Italien wie es wirklich ist …? Teil 2

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> ZURÜCK ZU:  ITALIEN WIE ES WIRKLICH IST …? TEIL 1
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< Ja, was hat Gustav Nicolai bei seiner 15wöchigen Italienreise durchleiden müssen?
Jemand kritisierte ihn später mit den Worten:
Erste Eindrücke sind immer stark, aber nicht immer richtig! >
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Also hier die unvollständige Mängelliste:
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MISERABLE UNTERKÜNFTE
„Nur die erstklassigen Häuser aufsuchen!“ Da sind sich alle Reiseberichterstatter einig. Nur gibt es die nicht überall. Erst in Neapel ist Nicolai über das Hotel mäßig begeistert – eine Suite, also ein saalartiges Wohn- und Eßzimmer, von dem fünf Schlafräume abgehen, gutes Essen (von den Makkaroni mal abgesehen), ein vertrauenswürdiger Stadtführer. Da bleibt man gerne neun Tage, und streicht den Ausflug nach Sizilien. Dort sei alles ja noch übler als in Italien. Was Marina Starke mit britischer Diskretion auch bestätigt. Man muß bei ihr nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um zu erfahren, was einem an Reise-‚Abenteuer‘ auf der Insel bevorsteht …
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Nicolais Reisegruppe besteigt den Vesuv – mit Eseln, Tragesesseln und 21 Hilfskräften, besucht zweimal Pompeji. Pompeji ist mit seinen „obszönen“ Wandbildern und Skulpturen aber so gar nicht nach Nicolais Geschmack. Naja, Neapel hat den Vorteil, weniger schlimm als der bisher gesehene Rest zu sein …
Erst spät – auf dem Rückweg – ist Nicolai immer wieder mal angenehm überrascht (S. 387): „Heute Mittag verließen wir Pisa. Zum ersten Male in Italien erhielten wir eine Rechnung, die nach der Anforderungen der Billigkeit angesetzt war (billig = rechtmäßig). Überhaupt benahm sich der Wirt zu Pisa gegen uns als ein redlicher Mann.“
(N. übernachtet im L’Albergo Reale dell’Ussero, das auch Mariana Starke empfiehlt.)
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Quelle: googlebooks

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UNGEZIEFER
Was dem Reisenden in Griechenland im 19. Jahrhundert die Wanzen sind, die manche Hellas-Reisende lieber vor der Tür schlafen lassen als im Bett, sind in Italien die Flöhe!
Praktisch jedes der Kapitel zwischen Venedig, Florenz, Rom und Neapel und der Schweizer Grenze enthält das Stichwort „Flöhe“. Flöhe im Bett, Flöhe im Essen, Flöhe in der Kleidung, Flöhe im Theater, Flöhe in der Kirche …
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Dazu hat der deutsche Floh in dem satirischen Reisekommentar „Schreiben eines deutschen Flohs an eine Wanze in Italien(Adamssohn, 1835) einiges zu sagen.
Ja, die Kritik wurde oft richtig … bissig … 🙂 :
Die italienischen Flöhe sind nämlich gar nicht schuld an Nicolais Misere! Der deutsche Floh ist ja heimlich aus Berlin mitgefahren und hat auf jeder italienischen Station seine dortigen Freunde zum Essen eingeladen – und die sind gerne gekommen für ein exotisches Nachtmahl in Nicolais Bett, mit gutem Appetit.
Bis Triest hätte der Floh allerdings immer „auswärts gespeist“, da hatte Nicolai Ruhe
und konnte noch glauben, daß alles, was man nicht selbst sieht oder hört, auch nicht vorhanden ist … 🙂 …
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Ob Nicolai darüber lachen konnte?
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Übrigens: Mariana Starke empfiehlt in ihrem ‚Traveller’s Guide‘, Metall-Faltbetten und Bettdecken von zu Hause mitzubringen, nur leere Zimmer zu mieten, und Lavendel-Sud gegen das Ungeziefer.

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Makkaroni! Lecker! Nein …?
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SCHLECHTE VERPFLEGUNG
Während sich die Flöhe über ihr Menu nicht beklagen konnten, hatten Nicolai und seine kleine Reisegesellschaft einiges durchzustehen. Es dauerte vier Wochen, bis sie in Triest das Mittelmeer erreichten – und zwischen Dresden, Prag, Wien und der österreichischen Bezirksgrenze bei Triest (dem Habsburgerreich unterstanden damals noch Venetien und die Lombardei) gab es noch wenig zu jammern, aber dann … ganze Tage verbrachte Nicolai hungrig, weil er den Fraß auf dem Tisch nicht mehr anrühren mochte.
