Zu Fuß: Katavati Vathi

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Am Weg, das ehemalige Taxiarchis Skaphis Kloster
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Zum zweiten Mal durch das Tal zwischen Platia Rachi und Profitis Ilias. Ein Mai-Sonntag, mustergültiges Frühsommerwetter. Ich träume vor mich hin, rote, weiße, gelbe Blüten bei jedem Schritt bis zum Knie … ganz plötzlich hinter mir unartikulierte Laute, die das Echotal sofort zu einem vielstimmigen Chor verstärkt. Ich fahre erschreckt herum. Um die Biegung galoppiert ein Bauer auf einem kurzbeinigen Eselchen, vor sich hat er noch vier Milchkannen an die Schultern den Tieres geschnallt. Er jodelt, schnalzt, singt, tremoliert, wie immer man das nennen will. Es echot noch heftig von der anderen Talseite, als er mich erreicht. “Monastiri? Vathi?” will er wissen, während er sich an mir vorbeidrängt. Er hat den Esel nur um einen Gang heruntergeschaltet. “Vathi!” “Ah!” nickt er, und schon ist er weg, durch die Büsche, weiter jodelnd. Der Esel zuckt mit dem Schwanz dazu, hin und her, wie mit dem Taktstock.
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Lebensfreude in voller Fahrt. Früher, als ich bei meiner ersten Griechenlandreise die ersten Bauern auf Eseln gesehen habe, da waren die Bauern noch zwanzig Jahre älter als ich, heute sind sie zwanzig Jahre jünger, denke ich. Etwas später habe ich die Weggabelung erreicht: Vathi links. Inzwischen ist es ruhig im Tal. Kurz hinter dem Abzweig steht ein Wassertank. Da sind sie wieder. Der Turbo-Esel steht da, von seiner Last befreit, den Kopf immer noch starr vorgereckt, nur seine Ohren zucken. Die Kannen am Boden, der Bauer im Schatten hingestreckt daneben. Er winkt lässig. Ob ich von Vathi aus mit dem Bus zurück will, wo ich denn wohne, ah, in Apollonia, ist es schön in Apollonia? Wir kommunizieren im besten Substantiv-und-Gesten-Griechisch-Englisch, bis seine Neugierde befriedigt ist. Dann wünscht er mir noch einen Guten Weg, und ich steige den Zickzackweg hoch zur Aghios Efstratios Kirche. Ich habe ja nicht vor, den kürzesten Weg nach Vathi zu nehmen!
(Kartenskizze am Ende der Seite!)
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 Die Kirche des heiligen Stathis scheint Wundergläubige anzuziehen. Der Heilige scheint ja so einiges bewerkstelligen zu können, gemessen an der Auswahl der diversen Blechplättchen. Selber hat Eustratios ja eher etwas Pech gehabt mit seinem Schicksal, im Jahre 296 ist er unter Diokletian noch verbrannt worden für seinen Glauben. (Halt – hier habe ich alter Heide die Heiligen Efstathios und Efstratios / Eustratios verwechselt, MartinPUC hats gemerkt, siehe unten im Kommentar die Berichtigung!) Und nur fünfzehn Jahre später, im Jahre 311, hat der Kaiser Galerius … ja der mit dem noch heute stehenden Galeriusbogen in Thessaloniki … mit seinem “Toleranzedikt” die Christen-Verfolgungen beendet …
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Von der Kirche aus schaue ich hinunter ins Tal. Nun höre ich ihn wieder, meinen Bauern. Mit dem, was ich für “unartikulierte Laute” gehalten habe, dirigiert er gerade seine Schafe – wie ein Dompteur im Zirkus! Er lockt sie aus ihren Verstecken, er reiht sie hintereinander auf, sie verschwinden brav in ihrem Stall, wahrscheinlich zum Melken … faszinierend, und alles ohne Zwang und Gewalt, nur mit einem bestimmten Spektrum von Tönen!
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Der Schafe-Dirigent steht in der offenen Stalltür, und wendet uns den Rücken zu. Während er jahrhundertealte Traditionen in der Praxis anwendet, wende ich mich selbst der versteinerten Vorgeschichte zu. Nicht so aufregend, meine Exkursion. Oberhalb von Aghios Efstratios findet man die mykenische Akropolis von Sifnos, Aghios Andreas, eine vor kurzer Zeit sorgfältig herausgeputzte Ausgrabungsstätte, auf der allerdings für den Laien nicht allzuviel zu sehen ist. (Die Panorama-Aussicht ist jedoch großartig …) So soll es mal oben auf dem Hügel in der Bronze-Zeit ausgesehen haben, vor 3300 Jahren:
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Und das ist davon geblieben:
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Es gibt ein kleines Museum, das der einzige Angestellte für mich aufschließt. Man kann über den Resten der Ausgrabungen auch leicht melancholisch werden, so lange jedenfalls, bis die ersten Sonntagsausflügler aus Athen kommen, mit ihren Mobiltelephonen und ihrer Unfähigkeit, auch nur mal zehn Sekunden die Klappe zu halten.
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Von der Akropolis am Aghios Andreas Hügel aus gibt es zwei Fußwege nach Vathi. Ich habe den längeren, den nördlichen, genommen, der zunächst 2,5 Kilometer lang dem einzigen Fahrweg des Naturschutzgebietes folgt (auf der anderen Seites des Tales, am Taxiarchis-Skaphis-Kloster, sieht man jedoch auch einen alten Fußweg). Der Fahrweg, er geht immer tendenziell leicht aufwärts, ist aber sehr angenehm zu laufen:
