Tinos Winter 3 Volax

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Volax Wegweiser
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Volax ist mein erstes Tagesziel in dieser Winterwoche. In Volax soll die zur Zeit einzige offene Taverne im Hochland von Tinos sein, das „O Rokos“. Das muß doch dringend touristisch überprüft werden … 🙂 … und da bietet sich nebenbei ein Spaziergang im Dreieck von Volax und Exembourgo und Falatadhos an (Luftlinien von Volax jeweils 2 km). Und schließlich war ich zum letzten Mal vor zwanzig Jahren oben am Gipfelkreuz von Exembourgo.
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Volax Tinos
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Volax, zwischen haushohen Granitfelsen
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Volax 1841

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Irgendwann zwischen 1834 und 1837 stand hier auch der Geologe Karl Gustav Fiedler auf seiner Studienreise (aus: “Reise durch alle Teile des Königreichs Griechenland”, Leipzig 1841). Fiedler betont, daß “Volax” mit “die Kugel” übersetzt werden darf: “Die Griechen sagen, es sei ein Kampfplatz früherer Riesen, die sich hier mit Steinen beworfen hätten.” (Band II, S. 254) Er hat aber den Weg zum Dorf selbst nicht gefunden, obwohl er dort eigentlich seine Mittagsrast machen wollte …!
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Das Wetter am Montag könnte kaum besser sein, es ist sonnig und klar. Vom Exembourgo-Gipfelkreuz (559 m) aus sieht man im Süden und Westen den weiten Kreis der Inseln (beim Fotografieren hat man nachmittags allerdings volles Gegenlicht). Nach Norden schaut man Richtung Kambos und Tarabados:
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Kambos und Tarabados
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Und das Tal von Volax ist einzigartig. Man kommt sich dort vor wie eine Stubenfliege in einem riesigen Osternest. Wie versteinerte Eier von prähistorischen Riesen-Echsen liegen die unzähligen, bis zu zehn Meter hohen Granitfelsen an den Hängen. Und kein Geologe weiß, wie sich diese phänomenale Felslandschaft gebildet hat. Angeblich gibt es nur irgendwo in Mexiko und in der Nähe von Rethymno auf Kreta etwas ähnliches zu sehen.
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Tal von Volax
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Das Tal von Volax. Die Kapellen bieten den Maßstab für die Größe der Felsen.
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Das winzige Dorf Volax liegt auf einer Hochfläche am Talrand, mitten zwischen grünen Wiesen, auf denen die Ziegen in der winterlichen Mittagssonne ruhen. Und auch in den Wiesen wurden diese gigantischen Granitkugeln durcheinandergekegelt.
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Granitfelsen Volax
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Meterhoher massiver Granit
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War es ein Komet, der das Tal irgendwann „zerschossen“ hat? Lag das Tal mal auf Meereshöhe, hat das Salzwasser vor Millionen Jahren die Granitfelsen gerundet? War es ein Vulkan? Etwas östlich von Volax, bei Peramata, finden sich nämlich Kraterreste.
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Volax Platia
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Die Platia von Volax
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Das Dorf scheint menschenleer. Das „Rokos“ ist zu. Beide Tavernen des Dorfes sind zu. Auf der Mauer neben der Taverne „Volax“ ein paar einsame kleine Körbe. Schlicht gemachtes Haushaltsgerät, nichts Besonderes. Nicht mal eins dieser Körbchen zur Frischkäse-Herstellung ist dabei, leider. (Korbmachen ist hier „Männerarbeit“, da entstehen so kleine Gefäße wohl nicht.) Und klar, etwas Ausgefallenes und Kostspieliges würde man selbst hier in diesem Dorf-hinter–den-sieben-Bergen nicht draußen unbeaufsichtigt herumstehen lassen …
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Volax Körbe
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Körbe, unbeaufsichtigt
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Ziegen Dreschplatz
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Ziegen, auch unbeaufsichtigt, auf dem Dreschplatz
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Andreas Sigalas treffe ich erst am folgenden Tag.
Wohin? Nach Livadha!