Bei Maisbrot, Makkaroni (gab es zum Glück nur selten) und “zähem halbrohem Schöpsenbraten” (Schaf/Hammel) drehte sich ihm der Magen um. Und es gab kein Entweichen: Nur das Universal-Drei-Gänge-Touristen-Menu sieben Tage die Woche …
Italienischen Käse, Parmesan zum Beispiel, mag Nicolai auch nicht. Und fast nirgendwo gibt es Butter!
Pizza hätte er nie gegessen, da er sich in Neapels Altstadt an einer Ecke für ein Stück
hätte mitanstellen müssen, mitten „in der Hefe des Volkes“. Außerhalb von Neapel gab es den Arme-Leute-Imbiss nämlich nirgendwo.
Meyers „Italien in 50 Tagen“ schreibt 1875: „Die echte neapolitanische Küche liebt als Hauptzutaten Oel und Liebesäpfel (Tomaten).“
Und: „(Echtes Lokalgericht ist) la pizza, Fladen mit Käse, Speck und Basilikum oder Lauch.“
Keine ‚Liebesäpfel‘ drauf? Hm, klingt eher nach Elsässer Flammkuchen …
Erst ab 1889 gibt es laut Meyer’s Reisebibliothek auch Tomaten und Muschelfleisch auf die Pizza.
Makkaroni kriegt Nicolai angeblich – nicht nur in Neapel – aus Maismehl vorgesetzt, nicht aus dem besonders feinen und glutenarmen Weizenmehl (Saragolla).
Nicolai (S. 301): „… grauweiß aussehende, steinharte, sandige, abscheulich schmeckende Röhren von Staub und Maismehl, eine gute Speise für Bootsknechte.“
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Nicolai konnte sich das Essen nicht mal „schöntrinken“, da der Wein meist ungenießbar war. Die Top-Hotels im Lande servierten nur importierten Wein aus Spanien oder Frankreich.
(Aber da wurde man auch gerne mit Fälschungen betrogen, schreibt Ernst Förster!)
Wenigstens vermißt Nicolai nicht das gewohnte Bier, wie die meisten seiner Reisekollegen in Griechenland …
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Oer_Gasse_in_Tivoli__500x368_Theobald R. von Oer: Gasse in Tivoli, 1837
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Der Höhepunkt der kulinarischen Erlebnisse der Reise fand sich jedoch in einer übel aussehenden ‚Spelunke‘ in Tivoli. Nicolai (S. 344): „Wir bestellten Mittagbrot. Gegen alle Erwartung bewirtete man uns vortrefflich. In ganz Italien haben wir nicht besser gespeist als in Tivoli.
Jedermann weiß, daß der Reisende sehr von seinem Magen abhängt. Je weniger wir genießbare Speisen erwartet hatten, umso heiterer waren wir beim fröhlichen Mahle geworden.“

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BETRUG UND ÜBERVORTEILUNG

Und nicht nur beim Essen mußte man ganz tief in den Geldbeutel greifen. Für jede Bagatelle wurde die offene Hand ausgestreckt: Nichts geht ohne Trinkgeld, gar nichts …
Nicolai (S. 336): „Die Italiener sind von den Engländern verwöhnt, weil diese ihnen jede Forderung zahlen. Sie sehen dieselben gern, weil sie von ihnen leben und keine Rüge ihrer Prellereien zu befürchten haben. Deshalb halten sie aber auch die Engländer für unsäglich dumm und verachten dieselben.“
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Das ‚Gutachten‘ des Satire-Flohs (Adamssohn) entgegnet „daß die rupfbaren Engländer in allen Ländern der bekannten Welt, vom Mississippi bis zum Guadalquivir, selbst in der Vaterstadt des Gustav Nicolai, willkommen sind, gut aufgenommen und auch gebührend gerupft werden.“
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Betrug ist nicht italienspezifisch. Adamssohn (der Floh-Autor) nennt Fälle, wo englische Reisende in Berlin betrogen werden. (Beispiel: Ein Schneider verlangt eine unverschämte Summe für seine Arbeiten. Der Engländer ist entsetzt, Adamssohn übersetzt, protestiert. Der Schneider staunt: „Der Engländer will eine Rechnung? Dann wird doch alles noch teurer!“)
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Förster warnt jedoch auch zur Vorsicht in Italien. Beispiel: Wenn man einen Dienstboten verpflichtet, morgens etwas zu erledigen, z.B. Theaterkarten zu besorgen, muß man ihn bei der Rückkehr vom Dienst sofort bezahlen und entlassen – und wegschicken. Wenn man es nicht tut, sitzt der Mann oft den ganzen Tag auf der Hoteltreppe „in Bereitschaft“ und verlangt abends, für den ganzen Tag bezahlt zu werden.
