welcher Mühe und mit welchen bescheidenen Mitteln diese Bauwerke früher errichtet wurden:

.
.

Der Schatten der Bäume um die Terrasse der Fonias-Taverne war jedoch attraktiver als die historische Bausubstanz am Strand. Eine Waldgaststätte, wie in den Vorbergen des Schwarzwalds …
Aber Forellen gab es hier keine. Der Salat war großzügig bemessen, reichte für zwei. Weiter nach Osten, zum Ende der Straße am Kap Kipos. Ab und zu rechts abbiegen, um einen Blick auf die Streusiedlungen von Therma oder Ano Meria zu werfen.

Therma war an einem der folgenden Tage noch einen längeren Besuch wert.

.

Therma, die überdimensionierte Verbindungsstraße zwischen Ort und Hafen.

Allerdings ist Therma der unattraktivste Platz auf der Insel. Ein planlos hingebauter Haufen von Betonbuden, oft mit Privatzimmerangeboten an der Wand, oft außerhalb der Saison unbewohnt und von verwilderten Gärten umwuchert. Dämliches Graffiti, überall wo eine freie Fläche zu finden ist, gerade volljährige blasse Neo-Hippies mit Rucksack und Thermomatten, zwei Campingplätze, ein völlig boots- und menschenleeres Betonrechteck als „Hafen“, eine überbreite Zugangsstraße, die in der Hochsaison wohl als Parkplatz mißbraucht wird. Der schönste Platz ist der Friedhof. Der Friedhof? Ja, nicht alles heilt die Heilquelle …

Franz von Löher hat Therma und Umgebung im Jahre 1876 noch anders gesehen:

Löher ritt damals über das langgezogene flache Küstengebiet an der Nordküste, wo heute eine bequeme Straße an ihrem Ende im Südosten ins Nichts führt:
„Dieser Streifen Landes, nur ein paar tausend Fuß breit, wie werthvoll mochte er im Alterthum sein, als er mit blühenden Städten besetzt war! Noch vor fünfzig Jahren müssen hier Ortschaften gestanden haben. (…) Jetzt dienen diese blühenden Gefilde bloß dazu, einigen hundert langhaariger Ziegen und Schafe und ein paar Rindern und Pferden üppige Weide zu gewähren. (…) Treibholz, Baustücke, ganze Bäume, losgerissen drüben in Thrazien, waren von den tosenden Stürmen hoch aufs Land geschleudert.“

Löher nähert sich Therma:
„In diesem (Bachtal) ritten wir ein paar hundert Schritte hinauf, und als die Wegspuren ans Ufer leiteten, sahen wir drei oder vier Zweighütten stehen im Schatten hoher Platanen. Da lagen auf Teppichen ein schwerfälliger Kaufmann aus Gallipoli, der die Beine kaum bewegen konnte, eine alte Frau, die man tragen mußte, und eine junge blasse, de eben aus dem Bade kam, lag noch ganz eingewickelt. Neben ihr stand ein Mann auf Krücken, und auch ein armer bleicher Knabe humpelte herbei. Der Kaufmann hatte Bedienung, und die anderen hatten Angehörige bei sich. (…) Es war ein fröhliches Waldleben in tiefer Einsamkeit. (…) Die Heilquelle selbst ist sehr stark, fast kochheiß, und schmeckt wie gesalzene Fleischbrühe.

Es gibt noch mehrere solcher Quellen im Wald. Wenn man heute ins Kurhaus will, muß man vorher einen Termin ausmachen. Löher steigt querfeldein hügelaufwärts, findet eine verfallene Kirche mit einigen Mauerresten. Das, was vom Christos-Kloster übriggeblieben ist (ist heute über eine Schotterpiste zu erreichen). Zurück in Therma, „hatten die jungen Mädchen Kirschen und andere Früchte gebracht“. Er läßt die Mädchen durch sein Fernglas schauen. Der Blick hindurch hat sie mehr erschreckt als erfreut.

Löher segelt an der Südküste der Insel entlang, Richtung Imbros. Die Fallwinde vom Land machen es schwierig, den Kurs zu halten:
„Wir kamen, wie man sagt, mit Hängen und Würgen um das Kap Malathria herum und sahen den Auslauf des Xeropotamus. (…)  Von hier wiederum eine gute Stunde weiter bis zum Kap Ammos, werden die Oelbäume schon sehr spärlich.“

Hier irrt sich Löher. Oder meine Insel-Karte. 🙂  In der Nähe der Mündung des Xiropotamus gibt es kein nennenswertes Vorgebirge. Das Kap Malathria liegt unmittelbar im Osten der Bucht von Pachia Ammos (siehe erstes Foto im Teil 1). Von dort Richtung Osten grenzt das unzugängliche und weglose Naturschutzgebiet ans Meer. Wer dort baden will, muß ein Boot haben. Löher sieht vom Schiff aus „eine entsetzlich graue Berg- und Felswüste“, Spuren von Oleander in den Schluchten und niedriges  Eichengebüsch an steilen Felswänden. Gemsen oder Steinböcke sollen in dieser Wildnis leben, hat er gehört. Eher sind es wilde Ziegen …

.

