Hydra, Ostern im Mai

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Höhenfeuerwerk
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Höhenfeuerwerk, Hafen von Hydra, Ostersonntag 2013
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Explosion Hydra
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Die Luft bebt, Explosionen im Sekundentakt. Den Griechen liegt mehr am Lärm als am Licht …
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Feuerwerk Hydra
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Und wieder ein Volltreffer der Oster-Artillerie, ins linke Ohr! Und im Hintergrund brennt der Judas, am Galgen. (Jesus war ja Befürworter der Todesstrafe, oder …?)
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„(…) beginnt man alsbald zu wünschen, daß doch alle ausgesperrten Cafégäste schlafen möchten, denn der jugendliche Teil von ihnen scheint noch keine Neigung dazu zu verspüren. Bislang mit keinem Katarrh behaftet, vereinigen sich ihre Stimmen zu einem Gesang der Lebensfreude und des Übermuts. Das kann man aus der Lautstärke allein schließen, ohne in die Geheimnisse der griechischen Musik eingedrungen zu sein.“
(Richard Seewald, Ostern auf Poros, Hegner/Köln 1958. Seewalds Oster-Reise war wohl 1938.)
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Und was trieb mich Ostern 2013 ausgerechnet nach Hydra, wo ich doch gar nicht so ein Lärmfreak bin? Ein Sonderangebot war es, im Internet. Eins der kleinen Hotels am oberen westlichen Rande der Stadt Hydra – exakt da, wo Leonard Cohen in den 60ern sein Haus gekauft hatte – stellte sich auf einer Hotel-Plattform neu vor, und war bereit, mir zu den Feiertagen ein Zimmer zu 35 Euro zu überlassen. Für die Zimmerpreis-Verhältnisse auf Hydra war das sensationell günstig. Da nehmen wir doch gleich 9 Tage! Schließlich ist eine andere Griechenland-Chronistin ja auch in der Karwoche auf der Insel!
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Daß (nicht nur am Ostersonntag) um das Hotel herum von den Nachbarn ein akustischer Bürgerkrieg geführt werden sollte, stand nicht im Internet-Angebot. Da stand auch nicht, daß mein Zimmer bereits bewohnt war (von mindestens einem mehrbeinigen Gast der Sorte Blatta orientalis, der gelegentlich zum Vorschein kam, wenn man das Licht anmachte), und auch nichts vom erbärmlichen Frühstück (5 Euro extra, 2 Spiegeleier, Supermarkt-Marmorkuchen, ein Nes-Kaffee. „Ach, Sie wollen morgen auch mal Orangensaft? Also dann keinen Kaffee …?“ Wenn man Käse will (Portion radiergummigroß), gibt es ein Spiegelei weniger. Wenn man eine halbe Tomate will, gibt es keinen Kuchen …).
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Kakerlaken sind nicht unüblich am Mittelmeer. Schon gar nicht bei den Problemen, die die Müllabfuhr in diesem Hafenort hat. Es gefällt mir aber nicht so ganz, wenn sie mir in der Sinialo-Bar am Hafen in den Hemdkragen fallen, weil ich mich mit dem Rücken direkt an die Wand lehne. (Das Vieh ist ja auch schnellstens weitergeflüchtet.) Es war lustig, wie diese kleinen Cucaracha-Partisanen dort versuchten, die Küche zu stürmen, im wendigen Slalom zwischen den Gästefüßen auf dem Boden der nächtlich vollbesetzten Terrasse. Die Chancen waren gut. Die Katzen auf Hydra sind ja oft trockenfutterverwöhnt …
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Hydra Katze
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„Kakerlaken? Wo?“
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Hydra Osterschmuck
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Maritimes Hydra, Osterschmuck aus Signalflaggen
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Echt, nix gegen das Σινιάλο! Das Café Sinialo ist der absolut beste Platz zum Leutegucken am Hafen, und man kann dort auch gut eine Kleinigkeit essen! (Insofern verstehe ich die Zielstrebigkeit der Insekten …) Und noch was! Im Sinialo habe ich mein erstes Bier seit 28 Jahren getrunken, mein erstes Bier dieses Jahrtausends also, auch das erste Bier, das ich überhaupt in Griechenland getrunken habe! Eine Flasche Mythos. Dreifuffzig, mit Chips. Am Gründonnerstag, 02.05.2013, 22 Uhr 10. An den Bier-Geschmack mußte ich mich erst wieder gewöhnen, an den Geruch nicht. Nach meinem Nasenbeinbruch im März rieche ich ja fast nichts mehr. Allerdings war das Bier nicht kalt genug, und ich habe den halben Liter nicht vollständig heruntergekriegt:
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Hydra Mythos
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Hydra Sinialo Bar
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Sinialo-Bar/Café. Den Rücken zur Wand, und Sie haben den zentralen Punkt des Hafens vor sich, wo tagsüber die Miet-Esel stehen (nein, nicht die Mit-Esel!), und wo die Wassertaxis schaukeln:
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Hydra Wassertaxi
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Also gehen Sie ins Sinialo, ich mag den Laden. (Ohne Ironie geschrieben!) Und ich habe auch Vána, die oben im Hotel den Empfang machte, versprochen, daß ich ihrer Chefin auf dieser Hotel-Plattform keine Bewertung schreibe. Bei tripadvisor sind sie ja schon unten durch. Und das Mädchen braucht seinen Arbeitsplatz. Die wunderbare Stille oben im Dorf ist ja leider das Schlimmste. Da hört man unterm Fenster nachts eine Nadel fallen …! Vána hat geschworen, daß sie schon seit ewig gegen diese Nachbarn vorgehen, die morgens um halb vier anfangen, mit voller Musik-Lautstärke bei offenen Fenstern Feste zu feiern. Auch griechische (!) Gäste haben sich beschwert. Aber die Polizei täte ja nichts …
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Zum Glück bin ja auch noch einigermaßen gut zu Fuß. Nachdem ich für den Dienstag nach Ostern den Esel bestellt hatte, der mein Gepäck (Summe 28 Kilo, ja, selbst schuld …) zum Hafen tragen sollte, mußte mir Vána mitteilen, der hausverbundene Eseltreiber hätte morgens um 6 Uhr 30 noch keine Lust. (Nein, exakt so hat sie es nicht formuliert …) Er könne aber am Montag kommen, so, hm, nachmittags vielleicht, und ich könnte dann Dienstag mein Gepäck unten am Hafen im Lager abholen …! Andere Angebote schien sie nicht reingeholt zu haben. Dabei war sie doch sonst so neugierig …