Aber Nicolai sieht auch, daß das Hotel-Personal oft von der Hotelführung gar nicht für seine Leistungen bezahlt wird.
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Kirchenstaat1ScudoPiaster_1818-200Kirchenstaat, 1 Scudo/Piaster, 1818
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In Rom, Nicolai (S. 183): „Wir hatten den Cameriere, einen guten, bescheidenen und aufmerksamen Mann, gebeten, uns die Anzahl der Personen zu nennen, denen ein Trinkgeld zustehe (denn die italienischen Gastwirte geben ihren Leuten wenig oder gar keinen Lohn) und die letzteren sind fast ganz an die Fremden gewiesen. Wir hatten die Trinkgelder nach seiner wirklich bescheidenen Angabe eingerichtet, nichts desto weniger mussten wir 25 Piaster für Aufwartung bezahlen.“
Von dem Betrag hat das Personal nichts abgekriegt. Doppelter Ärger also.
Übernachtung und Verpflegung (samt ‚Aufwartung‘) für 4 Personen und 5 Tage kosteten insgesamt 84 Piaster/Scudo …
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AGGRESSIVE BETTELEI
Nicolai fehlt anfangs noch die spezielle Psychologie des Almosengebens, aber er lernt immer dazu, wenn auch oft mit Widerwillen. Irgendwann lernt er, das immer wieder gehörte ‚Meine Kinder sterben, wenn Sie mir jetzt kein Geld geben‘ zu ignorieren.
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Bettler400Nicolai (S. 364): „Wiewohl uns die Bettler immer noch quälen, hat sich doch diese Art der Unannehmlichkeit, seit wir uns auf dem Rückwege befinden, bedeutend vermindert. Der italienische Bettler richtet sich klüglich nach der Deichselstange am Reisewagen.  Er urteilt, wenn dieselbe nach Süden zeigt: Die Leute kommen erst, haben noch viel Geld und müssen gerupft werden. Im umgekehrten Falle aber: Die Leute reisen zurück, ihr Geld geht dem Ende zu und – sie kennen nun das Land und unsere Gesetze.“
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ZOLL, MAUT, GEBÜHREN, GELD
Nicolai wußte anfangs noch nicht, wie man sich mit Behörden und Beamten arrangierte! Und es gab so viele Grenzen in Italien! Und so viele verschiedene Währungen!
Förster empfiehlt, schon an der ersten Zollstation (etwa Venedig) als Zielangabe nicht den nächsten Ort (etwa Padua) in den Pass eintragen zu lassen, wo man übernachten will, sondern das letzte Fernziel (etwa Rom). Durchreisende (optimal wäre plombiertes Gepäck, was aber nicht möglich ist) haben weniger Pass-Kontrollen und weniger Gebühren zu befürchten! Die Gepäckkontrolle muß man weiterhin mit einem Trinkgeld abwehren …
Und man braucht Empfehlungsbriefe von/an angesehene Persönlichkeiten. Je mehr, desto besser!
Die Forderungen von Hotelpersonal und Behörden kann man nur herunterhandeln, ohne daß das Gegenüber sein Gesicht verliert! Aber anfangs ist Nicolai zu preußisch-rechthaberisch, und erreicht fast nichts.
