Jorgo Bailas Taverna

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Jorgo Bailas

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Man sieht am Ermoupolis-Hafen das Gesicht des Taxifahrers im Spiegel: Oh Gott … nach “Jorgo Bailas” haben die Leute verlangt, oder sie haben “To Koutouki Tou Limperi” buchstabiert, und sie sind Touristen … wenn das mal ohne Ärger ausgeht!
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Jorgo Bailas Taverne lag im Süden von Ermoupolis, in Kaminia, auf einem Hügel … ein verschachteltes Viertel aus nichtsagenden Wohnhäuschen, das nur über Treppen und schmale Gassen erreichbar ist. Wenn dann der Taxifahrer am Ende der Fahrstraße zwischen den Häusern anhielt und seufzend versuchte, den Fremden den Fußweg nach schräg-oben zu erklären … und wenn man ihm dann sagte: “Danke, wir wissen schon, wo es ist!” … sein glücklich-getröstetes Gesicht war immer der schönste Beginn einer langen Nacht. (Ja, rauf brauchte man immer ein Taxi … runter ging’s leichter, auch morgens um fünf …)
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20 Uhr. Oh je, wir sind die ersten Gäste. Jorgo wuselt noch hin und her, stellt schon mal eine Blechkanne Wein auf den Tisch. Er ist noch nicht soweit! Aber er freut sich, sein “brother-in-spirit” aus Jermania ist mal wieder da … (der Begriff ist von ihm).
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21 Uhr. Die Einheimischen kommen. Frühestens jetzt. Vielleicht mit Freunden aus Thessaloniki. Vielleicht ist die Hälfte des Ladens auch für ein EU-Seminar reserviert, alles hyperaktive Mädels aus Athen, mit ihrem “coach”, der später eine schwindelerregende Spesenrechnung nach Brüssel verschicken wird ( … äh, das habe ich jetzt gar nicht geschrieben).
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21 Uhr 15. Jorgo kommt mit dem tischgroßen Vorspeisentablett. Zum ersten Mal, zum zweiten Mal, zum zwanzigsten Mal … immer zwölf verschiedene Tellerchen drauf … nehmt, was euch am besten schmeckt, und wieviel ihr wollt. Kalte Mezedes, warme Mezedes aus seinen Backöfen …
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23 Uhr. Frühestens jetzt gibt es das Hauptgericht. Die ersten winken schon ab. Oh je, Jorgo, du warst zu oft mit dem Tablett da … und dann diese Fusionsgerichte … diese butterweich-krossen mit loukaniko aus Jermania gefüllten Blätterteigtaschen … wo hast du das wieder her …? (Teilweise von seiner früheren Frau Meike eingeführt …)
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24 Uhr. Jorgo und die Mädels aus der Küche haben einen freien Tisch im Lokal gefunden. Oder sich irgendwo dazu gesetzt. Ein Riesenkessel wird aus der Küche geschleppt. Das Personal ißt, Heißhunger. Will noch jemand Ziege mit Nudeln? Hol dir in der Küche einen Teller! Nimm Käse!
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00 Uhr 45. Jorgo hat die allerletzten Gäste von der Terrasse reingeholt: Aussicht hin, Aussicht her, draußen ist jetzt Ruhe, basta! Kaminia ist eine stille Wohngegend. Jorgo mischt die Gäste der Tische auf. Jeder sitzt jetzt mal woanders als vorher! Jorgo leitet hier ein Gespäch ein, stellt hier einander Leute vor, Jorgo stimmt seine Gitarre, Jorgo läßt drei Töne auf der Bouzouki hören oder der Baglama … jetzt endlich geht die Nacht richtig los!
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1 Uhr 15. Jorgo hat festgestellt, wer alle im Raum ein Instrument spielen kann. Jorgo hat viele Instrumente, manche Gäste bringen auch welche mit. Mal kommt der “Opernchor” und tremoliert, und der gewöhnliche Griech(innen)chor gröhlt fröhlich “Frangkosiriani” und noch ein paar Dutzend andere Rebetikolieder, die hier jeder auswendig kennt.
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3 Uhr. Ich habe zum dritten Mal auf die Aufforderung “Sing doch mal was Deutsches!” verneint … ich kann ja auch wirklich nichts Deutsches singen, nicht mal die Nationalhymne … Egal. Die Tische werden zur Seite gerückt. Es wird getanzt.
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5 Uhr? 6 Uhr? Feierabend. Zeit abzuräumen. Vierzig Minuten Fußweg zum Omiros Hotel. Runter durch das stille Pünktchenmeer der Straßenlaternen auf den Hügelwellen von Ermoupolis. Immer von einer kleinen gähnenden Haushundbande begleitet … und wenn das Wetter schön war, sah man um halb sechs im Osten das Morgengrauen über den funkelnden Lichtern in den schwarzen Schattenrissen von Mykonos und Tinos …
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Jorgo räumt noch auf, füllt die Spülmaschine. Jorgo hat noch einen zweiten Job. Er kann gleich durchmachen, wenn heute Mittwoch ist. Er wird den Donnerstagmorgen im Finanzamt verbringen. Mittags um zwei fährt er mit seiner Mofa die Mahnbescheide und den restlichen Bürokratiekram zur Post, und dann geht er einkaufen …
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Jorgo Bailas “bürgerlich” … Frühstückspause auf dem Dach des Finanzamtes (Foto aus dem Merian-Band Kykladen von 1995)
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Dreimal in der Woche war das “Koutouki” offen (Mittwoch, Freitag, Samstag), und gewöhnlich war es immer ausgebucht. Bei unserem ersten Mal (Danke für den Tipp, liebe Karla!) waren wir tatsächlich nur sieben Leute, drei Stimmvirtuosen vom Opernchor und ein stillverliebtes Pärchen. Da kamen wir ins Gespräch …
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Am nächsten Tag lud Jorgo “zum Ouzo” ein, nach Hause. Oh je, Ouzo bei Jorgo, das hieß Tonnen von Vorspeisen, und die 1,5-Liter-Flasche auf dem Tisch, oder ein Riesentisch Freunde bei Marinou in Kimi …! Und … wenn es bei Jorgo Ouzo gab, dann gab es nur Ouzo, und keinen Wein! Gesetz!
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Ich habe bei Jorgo niemals bezahlen dürfen. (Nur beim allerersten Mal.) Jorgo wurde fuchsteufelswild und beleidigt, wenn ich es versuchte: “Du bezahlst, wenn ich dich in Deutschland besuche!” Aber … Jorgo reist überhaupt nicht, wenn man ihn nicht zwingt. Jorgo war einmal mit seiner Ex-Frau Meike in Deutschland und … er haßte den nassen, feuchten Norden. Die Rentner, die in der Lüneburger Heide euphorisiert auf die Schafe gezeigt hatten, wie auf Weltwunder. Schafe …! Er würde nicht ein zweites Mal kommen. Ich würde mich nie revanchieren können. Irgendwann wollte ich das nicht mehr, bin dann immer erst nach Mitternacht “auf einen kleinen Wein” gekommen, und unangemeldet.
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Jorgo freute sich, trotz der späten Zeit. Und war jedesmal bitter enttäuscht, daß ich nichts essen wollte. Mißtrauischer Blick: Du hast schon was gegessen? So so. Wo und wieso …?
Was tun? Ich mußte dann trotzdem was essen.
Freundschaft kann schwierig sein … 🙂 …
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Jorgo ist inzwischen wieder verheiratet und hat für drei Kinder zu sorgen. Und die Nächte im “To Koutouki Tou Limperi” gibt es nicht mehr.
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Noch was extra für Katerina … 🙂 :
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6 comments