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Es wäre nur wünschenswert, daß er ganz am Anfang mit einem Gatter gesperrt würde. Hier soll man ja nur reinfahren, wenn man ein besonderes “Anliegen” hat. Naja, Wunschdenken … ist immerhin schon erstaunlich, daß für das NATURA 2000 GR4220008 Naturschutzgebiet fast ein Viertel der Insel gesperrt wurde! 19 geschützte Pflanzen- und Tier-Arten existieren hier. Daß man dieses Wacholder-Heideland tatsächlich den Leopardennattern, Milosvipern, Nacktfingergeckos und Zugvögeln überlassen hat, daß der Zugang fast überall nur auf zwei oder vier Beinen möglich ist, ist schon was besonderes! Die knapp zehn Prozent des Gebietes, die landwirtschaftlich genutzt wurden, werden auch weiterhin genutzt, aber auch nur in traditioneller Weise.
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Oben, wo man an der Paßhöhe ein paar solcher Nutzflächen findet, muß man die Augen aufhalten. Irgendwann geht es ganz unvermittelt links ab. Ab jetzt kommen nur noch ganz schmale Fußwege, und die Hinweisschilder sind rar:
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Die Schilder, unterarmlang, befinden sich gewöhnlich in Kniehöhe.
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Aber die Aussichten über das Gelände, das sich zum Meer absenkt, sind großartig:
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Es ist zwischendurch nur ein kleiner Umweg zur Aghios Nikolaos Kirche:
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Aber der Umweg lohnt sich vor allen Dingen wegen der schönen Aussicht auf das Tagesziel – die Bucht von Vathi:
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Dummerweise bin ich etwas zu nahe an die Mauer herangegangen. Es hätte ja sein können, daß die Perspektive da noch ein bißchen besser war. Es eröffnete sich leider eine ganz andere Perspektive:
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Ja, offensichtlich ist das wilde Müll-Abkippen in Griechenland immer noch nicht ausgestorben. Sieht so aus, als hätten wir hier die Reste der letzten Panagyri-Feier(n) vor uns. Ab über die Mauer, aus den Augen, aus dem Sinn …! Hat sich schon jemand drüber aufgeregt? Ich schlage das Gästebuch in der Kirche auf, rein zufällig auf der Seite vom 06.05.2010:
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Na sowas, MartinPUC aus München hat da seinen Besuch dokumentiert. Ich hatte seine Sifnos-Berichte vor meiner Reise gelesen, kann mich aber nicht erinnern, daß er über den Weg Katavati-Vathi geschrieben hätte … mal hinter die Mauer geschaut oder nur auf die Bucht und die fernen Inseln, Martin? (Nee, kein Mensch schreibt im Gästebuch was über den Müll, alle sind nur entzückt über die Idylle hier.)
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Von Aghios Nikolaos abwärts herrscht vorübergehend Wege-Anarchie. Egal. Hauptsache, man erreicht nach ein paar hundert Metern wilder Ziegenpfade dieses Gatter in einem ziemlich massiven, unüberwindlichen Zaun:
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Der Rest ist geschenkt, orientierungsmäßig. Immer abwärts, viele lose Steine. Also Vorsicht, trotz der Vorfreude aufs Ziel. Halb fünf. In Vathi wartet die To Tsikali Taverne, unter den Bäumen, neben dem Taxiarchis Kloster am Strand …
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… die hat sogar Fix-Bier, für wandelnde Fix-Fans aus München, die sich in Gästebüchern verewigen …! Und Mineralwasser aus Kreta. Der Wirt bietet mir auch sofort ein Bier an. Ich bleibe jedoch beim Wein (mit einem Riesen-Souflaki dazu), sitze am Tisch im Sand, und lasse den letzten Bus fahren. Abends, wenn langsam die Sonne sinkt, ist es hier am schönsten, das sagten Cornelia und Rosemarie (die hier wohnt) doch auch …
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Am Tisch neben mir eine größere parea von Griechen mit Kleinkindern. Sonst ist alles ruhig. Zwei Jungs, vier oder fünf, die am Wasser spielen, ein Mädchen mit Will-ich-auch-Augen. Für die Jungs ist ein Riesenstapel frische Wäsche da. Natürlich sind sie ständig dreckig und naß, die jungen Strandhelden, und schon kriegen sie was Frisches angezogen … aber jedesmal, wenn die kleine Maria auch nur in die Nähe des Wassers kommt, kriegt ihre Mutter einen hysterischen Anfall … armes Kind.
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Mariaaaa …!!!
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Der Taxifahrer aus Apollonia, der mich um halb sieben an der Bushaltestelle am Ortseingang einsammelt (Vathi ist autofrei), ist ganz ungriechisch superpünktlich. Besser so. Apostolis hat für heute Revithada angekündigt, Kichererbsensuppe, einen Riesenteller, mit ordentlich Olivenöl, hat die Oma gekocht, und man darf nicht zu spät kommen, die Eintopfgerichte sind immer schnell ausverkauft …
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4 comments