Nicolai (S. 196): „In allen Grenzorten finden sich Leute, die vom Betruge durch Geldwechsel Profession machen.“
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SCHLECHTES WETTER
Nicolai schreibt, an keinem Ort, wo man sich länger als einen Tag aufgehalten hätte, wäre es ohne Regen abgegangen! Kalt war es oft auch. (Reisedauer vom 1. Mai bis 14. August)
Förster: „(…) dass es nicht nur im Winter, sondern sogar oft im Sommer, wenigstens dann in Nächten und auf den Höhen und in Häusern, sehr kalt ist, und dass somit ein Mantel unentbehrlich, ein Schlafrock höchst wohltätig ist.“
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Witterung-1834_A450Artikel im Pfennig-Magazin
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Das Wetter um 1833-1834-1835 war kurios. In einem zeitgenössischen Artikel (unten) ist eine unendlich lange Wetter-Katastrophenliste aufgeführt.
Und der Sommer in Italien war 1833 eben verregnet.
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Der nahende Halley‘sche Komet sollte schuld sein (der war der Erde aber erst am 16.11.1835 am nächsten), oder stärkere vulkanische Aktivitäten. Ja, von einer Art ‚Klimakrise‘ redete man auch damals …
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Aus dem Artikel „Die Witterung des Jahres 1834“ in: Das Pfennig-Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, Nr. 107, 18.04.1835: „Wäre der von vielen erwartete Halley’sche Komet erschienen, so würde man daraus den Schluß gezogen haben, daß er die anhaltende Trockenheit und Wärme bedingt habe. (…) Ungleich wahrscheinlicher ist daher die Vermuthung, daß die Erde selbst eine größere Menge Wärme in ihrem Schoße
entwickelt und dies durch die genannten vulkanischen Erscheinungen kund gethan hat.“

Am 27.08.1834 brach der Vesuv in ungewohnter Stärke aus und begrub zwei Dörfer unter der Lava, der Aschenregen bließ die Durchschnittshitze in Mittelitalien sofort um 5°C steigen.
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SEHENSWÜRDIGKEITEN
Nicolai hat da einiges auf der Wunschliste: Pompeji, Pisa, Fronleichnam in Florenz, Vesuv, Vatikan, Venedig – nur, die Präsentation für das Publikum läßt zu wünschen übrig. Die Trinkgelder, die an jeder Tür verlangt werden, werden erst Jahre später verboten. Paläste zerfallen, Parkanlagen verwildern, Städte und Wege sind verdreckt, Skulpturen zerbröckeln, Malerei verkommt … und niemanden scheint es zu stören …
So viel von der Antike ist im Lauf der Zeit ausgeschlachtet und im Mittelalter verbaut worden. Und im Jahre 1833 ist vieles vernachlässigt und vermüllt.
Nicolai fühlt sich nur in den ‚modernen‘ Orten wohl – den Hafenstädten Triest, Livorno und Genua. Und nicht mal der südliche Sternenhimmel ist schöner als der im ‚Vaterland‘ …
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Pompeji und der Vesuv (aus Meyers Universum 1858)
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Die Akademie von Flohaburgo (Adamssohn) glaubt übrigens nicht, daß man für Nicolai „und nach seinem Geschmäcke ein neues Pompeji, mit Vermeidung alles Anstößigen, erbauen und dann gebührend vom Vesuv begraben lassen soll“ … 🙂 …
Witzige Idee. Haben die Chinesen eigentlich letztlich Pompeji schon nachgebaut?
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DIE LANDSCHAFT
Alles grau, braun, staubig, waldlos, Orangenbäume findet Nicolai zunächst nur in Kübeln, wie in der Orangerie im Charlottenburger Schloß.
Nicolai (S. 199) im Garten der Villa des Prinzen von Caposele in Mola di Gaeta bei Neapel:
„Als wir vorhin dem Orangengarten näher traten und das Entzücken genießen wollten, unter Orangenlaub spazieren zu gehen, fanden wir auch in diesem Garten nichts als Unflat und Kehricht, nirgend Ordnung, nirgend Reinlichkeit.“
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Es ist schon merkwürdig, wie Nicolai positiv über ‚die Heimat‘ urteilt, angesichts von dem, was er erst in wenigen Tagen von der italienischen Landschaft gesehen hat.
Das ‚Gutachten‘ der Satire-Floh-Akademie von 1835 stellt fest, „daß man auch nicht einen lahmen Patriotismus an den Tag legen und ‚Templow, Teltow, Müncheberg!‘ ausrufen kann, wenn man ihm eine schöne Gegend Italiens zeigt“.