  1. ” 🙂 ” ist phonetisch unangreifbar und universal transkribierbar!
    ……… 😉 Theo
    Es darf auf dieser Seite auch so gelesen werden:
    Yiorgos, Jorgo, Yorgo, Jorgos, Giorgios, George …

  2. Gerade fällt mir ein, daß ich über den Besuch bei Jorgo(s) im Sommer 2008 noch gar nichts geschrieben habe. War so kurz wie witzig. (Seitdem habe ich aber wenigstens eine Kopie seiner bisher einzigen CD!) Vielleicht schreib ich noch drüber …
    Aber noch ein kurzer, aber unzweideutiger Hinweis darauf, daß Jorgos Taverne inzwischen ENDGÜLTIG GESCHLOSSEN ist!
    Theo

  3. “Yiorgos Baïlas (“To Koutouki Tou Lyberi”, above the big cemetery, high up at Kaminia) was one of the best ‘corners’ in Greece. It opened only on Saturdays (in the old days also on Fridays). In general, one could enjoy there one of the finest home cooking in Greece. It was he who did the shopping, the cooking, the serving, the singing. The use of a past tense is due to the fact that recently this small taverna closed down. Let’s hope that Yorghos will reconsider. He has a fine instinct in food.”
    (Platon Rivellis)
    Und noch eine neue Schreibweise: Yorghos …
    Zitat aus:
    http://photocircle.gr/content/view/78/47/lang,en/
    (04.01.2017: Diese Seite existiert nicht mehr.)

  4. Noch ein später Nachtrag: “I suspect we ate rather better than that as a guest of Jorgos Bailas, a local tax inspector, who runs a restaurant up the hill at the back of Hermoupolis. Jorgos, a big, bearded man who plays the guitar and the bouzouki and laughs a lot, had some difficulty placing us. (…) I don’t know what Jorgos is like as a tax collector, but he’s a grand cook. He made a vast tray of meze. The star was an exquisite little sausage reeking of wild fennel. Jorgos’s view is that you need a lot of meze so that you can drink more. We ate prodigious quantities of meze, and – yes – the pitchers of wine kept coming. Not memorable wine, but certainly plentiful.”
    aus “Nice work if you can get it”, Chris Patten, Independent, 18.12.99

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