Tinos 2022 – wo der Tag schlecht anfängt


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Lieber Kostas, ich habe lange überlegt, ob ich über eine übergriffige Covid19-Maßnahme überhaupt berichten soll. Wer weiß, vielleicht schadet sie dem Falschen, vielleicht ist meine Vorstellung zu kleinkariert?

Seit 11 Jahren mein Rückzugsort auf Tinos: Das TINION HOTEL (früher das „Tinion Palace Hotel“). Keine Ahnung, seit wann das Haus existiert. Es hatte schon prominentere Gäste als mich, wurde in den früheren 1950er Jahren auch für wenigstens eine Kabinettssitzung der griechischen Regierung genutzt. Damals wurden die Todesurteile gegen die im Bürgerkrieg unterlegenen Kommunisten in Haftstrafen umgewandelt.
Von den Zimmern mit Blick zum alten Hafen schaut man auch auf die Rückseite des Kulturzentrums der Insel. (Sie sollten bei der Reservierung darauf hinweisen, daß Sie ein Zimmer mit Terrasse und Hafensicht wollen.)


Jedesmal – bevor ich zum ersten Mal von der Fähre komme und die schwere Haustür aufstemme und in das altmodisch-bürgerliche Treppenhaus schaue – hoffe ich, es hat sich nichts geändert. Aber solange Kostas das Haus führt und nicht der Junior, wird es wohl bleiben, wie es ist.
(Wenn meine Oma einen vermögenden Provinz-Landarzt geheiratet hätte, hätte ich sie später in so einer nüchtern-bürgerlichen Villa besuchen können. Ja, vielleicht hätte das Haus nicht 25 Zimmer gehabt … 🙂 …)

Schnell ein Blick nach rechts, in den Frühstücksraum. Hm, hier hat sich tatsächlich etwas geändert. Die Tischreihe, auf der das Frühstücksbuffett aufgebaut ist, ist leer, kein Teppich, nur 4 statt 6 Tische, die mit billigen Packpapier-Wegwerf-Quadraten abgedeckt. Ein Aufkleber auf dem Kachelfußboden am Eingang zur Rezeption links: Abstand halten!



So sah es früher aus.

Die Zimmer haben im Lauf der Zeit alle ihren eigenen Charakter entwickelt.
Alte schwere Möbel, solide Betten, alter sorgfältig gekachelter Fußboden, mal sind sie mehr, mal weniger geräumig.
Die massiven Wände haben früher den WLAN-Empfang gestört, das scheint noch nicht völlig vorbei zu sein.





Was sonst noch stört, sind die Dacharbeiten am Kulturzentrum gegenüber. Das ganze Dach abtragen und durch eine Plastikröhre auf den Lkw zu befördern, ist besonders nervig.
Erinnert mich leider sehr (!) an zu Hause – wir haben ununterbrochen Baustellen rings ums Haus: Neue Fernwärmeleitungen, später die Hausanschlüsse, neue Abwasserrohre, neue Gasleitungen, Totalrenovierungen von Wohnungen links, rechts, oben, gegenüber usw. Manchmal bebt das Haus von den Planierungsarbeiten vor der Tür. An manchen Stellen ist der Asphalt schon sechsmal abgetragen und neu aufgetragen worden.

Warum es keine Handwerker in Deutschland gibt? Weil sie alle in meiner Straße arbeiten, darum.


Das angenehmste am Tinion war immer das Frühstück. Wenn mehr als 5 der 17 Zimmer belegt waren, gab es ein (für Kykladen-Verhältnisse) üppiges Buffet – für das ich sogar früher als üblich aufgestanden bin, damit mein Lieblingsplatz auf der Terrasse noch frei war 🙂 . Jeden Tag bin ich mit guter Laune und Zuversicht dort wieder aufgestanden.

Wenn weniger als 5 Zimmer belegt waren, wurde das Frühstück am Tisch serviert, besondere Wünsche wurden erfüllt. Aber das Buffet, mit Yoghurt, Müsli, Wurst, verschiedenen Brot- und Käsesorten, verschiedenen Säften, Eiern in 3 Abstufungen von 2 bis 8 Minuten Kochzeit, Obst, lokale Pita-Kleinigkeiten, was weiß ich, war natürlich besser.