Der Taxifahrer nickt, nimmt die Hand vom Steuer und hält sie mir hin: „Andreas!“
Oh, so vertraulich … Andreas ist bestimmt noch keine dreißig. Und seine Familie, die stammt aus Volax, erklärt er.
„Gestern war ich noch in Volax, Andreas!“
Er hört drüber weg. Wo ich denn zu Hause bin?
„Germania …? Ah, Merkelland!“ berichtigt Andreas. Wir müssen lachen. Ich höre das ja nicht zum ersten Mal. Frau Merkel ist in der griechischen Krise so was wie der gemeinsame Blitzableiter. Dabei, Andreas … ich hab sie nicht gewählt, aber Angeliki steht auf Keftedes, das hat ihr „Stammgrieche“ in Berlin, Costas Cassambalis, gerade verraten. Echt volkstümlich, was …?
Zu Fuß geht Andreas nirgendwo hin, aber sportlich ist er, er macht Kung Fu und er spielt Fußball. Am Ende der Fahrt reicht er mir seine Karte. Fürs nächste Mal. Andreas Sigalas, Taxi Driver.
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Florakis Basketweavers
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Alekos E. Florakis: Volaxian Basketweavers. Großvater Andreas Sigalas auf dem Titel. („Basket weaving“ heißt übersetzt: „Korbweben“. Statt Korbflechten. Nett.)
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Abends finde ich im Zeitschriftenladen dieses Buch. Ein Buch über die Korbflechter von Volax. Ich kriege den Mund gar nicht mehr zu: Wie kann man über das Thema „Korbflechten in Volax“ ein so umfangreiches, großformatiges, durchgehend farbig illustriertes und zweisprachiges Buch schreiben? Volax hat gerade mal 50 Einwohner, im Winter davon noch die Hälfte, drei oder vier Dorf-Familien pflegen noch das Handwerk. Das Buch erwähnt Ignatios Charikiopoulos, Yiannis Piperis, Andreas und seinen Sohn Yiakoumis Sigalas, und Antonis, Alekos und Markos Fyrigos. Taxi-Andreas teilt wohl den Vornamen mit seinem Großvater. Wie das traditionell so ist in Griechenland.
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Ob vom Korbflechten jemand leben kann …? Oder flüchten die jungen Leute aus dem Dorf lieber in andere Gewerbe? Zum Beispiel Taxifahren? Das ist ja auch cool, im Gegensatz zum altmodischen Zusammenfummeln von Hohlgefäßen aus Zweigen. (Ich höre gerade von meiner liebsten Oberlehrerin … 🙂 … daß auf Tilos (mit L) der letzte Taxifahrer jetzt die Lizenz zurückgegeben hat. Aus finanziellen Gründen. Vielleicht ist Korbflechten doch ein eher zukunftsweisendes Gewerbe …)
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Korb Benaki-Museum
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Man neigt zum Groben und Nützlichen bei den Korbflechtern in Volax … sie produzieren, was der Bauern-Haushalt eben so braucht. Als Kontrast im Foto ein feingesponnener Korb aus dem Benaki-Museum, nur so.
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Aber … wie hatte Jorgos Bailas, der reiseunlustige Lokalpatriot aus Syros, das noch gesagt, voll ehrlicher Bewunderung: Drüben in Tinos wird alles intellektuell und künstlerisch veredelt …
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Ist was dran. Auf Tinos gibt es sehr viele Privat-Initiativen, die in den Dörfern kulturelle Einrichtungen und Museen für zeitgenössische Kunst errichtet haben. Oder die Panormos-Kunstschule in Pyrgos, die auf Bildhauerei spezialisiert ist. Vieles ist gefördert aus dem Erlös der Stiftung der Wallfahrtskirche. Es gibt eine Veranstaltungsreihe mit klassischem Lied-Repertoire, Arnados Mousiki. Sogar das winzige Volax hat ein gepflegtes Amphitheater, gut geeignet für Konzertvorträge in lauen Nächten, und ein kleines Folklore-Museum!