  1. Gleich ein Nachtrag (Eine mail von Katharina von heute, die mal wieder genauer hingelesen hat als ich … 🙂 … ich zitiere mit allen Betonungszeichen (ist ja wichtig):

    “Hallo Theo,
    du hast recht, Martins Texte sind manchmal schwer zu lesen – vor allem wenn man dort noch nicht gewandert ist – aber hier schreibt er (unter Sifnos – eine ganze Woche):

    “Ágios Nikólaos t’Aeriná. Der Heilige Nikolaus in luftigen, windumtosten Höhen. Im Kircheninneren liegt ein Buch aus, in das sich Besucher eintragen sollen. So hinterlasse ich später Vorbeikommenden eben meine schwärmerischen Augenblicksbemerkungen.
    Geht man, wieder außerhalb des kleinen Gebäudekomplexes, vor bis an die Plateaukante, blickt man aus großer Höhe hinunter auf die herrlich anzusehende, fast kreisrunde Bucht von Vathí und hinaus übers Meer Richtung Kímolos, Mílos, Políegos, Folégandros, Síkinos und bei klarem Wetter auch Richtung Peloponnes und wähnt sich dort oben so richtig abgehoben in einer fernen Inselgegend, die nur zu Fuß erreichbar ist, oder für Fußlahme neuerdings auf der Straße bzw. dem Feldweg (das erste Stück ist bereits geteert), die/der bei der kleinen Kirche Panagía t’Anemordhíli von der Straße Apollonía – Vathí in nordwestlicher Richtung abzweigt. Doch bis zu diesem heiligen Platz ist zum Glück noch kein Feldweg vorgeschoben.”

  2. Martin PUC bei In-Greece 05.07.2011: “Niemand von uns ist perfekt, und meine Anmerkung soll bitte nicht missverstanden werden.
    Aber der liebe Schuft namens Theo hat da ganz wagemutig zwei griechische Heilige in ein und denselben Topf geworfen: Efstrátios (Kurzform: Strátis, Namenstag: 13. Dez.), der heißt bei Theo “Eustratios”, und Efstáthios (Kurzform: Státhis, Namenstag: 20. Sept.).
    Siehe den Bericht “Zu Fuß: Katavati – Vathi”. Das sind, wie gesagt zwei ganz unterschiedliche Namen und Schicksale!
    Theo muss also unbedingt seine Ausführungen über Eustratios und den bösen Diokletian rausnehmen, da es sich um eine ganz andere Person haldelt als bei Efstáthios.”

    Also, Martin, ich zitiere:
    “Efstathios war ein römischer Soldat, der während der Regierungszeit von Kaiser Trianus lebte. Sein Name war Plakidas. Eines Tages wird er für die Jagd war Hirsche, wenn er einen mit einem Kreuz auf dem Kopf sah. Er hörte eine Stimme rufen ihn die christliche Religion anzunehmen. Er glaubte an Gott und ließ sich taufen Christ namens Efstathios. Sein Name hat außerdem die Religion und nahm den Namen Theopisti. Als der Kaiser davon erfuhr Efstathios entfernte er ihn aus seiner Stellung in der römischen Armee und schickte ihn ins Exil. Wenn Trianus geriet in ernste Schwierigkeiten mit den Feinden Roms rief er Efstathios zurück, wohl wissend, dass er ein sehr kompetenter Soldat war. Efstathios Tat half ihm und seiner Position wiederhergestellt wurde. Als Hadrian den Kaiser von Rom wurde, fragte er Efstathios an die heidnischen Symbole wieder zu beten, aber er verweigert. Efstathios und seine Familie wurden zu Tode gefoltert. Die griechisch-orthodoxe Kirche erklärte ihn und seine Frau Heiligen, feiert Efstathios Namenstag am 20. September.”
    google-übersetzt aus: http://www.greek-names.info/efstathios/

  3. Aghios Nikolaos Kirche
    von da an berg ab na wir haben uns auf jeden fall schön verlaufen und landeten in der machia……
    zum glück kam dan ein d paar das hier im sommer wohnt und die nahmen uns mit nach unten

  4. Unterhalb von der Kirche, das ist der schwierigste Teil des Weges.
    Ich hoffe, es gibt wieder schöne Fotos davon! (Oder war das mit dem Verlaufen gar nicht in diesem Jahr?) Waren deine Pläne nicht: September Syros …?

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