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Ähm, ja, ich habe das Gepäck dann selbst getragen. Ging runter auch viel leichter als vorher rauf. (Ich setze voraus, daß Sie die malerischen Treppenwege im autofreien Hydra schon mal gesehen haben …?)
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Hydra Esel Muli mit Gepäck
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Hydra Treppen
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Oben im Dorf, rechts ab geht es, die letzte der Treppen-Etappen. Wenn Sie genau hinschauen, links oben, sehen Sie noch was …
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Ach so, ich wollte ja über Ostern auf Hydra schreiben, Ostern, das spirituelle Ereignis! Ostern war wirklich schön (wieder ohne Ironie)! Die Leute auf Hydra haben nämlich ein durchaus distanziertes Verhältnis zur Religion, und zu Besuch kommt Ostern in erster Linie die Verwandtschaft vom Festland. Was am Gründonnerstag und Karfreitag vom Bootsanleger kam, war im Verhältnis 9:1 Athen gegen Internationaler Tourismus. Großfamilien fielen sich bewegt in die Arme. Die Boote aus Piräus waren komplett ausverkauft.
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„Am Gründonnerstag kam ein Schiff nach dem anderen von Athen. Sie lagen alle beängstigend schief, da die Menge der geputzten Ausflügler zur Reling drängte. Sie strömte über die Laufplanke auf den breiten Quai, wo sie alsbald, wie Wasser auf die Erde gegossen, in den schmalen Gassen der Stadt und in ihren weißen Häusern verrann und versickerte.“ (Richard Seewald, s. o.)
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Und „Jetset-Insel“? Im Sommer vielleicht. Nicht zu Ostern. Na gut, ich habe Prominenz gesehen, auch Sophia Loren war dabei. Auf der Wand, in der Galerie im Keller des Kondouriotis-Hauses. Vier Euro Eintritt hat mich der Blick gekostet:
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Hydra Sophia Loren
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… die Loren ist die mit der schmalen Taille
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Gut, Karfreitag gab es ein paar kleinere Prozessionen. Aber zum Magiritsa-Essen in der Ostermitternacht gab es nirgendwo mehr einen Stuhl (eben nur Griechen auf Inselbesuch)! Was mich irritierte, war, daß Ostersamstag, 23 Uhr, die Cafés schlossen, gleich alle zusammen, vor dem Ende der Ostermesse. Zum Glück hatte ich vorher, beim Sonnenuntergang, ein mächtiges, ungewöhnlich gut gewürztes Risotto mit großen Garnelen und verschiedenen Muscheln und Gemüsestreifen gegessen, im Kontylenia am Hafen von Kamini:
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Hydta Kamini Risotto
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Das war ja auch ein letztes Fastenessen vor dem Ostertag, nicht? Also gut, wenn die Cafés zumachen, dann geht man eben in die Kirche. Ich auch. (Der Herr liebt ja die Sünder, die zu ihm kommen …) Zuschauen wollte ich, wie die Oster-Kerzen angezündet werden. Und 90% der Hydrioten (der „Hydranten“, laut Katharina) kamen auch erst zum Ende der Messe, halbwegs feierlich ausstaffiert.
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Hydra Ostern Kerzen
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Hydra Osternacht
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Und sie verschwanden nach ein wenig smalltalk umgehend wieder im Dunkeln. Zu ihrer Parea am reservierten Tisch in der Taverne. (Ich hätte ja gerne zum Fastenbrechen die Innereien-Suppe in der Krypto Limani Taverna gegessen, aber auch da keine Chance. Die Taverne gilt ja leider als „Geheimtip“.) Das Feuerwerk gab es erst am Sonntagabend. Nur die Jungs am Hafen hatten sich um Mitternacht schon was zum Knallen mitgebracht:
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Hydra Feuerwerk
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Und morgens an den Ostertagen hatte sogar der Bäcker am Hafen auf! Ein wunderbar frisches und warmes tiropita zum höllenroten Osterei! Wer frühstückt da schon das erbärmliche Eselfutter im Haus auf der Bergeshöhe …?
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Oster-Ei tiropita
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Also: Kaffee besser am Hafen! Da ging es übrigens überall und immer sehr zivil zu (Jetset-Insel, ha …). Sogar bei den Champions League Halbfinalspielen, obwohl die Griechen doch sonst immer für Barcelona sind. Still seufzend wurde deren hohe Niederlage gegen diese Mannschaft aus Μόναχο im Merkel-Land ertragen:
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Hydra Champions League
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Fast niemand verließ in der Osterzeit den Hafenort. Uns überließ man in der sommerheißen Karwoche freiwillig alle Wander- und Gipfelwege. Auf dem Gipfel des Eros … ähem, wie poetisch … begegnete uns nur Richi aus Köln, per SMS an Katharina.
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Übrigens, meine Vána aus meinem Sonderangebotshotel (Alter um die 23) hatte noch niemals irgendetwas von Leonard Cohen gehört. Obwohl der lange Zeit nur ein paar Häuser weit weg gewohnt hatte. „He still alive, this man?“ Sie ließ sich von mir was von ihm erzählen, in Stichworten, und seinen Namen auf einen Zettel schreiben. Falls nochmal jemand nach ihm fragt. Gerade ist ja seine voluminöse Biographie erschienen, “I’m your man” von Sylvie Simmons. Ron (aus Tinos) hatte seinen kanadischen Mitstaatsbürger Ende der 60er Jahre noch auf Hydra erlebt, glaube ich (ohne Gewähr). Für Ron und seine griechische Frau Evi war Hydra immer schon ein Lieblingsreiseziel. Aber Ron ist ja heute auch schon aus dem Berufsleben heraus …
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Also, für Vàna – Judy Collins sagt ein paar Worte über Leonard Cohen und singt sein “Suzanne”. (Und wer ist Judy Collins? fragt Vána.) Also Judy Collins hatte Leonard Cohen als Musiker damals gewissermaßen entdeckt. Schon auf den ersten ihrer zahlreichen Alben finden sich seine Titel:
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WEITER MIT:  HYDRA, UND DER BERG
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WEITER MIT:  HYDRA, UND DIE SÜNDE
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WEITERHIN NOCH:  HYDRA (vor 2010)
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5 comments