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STRASSENZUSTAND, UNSICHERHEITSGEFÜHL UND STRASSENRÄUBER
Marano-EquoSurLaRouteDeSubiaco_1827_443Bedrohungen hielten sich für Nicolai in Grenzen. Zwischen Rom und Neapel und in Sizilien war das Banditenwesen noch üblich, aber Nicolai passiert nichts. Er ist nur nervös über die entsprechenden Gerüchte.
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Und ja, die Straßen sind noch übel, aber Nicolai hat es ja oft auch eilig und geht manches Risiko ein.
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Schon die Überquerung der Alpen ist nicht ohne Risiko, egal welchen Pass man nimmt.
Nicolai Zitat (S. 364): „Daß unser Wagen noch hält, ist ein Wunder. Wer nicht ein eisern gebautes Fuhrwerk nach Italien bringt, kann mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß es sehr bald zertrümmert werden wird.“
Gut, daß Nicolai im eigenen Wagen reist. Förster warnt, der mitreisende Italiener im Postwagen sei „rücksichtslos, egoistisch, selbst unartig und roh“, bevor man ihn besser kennenlernt. Im Durchschnitt sei jeder Italiener nämlich ein „herzlicher“ Mensch … (siehe Anhang)
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SCHÖNE FRAUEN
Zur Biedermeier-Zeit redete man über sowas in Bürgerkreisen ja nicht in der Öffentlichkeit. Und Nicolai war mit seiner Ehefrau Henriette Dorothea unterwegs. Er hatte von den „reisenden Enthusiasten“ über „die schönen Italienerinnen“ gehört, fand aber selber keine und dokumentiert die Enttäuschung mehrfach ganz ausführlich.
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Was steht beim Gutachten aus ‚Groß-Flohitanien‘ über Nicolais Frauensuche?
Sanfte Ironie: Flohitanische Ehemänner würden „nicht ihre musterhafte eheliche Treue und Adoration der an ihrer Seite sitzenden Gemahlin durch die Erklärung, daß in ganz Italien kein hübsches Mädchen zu sehen ist, an den Tag legen.“
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W-A_Bouguereau_Elegy_Klagegedicht_1899_350Der Floh legt übrigens ein Gutachten der ‚Akademie der Wissenschaften zu Flohaburgo‘ vor, das auf 24 Seiten Verhaltensfehler und Irrtümer Nicolais zurechtweist … 🙂 …
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Nicolai hat zunächst keine Empfehlungsschreiben, die seiner Reisegesellschaft Einladungen zu gesellschaftlichen Ereignissen verschaffen könnten – wo die „Frau von Stand“ verkehrt, die elegant, charmant, attraktiv, usw. usw. ist …
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Der ‚Floh-Kritiker‘ fragt später ironisch, ob Nicolai erwartet hat, daß die „schönen Frauen“ für ihn an der Landstraße zur Besichtigung aufgestellt sein sollten.
Vielleicht so, wie die malenden Romantiker des 19. Jahrhunderts es sich dachten …? 🙂
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William Adolphe Bouguereau: Elegy, 1899,
Ausschnitt

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Nicolai sieht in Venedig „enge am Leibe liegende und schleppende Kleider“ der Frauen. Und die seien „aufgeweckte und angenehme Schwätzerinnen“. So so …
Die Mode findet er reizend, aber „diese Reize sind hier halb verloren, da die Italiener mit dem Frauenzimmer nicht frei umgehen dürfen“.
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Gaetano Dura: Tarantella Napolitaine, 1834
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NEAPEL, TARANTELLA
Nicolai ist an Musik und Tanz interessiert. Er komponiert selbst, zum Teil mit Robert Schumann. Von der Oper in Italien wäre er mehr begeistert, wenn der enge Kontakt zum Publikum nicht ständig in eine Flohjagd ausartete. Von der Musik des Volkes weiß er nicht viel, aber die Tarantella ist ihm ein Begriff. In Neapel sieht er sie zum ersten Mal, in einer vom Stadtführer organisierten Privatvorstellung.
Nicolai (S. 306): „Die beiden Tänzerinnen waren jung und vermutlich neapolitanische Schönheiten, allein blass und ohne die mindeste Armut. (…) Wirklich kann es keinen Tanz geben, der das Blut mehr in Wallung bringt als die Tarantella.“
Er versucht selbst, die Schritte nachzuahmen, ist aber „sogleich völlig erschöpft“.
