Ermoupolis, Odos Apollonos 28

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Oben: Das Mytaras-Haus, Odos Apollonos 28, am 29.05.2015, um 23:30. Das Haus ist provisorisch neu verputzt, der Erker links ist neu abgestützt, damit er nicht abstürzt.
Unten ein Foto vom Zustand des Erkers im Mai 2013. Einmal Husten im Vorbeigehen, eine Fehlzündung beim Vorbeifahren, und es ist vorbei:
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Es waren die in der äußerst umfangreichen Dokumentation des Athener Melissa-Verlages herausgegebene Buchserie “Griechische Traditionelle Architektur”, die mich für die griechische Geschichte und volkstümliche Architektur der Neuzeit begeisterte. Die Serie erschien im Laufe der Jahre 1980 bis 1990, in griechischen, englischen und deutschen Ausgaben.

1983 erschien der 2. Sammel-Band der Ausgabe, mit einem langen Kapitel über SYROS. Die Stadt Ermoupolis auf Syros steht explizit für die Architektur der Zeit nach der Befreiung vom
Osmanischen Reich. Syros blieb im Freiheitskampf neutral. Hier wurden von wohlhabenden Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten repräsentative Stadtvillen errichtet.

Über die Architekten der Privathäuser dieser Zeit ist wenig bekannt. In der Regel wurden
griechische Wohnhäuser oft nicht von Architekten mit akademischem Niveau, sondern von lokalen Baumeistern errichtet, die aus der Tradition und Erfahrung gelernt hatten, die die Gesetze lokaler Werkstoffe kannten und ihr Wissen oft mit neuen Ideen verbanden. In Ermoupolis wurden öffentliche Bauten von Architekten aus dem europäischen Ausland gebaut (Ziller), da konnte man als neugieriger Baumeister auch gut etwas kopieren …

Es war dieses Haus in Ermoupolis (Odos Apollonos 28), das mir sofort auffiel … das Mytaras-Haus. Es ordnete die traditionelle Art zu bauen (zweigeschossig, Stein unten und Fachwerk oben) auf großzügige Weise neu, fügte sich aber überhaupt nicht ein in den Rest der “städtischen” Bauflucht der Straße (vielleicht hat es ursprünglich frei gestanden):

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Melissa “Griechische Traditionelle Architektur”: Syros (1983)

Das Haus war eines der ersten, nach denen ich Anfang der 1990er Jahre in Ermoupolis suchte. Ja, es stand immer noch, es war verlassen und verrammelt, und wurde nur provisorisch vor dem Zusammenfall geschützt. Einen neuen Eigentümer oder Bewohner hatte es nicht gefunden. Es liegt zwar in bevorzugter Lage, ist aber von Neubauten eingezwängt und ohne die beliebte “Meer-Aussicht”, die andere Bürgerhäuser im Ort so interessant macht.

Hier, von mir mitten in der Nacht gesehen … faszinierend, sich vorzustellen, da oben hinter den großen Bogenfenstern zu wohnen:

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Noch bei meinem Besuch auf Syros ( Mai 2008 ) hatte sich gar nichts geändert. Lediglich der Zustand des Hauses war wieder etwas schlechter geworden. Inzwischen müssen Fußgänger vor herabfallenden Dachziegeln und Holzteilen geschützt werden. Und man würde einen Lottogewinn brauchen, um auch nur den Versuch zu starten, daran etwas zu ändern:


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Es ist ein Haus der damaligen “neureichen” Bürger dieser Stadt, die erst im 19. Jahrhundert entstand. Zum Verständnis der Geschichte der Bürger von Ermoupolis und Syros hat Ludwig Ross bei seiner Inselreise 1835 folgendes notiert (Text von mir auf Internet-Lesbarkeit gekürzt):
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Dort, wo jetzt die zweite, oder vielmehr, wenn man auf das eigene, innere Leben und die selbständige Kraft sieht, die erste Stadt Griechenlands sich terrassenförmig am Meeresstrande sich erhebt, standen beim Ausbruch der Revolution nur einige wenige Schuppen und Magazine am Ufer. Die alte hellenische Stadt, von der jetzt aber durch die vielen Neubauten fast jede Spur verschwunden ist, hatte freilich an der selben Stelle (…) gelegen. Die Bewohner der Insel hatten sich aus Furcht vor Piraten und anderen feindlichen Überfällen auf einen hohen und steilen Felsenhügel eine Viertelstunde vom Ufer zurückgezogen. (Ano Syros)

Nach der Zerstörung von Psara und Chios waren es vorzüglich die unglücklichen Flüchtlinge von diesen Inseln, welche sich hier niederließen. (…) Diese erbärmliche Niederlassung wurde ein Hauptmarktplatz der von den Piraten und Capern aufgebrachten Waren, ein Hauptsitz der Falschmünzerei und anderer unrühmlicher Gewerbe, und aus diesem verworrenen Getriebe erwuchs inmitten des Kriegs, des Seeraubs und der feindlichen Geschwader im Verlauf weniger Jahre eine wohlgeordnete blühende Handelsstadt, von friedlichen Kaufleuten und Schiffern bewohnt, deren Verbindungen sich bereits über vier Weltteile erstreckten, und deren Zölle eine der Haupteinnahmen des jungen Königreichs bildeten.

Neben manchen stattlichen, solid gebauten Häusern stehen noch viele Baracken jener ersten Ansiedlung, und die Straßen, wenn gleich ziemlich wohl gepflastert und reinlich, sind eng und krumm. (…) Auffallend ist es, daß eine von 11.000 Menschen bewohnte und von so vielen Fremden besuchte Stadt noch keinen ordentlichen Gasthof besitzt; denn die sogenannte Locanda nuova, welche man uns als den besten Gasthof anwies, darf sich nicht mit der schlechtesten deutschen Dorfschenke vergleichen.”

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LITERATUR: “Hermoupolis – The creation of a new city on Syros at the beginning of the 19th century”, von John Travlos und Angeliki Kokkou, übersetzt ins Englische von David A. Hardy, Verlag der Commercial Bank Of Greece, 1984
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3 comments

  1. 2015 = nur 2 Tage in Ermoupoli: Inzwischen werden am Mytaras-Haus Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, um traditionelle Bauteile zu erhalten und die weitere Zerstörung aufzuhalten. Ob das Haus in absehbarer Zeit doch durchgehend und gründlich restauriert werden soll, konnte ich in der kurzen Zeit nicht erfahren.

  2. Hallo Theo,
    Wir waren gestern bei dem Haus. Ganz so verfallen, wie das Bild von 2008 schaut es nicht mehr aus.
    Unser Vermieter in Finikas, der uns durch Ermoupolis führte, sagte es gehört einem seiner Verwandten und ist das einzige (letzte) Haus mit türkischer Architektur. Nur halt leider viel zu kostspielig es zu renovieren. Er hätte sogar Mal drin gewohnt – sehr schön, ebenfalls mit Marmorboden.
    Schönen Gruß
    Simone

    PS: Deine Syros Geschichten sind toll.

  3. Hallo Simone, ich habe oben noch das letzte Foto eingefügt, das ich 2015 von dem Haus gemacht hatte. Im Mai 2017 hatte sich kaum etwas verändert.
    Hat euer Vermieter, als er in dem Haus gewohnt hatte, seine Wohnung vielleicht mal fotografiert? Man kommt ja heute nicht hinein in das Gebäude.

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