  1. Auch 1959 war das griechische Osterfest erst im Mai (Ostersonntag = 03.05.1959). Da war Gerhart Pohl auf dem Athos unterwegs (Wanderungen auf dem Athos, Lettner-Verlag, 1960).

    Pohl verbringt die Osternacht im Kloster Xeropotamou. Hier dauert die Liturgie 15 Stunden (!), von Samstagnachmittag bis Sonntagmorgen um sieben! Pohl wird um 8 Uhr ins Bett geschickt. Man tröstet ihn, 15 Stunden, das hielte keiner der Besucher durch. Um Mitternacht wird er geweckt, zum Anzünden der Kerzen, für die Osterwünsche (christos anesti), und wegen des Feuerwerks. Um zwei Uhr geht Pohl wieder ins Bett, aber die Messe geht weiter.

    Um 6 Uhr wird er wieder geweckt, er soll sofort zum Ostermahl in die Trapeza, den Speisesaal des Klosters kommen. Das Osteressen ist fleischlos. Nein, auch keine Margaritsa! Es gibt einen warmen Maisbrei, kalten Fisch mit Öl, Ziegenkäse und zwei rotgefärbte Eier pro Person. Dazu den besten Klosterwein, Unmengen Brot und Wasser. 37 Mönche, 43 Klosterarbeiter und 8 Klostergäste schlagen zu! (Nach 40 Tagen Fastenzeit sind die Klosterbewohner total ausgehungert, noch Karfreitag gab es, außer kaltem Wasser, gar nichts zu essen …) Nach einer halben Stunde sind Teller und Weinkaraffen geleert, und zwar weggeputzt „mit der Gründlichkeit eines Heuschreckenschwarmes“. Pohl hat seinen kalten Fisch mit Entsetzen weitergereicht, auch mit einem Glas vom Kloster-Tsipouro kriegt er den nicht runter …

    Und am Ende gibt es noch Koliwa, das Auferstehungs-Müsli „aus gekochten Weizenkörnern, zermahlenen Nüssen, Granatapfelkernen, Mandeln und Zucker“.

    Noch immer zieht es die Mönche nicht ins Bett. Um 7 Uhr 30 beginnt die Danksagungs-Andacht in der Klosterkirche …

    Hm, eine interessante Nacht, aber vielleicht war es 2013 auf Hydra etwas weniger anstrengend …

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