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Aber alles ist fixiert auf diese drei Monate im Hochsommer! Im Januar steht man überall vor verschlossenen Türen. Erst am Donnerstag nach Ostern gibt es in Volax ein Kirchenfest an der Kapelle der Panagia Kalaman. (Die ist berühmt, weil die auf der Insel allgegenwärtige „Gottesmutter“ in der Kapelle versteckte griechische Flüchtlinge vor den Türken gerettet hat, indem sie blitzschnell einen Wald um das Gebäude hat wachsen lassen, zur Tarnung …)
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Ich habe das Buch über die Korbflechter gleich nach dem Kauf durchgelesen, abends beim Essen bei „Pranzo“ am Hafen. (Kein Wunder, daß hier am Abend keiner sitzt, wo „pranzo“ doch „Mittagessen“ heißt … Grappa hat der Chef übrigens auch keinen.) Pranzo, ein Italiener, wo alle Decken-Lampenschirme aus dünnen Zweigen geformt sind. Aber das Material ist geklebt, nicht geflochten. Anarcho-Design-Leuchter. Im IKEA-Zeitgeist. Mit Energiesparbirnen.
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Ein traditioneller Handwerker würde so was wahrscheinlich nicht mal nach dem Konsum von zwei Flaschen Raki herstellen wollen …
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Alekos E. Florakis (der auch viele andere Aspekte der Folklore von Tinos in seinen Büchern behandelt) hat jeden Aspekt des (traditionellen) Korbflechter-Handwerks dargelegt und illustriert.
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Ja tatsächlich, das Verrückteste und Abwegigste ist gar nicht das Überleben der traditionellen Handarbeit hier in Volax, das Verrückteste ist, auch noch dieses Buch drüber zu schreiben:
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Florakis 1
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Die Geschichte von Volax  – hier eine 100 Jahre alte Postkarte
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Florakis 2
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Die Handwerker
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Florakis 3
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Das Material im Arbeitsprozeß
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Florakis 4
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Das Werkzeug
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Florakis 5
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Die Technik: Arbeitsschritte
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Florakis 6
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Die Produkte
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Ich überlege: Soll ich noch mal rauffahren nach Volax? Mit Andreas? Versuchen, selbst etwas vom Handwerk zu sehen? Aber … ausgerechnet um diese Jahreszeit? Besser als Florakis kann man das sowieso nicht darstellen. Und Andreas, der Taxifahrer? Vielleicht will der gar nichts wissen von seinem Dorf? Was, wenn er gar nicht der Enkel ist, sondern nur der Großneffe oder so was? Und in den Werkstätten ist doch gar nicht viel zu sehen, wird ja alles mit den Händen und mit einfachem Werkzeug gemacht, und die Männer arbeiten doch angeblich am liebsten nur im Sommer, und draußen!
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Ich verzichte erst einmal auf einen Besuch, zugunsten anderer Dinge. Sie lesen hier also einen unverifizierten Text …
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Taxi Sigalas KarteSie können mir ja zuvorkommen und selbst hinfahren. Und auch fragen, ob ich mich bei den Familienverhältnissen verspekuliert habe. Hier, die Karte von Andreas Sigalas, rufen Sie ihn für ihre Fahrt nach Volax doch an: 6936 428250
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ΒΩΛΑΞΙΑΝΟΙ ΚΑΛΑΘΟΠΛΕΚΤΕΣ
– ΕΝΑ ΜΟΝΟΤΕΧΝΙΚΟ ΧΩΡΙΟ ΣΤΗΝ ΤΗΝΟ
Volaxian Basketweavers – A Monotechnic Village In Tinos
Alekos E. Florakis
2010, 112 Seiten
(zweisprachig, griechisch und englisch)
Preis auf Tinos 25 Euro
(offizieller Ladenpreis lt. biblionet 18 Euro)
Emporikes Epicheiriseis Palamaris, Tinos
ISBN: 978-960-87757-2-5

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Übrigens: Bei biblionet (Greek books in print) finden Sie gleich 33 Titel, die Alekos Florakis in den letzten 40 Jahren verfaßt hat!
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WEITER MIT  TINOS WINTER 1
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WEITER MIT  TINOS WINTER 2 LIVADHA
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