Pachia Ammos ist der abgelegenste, aber breiteste und längste Sandstrand der Insel. Der einzige Sandstrand sogar. Die kurvige Straße dorthin hat unzählige Bodenwellen. Sie ist wahrscheinlich unpassierbar, wenn die winterlichen Regenfälle sie an diesen tiefen Stellen überschwemmen. Man sieht fast kein einziges Haus.
 Wir erlebten in Pachia Ammos das Saisonende. Die Sonnenschirme waren schon eingesammelt, gerade wurde die Strandbar zerlegt und winterfest eingelagert.

.

Die Pachia Ammos Bucht, Blick auf Imbros

.

Noch ist Nicolas‘ Taverne und Cocktailbar geöffnet. Nicolas, der Wirt, begrüßt uns mit Überschwang. Die Strandbewirtung ist sein Monopol. Wir sind allerdings die einzigen Gäste in der Taverne, und die junge Frau, die uns das Essen bringt, ist nur ein Stammgast. Ihr Vater ist aus Madagaskar, ihre Mutter aus Brasilien, sie lebt seit Jahren in Italien und seit einigen Monaten auf Samothrake. Das erfahre ich später in der „Cocktailbar“. Sie kann kein Portugiesisch, im Gegensatz zu Nicolas, der zehn Jahre in Brasilien gelebt hat. Ihr gesprochenes Griechisch ist schon gut, aber beim Lesen der Schrift hat sie noch Probleme. So komme ich zum ersten Mal in Griechenland an ein alkoholfreies Bier. Aus Versehen. Hat sogar geschmeckt, im Gegensatz zu den Sardinen …
Die Taverne hat schon keine kalten Getränke mehr, jede Bestellung muß einzeln aus der Cocktailbar heraufgebracht werden. Am letzten Tag verlange ich in der Cocktailbar nach einem Ouzo. Ouzo …? Der muß aus der Taverne heruntergebracht werden …

Ach so. Eine Empfehlung für eine Taverne auf der Insel kann ich auch geben. Das „Akrogiali“, ein Fischrestaurant direkt am Meer, in der Nähe von Lakkoma.
Der Oktopussalat mit Meeresfenchel, schwarzäugigen Bohnen und grünen Zwiebeln ließ Katharina vor Behagen auch in ein (Lak)koma fallen 🙂 :

.
.

Und fast überall gibt es noch diese wunderbaren handgeschriebenen Rechnungen – von
denen das Finanzamt wohl nichts erfährt:

.

Noch ein letzter Blick auf unsere Straßenkarte. Die von mir blau markierte Stelle zeigt bei Alonia ein nicht gekennzeichnetes militärisches Sperrgebiet. Seien Sie vorsichtig, sowas gibt es auf den Inseln im Grenzbereich zur Türkei überall.

.

Katharina wollte dort ein altes Kloster sehen (Aghios Athanasios) und fotografieren. Doch die Uniformierten sind wachsam und hypernervös. Zehn Minuten brauchte der herbeigerufene Streifenwagen der Inselpolizei. Brachte Katharina einen Besuch auf der Wache in Kamariotissa ein, wo unter Aufsicht drei ihrer Fotos gelöscht wurden. (Das darf nur die Polizei, nicht das Militär.) Im Zeitalter der Kameradrohnen und der unmittelbaren Zusendung von Fotos und Videos an ferne Mailadressen ein blödsinniger Vorgang. Reine Paranoia. Die den Uniformierten aber die Langeweile vertreibt.
Komisch, Katharina hatte drei solcher Polizeikontakte, auf Samothrake, Limnos und Aghios Efstratios. Halb Limnos ist scheinbar Sperrgebiet.
Mich haben sie immer ignoriert. OK, auf Limnos mußte ich einmal meinen Personalausweis vorzeigen und mein Mobiltelefon. Aber ich fotografiere praktisch nie mit dem Ding … und nach meiner Kamera hat keiner gefragt. 🙂

Löhers letzter Blick auf Samothrake läßt das Kap Kipos erkennen:
„Wir umfuhren den Kippos, auch Kephali genannt, die äußerste östliche Spitze der Insel, wie das Akrotiri die westliche ist. Wie eine scharfe Felsennase streckt sich der Kippos weit vor ins Meer.“

.

Heute kann man Kap Kipos auch mit dem Auto erreichen. Die Frage ist: Wie lange wird es dauern, bis die Brandung den letzten Rest dieser Küstenstraße weggefressen hat?

WEITER MIT:
> ANNÄHERUNG AN LIMNOS – 1 – MIRINA
> ANNÄHERUNG AN LIMNOS – 2 – DER SÜDEN
> ANNÄHERUNG AN LIMNOS – 3 – DER NORDEN
> ANNÄHERUNG AN LIMNOS – 4 – DER NORDOSTEN

< ZURÜCK ZU: ANNÄHERUNG AN SAMOTHRAKE – 1876/2021 TEIL 1

< ZURÜCK ZU: HERBST 2021 – SAMOTHRAKE, LIMNOS, ANDROS
< ZURÜCK ZUR STARTSEITE

One comment

Leave a comment