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Ein typischer Nicolai-Reisetag hätte vielleicht so sein können:
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1. Nach dem Frühstück steht draußen der aus Berlin mitgebrachte private (!) Reisewagen, metallbeschlagen und verstärkt (eine Art früher SUV). Davor heute 4 Mietpferde und 2 Postillione. Nicolai ist wütend, er ist mit diesem Wagen auf preußischen Chausseen mit nur zwei Pferden unterwegs. Der Posthalter besteht auf vier (schlechte Strecke, das Wagengewicht, es ist weit zum Tagesziel), Widerstand ist zwecklos (also doppelte Miete), der Wagenmeister hat die Achsen abgeschmiert (Gebühr), mit seiner Hilfskraft (Trinkgeld).
2. Später Start, die Postillione sollen sich beeilen (Trinkgeld), keine Mittagspause, in den Dörfern gibt es sowieso nichts für Reisende, außer Bettlern und Invaliden, die nach Almosen schreien. Wenn die Pferde an einem Brunnen eine Zwangspause machen, vertritt man sich kurz die Beine.
Es geht durch zum Tagesziel, Ankunft erst nach 21 Uhr, da läßt einen die Stadtwache nicht mehr rein ohne „permesso“ – Nicolai hat kein permesso (großes Trinkgeld hilft), die Pässe werden visiert (Gebühr).
3. Ankunft am Hotel, man ist müde, durchgeschüttelt und kaum noch hungrig. Der Hoteldiener zieht mit den Pässen ab, um die Übernachtung bestätigen zu lassen (Gebühr, Trinkgeld). Gibt es eine Kleinigkeit zu essen? Nein, nur das übliche (teure) Touristen-Menü: wie immer Fleischbrühe, Hammelbraten (zäh), Huhn (zäh), Obst zum Dessert (teils frisch, teils überreif), und das von Nicolai gehasste Maisbrot. Der Wein (sehr billig) ist ein übler „Krätzer“. Man isst fast nichts.
4. Also schnell noch Tagebuchnotizen, ab ins Bett, draußen sind die munteren Einwohner des Ortes noch unterwegs, lautstark, die Floh-Armee fällt über die Reisegesellschaft her. (Wie schon oben gesagt: Mariana Starke empfiehlt in ihrem ‚Traveller’s Guide‘, Metall-Faltbetten und Bettdecken von zu Hause mitzubringen, leere Zimmer zu mieten, und Lavendel-Sud gegen das Ungeziefer.)
5. Morgens unausgeschlafen, Frühstück nur Kaffee (gewöhnlich ohne Milch, dafür wurde manchmal ein rohes Eigelb eingerührt), Maisbrot vom Vortag, ranzige Butter voll mit toten Insekten, gekochte Eier.
6. Wohin geht es heute? Ziel genannt, der Hoteldiener zieht mit den Pässen ab (Gebühr, Trinkgeld). Warten. Überzogene Hotelrechnung. Drohung, die Polizei zu holen (Gelächter über so viel Naivität). Nicolai sieht, daß gerade sogar 6 Pferde und 3 Postillione bereitgestellt werden. Große lange Diskussion, 2 Pferde und ein Postillion werden weggeschickt (großes Trinkgeld). Inzwischen eine Riesenschar aggressiver Bettler um das Reisegefährt (Almosen in alle Richtungen). Nur ist es nie genug für alle (also Beschimpfungen, Beleidigungen). Den Ausruf „morte ai tedeschi“ soll man einfach überhören, rät Ernst Förster.
Sind wir noch im Kirchenstaat? Dann noch die Bücher im Kofferboden verstecken. Werden sonst beschlagnahmt.
7. Schon wieder viel zu späte Ausfahrt, umgehend Halt am anderen Stadttor, Pässe visieren lassen (Gebühr). Es fängt an zu regnen (und es regnet oft). Die Postpferde fallen in Galopp.
18 Deutsche Meilen Tagesleistung werden es, 130 Kilometer, wie sonst auch. Vorwärts im Tiefflug – wie soll einem da das Land gefallen? Der Rest des Tages wie gestern.

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Alte Weisheit:
Was du nicht erlaufen hast, hast du nicht erfahren …
oder
… wenn du etwas erfahren willst, mußt du es erlaufen.
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Nicolais Reise dauerte 106 Tage, davon 53 Tage in Italien (29. Mai bis 21. Juli 1833.)
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