Nichts davon ist geblieben. Als der Junior mit seinem griesgrämigen Morgenmuffelgesicht das „Frühstück“ aufträgt, schrecke ich entsetzt zurück. Das soll ich jetzt sieben Tage lang in exakt gleicher Form kriegen? (Es sind an keinem Tag 5 Zimmer besetzt.)

Ja, tatsächlich 7 Tage der gleiche Wegwerfmüll. Holzmesser, mit Holzklinge! Bin ich hier im Knast oder suizidgefährdet? Mit dem Stiel meiner Zahnbürste kann ich ein Brötchen besser schneiden als mit diesem Gerät. Haben Sie schon mal ein halbweiches Ei mit einem Holzlöffel ausgelöffelt? Das ist eklig.
 
Ein rohes Holztablett, ein Pappteller, Messer und Löffel aus rohen Holzspänen, je ein Pappbecher Kaffee und Orangensaft mit Plastikdeckel, immer eine Banane (das zur Zeit billigste Obst im Supermarkt), ein Ei ohne Eierbecher, je 1 Papiertütchen Salz und Zucker, ein Töpfchen Kaffeesahne, je 2 Plastikschälchen mit Butter, Honig, Erdbeermarmelade, ein Dreieck La-Vache-Qui-Rie-Kunstkäse, eine Papiertüte Industriekuchen und ein Gebäckstück, das nicht weiß, ob es Semmel oder Streuselkuchen ist …
Keine Wurst, kein Yoghurt, kein Müsli, kein nichts. Jeden Tag geht bei mir fast alles Richtung Mülleimer, und an den Tischen der anderen Gäste sieht es nicht anders aus. Jeden Abend schwöre ich mir, morgen nicht zu frühstücken, gehe dann wegen des Kaffees doch hin.

Ich stand schon am ersten Tag bei Kostas an der Rezeption: „Was ist das denn? Willst du die letzten Gäste vergraulen?“
„Kann ich nicht ändern, muß ich so servieren.“
„Aber in Rafina gab es doch ein Buffett wie immer!“
„Das Avra ist auch ein großes Hotel, die dürfen das. Wenn ich im Tinion normales Buffett-Frühstück anbieten würde, müßte ich 3 Personen dafür einstellen: Einen, der nur das Buffett aufbaut, einen in der Küche, einen, der nur die Tische abräumt. Die im Avra haben Personal genug. Das kann ich mir nicht leisten. Und diese Fertigfrühstücksportionen sind viel teurer als das, was ich einfach aus dem Küchenvorrat zusammenstellen könnte.“

Ich beschwöre mich, Kostas (und dem Junior, der das später noch einmal wiederholt) zu glauben. Pandemie : Zivilisation = 1:0.
Würde mich interessieren, ob noch jemand in diesem Sommer solche Erfahrung gemacht hat!

Am 21. Mai (Namenstag Konstantin/Kostas und Eleni) herrscht nachmittags ein Riesentheater im Haus. Ein Dutzend Kinder im Kita-Alter samt Eltern lassen die Sau raus, stundenlang. Niemand kümmert sich um Pandemie-Maßnahmen.

Lieber Kostas, es gab einen irischen Schriftsteller, John B. Keane, der lebte in der verschlafenen Kleinstadt Listowel und schrieb autobiographische Texte und Theaterstücke. Mal nett, mal kritisch. Seine Inspiration lag quasi um Umfeld. Seine Nachbarn nahmen das zuerst nur mißtrauisch zur Kenntnis.
Als die Große Welt (also Dublin …) die Geschichten später wohlwollend zur Kenntnis nahm, gefiel

ihnen das doch. Keane: „Ich bin überzeugt, daß sie heute noch das Gefühl haben, ich nutze sie aus, aber das würden sie niemals laut sagen.“
Wollte ich nur mal erwähnt haben …


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